Protokoll der Sitzung vom 23.02.2017

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Abschließend noch eine Kommentierung: Ja, ich weiß, dass es manchmal ein bisschen nach Lobhudelei klingt, aber es ist in der Tat wichtig, auch positive Beispiele von Integrationspolitik zu benennen, weil wir als Regierende damit Handlungsfähigkeit und -willigkeit zeigen.

Wir zeigen, dass wir die Probleme und Herausforderungen sehen, dass wir darauf reagieren wollen, dass wir das strukturiert und flächendeckend machen, nicht nur mal eben mit einem Projekt zu einem Modell, sondern strukturiert, dass wir es auf die nächsten Jahre abgesichert haben und darauf hinwirken, dass tatsächlich jeder, der Hesse sein will, auch Hesse wird. – Ich danke Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Nein, ihr habt doch nach Afghanistan abgeschoben!)

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Als nächster Redner spricht nun Herr Kollege Tipi von der Fraktion der CDU. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Entschließungsantrag der Koalition aus

CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellen wir dar, welchen wichtigen Beitrag das Landesprogramm WIR zur Integration in Hessen leistet. Daher haben wir seit 2014 hierfür die Mittel stetig angehoben und sie in diesem Jahr fast verdoppelt – von 4,6 Millionen € auf etwa 8,9 Millionen €. Damit haben wir das Programm an die neuen Herausforderungen im Bereich der Integration angepasst.

Warum erachten wir das als wichtig? Zunächst einmal möchte ich ein paar Sätze zu diesem Programm sagen. Das Landesprogramm WIR wurde bereits im Jahr 2014 ins Leben gerufen, also noch vor der großen Flüchtlingswelle. Das ist ein langer Zeitraum, in dem es die Gelegenheit gab, das Programm und dessen Entwicklung zu beobachten. In dieser Zeit haben wir feststellen können, dass es unsere Erwartungen erfüllt hat. Dieser Erfolg rührt daher, dass das Programm nicht nur die Integrationspolitik vor Ort stärkt, sondern gleichzeitig auch die Arbeit der Träger und Kommunen unterstützt. Wir haben die Mittel immer wieder aufgestockt, vor allem nachdem zahlreiche Flüchtlinge in unser Land sowie in unsere Städte und Kommunen gekommen sind. Wir haben das Programm stetig erweitert, ausgebaut und damit an die neuen Bedingungen angepasst.

Die Anforderungen an die Integrationsarbeit waren schon immer sehr hoch. In den letzten beiden Jahren sind diese noch einmal massiv größer geworden. Durch Beschleunigungen im ausländerrechtlichen Verfahren und die Verschärfung des Aufenthaltsrechts wird in Deutschland alles unternommen, um Menschen ohne Bleiberechtsperspektive schnell wieder zurück in ihr Heimatland zu führen. Diejenigen, die eine Bleiberechtsperspektive haben, müssen wir auffordern, die deutsche Sprache als den zentralen und wichtigsten Schlüssel für die Integration schnell zu erwerben. Ich bin froh, dass dies mittlerweile allgemeiner Konsens im politischen Diskurs unseres Landes ist. Hessen war hierbei in unserer Regierungsverantwortung ein Vorreiter.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein wichtiger Teil des Forderns ist zum einen die uneingeschränkte Akzeptanz unserer verfassungsrechtlich geschützten Werte, meine Damen und Herren. Zum anderen müssen wir die zu integrierenden Menschen selbstverständlich fördern und ihnen hierzu entsprechende Angebote bieten. Hierzu leistet das WIR-Programm einen wichtigen Beitrag.

Daher lassen Sie mich einmal zusammenfassen, was dieses Programm alles beinhaltet: Es gibt die sogenannten WIRKoordinatorinnen und -Koordinatoren. Ihre Aufgabe ist es, vor allem die interkulturelle Öffnung voranzutreiben und neue Konzepte für eine Willkommens- und Anerkennungskultur zu entwickeln. Es ist das Ziel, die Integration vor Ort bestmöglich zu fördern. Dazu müssen Behörden, Vereine, Verbände und Migrationsorganisationen ihre Angebote und Leistungen auch auf die Vielfalt der Menschen ausrichten. Beteiligte müssen eingebunden und informiert werden. Eine Vernetzung aller kommunalen Akteure ist ebenso von zentraler Bedeutung. All diese Herausforderungen können nur vor Ort gelöst werden und müssen in einer Hand liegen. Eine erfolgreiche Integration kann nicht von der Politik verordnet werden. Sie kann nur gemeinsam mit den Menschen vor Ort gelingen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dafür sind die WIR-Koordinatorinnen und -Koordinatoren wichtig. Wir lassen sie damit nicht allein. Gemeinsam mit dem Integrationsministerium gibt es regelmäßige Informations- und Arbeitstreffen. Nicht vergessen dürfen wir auch, dass eine gelungene Willkommens- und Anerkennungskultur Diskriminierung und Extremismus vorbeugen kann. Gerade in einer Zeit zunehmender rassistisch motivierter Gewalt müssen wir entschlossen handeln und dafür sorgen, dass die Menschen, die hierher geflüchtet sind, in unserer Gesellschaft erfolgreich aufgenommen werden.

