Protokoll der Sitzung vom 14.12.2016

Für die in Hessen für Rückführungen zuständigen Behörden sind solche Standards selbstverständlich. Verwaltungsund Polizeibehörden gehen – das sage ich ausdrücklich – bei Rückführungsmaßnahmen mit der notwendigen Rücksicht und Sensibilität vor. In diesem Zusammenhang gebe ich auch den Hinweis, dass wir in Hessen sehr erfolgreiche Strukturen bei der freiwilligen Rückkehr aufbauen, mit frühzeitig aufsuchenden und mit professionellen Standards arbeitenden Fachleuten.

Wir werden diesen Weg fortsetzen. Wir machen uns die Rückführung nach Afghanistan, trotz der mit der dortigen Regierung getroffenen Übereinkunft, nicht leicht. Das gilt nach meiner Einschätzung auch für die Bundesregierung und – das sage ich ausdrücklich – auch für den Bundesinnenminister.

Das möchte ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich festhalten; denn neben dem respektvollen Umgang mit den Rückzuführenden durch die Landesbehörden gehört dazu eine aufmerksame Beobachtung der Sicherheitslage in Afghanistan durch die zuständigen Bundesbehörden.

Herr Innenminister, ich muss Sie an die Redezeit der Fraktionen erinnern.

Die IMK hat bereits auf ihrer Sitzung im letzten Dezember beschlossen – das will ich kurz zitieren –, dass „die Sicherheitslage in Afghanistan in einigen Regionen eine Rückkehr ausreisepflichtiger afghanischer Staatsangehöriger grundsätzlich erlaubt“. Die IMK hat damals darum gebeten, dass diese Rahmenvereinbarung getroffen wird. Sie kommt zu dem Ergebnis – über alle Landesinnenminister hinweg –, dass Rückführungen in diese sicheren Regionen Afghanistans dann möglich sind, wenn nicht im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte dagegen sprechen. Dem kommen die jeweilig zuständigen Behörden nach. Insofern bitte ich, den Antrag der Fraktion DIE LINKE abzulehnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Staatsminister Beuth. – Es hat sich von der Fraktion DIE LINKE die Abg. Janine Wissler zu Wort gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Heute um 18:40 Uhr startet von Frankfurt aus ein Flugzeug, das 50 Menschen nach Afghanistan bringen wird, in ein Land, das laut Global Peace Index das viertgefährlichste Land der Welt nach Irak, Südsudan und Syrien ist; in ein Land, das laut Amnesty International im Jahr 2015 eine massive Verschlechterung der Sicherheitslage erfahren hat; in ein Land, in dem es 2016 laut UN so viele zivile Opfer geben wird wie noch nie seit Beginn der Zählungen im Jahr 2009; in ein Land, für das der Deutsche Bundestag morgen die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes beschließen wird.

Heute werden Menschen in ein Land abgeschoben, in dem Kampfhandlungen in 31 von 34 Provinzen stattfinden und Hunderttausende von Binnenflüchtlingen die traurige Realität sind. Die Kirchen lehnen die Abschiebungen nach Afghanistan ab, und Pro Asyl nennt sie „skrupellos“; denn sie gefährden Menschenleben. Meine Damen und Herren, diese Sammelabschiebungen nach Afghanistan sind unverantwortlich und unmenschlich.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Der 24-jährige Samir Narang ist in Abschiebehaft. Heute soll er per Flugzeug nach Kabul gebracht werden. „Ich habe Todesangst“, sagte er dem NDR gestern. Narang ist Hindu, er lebte vier Jahre in Hamburg. Er sagt: „Ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn ich dort ankomme. … denn ich habe dort niemanden mehr, der mir hilft.“ Er hofft, und er fleht: „Bitte tut etwas, ich will nicht zurück!“

Mit an Bord wird wohl auch Fereidun sein. Er ist 35 Jahre alt und lebt seit 21 Jahren in Deutschland. Er hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Er hat vor Kurzem geheiratet und ist vor einem Monat Vater geworden. Er hat gestern erfahren, dass er heute abgeschoben wird. Er wurde heute Nacht um 2 Uhr von Polizisten aus seiner Wohnung geholt.

Meine Damen und Herren, die, die das politisch verantworten, sitzen nächste Woche vermutlich im Kreise ihrer Lieben um den Weihnachtsbaum – vielleicht gehen sie vorher noch in die Christmesse –, während dieser junge Mann, getrennt von seiner Familie, nicht einmal eine Bleibe in Afghanistan hat.

