Protokoll der Sitzung vom 23.02.2017

Damit will ich zum Kern des eigentlichen Themas kommen. Das ist – ich will das wiederholen – der Klassiker für Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition, deswegen habe ich unmittelbar nach Bekanntwerden auch mit dem Ministerpräsidenten genau zu dieser Frage gesprochen: Natürlich nutzen wir wechselseitig alle Kanäle, die uns zur Verfügung stehen, um in dieser Situation Opel zu begleiten, vor allem aus meiner Sicht natürlich auch die Betriebsräte, die Gewerkschaft und die Beschäftigten, und das ist auch notwendig – nicht nur mit Blick auf die Tradition des Unternehmens, sondern auch mit Blick auf die ökonomische und soziale Zukunftsfähigkeit des Unternehmens und letztlich auch mit Blick darauf, dass Opel derzeit schlicht und einfach gute Autos baut.

Warum beschäftigt sich Politik damit? Denn am Ende ist es ein privatrechtliches Geschäft, geht es um einen Verkauf von Opel durch GM an PSA. Ich will das deswegen noch einmal unterstreichen: Wir beschäftigen uns damit – ich teile alle Argumente, die hier formuliert wurden –, weil es letztlich um Zukunft und Perspektiven der deutschen Automobilindustrie geht. Das hat ein erhebliches Gewicht für die Wohlstandsentwicklung im Land. Deswegen kämpfen wir für Beschäftigte, für Standorte und die Zukunftsperspektiven mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen.

Ich glaube, dass das ein paar mehr sind als nur eine Aktuelle Stunde im Hessischen Landtag.

(Beifall bei der SPD)

Ich will dennoch ein paar Bemerkungen zur Einordnung machen. Das, was sich General Motors in der letzten Woche wieder einmal geleistet hat, ist mit Blick auf die Wirkung in Richtung der Betriebsräte, der Gewerkschaften, der Beschäftigten eine echte Zumutung. Der GM-Zentrale musste man nicht zum ersten Mal erklären, wie die Regeln von Mitbestimmung in unserem Land sind. Sie ignorieren das seit Jahren konsequent. Es ist ein Dauerärgernis.

Deswegen will ich für mich ausdrücklich mit Blick auf die Gespräche sagen: Der Verkauf von Opel an PSA ist eine Chance, wenn die Rahmenbedingungen richtig gestellt werden.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU)

Der Verkauf von Opel und die Kooperation mit PSA kann ausdrücklich zu einem Beispiel guter und erfolgreicher europäischer Industriekooperation werden, wie es manch anderes Beispiel – Stichwort: Airbus – schon gibt. Ich finde, gerade mit Blick auf das transatlantische Verhältnis haben wir allen Anlass, darüber nachzudenken, wie europäische Industriepolitik aussehen muss, wenn sich bestimmte Akteure durch Abschottung stärker zu machen versuchen, auch wenn das aus meiner Sicht nicht funktioniert.

Dabei müssen allerdings wesentliche Fragen in den nächsten Monaten geklärt werden. Ich will ausdrücklich darauf hinweisen, auch mit Blick auf die Agenturmeldungen des heutigen Tages: Möglicherweise wird in den nächsten Tagen ein Memorandum of Unterstanding für eine Kooperation abgeschlossen. Die eigentlichen Vertragsverhandlungen beginnen aber erst danach und werden sich nach allgemeiner Einschätzung noch über mehrere Monate hinziehen.

Die Fragen, die geklärt werden müssen, sind in der Tat die Zukunftssicherung von Produktionsstandorten, die Zukunftssicherung von Verwaltung, des Entwicklungszentrums, die Frage von Patentregelungen, der Pensionsbelastungen, von Verschuldung bis hin zur Frage, wie wir in Zukunft mit Exportbeschränkungen drangsaliert werden; denn die GM-Mutter hat in den vergangenen Jahren Exportmärkte für Opel geschlossen und sie aus dem amerikanischen Bereich bedient. Oder aber es gibt Schwierigkeiten wie mit dem Brexit.

