Zweitens. Die Seiteneinsteiger, auch das ist ein Faktum, mit Flucht- und Zuwanderungshintergrund sind in die Bedarfsplanungen des hessischen Schulsystems der letzten Jahre nicht eingeflossen. Das ist klar: Das stellt unsere Lehrkräfte und Schulen in besonderem Maße vor Herausforderungen. Ich sage das auch sehr deutlich: Wir können den Lehrerinnen und Lehrern in Hessen nur mit großem Respekt und Dank gegenübertreten, wenn wir sehen, wie diese Situation gemeistert wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was aber nicht angeht, ist, dass sich diese Koalition hinter dieser Problematik versteckt und letztlich die Verantwortung für das, was an unseren Schulen nicht funktioniert, den Flüchtlingen zuschieben will, wie sich das z. B. auch im Koalitionsantrag, der heute vorgelegt wurde, wiederfindet. Auch wenn wir die von mir beschriebenen Tatsachen zur Kenntnis nehmen und das Engagement im Bereich der Flüchtlingsbeschulung anerkennen, so bekommt man doch den Eindruck, dass uns diese Landesregierung nicht nur genaue Berechnungen vorenthält, sondern dass sie, was ich noch viel schlimmer finde, diese genauen Berechnungen selbst nicht hat, dass diese schlicht fehlen. Offensichtlich weiß diese Landesregierung gar nicht, wie viele Lehrkräfte sie tatsächlich genau für ihre Schwerpunkte benötigt: Pakt für den Nachmittag, weiterer Ausbau unseres Sozialindexes, inklusive Schulbündnisse, Veränderungen zugunsten der Binnendifferenzierung. Noch viel weniger wissen Sie, wo Sie denn diese Lehrkräfte herbekommen sollen. Das ist das Grundproblem.
Herr Kollege May, es ist dann schon ein bisschen billig, sich hierhin zu stellen und zu sagen: Ja, die demografische Entwicklung; das haben wir ja alle ganz anders gesehen. – Ich darf nur einmal darauf verweisen: Die Schülerinnen und Schüler, die jetzt eingeschult werden, die jetzt im sechsten oder siebten Lebensjahr sind, waren vor drei Jahren, als Sie die Regierung übernommen haben, diejenigen, bei denen klar war, dass sie hier eingeschult würden. Sie brauchten sich spätestens vor drei Jahren nur die Zahlen der Kindergärten anzuschauen, um zu sehen, was auf uns zukommt, unabhängig von der Flüchtlingsproblematik. Es ist auch so, dass wir, was die demografische Entwicklung
angeht, eine andere Situation haben. Davor haben Sie in Ihrer Regierungszeit schlicht die Augen zugemacht.
Seitens des Kultusministeriums wird seit Monaten darauf verwiesen, dass Sie im Gespräch mit den Hochschulen seien. Genaue Ergebnisse oder Zielsetzungen sind nicht erkennbar. Es wäre wünschenswert, wenn hier eine klare Strategie oder ein Konzept erkennbar wäre, statt des losen Verweises auf den Gesprächsfaden. Ich freue mich, dass der Kultusminister heute im Landtag berichtet, pünktlich zur Debatte, dass er zwei Jahre nach dem Beginn des Flüchtlingsstroms diese Woche endlich mit den Hochschulpräsidenten gesprochen habe, um zu klären, wie wir denn die Ausbildungskapazitäten erweitern können.
Auch das ist wieder ein Beispiel dafür: Es macht keinen Sinn, zwei Jahre lang Vogel Strauß zu spielen, die Augen zu schließen und dann zu sagen: Das ist alles ganz prima, wir bekommen das alles wunderbar gebacken. – Meine Damen und Herren, was haben Sie denn in den letzten drei Jahren gemacht? Vielleicht bekommen wir auch darauf einmal eine Antwort. Ich habe schlicht den Eindruck: Seit Beginn des Flüchtlingsstroms haben Sie die Entwicklung verschlafen.
