Protokoll der Sitzung vom 26.01.2017

(Vizepräsidentin Heike Habermann übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass diese Diskussion, die wir parteiintern geführt haben, zeigt, dass das damals jedenfalls ein schwieriger Kontext war, in dem das Ganze diskutiert worden ist. Ich glaube, dass die Einzelfallprüfung schon damals ein Teil der Diskussion war, wie dies der Beschluss der FDP zeigt.

Ich will aber auch sagen – Frau Kollegin Hofmann, auch ein bisschen im Verständnis für das, was Willy Brandt und andere, die andere Seite sozusagen, damals bewegt hat –, dass Deutschland im heißen Herbst und angesichts des Terrors, mit dem man sich auseinandersetzen musste, an vielen Stellen an die Grenze des Rechtsstaats gestoßen ist. Bei der Frage, was man machen kann, hat man möglicherweise auch über Mittel diskutiert – das war in diesem Fall so –, mit denen man über das Ziel hinausgeschossen ist. Trotzdem ist es manchmal nicht ganz einfach, aus dem Jahr 2017 heraus zu beurteilen, wie die Diskussion in der Bundesrepublik in den Jahren 1969, 1970, 1971 und 1972 war. Das ist sicherlich sehr viel schwieriger gewesen, als wir uns das heute vorstellen können.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Hinzu kommt, und das ist mir wichtig, dass die Geschichte zeigt – das ist vielleicht auch ein bisschen Ermunterung für uns heute –, dass das, was wir erlebt haben, und das, was wir an Rechten und Strukturen mit unserer Verfassung konstruiert haben, uns in die Situation hineingeführt hat, dass unsere Demokratie wehrhaft ist und dass wir in einer Situation sind, in der wir im Kampf gegen diejenigen, die uns teilweise verfassungsfeindlich gegenüberstehen, weil sie das, was wir hier haben, abschaffen wollen, Instrumente haben, sodass wir diesen Kampf, diese Diskussion, diesen Diskurs definitiv eingehen können. Ich denke, diese Demokratie ist wehrhaft genug, um sich auch mit Extremen auf linker und rechter Seite ordentlich auseinandersetzen zu können. Insofern sollte uns in dieser Frage nicht bange sein.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich sehe den Antrag der Kolleginnen und Kollegen von CDU und GRÜNEN nicht so negativ, weil ich glaube – da gibt es sicherlich auch keinen Dissens –, dass wir auch heute sagen müssen, dass diese Entscheidung definitiv dazu geführt hat, dass Menschen in diesem Land stigmatisiert worden sind und dass wir auch Verantwortung dafür tragen. Insofern – so lese ich es im Antrag von CDU und GRÜNEN – ist es unstreitig, dass wir als Nachfolger zu den Strukturen, die wir in den Siebzigerjahren hatten, stehen müssen.

Eine zweite Lehre ist für mich auch klar. Der Innenminister wird sicherlich gleich ausführen, dass das heute auch so gemacht wird. Auf der einen Seite müssen wir alles dafür tun, um Vorverurteilungen auszuschließen. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch so wehrhaft sein, dass wir konsequent gegen verfassungsfeindliche Tendenzen agieren, wenn es Anzeichen hierfür gibt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es heißt doch nicht im Umkehrschluss, dass wir heute die Augen vor verfassungsfeindlichen Tendenzen schließen, weil damals nachgewiesenermaßen ein massiver Fehler gemacht worden ist.

Lassen Sie mich abschließend sagen, dass ich der Meinung bin, dass wir mit großer Sorgfalt beobachten müssen, wer in diesem Land den Status einer Beamtin oder eines Beamten hat, weil dies eine Auszeichnung ist. Diese Menschen vertreten unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung sozusagen in einem gesteigerten Maße. Sie müssen neutral

sein. Der Staat ist zur Neutralität verpflichtet. Deshalb dürfen die politische Einstellung, die Religion und andere Fragen bei der Amtsausübung keine Rolle spielen.