Ich habe übrigens in der ersten Debatte über den Brexit hier darauf hingewiesen, dass das nicht nur eine Frage für Finanzmarktakteure ist, sondern auch ausdrücklich ein industriepolitisches Thema mit Benennung von Opel und Rüsselsheim. – Zu betrachten ist auch die weitere Entwicklung auf dem russischen Markt. Da spielt die Frage der Sanktionspolitik schon eine gewisse Rolle.

Wie wir mit all diesen Fragen umgehen, wird uns sicherlich in den nächsten Wochen und Monaten beschäftigen. Ich freue mich ausdrücklich darüber, dass in den letzten Tagen verschiedene öffentliche Erklärungen auch der PSA-Führung in und nach Gesprächen mit politischen Verantwortungsträgern auf allen Ebenen zu hören sind, dass all diese Vereinbarungen, die bisher gelten, auch in Zukunft gelten sollen. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Standort- und Beschäftigungssicherung bis 2020. Aber die substanziellen Fragen sind vor allem diejenigen, die im Anschluss, nach 2020, folgen. Deswegen: So schön diese

Erklärungen sind, am Ende wird das gelten und verbindlich sein, was in Verträgen abschließend beschlossen wird.

Die intensiven politischen Gespräche dienen der Begleitung dieser Vertragsverhandlungen. Es ist schon darauf hingewiesen worden – ich will ergänzen –, dass am heutigen Tag Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries mit ihrem französischen Amtskollegen Sapin, aber in den vergangenen Tagen auch Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles mit der französischen Amtskollegin El Khomri diese Fragen diskutiert haben. Mit Blick darauf, dass PSA zu einem substanziellen Teil dem französischen Staat gehört, sind diese Fragen sehr wohl relevant, ebenso diese Gespräche mit Blick auf das, was passiert.

Deswegen will ich am Ende dieses Abschnitts noch einmal betonen: Ich glaube, dass am Ende Paris und Rüsselsheim mehr vom europäischen Automarkt und von der betrieblichen Mitbestimmung verstehen als die Vertreterinnen und Vertreter in Detroit.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU)

Ich will mit Blick auf die derzeitigen Gespräche und Verhandlungen allerdings auch vier warnende Hinweise geben.

Erstens will ich ausdrücklich unterstreichen – deswegen habe ich auch so engagiert applaudiert, als die Formulierung kam –: Diese permanente Besserwisserei sogenannter Fachleute, deren persönliches Geschäftsmodell ein immer größeres Horrorszenario für den Beschäftigungsabbau ist, um – das ist zumindest mein Eindruck – mehr ihren eigenen Namen in Publikationen zu lesen, als sich mit den Zukunftsperspektiven für Automobilunternehmen zu beschäftigen, ist kontraproduktiv für das, was wir im Moment vor uns haben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der CDU – Bei- fall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will zweitens eine Warnung mit Blick auf die politischen Gespräche aussprechen, die mir im Moment besonders wichtig ist. Denn wir müssen aufpassen, dass sich General Motors mit Blick auf die Verhandlungen und Gespräche nicht schleichend und stillschweigend aus geltenden Regeln, Verträgen und Absicherungen zurückzieht. Wir werden darauf aufzupassen haben, weil es hinlängliche Erfahrungen aus der Vergangenheit mit den Freundinnen und Freunden aus der Zentrale in Detroit gibt. Das gilt nicht nur für die Übergangszeit der Vertragsverhandlungen zwischen März 2017 und dem Ende des Jahres 2017, sondern auch für die anschließende Zeit. Einige der Problemthemen habe ich vorhin schon angesprochen.

Drittens will ich uns gemeinsam dazu ermahnen, immer den Dreiklang von Produktion, Verwaltung und Entwicklung zu betonen. Die einseitige Betonung nur eines dieser Faktoren wird am Ende dazu führen, dass man versuchen wird, diese drei Themen gegeneinanderzustellen. Ich will gerade mit Blick auf Verwaltung und Produktion sagen, die nicht so oft im Zentrum der Debatten stehen, dass wir aufpassen müssen, dass die am Ende nicht in zusätzliche Schwierigkeiten geraten.