Ich will jetzt nicht im Einzelnen auf die Ankündigung und Bedeutung der Weiterbildung eingehen. Ein abgestimmtes Konzept liegt bis heute nicht vor. In der letzten Ausschusssitzung nach der Anhörung zum Schulgesetz haben wir von der Bündelung zahlreicher Einzelmaßnahmen gehört. Das ist sinnvoll, da bin ich etwas anderer Auffassung als die Sozialdemokraten. Auch das Herausschieben des Pensionsalters auf freiwilliger Basis ist ein Thema, für das wir sowieso stehen, nämlich die Flexibilisierung der Arbeitszeit. Das sind alles sinnvolle Dinge. Das reicht aber nicht. Das zeigt vielmehr deutlich, dass wertvolle Zeit ins Land gestrichen ist, während derer sich das Kultusministerium vor der Problematik weggeduckt hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe die Veröffentlichung der Pressestelle des Hessischen Kultusministeriums über die Pressekonferenz zum Schuljahresbeginn mitgebracht, weil ich sie so spannend finde. Das war am 25. August dieses Jahres. Darin steht ein denkwürdiger Satz, den ich sehr bemerkenswert finde.
Im August letzten Jahres, vor einem halben Jahr. Herr Kollege Al-Wazir, länger ist das noch nicht her, aber ich erkläre es Ihnen auch gerne noch genauer.
Schulen und Eltern können sich aber sicher sein, dass wir den aktuell bestehenden Bedarf decken können und dabei auch keine qualitativen Abstriche machen: Auf unbefristete Stellen werden wir auch in Zukunft nur ausgebildete Lehrkräfte mit zweitem Staatsexamen einstellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, „es wird keine Ausfälle geben“ – damals wusste ich noch nicht, was alter
Diese schon häufiger zitierte Aussage aus der Mitteilung des Kultusministeriums wirkt in Anbetracht der Situation an einigen Grundschulen alles andere als überzeugend. Der weitere Satz aus dieser Pressemitteilung:
Wir haben deshalb bereits die Akquise deutlich verstärkt und werben so beispielsweise auch auf den Startseiten des Kultusministeriums und des Schulamtsportals offensiv um neue Lehrkräfte.
Das klingt schlicht zynisch. Das gilt auch für den heute vorgelegten Antrag der Koalitionsfraktionen, wenn ich darin lese:
Der Landtag begrüßt, dass die Landesregierung mit einem Maßnahmenpaket die Deckung des neu entstandenen Lehrkräftebedarfs sicherstellt.
Das ist übersetzt die Behauptung: Es gibt keinen Mangel, alles ist wunderbar. Alle Stellen sind besetzt. Alle Lehrer, die wir brauchen, stehen den Schülern zur Verfügung. – Meine Damen und Herren, das ist blanker Zynismus, wenn man sich die Situation an den Schulen vor Ort anschaut. Ich erwähne nur die Frankfurter Grundschulen.
Ich habe kürzlich in anderem Zusammenhang Herrn Kollegen Frömmrich empfohlen, er möge einmal eine Polizeistation besuchen, um sich ein Bild von der Situation der Polizeibeamten zu machen.
Herr Kollege Schwarz, Herr Kollege May, ich kann heute nur sagen: Gehen Sie einmal in die Frankfurter Grundschulen, und schauen Sie, was dort tatsächlich los ist.
Diese Landesregierung trägt mit ihren Entscheidungen, z. B. zu der Beamtenbesoldung, dazu bei, dass für Hessen ein Wettbewerbsnachteil entsteht. Bezüglich der befristeten Verträge wurde das Land Hessen gerade kürzlich wieder von der Bundesagentur für Arbeit heftig kritisiert. Wir haben den zweitschlechtesten Platz hinsichtlich der Lehrerarbeitslosigkeit im Sommer. Das kann so sicherlich nicht richtig sein.
Diese Rahmenbedingungen könnte diese Landesregierung verändern, um die besten Lehrkräfte für die Kinder und Jugendlichen unseres Landes dafür zu gewinnen, in den hessischen Schuldienst einzutreten. Dazu fehlt allein der Wille. Das ist das grundlegende Problem. Ich sage das noch einmal in aller Deutlichkeit: Gerade der Grundschulbereich erfordert unser besonderes Augenmerk.
Herr Kollege Boddenberg, wen wir dort verlieren, insbesondere bezogen auf die Schülerinnen und Schüler, den gewinnen wir in der persönlichen Schullaufbahn kaum zurück. Hier geht es um die Zukunft jedes Einzelnen: Qualität und Verlässlichkeit.
