Protokoll der Sitzung vom 26.01.2017

Deswegen sagen wir GRÜNE ganz klar: Wir bedauern die erlittenen ungerechtfertigten Benachteiligungen der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land zutiefst.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Sie sind schon darauf eingegangen, dass die damals handelnden Politiker zu dieser Bewertung im Nachhinein gekommen sind. Sie haben Willy Brandt angeführt, der das einen großen Fehler genannt hat. Helmut Schmidt hat gesagt, man habe mit Kanonen auf Spatzen geschossen.

Ich möchte das für den Einzelfall ganz klar sagen: Das verursachte in den Erwerbsbiografien der Menschen erhebliche Brüche. Vielen Menschen wurde viel Leid zugemutet. Von daher ist es auch richtig und, so glaube ich, vollkommen angemessen, dass wir heute im Landtag hinsichtlich dieser zu Unrecht Benachteiligten beschließen: Wir bedauern diese ungerechtfertigten Benachteiligungen gegenüber euch zutiefst.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich finde, dass man an dieser Stelle auch sagen kann, dass das, was wir historisch einordnen, trotzdem nicht zu solchen Schlussfolgerungen führen darf, wie sie vom Redner der Partei DIE LINKE durchaus verfolgt wurden. Er sagte, dass es kein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Staatsbediensteten und dem Staat geben müsse. Der Staat dürfe kein besonderes Treueverhältnis verlangen.

Das sehen wir anders. Wir finden, dass sich der Staat schon versichern darf, dass seine Bediensteten fest zum Grundgesetz stehen. Ich finde es auch folgerichtig, dass diejenigen, die sich anschicken, ein Amt zu bekleiden, einen Eid schwören müssen, das Grundgesetz zu verteidigen. Ich finde es auch richtig, dass der Staat eine Handhabe hat, um beispielsweise gegen Beamte vorzugehen, die öffentlich das Gedenken an den Holocaust herabwürdigen oder diesen sogar leugnen. Es ist auch richtig, dass jemand, der die Diktatur des Proletariats anstrebt, nicht Bediensteter dieses Landes sein darf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Es ist genauso vom Kollegen Heinz auf das Beispiel der Weimarer Republik eingegangen worden. In der Weimarer Republik – sie wurde eine Demokratie ohne Demokraten genannt – war das Problem, dass gerade in den Schaltstellen der Verwaltungen und den Gerichten Personen saßen, die sich nicht zur Demokratie bekannten. Deswegen haben wir einen besonderen Anspruch an unsere Bediensteten. Ich finde das auch weiterhin richtig so. Aber man muss auch klar sagen: Diese Kriterien müssen hart und eindeutig sein. Das war beim Radikalenerlass nicht gegeben. Das war teilweise sogar sehr weit davon entfernt. Wie bereits festgestellt, wurden Menschen aufgrund dessen zu Unrecht nicht eingestellt oder aus dem Dienst entfernt.

Gerade diese Unverhältnismäßigkeit hat dazu geführt, dass die Landesregierung bereits seit 1979 auf die Regelanfrage beim Verfassungsschutz verzichtet. Mir sind auch keine politischen Bestrebungen bekannt, das wieder zu ändern. Wir haben stattdessen eine andere Praxis: Es muss seitdem einen konkreten Anlass und einen konkreten Bezug zu Amt und Person geben, die eine Überprüfung auslösen können. Daher kann man es nicht unwidersprochen stehen lassen, wenn Herr van Ooyen sagt, es ist noch nicht vorbei. Das muss man einfach an dieser Stelle sagen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja, die Leute reden noch davon und haben ihren Grund!)