Die vierte Bemerkung, die mir wichtig ist. Ich bin Wolfgang Schäfer-Klug als Betriebsratsvorsitzendem außerordentlich dankbar, dass er in den letzten acht Tagen immer wieder darauf hingewiesen hat, dass die Standortländer –

damit sind die Bundesländer selbst gemeint, aber vor allem auch die europäischen Standortländer – sich nicht gegeneinander ausspielen lassen und versuchen, jeweils einzeln ihre regionalen Standortinteressen mit PSA separat zu verhandeln. Ein Wettbewerb Polen gegen Großbritannien, Hessen gegen Thüringen, Rheinland-Pfalz gegen Spanien wird am Ende nur dazu führen, dass die Standorte gegeneinander ausgespielt werden. Wolfgang Schäfer-Klug hat gesagt, es geht am Ende um die Zukunft von 40.000 Beschäftigten in Europa. – Wir sollten das immer als ersten Satz voranstellen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will ganz bewusst die letzten fünf Minuten meiner Redezeit nutzen, um die Fragen anzusprechen, die die FDP in ihrem Antrag aufgerufen hat, weil natürlich die Frage der Kooperation von PSA und Opel in einem Umfeld stattfindet, das ebenfalls schon mehrfach gestreift wurde.

Die FDP wirft in ihrem Antrag mehrere klimapolitische und Regulationsfragen auf, und ich finde, dass alle Fragen richtig benannt sind. Ich finde allerdings auch, dass keine einzige der Antworten im FDP-Antrag richtig ist. Trotzdem sind die Fragen völlig richtig, und sie sind übrigens nicht erst in den letzten Tagen aktuell, sondern sie sind schon ziemlich lange aktuell. Ich will einige wenige ansprechen.

Ja, die Entwicklung hin zur E-Mobilität wird uns weiterhin fordern. Das ist keine Frage, die sich allein an die Unternehmen richtet. Die Frage von Infrastruktur, auch der Bezahlbarkeit von Mobilität ist anzugehen. Ein marktgängiges und erfolgreiches E-Auto der Golf-Klasse kostet, wenn man es nicht subventioniert, 40.000 €. Das sind für Berufspendler, die möglicherweise in der Gehaltklasse zwischen 30.000 bis 40.000 € Jahresgehalt sind, unerschwingliche Preise.

Die Dieselaffäre von VW hat die Dieselstrategie der gesamten deutschen Automobilindustrie schwer beschädigt. Das hat viele Konsequenzen, nicht nur für VW. Wir werden auch mit Blick auf die Debatten zum Thema blaue Plakette, zum Stuttgarter Urteil und zum Vorgehen in Stuttgart aufpassen müssen, dass wir den Verbrennungsmotor gerade auch in der Übergangszeit und gerade auch angesichts der Hybridlösungen nicht derart beschädigen, dass am Ende daraus nicht nur keine Mobilitätsstrategie mehr wird, sondern dass wir dann auch industriepolitisch in erhebliche Verdrückungen kommen werden.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU)

Ich will Sie dabei ausdrücklich mit drei Industriekooperationen wenigsten informativ beschäftigen, die in den letzten 14 Tagen öffentlich wurden. Denn das spielt in unseren Debatten selten eine Rolle. Honda und Hitachi – das sind zwei Konzerne, die in völlig unterschiedlichen Feldern tätig sind – haben in der vergangenen Woche eine Kooperation zum Thema E-Mobilität beschlossen, und zwar in einem ziemlich großen Umfang.

(Vizepräsidentin Heike Habermann übernimmt den Vorsitz.)

Das muss uns aufhorchen lassen: Honda und General Motors haben zu Beginn dieses Jahres eine Kooperation beschlossen, um bis zum Jahr 2020 die Produktion von Was

serstofffahrzeugen gemeinsam auf den Weg zu bringen. Toyota und Suzuki haben in der vergangenen Woche eine Industriekooperation mit Blick auf Kleinwagen und SUVs beschlossen. Beides sind Konzerne, die technologisch sehr wohl in der Lage sind, Themen massiv voranzutreiben.

Herr Boddenberg, ich will deswegen schon noch einmal auf Ihre letzten Bemerkungen zu sprechen kommen. All die Herausforderungen, die für die deutsche Automobilindustrie nur aus dem Inhalt dieser Stichworte entstehen werden, werden sich sicherlich nicht allein mit der Frage der Arbeitskosten beantworten lassen.