Daher bedeutet die heutige Diskussion nicht, dass wir zwar einen Fehler gemacht haben, wir aber aus der Konsequenz heraus heute die Augen verschließen dürfen. Diese Demokratie muss wehrhaft bleiben. Insofern fordere ich dazu auf, dass wir uns jetzt nicht die Augen verschließen lassen aufgrund der von den LINKEN hier angezettelten Diskussion. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Staatsminister Beuth.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Kabinettsbeschluss vom 1. Februar 1972 hatte die damalige Landesregierung die Grundsätze der Absprache der Ministerpräsidenten der Länder mit dem Bundeskanzler vom 28. Januar 1972 über die Behandlung von Beamten und anderen öffentlichen Bediensteten, die verfassungsfeindlichen Organisationen angehören oder auf andere Weise verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, übernommen. Ausführungsbestimmungen dazu wurden damals nicht erlassen.

In Hessen wurde diese Vereinbarung von Anfang an so verstanden, dass sie keine Änderung der Rechtslage bedeutete, da die darin enthaltenen Grundsätze sich aus der verfassungsmäßigen Auslegung des Beamtenrechts von selbst ergeben.

Die Landesregierung hatte diese Grundsätze in der Überzeugung gebilligt, dass sie keine Änderung ihrer Rechtsauffassung und Verwaltungspraxis in Hessen erfordern, nach der es auf den Einzelfall ankommt. Ich zitiere aus der Beantwortung einer Kleinen Anfrage vom 1. März 1973:

Bei der Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst prüft die Einstellungsbehörde, ob der Bewerber die vom Gesetz geforderte Gewähr dafür bietet, dass er für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt. Die Prüfung wird bei Mitgliedern extremer Organisationen mit gesteigerter Sorgfalt vorgenommen.

Die Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen Partei für sich allein genügt nicht, um die Einstellung eines Bewerbers in den öffentlichen Dienst zu verweigern oder gegen einen Beamten disziplinarisch vorzugehen.

Die Einstellung eines Bewerbers in das Beamtenverhältnis kann im Hinblick auf seine politische Tätigkeit nur abgelehnt werden, wenn aufgrund bestimmter Aktivitäten tatsächlich begründete Zweifel an der Bereitschaft eines Bewerbers bestehen, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Für die Einleitung von Disziplinarverfahren wegen Verletzung dieser Pflicht ist der Nachweis konkreter Verstöße erforderlich.

So weit die Antwort der damaligen Landesregierung aus dem Jahr 1973 unter Ministerpräsident Albert Osswald.

Die hessische Verwaltungspraxis hat sich hieran auszurichten. Vollziehende Gewalt und Rechtsprechung waren und sind an Gesetze und Recht gebunden, so wie es Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz verlangt. Sofern in Einzelfällen Entscheidungen von den Betroffenen als rechtswidrig erachtet wurden, war es Aufgabe der Gerichte, darüber zu urteilen.

Ich denke, dass die anstehenden Ausschussberatungen Gelegenheit geben werden, das ein Stück weit zu vertiefen.

In Hessen wurde 1979, also vor 38 Jahren, der Gemeinsame Runderlass betreffend Prüfung der Verfassungsstreue von Bewerbern für den öffentlichen Dienst erlassen, der seither in Hessen gilt und nach dem weithin verfahren wird. Spätestens seit diesem Erlass wird in Hessen nicht mehr eine sogenannte Regelanfrage durchgeführt; denn der freiheitliche Rechtsstaat geht grundsätzlich von der Verfassungstreue seiner Bürgerinnen und Bürger aus.

Wir debattieren hier also über etwas, was es in Hessen nicht mehr gibt. Der Gemeinsame Runderlass konkretisiert die für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst bestehende Verfassungstreuepflicht und stellt im Einzelnen das Verfahren zur Feststellung der Verfassungstreue von Bewerbern dar. Eine Anfrage beim Verfassungsschutz erfolgt danach nicht routinemäßig, sondern nur, wenn sich im Bewerbungsverfahren konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Verfassungstreue eines Bewerbers ergeben. Die Bewerber werden über die Pflicht zur Verfassungstreue und die Folgen des Verschweigens von gegen die freiheitlichdemokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen vor der Einstellung in den öffentlichen Dienst belehrt.

Meine Damen und Herren, ich denke – Herr Kollege Heinz hat das vorhin mit „wehrhafter Demokratie“ umschrieben –, dass wir von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseres Landes verlangen können, dass sie sich für unsere Verfassung einsetzen, und dass wir das gegebenenfalls, wenn es Zweifel gibt, auch überprüfen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist dann auch die Brücke zu dem, was uns heute belastet. Unser gegenwärtiges Problem ist nicht, vermeintliches Unrecht von vor über 40 Jahren aufzuklären, das, wie in einem Rechtsstaat üblich, längst durch Gerichte geklärt ist, sondern wir müssen uns den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft stellen.