Als letzten Punkt will ich darauf verweisen, dass diese Landesregierung genau da die falschen Schwerpunkte
setzt, wenn sie z. B. die qualifizierte Schulvorbereitung abschafft. Der Sozialminister ist heute leider nicht da. Die qualifizierte Schulvorbereitung war ein Versuch – ein erfolgreicher Versuch, wie die Evaluation zeigt –, um gerade die Situation der kleinen Kinder vor dem Schuleintritt zu verbessern. Das hat diese Landesregierung gestrichen, genauso wie sie bei der Grundschulförderung versagt.
Frau Präsidentin, das ist mein letzter Satz. Ich kann zusammenfassend nur sagen: Meine Damen und Herren von der Koalition, mit dieser Politik versündigen Sie sich an den Jüngsten unserer Gesellschaft. Kehren Sie um.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In einer meiner ersten Reden als Kultusminister in diesem Hohen Haus, also im Jahr 2014, habe ich für diese Landesregierung ein zentrales bildungspolitisches Versprechen abgegeben. Ich habe gesagt, dass wir ungeachtet der zurückgehenden Schülerzahlen sämtliche Lehrerstellen im System belassen werden.
Meine Damen und Herren, wir waren damals, das ist noch keine drei Jahre her, das einzige Land, das dieses Versprechen abgegeben hat. Fast überall sonst, besonders in den sozialdemokratisch regierten Ländern, wurde der demografische Rückgang zur Einsparung von Lehrerstellen genutzt. Nur Hessen hat an seiner Einstellungspolitik festgehalten.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Boddenberg (CDU): 7.000 in Baden-Württemberg! – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Und die SPD hat überall die absolute Mehrheit! – Unruhe – Glockenzeichen der Präsidentin)
Ich finde es schön, wenn im Saal die Debatte schon so lebhaft anfängt. Vielleicht darf ich sie noch ein bisschen unterfüttern.
Meine Damen und Herren, vielleicht erinnern Sie sich daran, worüber wir uns damals in diesem Haus auseinandergesetzt haben. Wir haben uns über die Angemessenheit des Begriffs der „demografischen Rendite“ unterhalten. Es gab aber niemanden in diesem Hause, der auf den Gedanken gekommen wäre, das Faktum dieses demografischen Rückgangs infrage zu stellen.
Wir haben diese frei werdenden Stellen auch genutzt. Wir haben sie für die Verbesserung der Qualität, für den Ausbau der Ganztagsangebote, für die Verstärkung der inklusiven Bildung, für den Ausbau der zusätzlichen sozial indizierten Lehrerzuweisung eingesetzt. Alle Lehrerinnen und Lehrer waren froh, nach Hessen kommen zu können, weil es hier auch die Stellen dafür gab.
Wir haben dadurch natürlich sehr viel mehr unbefristete Grundschullehrerstellen als früher. Natürlich sehen wir deshalb höhere Bedarfe. Aber wir hatten im Sommer 2015 auch über 2.750 Grundschullehrkräfte, darunter einige von
außerhalb Hessens, die sich über die Rangliste für die Einstellung in den hessischen Schuldienst beworben haben. Gleichzeitig hatten und haben wir, das ist eine relativ konstante Zahl, 300 Absolventinnen und Absolventen des Vorbereitungsdienstes in diesem Bereich. Es gab keinen Anlass, irgendetwas anderes als eine grüne Ampel zu sehen.
Auch zum Schuljahresbeginn 2016/2017, also vor einem halben Jahr, hatten wir keineswegs einen grundsätzlichen Mangel an Lehrkräften. Was wir erkennen konnten, war, dass wir im Grund- und Förderschullehramt regionale Lücken hatten. Was wir seither sehen, ist, dass niemand mehr von außerhalb kommt. Da wir unsere Prognosen permanent aktualisieren, sehen wir aus heutiger Perspektive eine Lücke von 200 bis 300 Stellen im Grundschulbereich für das kommende Schuljahr 2017/2018.
Herr Abg. Degen hat dankenswerterweise schon darauf hingewiesen: Das sind weniger als 2 %, gemessen an der Gesamtzahl der Grundschullehrerstellen. – Da wir eine Unterrichtsversorgung von durchschnittlich 105 % haben, heißt das, dass wir uns in der Unterrichtsabdeckung zwischen 103 und 105 % bewegen.