Es geht Ihnen auch um etwas ganz anderes. Sie wollen gar keine Überprüfung mehr. Sie wollen auch keinen Verfassungsschutz mehr, wie Sie heute Morgen mehrfach ausgeführt haben.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Ich will hier einmal sagen, dass die jetzige Praxis, anlassbezogen zu prüfen, mitnichten mit den historischen Vorgängen um den sogenannten Radikalenerlass zu vergleichen ist. Wir brauchen auch Instrumente für den Staat, damit unsere Demokratie wehrhaft ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Mit dem, was Sie verfolgen – ich gehe gleich noch einmal auf Ihre Worte ein –, verliert der Staat auch seine Handhabe gegen Rechtsradikale im Staatsdienst. Ich muss schon sagen, dass es mich wirklich maßlos geärgert hat, wie Sie

hier an dem Begriff „radikal“ herumgeschraubt haben und ihn geradezu ins Gegenteil verkehrt haben, als wäre er etwas besonders Herausragendes, etwas Auszeichnendes – also wenn das die neue Haltung der Linksfraktion zu Rechtsradikalen ist, dann weiß ich es nicht mehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Es ist auch sehr deutlich geworden, warum Sie das immer wieder so formulieren. Es kam auch mit Ansage: Sie haben heute in weiten Teilen wieder eine Rede vorgelesen, die Sie schon vor fünf Jahren gehalten haben. Das macht es für den Redner natürlich sehr einfach, das zu verfolgen. Wir wissen natürlich auch, warum Sie das machen: weil Sie damit den Radikalen in der eigenen Partei einen Gefallen tun wollen

(Christian Heinz (CDU): Sehr richtig!)

und weil die Linkspartei zumindest in Teilen hier noch Klärungsbedarf hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Daher finde ich solche Begriffe wie „Elitenwechsel Ost“ doch deutlich verfehlt. Ich finde es deutlich verfehlt, wenn Sie das hier als „Es ist noch nicht vorbei“ einordnen und dann davon sprechen, dass politische Arbeit kriminalisiert würde.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Genau!)

Ich finde, dass das der historischen Debatte nicht gerecht wird. Sie tun damit auch denjenigen keinen Gefallen, bei denen wir uns heute entschuldigen – um das ganz klar zu sagen.

Daher haben wir – trotz dieser falschen Implikationen, die Sie vorgenommen haben – die Debatte heute dazu genutzt, die Dinge auseinanderzusortieren und richtig einzuordnen. Ich glaube, es liegt kein Widerspruch darin, auf der einen Seite zu sagen, dass wir eine wehrhafte Demokratie brauchen und dass das Verhältnis zwischen Staatsbediensteten und Staat ein besonderes ist. Auf der anderen Seite lernen wir auch aus der Geschichte und bringen deswegen gegenüber den vielen Menschen, die zu Unrecht durch den Radikalenerlass benachteiligt wurden und dadurch erhebliche Nachteile erfahren haben, unser aufrichtiges Bedauern zum Ausdruck. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege May. – Herr Kollege Schaus von den LINKEN hat sich zur Geschäftsordnung zur Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Mir ist aufgefallen, dass in der gesamten Diskussion die zuständige Justizministerin bisher nicht anwesend war. Der Antrag von uns geht an den Rechtspolitischen Ausschuss, also ist die Zuständigkeit hier klar gegeben. Ich bitte, die Sitzung so lange zu unterbrechen, bis die Justizministerin eingetroffen ist.

Herr Kollege, darf ich Sie darauf hinweisen, dass an uns die Nachricht ergangen ist, dass – –

(Wortmeldung des Abg. Holger Bellino (CDU))

Herr Bellino, Sie zuerst? – Dann lasse ich Sie zuerst sprechen, bevor ich die Erklärungen abgebe.

Ich darf feststellen, dass der Innenminister präsent ist. Ich gehe davon aus, dass der Innenminister auch das Wort ergreifen wird. Im Übrigen ist die Regierung vertreten. Insofern sehe ich keinen Grund, die Sitzung zu diesem Zeitpunkt anzuhalten. Ich darf darauf hinweisen, dass ein Antrag der CDU-Fraktion und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingereicht wurde, in dem vorgesehen ist, dass dieser Antrag im Innenausschuss, federführend, und im Rechtspolitischen Ausschuss, begleitend, beraten wird. Insofern gibt es keinen Grund, jetzt die Sitzung anzuhalten.