Angesichts der fortbestehenden Gefahren durch den Linksund Rechtsextremismus sowie aufgrund islamistischer Bedrohungen muss weiterhin bei begründetem Anlass die verfassungsrechtlich verankerte Treuepflicht im Einzelfall überprüft werden.

Das dient dem Schutz unseres demokratischen Staates, der Wahrung des Grundgesetzes und der Verfassung des Landes Hessen. Deshalb werden auch in Zukunft, wenn sich in Bewerbungsverfahren konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Verfassungstreue und damit an der Eignung für den öffentlichen Dienst ergeben, Abfragen beim Landesamt für Verfassungsschutz erfolgen.

Für Personen in sicherheitsempfindlichen Tätigkeitsbereichen gilt ohnehin das Sicherheitsüberprüfungsgesetz, das entsprechend angewendet wird. Dies bedarf zwar der Einwilligung der betroffenen Personen, soweit gesetzlich nicht

anders bestimmt, aber es ist erforderlich, dass wir insbesondere in den sicherheitsrelevanten Bereichen entsprechende Überprüfungen vorsehen. Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlung wird für Personen durchgeführt, die z. B. beim Landesamt für Verfassungsschutz selbst arbeiten, also sozusagen im Kern des Verfassungsschutzes. Zudem, auch das will ich deutlich sagen, wird die hessische Polizei zukünftig die Zuverlässigkeitsüberprüfung auf die Abfrage im Nachrichtendienstlichen Informationssystem Wissensnetz erweitern.

Ich halte diese Überprüfungen aufgrund der gegenwärtigen Sicherheitslage und der unzweifelhaft vorhandenen Bedrohungen für unabdingbar, um die Wehrhaftigkeit des Staates gewährleisten zu können.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist zweifellos einigen Menschen in diesem Lande Unrecht auch durch den sogenannten Radikalenerlass widerfahren. Insofern ist es konsequent und richtig, dass wir für das geschehene Unrecht und die Benachteiligung unser Bedauern zum Ausdruck bringen – das will ich für die Landesregierung ebenfalls tun.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Angesichts der Herausforderungen, die sich im Moment stellen, müssen wir allerdings tatsächlich aufpassen, dass wir insgesamt wehrhaft bleiben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP)

Vielen Dank. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Damit ist die Debatte zu den Tagesordnungspunkten 26 und 55 beendet. Die beiden Anträge werden an den Innenausschuss, federführend, und an den Rechtsausschuss, beratend, überwiesen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Nein!)

Herr Kollege Schaus, das ist es, was mir im Moment vorliegt. Gut, dann müssen wir das entscheiden.

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Nicht Sie, Herr Grüttner, Sie haben darüber gar nichts zu entscheiden! – Zurufe von der CDU)

Zunächst Herr Kollege Schaus, zur Geschäftsordnung.

Frau Präsidentin! Ich will darauf hinweisen, dass wir über den Antrag – es handelt sich schließlich um den Setzpunkt der LINKEN, Herr Bellino –

(Günter Rudolph (SPD): Genau!)

und darüber, wie er zuzuordnen ist, sehr ausführlich im Ältestenrat beraten haben. Im Ältestenrat war nur die Frage, ob er dem Rechtsausschuss oder dem Hauptausschuss zugewiesen werden solle. Der Innenausschuss stand nie zur Debatte. Es geht hier auch nicht um eine innenpolitische Debatte, sondern um eine rechtspolitische Debatte.

Deshalb beantrage ich – so, wie es der Ältestenrat einstimmig beschlossen hat –, entweder beide Anträge dem Rechtsausschuss zuzuweisen und gegebenenfalls, darauf können wir uns verständigen, auch hilfsweise beratend an den Innenausschuss. Aber das ist es, worauf wir uns verständigt haben und worauf wir als Antragsteller auch Wert legen. Es kann nicht sein, dass durch einen nachgeschobenen Antrag seitens der Koalitionsfraktionen sozusagen die Intention des Hauptantrags umgedreht und zu einer innenpolitischen Debatte gemacht wird.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU)

Zur Geschäftsordnung, zunächst Herr Kollege Rudolph, danach Herr Kollege Bellino.