Doch jede Stadt und Gemeinde hat ihre Struktur, spezielle Wohngebiete oder Stadtteile. Daher ist es wichtig, dass die Konzepte auch darauf abgestimmt sind. Es müssen Möglichkeiten für die Begegnung von Menschen geschaffen werden und Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Nur dann kann so eine große Herausforderung langfristig gelingen und Diskriminierung vorgebeugt werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Programm genau diese Möglichkeiten bietet und extremistischen Strömungen entgegenwirkt. Menschen, die wir fest in unsere Gesellschaft einbinden und denen wir das Gefühl des Willkommenseins geben, sind immun gegenüber extremistischen Anschauungen.

Ein neuer Kernpunkt der zusätzlichen Förderung sind die neu geschaffenen WIR-Fallmanager für Flüchtlinge. Sie sollen einen Überblick über die bestehenden Angebote geben und auf kommunaler Ebene Lotsen- bzw. Patennetzwerke aufbauen. Gemeinsam mit den WIR-Koordinatorinnen und -Koordinatoren wollen wir dafür sorgen, dass sich die Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund bei uns wohlfühlen und sich zurechtfinden. Migranten, die über ihre Arbeitsleistung einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft leisten, müssen sich in unserem Land wohlfühlen, damit sie sich über ihre Arbeit hinaus an der Gesellschaft beteiligen. Das und ein positives Lebensgefühl müssen wir fördern. Mit der Erweiterung des Landesprogramms wollen wir genau das erreichen. Personal, innovative Projekte, Sprachförderung und die Qualifikation ehrenamtlicher Integrationslotsen gehören dazu.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bereits im Jahr 2016 haben wir mit dem Programm „MitSprache – Deutsch4U“ eine Möglichkeit geschaffen, Flüchtlingen besonders niedrigschwellig und lebensweltnah die deutsche Sprache zu vermitteln. Damit bilden wir eine Ergänzung zu den Integrationskursen des Bundes für diejenigen, die sich dauerhaft und rechtmäßig in Hessen aufhalten und keinen Anspruch auf Förderung oder keine Zulassung zu den Bundesintegrationskursen haben. Wir wollen eine nachhaltige Verbesserung der Integrationschancen erreichen. Denn klar ist auch, meine Damen und Herren: Beherrscht man die Sprache seiner neuen Heimat nicht, kann es zu Parallelgesellschaften kommen. Sie würden sich zurückziehen und unter sich bleiben. Das halte ich nicht nur für falsch, sondern auch für sehr gefährlich. Das sind Brutherde für Konflikte, Diskriminierung und Extremismus. Deswegen dürfen wir die Bedeutung der Sprache nicht unterschätzen. Sie ist einer der wichtigsten Schlüssel zur Integration.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit der Aufstockung der Mittel auf insgesamt 2,7 Millionen € für das Sprachförderprogramm wollen wir zwei Din

ge erreichen: Zum einen sollen vor allem auch Frauen angesprochen werden, denn sie leisten einen besonderen Beitrag zur Integration ihrer Kinder und unterstützen sie auf ihrem Bildungsweg.

(Beifall der Abg. Claudia Ravensburg (CDU))

Gleichzeitig machen wir es damit möglich, zusätzlich zu den Sprachkursen auch die Kinderbetreuung während der Kurse zu finanzieren, um noch mehr Frauen und Müttern den Zugang zu erleichtern. Ich denke, eines ist hier deutlich geworden: Hessen hat im Bereich der Integrationspolitik bereits viel getan und setzt sich dafür weiterhin unermüdlich ein. Hessen ist und bleibt Integrationsmotor. Darauf können wir alle stolz sein.

(Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Jeder kann sich in unserem Land frei entfalten und an der Gesellschaft teilhaben, unabhängig von Herkunft und Religion. Mit den beschriebenen Maßnahmen und mit der erneuten finanziellen Aufstockung des Programms WIR tragen wir wesentlich dazu bei.

Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich meinen Dank aussprechen. Die Kommunen leisten vor Ort sehr viel, um Integration erfolgreich zu gestalten. Auch den zahlreichen ehrenamtlichen Menschen, die sich in der Integrationsarbeit engagieren, möchte ich danken. Ihnen allen gelten mein Dank und mein größter Respekt. Meine Damen und Herren, es kommt nicht darauf an, wo du herkommst, sondern wo du hin willst. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Tipi. – Als nächster Redner spricht nun Kollege Di Benedetto von der Fraktion der SPD. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich kann es Ihnen nicht ersparen, aber ich muss jetzt doch eine andere Platte auflegen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Das ist auch gut so!)