(Michael Boddenberg (CDU): Sicherlich nicht! Da stimme ich Ihnen zu! Aber auch!)

Da haben wir ganz andere Themen zu stemmen. Am Ende muss es um eine intensive Kooperation der Politik, der Wissenschaft und der Industrie gehen. Denn ansonsten werden wir scheitern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will meinen Lieblingssatz wiederholen: Die Energiewende ist die kleine Schwester der Verkehrswende. – Die Verkehrswende wird uns technologisch, finanziell und strukturell sehr viel stärker als das fordern, was wir in den letzten zehn Jahren über die Energiewende diskutiert haben, wenn wir das Wohlstandsmodell so halten wollen, wie es ist. Zum einen will ich das mit Blick auf die Batterietechnik beschreiben. Ich will es aber auch noch einmal mit Blick auf die Entscheidung in Stuttgart beschreiben.

Ich kann es nur begrüßen, dass eine Stadt wie Hamburg klipp und klar entschieden hat, dass der öffentliche Personennahverkehr bis zum Jahr 2020 auf lokal emissionsfreie Verkehre umgestellt werden wird. Ich wünsche mir ähnliche Initiativen bei uns. Denn insbesondere das Thema Feinstaub betrifft natürlich auch den ÖPNV. Deswegen wird für uns die Industriepolitik in den nächsten Jahren eine ziemlich große Rolle spielen.

Das will ich als Selbstverpflichtung nennen und als letzte Bemerkung an uns selbst richten: Weder Opel noch sonst wer braucht in diesen Tagen Management by Helicopter: einfliegen, Staub aufwirbeln und wieder verschwinden, bevor sich der Staub gelegt hat. Das wäre sicherlich falsch verstandene Verantwortung gegenüber Zigtausend Beschäftigten und ihren Familien in Rüsselsheim, in Deutschland und in Europa. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Ab- geordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Herr Kollege Wagner für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben in diesem Landtag im Jahr 2009 schon einmal diskutiert – mit Blick auf das Jahr 2009 sage ich: diskutieren müssen –, dass sich General Motors von Opel trennen wollte und dass Opel übernommen werden sollte. Damals wie heute ist der Umgang von General Motors mit diesem Thema, mit den

Beschäftigten, mit ihren Sorgen und mit ihren Nöten alles andere als angemessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der CDU und der SPD sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Aber die Situation heute unterscheidet sich glücklicherweise sehr wohltuend von der im Jahr 2009. 2009 hatten wir die Situation, dass General Motors und auch Opel akute Liquiditätsprobleme hatten. Das hat damals dazu geführt, dass wir uns als Hessischer Landtag für eine sehr weitreichende Erweiterung des Bürgschaftsrahmens entschieden haben.

Ich sage ausdrücklich, dass die Situation heute anders ist. Opel hat einen Strategiewechsel eingeleitet. Es verfolgt eine neue Unternehmensstrategie. Es ist nach der Krise im Jahr 2009 gelungen, im Zusammenwirken der Unternehmensführung und des Betriebsrats – ich will das ausdrücklich sagen: und des Betriebsrats – eine neue Strategie zu entwickeln. Das ist eine Strategie, mit der Opel auch als eigenständiges Unternehmen viele Chancen hätte, auf dem Automobilmarkt zu bestehen. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu der Situation im Jahr 2009 und eine große Leistung des gemeinsamen Engagements der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber bei Opel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Es ist völlig berechtigt, dass auch die neue Debatte über eine Übernahme bei den Beschäftigten große Sorgen und Verunsicherung auslöst. Denn bei solchen Übernahmeprozessen ist keinesfalls entschieden, wie sie am Ende ausgehen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist wohl wahr!)

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Erfahrung machen, dass es nicht um den Zusammenschluss von zwei Gleichen geht und dass es nicht um ein Projekt geht, bei dem am Ende der Zugewinn und der Nutzen für beide steht, sondern dass es um ein Projekt geht, bei dem sich der eine einen Vorteil zulasten des anderen verschafft.