Vielen Dank, Herr Bellino. – Das war genau das, was ich eben Herrn Kollegen Schaus mitteilen wollte. Insofern gibt es da auch eine unterschiedliche Sichtweise, was die beiden Anträge angeht. Der Antrag von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geht auf jeden Fall an den Innenausschuss. Der Rechtspolitischer Ausschuss ist mitberatend. Deswegen kann der Minister, der für diesen Bereich zuständig ist, natürlich auch dazu sprechen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Wir haben das im Ältestenrat lange diskutiert!)

Ich rufe Herrn Kollegen Rentsch von der FDP-Fraktion auf. Er ist der nächste Redner. Bitte schön.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will hier jetzt nicht den Finger in die Wunde legen, aber wenn es der Innenausschuss ist, wäre bei uns Kollege Greilich zuständig. – Aber ich rede jetzt trotzdem einmal dazu.

(Michael Boddenberg (CDU): Sie sind doch beide Juristen, und Juristen können alles!)

Die Qualität ist bei uns durchgängig gegeben, insofern vielen Dank, Herr Kollege Boddenberg.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, nun kommen wir zum ernsten Teil. Bei den meisten Rednern – so empfinde ich das jedenfalls – ist herausgekommen: Der Radikalenerlass ist nun wahrlich keine Sternstunde der deutschen Demokratie.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Ja!)

Das ist wohl unbestritten. So habe ich auch Herrn Kollegen Heinz und Frau Kollegin Hofmann verstanden. Es ist schon so, dass der Rechtsweg denjenigen, die darunter zu leiden hatten, offenstand. Aber natürlich wissen wir auch, dass das eine Stigmatisierung ist, die in keiner Weise akzeptabel ist, in den Fällen, wo sie dazu geführt hat, dass sich Berufswege negativ entwickelten.

Wir als FDP-Fraktion haben eine Anfrage zur Verfassungstreue von Beamten durch meinen Kollegen Wolfgang Greilich im letzten Jahr am 22. November eingebracht, zu der das Innenministerium in dieser Frage zu Recht ausführt:

Ergänzend ist auszuführen, dass seit dem Jahr 1979 in Hessen keine routinemäßigen Abfragen beim Landesamt für Verfassungsschutz bezüglich der Verfassungstreue von Bewerberinnen und Bewerbern erfolgen. … Erst wenn sich im Bewerbungsverfahren konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Verfassungstreue und damit an der Eignung nach § 9 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) ergeben, erfolgt eine Abfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz.

In dem Runderlass von 1979 ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgeführt. Ich möchte die hier kurz zitieren:

Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts … eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt.

Die Teilnahme an Bestrebungen, die sich gegen diese Grundsätze richten, ist unvereinbar mit den Pflichten eines Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Verschweigt ein Bewerber die Teilnahme an solchen Bestrebungen, so wird die Ernennung bzw. der Abschluss des Arbeitsvertrages als durch arglistige Täuschung herbeigeführt angesehen.

Das zeigt, dass im Jahr 1979 das korrigiert worden ist, was damals falsch gelaufen ist. Ich bin ehrlicherweise froh – das entlastet die FDP aber nicht –, dass meine Partei im Jahr 1973 einen Beschluss zu dieser Frage gefasst hat in einer sehr schwierigen Auseinandersetzung in der damaligen sozial-liberalen Koalition, in dem sie festgestellt hat – ich zitiere –:

Der FDP ist der Beschluss [der Bundesregierung bzw. des Bundeskanzlers] zu pauschal, da er schon die nominelle Mitgliedschaft in radikalen Organisationen zum Kriterium der Ablehnung macht. Daher müsste in jedem Einzelfall geprüft werden, ob tatsächliche Anhaltspunkte für einen begründeten Zweifel bestehen, dass der Bewerber die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einsteht. Die FDP hält es daher für notwendig, dass in der Frage des Verhältnisses zwischen der Treuepflicht der Beamten und dem Parteiprivileg des Grundgesetzes eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen ist.

(Vizepräsidentin Heike Habermann übernimmt den Vorsitz.)