„Wir müssen uns an Recht und Gesetz halten“ – das habe ich heute wieder häufig gehört. Dabei wissen Sie, dass es gerade bei Afghanistan sehr wohl rechtliche Spielräume gibt, die bisher auch genutzt wurden. Es ist eine politische Entscheidung, verstärkt nach Afghanistan abzuschieben und ein solches Abkommen mit Afghanistan abzuschließen. Ich sage aber auch: Wenn es rechtmäßig ist, Kinder, Frauen und Männer – selbst Kranke – in ein Kriegsgebiet abzuschieben und deren Leben und deren Unversehrtheit zu gefährden, hat das mit Recht nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Wenn Gesetze, Verordnungen und Abkommen eine Gefährdung von Menschenleben legitimieren, müssen diese Regelungen weg und nicht die Menschen.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Auch in Rechtsstaaten gibt es Unrecht. Wenn sich die Strafkammer des Landgerichts Hamburg im Jahr 1951 an

Recht und Gesetz gehalten hätte, hätte sie zwei homosexuelle Männer nach § 175 StGB zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Stattdessen hat der Vorsitzende Richter Fritz Valentin den Mut gehabt, in seiner Urteilsbegründung den Paragrafen selbst sowie seine Rechtmäßigkeit infrage zu stellen. Er hob die von der Vorinstanz verfügte Gefängnisstrafe auf und verhängte die niedrigstmögliche Geldstrafe von 3 DM, weil dieser Paragraf zwar Recht, aber dennoch Unrecht war.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Meine Damen und Herren, wie hätten Sie entschieden? Nach Recht und Gesetz? Oder war es richtig, dass die Richter anders entschieden haben – für die Menschenrechte und gegen damals geltendes Recht, das Homosexuelle verfolgt hat?

Wenn sich Rosa Parks an Recht und Gesetz gehalten hätte, hätte sie vor 60 Jahren ihren Platz im Bus für einen Weißen geräumt. Das hat sie nicht getan und hat damit einen Beitrag dazu geleistet, dass die Rassentrennung aufgehoben wurde. Sie hat gegen Unrecht aufbegehrt, hat deshalb Recht gebrochen und wurde dafür bestraft – zu Recht? Das sind keine Beispiele aus Diktaturen, sondern sie zeigen: Recht ist veränderbar. Auch in Rechtsstaaten gibt es Unrecht, und das sollte man bekämpfen, statt es umzusetzen.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Ich weigere mich, Recht anzuerkennen, das der Menschenwürde entgegenläuft und im Widerspruch zu den Menschenrechten steht. Es war eine politische Entscheidung, das Asylrecht auszuhöhlen. Das, was gestern noch die Menschenrechte waren, soll heute nicht mehr gelten.

Meine Damen und Herren, Deutschland hat auch deshalb eine Verantwortung, Flüchtlinge aufzunehmen, weil sie teilweise vor Kriegen fliehen, an denen Deutschland direkt oder indirekt beteiligt ist. Dafür ist Afghanistan das beste Beispiel.

Frau Kollegin, Sie müssten zum Ende Ihrer Rede kommen.

Wer sich an Kriegseinsätzen beteiligt und Waffen in alle Welt liefert, der darf sich nicht wundern, wenn Menschen massenhaft fliehen. Wir alle sollten uns dessen bewusst sein, dass wir es sein könnten, unsere Familien, unsere Kinder, die gerade an den europäischen Außengrenzen warten.

Frau Präsidentin, zum Schluss möchte ich aus Bertolt Brechts „Flüchtlingsgesprächen“ zitieren:

Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.

Für uns zählt der Mensch, nicht der Pass. Alle Menschen sind gleich, und keiner ist illegal. Deshalb werden ich und ein Teil meiner Fraktion die Landtagsdebatte bald verlassen und zum Flughafen gehen, um uns dort an den Protesten zu beteiligen. Wir können nicht viel tun,

Frau Kollegin, bitte, ich hatte gesagt: letzter Satz.

aber wir können wenigstens ein Zeichen setzen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die CDU-Fraktion spricht nun Holger Bellino.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Wissler, im Gegensatz zu Ihnen war ich über viele Jahre im Petitionsausschuss. Ich war in der Härtefallkommission; ich war in beiden Gremien als Obmann tätig. Ich weiß, wie intensiv sich die Menschen, die in diesem Ausschuss und in dieser Kommission saßen, parteiübergreifend mit den menschlichen Schicksalen auseinandergesetzt haben, die dann irgendwann zu einer Entscheidung geführt wurden.