Dass es vonseiten der Regierungskoalition zu einer deutlichen Ausweitung des integrationspolitischen Landesprogramms WIR kommen musste, haben wir Sozialdemokraten schon geahnt. Mit Blick auf die Handlungsempfehlungen und Ergebnisse der Enquetekommission „Migration und Integration“, die bereits in der letzten Legislaturperiode eine sehr gute Arbeit geleistet hat, ist es in der Tat an der Zeit, insgesamt die Integrationspolitik unseres Bundeslandes bei allen bisher erzielten Fortschritten den reellen Gegebenheiten anzupassen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist sogar höchste Zeit, gerade wenn man die vergangenen eineinhalb Jahre Revue passieren lässt, die für uns wahrlich nicht einfach waren, auch in diesem Hause nicht. Wir haben in diesem Landtag parteiübergreifend, gerade vor dem Hintergrund dieser schwierigen Zeit, immer wieder und, wie ich finde, auch zu Recht hervorgehoben, dass

wir die integrationspolitischen Fehler der vergangenen Jahrzehnte nicht wiederholen wollen. Wie soll es das Land Hessen allein durch die schwarz-grün angelegte Projektitis verhindern, nicht schon wieder in dieses Fahrwasser zu geraten?

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wer in Sachen Migration und Integration mittel- und langfristig positive Veränderungen für die Gesamtgesellschaft erwirken will, muss zuallererst und ein für alle Mal weg von dieser unsäglichen Projektitispraxis. Integrationsarbeit muss auf Dauer angelegt werden. Es dürfen nicht immer wieder scheinbar neue Modellprojekte aus dem Hut gezaubert werden, die als „passende Instrumente mit innovativen Ansätzen“ – was auch immer damit gemeint ist – verkauft werden, die am Ende gar nicht nachhaltig sein können.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich begrüßt meine Fraktion die notwendige Aufstockung der Mittel für das Programm WIR. Ich will hinzufügen, dass es in Ihrem Entschließungsantrag im Grunde fast nichts gibt, was wir nicht mittragen könnten. Das haben wir aber auf unterschiedlichste Weise in den verschiedensten Gremien, Beiräten, Gipfeln und Kommissionen alles schon durchgekaut. Wir können in Ihrem Antrag beim besten Willen nichts Neues finden. Vor allem können wir keine Strategie erkennen, die den anstehenden Herausforderungen als Ganzes gerecht werden soll.

In Ihrem Antrag steht:

Die gelingende Gestaltung von Migration und Integration ist mitentscheidend für den Zusammenhalt und die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Perspektiven unserer Gesellschaft.

Mit anderen Worten: Sie drücken mit dieser Passage aus, dass es um nichts Geringeres geht als um die Zukunft unseres Landes und dass sie im Wesentlichen davon abhängig ist, wie wir, gerade vor dem Hintergrund der Entwicklung der vergangenen Monate, Migration und Integration gestalten und organisieren. – Meine Damen und Herren der Koalition, so verstehe ich Sie. Diese Sichtweise teilen meine Fraktion und ich uneingeschränkt.

(Beifall bei der SPD)

Es stellt sich uns nur die Frage, ob wir zur Bewältigung dieser epochalen Aufgabe, wie sie auch so oft in diesem Hohen Haus beschrieben worden ist, adäquat gerüstet und aufgestellt sind. Dazu sagen wir Sozialdemokraten: Nein, das sind wir nicht, trotz aller erfreulichen Fortschritte, die ich keineswegs kleinreden will. – Herr Sozialminister, das sage ich ganz bewusst.

Meine Damen und Herren der Koalition, es ist gerade Ihr heutiger Antrag, der offenbart, dass unser Bundesland integrationspolitisch im Grunde genommen hinterherhängt. Dass es nahezu zu einer Verdreifachung der Mittel für das Programm WIR innerhalb einer relativ kurzen Zeit gekommen ist, bedeutet doch nichts anderes, als dass die bisher bereitgestellten Ressourcen und vor allem die Strategien nicht ausreichend bzw. nicht richtig waren und es immer noch nicht sind.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, sie hätten auch dann nicht ausgereicht, wenn wir nicht die hohe Zahl der Zuzüge der vergangenen eineinhalb Jahre nicht gehabt hätten. Der letzte

Landtag hätte ganz bestimmt keine Enquetekommission „Migration und Integration“, erst recht nicht mit den Stimmen aller Fraktionen in diesem Hause, beschlossen und eingesetzt, wenn es nicht schon lange vor den Neuzuzügen in unserem Bundesland große Integrationsdefizite gegeben hätte.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wir haben uns nachvollziehbarerweise in den vergangenen eineinhalb Jahren auf die Flüchtlinge konzentriert. Dabei haben wir die sogenannten Bestandsausländer mehr oder weniger aus dem Blick verloren. Das will ich auch selbstkritisch anmerken.

(Beifall des Abg. René Rock (FDP))

Das müssen wir wieder aufgreifen. Allerdings brauchen wir eine andere, neue Strategie, die nachhaltig wirken muss. Meine Fraktion hat deshalb versucht, im DezemberPlenum eine Diskussion über einen Hessenplan nach Zinns Vorbild anzustoßen, um die eigentliche Dimension der anstehenden Herausforderungen in unserem Bundesland aufzuzeigen.