Frau Wissler, wir hatten damals die absolute Mehrheit. Dennoch ist es uns gelungen, zumeist einstimmige Beschlüsse zu fassen. Warum? – Weil eben niemand, der damals in diesen Gremien vertreten war, eine Hauruck-Politik gemacht hat. Wir haben immer überlegt: Ist dies individuell vertretbar? Ist dies in Ordnung? Wir haben uns immer wieder erkundigt, beispielsweise beim BAMF, bei den Ministerien, ob das eine oder andere angemessen, vertretbar und humanitär ist – unabhängig davon, um welche Thematik es ging. Deshalb kann man das so nicht stehen lassen, auch wenn Sie jetzt noch weiter auf diese emotionale Ebene abrutschen und hier immer wieder Einzelfälle anbringen, die keiner überprüfen kann.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist eine menschliche Ebene, da rutscht man nicht ab! Das verträgt man, oder man verträgt es nicht!)

Herr Kollege Schaus, gerade Sie haben Grund, sich darüber aufzuregen. Was Ihre Kollegin, Ihre erste Rednerin, hier gesagt hat, war unterirdisch. Sie brauchen sich hier gar nicht aufzuregen.

(Beifall bei der CDU – Hermann Schaus (DIE LIN- KE): Das ist nicht wahr!)

Wie Sie mit demokratischen Entscheidungen umgehen, wie Sie andere Menschen titulieren, die von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machen, haben wir vor mehreren Jahren gesehen. Von Ihnen, Herr Schaus, brauche ich mir von der Seite gar nichts sagen zu lassen.

(Beifall bei der CDU)

Wer weiß, wie intensiv sich die Landtagsabgeordneten im Petitionsausschuss und in der Härtefallkommission mit den

entsprechenden Themen befassen, wer weiß, wie intensiv das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, und andere Einschätzungen vornehmen und immer wieder revidieren, wenn sich die Lage ändert, wer weiß, wie rechtsstaatliche Prozesse ablaufen – das wurde vorhin unter anderem von dem Vertreter der SPD sowie von den Kollegen Greilich und Wallmann dargelegt –, und wer weiß, wie intensiv sich der Petitionsausschuss und die Härtefallkommission mit den einzelnen Fällen beschäftigen, der kann nicht den Abgeordneten eine seriöse Befassung absprechen und, wie dies Frau Faulhaber gesagt hat, von „Deportation“ und anderem sprechen. Wer dies tut, der will ablenken und diejenigen diskreditieren, die über viele Jahre mit diesen Entscheidungen sehr verantwortungsvoll umgegangen sind.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben auf der einen Seite eine Individualbezogenheit und auf der anderen Seite eine Prüfungstiefe, wie es sie nirgendwo sonst gibt, auch nicht in den von Ihnen geschätzten und so fernen Ländern wie Venezuela oder Kuba, Frau Kollegin Wissler.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Im Gegensatz zu den Mitgliedern der Landesregierung war ich noch nie in Kuba!)

Nirgendwo gibt es dies so wie in Deutschland; und dann kommt man zu Ergebnissen. Diese mögen schwerfallen, wenn man sie entsprechend umsetzen muss, aber sie fußen auf dem Rechtsstaat und auf einer intensiven Befassung mit der Thematik. Unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, zeigt nicht nur ein humanitäres Gesicht, sondern unser Land ist humanitär und sozial. Das zeigt das eben genannte Verfahren, und das zeigt, wie einzigartig in der Welt wir mit der Flüchtlingskrise umgegangen sind und weiterhin umgehen.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Bellino. – Frau Kollegin Öztürk, zweieinhalb Minuten.

Frau Präsidentin, ich will die zweieinhalb Minuten gar nicht ausschöpfen. Aber ich möchte den Herrn Innenminister einmal fragen: Sind bei diesen 50 Personen, die um 18:30 Uhr abgeschoben werden sollen, auch Hessinnen und Hessen dabei? Die andere Frage – Herr Bellino, Sie haben gerade von Frau Wissler die Einzelbeispiele vorgeführt bekommen – ist: Waren sie Ihnen bisher bekannt? War Ihnen bekannt, dass auch eine Person, die seit 21 Jahren hier lebt, abgeschoben werden soll? Und wie gehen Sie, da Sie sich eigentlich selbst widersprechen, mit dem Konflikt um? Auf der einen Seite berufen wir uns hier auf die Rechtsstaatlichkeit; auf der anderen Seite gab es die politische Entscheidung, Flüchtlinge in Flüchtlinge mit guter und schlechter Bleibeperspektive einzuteilen, wogegen ich definitiv bin, was die Bundesregierung aber gemacht hat.

Es hieß, wenn über 50 % der Flüchtlinge eine Schutzquote haben, dass diese als Flüchtlinge mit einer guten Bleibeperspektive betrachtet werden sollen. Im Falle von Afgha