Protokoll der Sitzung vom 22.09.2022

Ich habe das Gefühl, dass mir die Denkweise von AfDMenschen immer weniger durchsichtig wird.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wann waren die denn durchsichtig? – Marius Weiß (SPD): Da sind Sie nicht der Einzige!)

Wie Sie jetzt zu dieser Logik kommen, Herr Kollege Lichert – – Ich habe das Gefühl, dass ich nicht ganz unintelligent bin, aber das verstehe ich einfach nicht, wie Sie das daraus ableiten wollen.

Wieder zurück zum Thema, ich will mich nicht von eigenartigen Zwischenrufen ablenken lassen. Auch wenn wir am 24. Juni einen Gesetzentwurf eingebracht hätten, hätte das für die Abwahlsituation nichts mehr gebracht.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gar nichts!)

Wir wollen deutlich machen, dass wir uns an die Arbeit machen müssen. Der Kollege hat vorhin auch gesagt – da bin ich vollkommen dabei –, dass nicht klar ist, ob das Verhältnis zwischen den Zahlen der Menschen, die einer Abwahl zustimmen müssen, und der Wahlberechtigten insgesamt immer angemessen ist. Ja, ich lege schon großen Wert darauf – das haben Sie überhaupt nicht erwähnt –, dass wir hier einen demokratischen Prozess haben, und zwar einen Prozess der direkten Demokratie. Einen Prozess der direkten Demokratie muss man ein wenig anders beurteilen – das hat auch etwas mit Quoren zu tun – als den einer indirekten, einer repräsentativen Demokratie. Deswegen haben wir uns überlegt, wie man das in ein System bringen kann, das in sich konsequenter ist. Wir sind darauf gestoßen: Das entscheidende Kriterium ist ganz offensichtlich die Einwohnerzahl.

Die Einwohnerzahl hat etwas mit Mobilisierung und mit Information zu tun. Also, zunächst hat sie mit Information und dann mit Mobilisierung zu tun. Sie ist ein objektives Kriterium. An dem sollte man sich – das wird Aufgabe des Landtags der 21. Wahlperiode sein – orientieren und damit auseinandersetzen müssen, wie hoch man das Quorum ansetzt.

Die Behauptung, es hätte in Hessen nie geklappt, hat Kollege Bauer eben auch schon widerlegt. 21 Verfahren hat es gegeben, davon führten 18 zum Erfolg – das steht hier auf meinem Sprechzettel –, d. h. zur Entfernung des Hauptverwaltungsbeamten aus seinem Amt bzw. der Hauptverwaltungsbeamtin aus ihrem Amt. Es gab auch eine Dame, die in Hanau – immerhin eine Stadt, die um die 100.000 Einwohner hat – durch eine Abwahl aus ihrem Amt gebracht worden ist. Es funktioniert also. Aber je größer die Kommune ist, je mehr Einwohner sie hat, desto schwieriger ist es natürlich, zu informieren und eine Mobilisierung vorzunehmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden bei diesem Verfahren deshalb gerne bei der Anhörung zuhören und Fragen stellen, aber wir werden es nicht zulassen, dass die alternative Regelung, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf aufgenommen haben, irgendwann einmal zum Gesetz wird. Hier steht nämlich unter D 2.:

Da zur Wahl eines Bürgermeisters keine Stimmenmindestanzahl vorgegeben ist und mit der absoluten Zweidrittelmehrheit der Kommunalvertreter bei Einleitung des Verfahrens bereits eine Missbrauchssicherung vorgesehen ist, könnte das Quorum auch ganz gestrichen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ein Schlag gegen die Regeln der direkten Demokratie.

(Beifall Freie Demokraten und Heike Hofmann (Weiterstadt) (SPD))

Wie Sie auf die Idee kommen – – Das passt – Herr Lichert wird Ihnen das erklären, das hat er bestimmt auch nachvollziehen können – nicht zu Ihrer eigenen Argumentation. Wir werden strikt dagegen sein.

Daher langer Rede kurzer Sinn – ich möchte heute nicht zum dritten Mal überziehen, meine sehr verehrten Damen und Herren –: abgeschrieben, schlecht abgeschrieben.

(Zuruf AfD)

Ja, die intellektuelle Leistung Ihres Gesetzentwurfes ist, dass Sie aus einem Antrag einen Gesetzentwurf gemacht haben; aber ansonsten haben Sie den Inhalt vollkommen abgeschrieben.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das nennst du eine intellektuelle Leistung?)

Sie verwechseln die Regelungen der direkten Demokratie mit der repräsentativen Demokratie; und trotzdem muss es in der nächsten, der 21. Legislaturperiode eine Novellierung geben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf da nur empfehlen, dass man diese Novellierung nicht auf diesen Abwahlteil beschränkt. In der HGO gibt es einiges zu novellieren. Da muss man ein Gesamtkunstwerk schaffen. Ich wünsche gute Verrichtung. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall Freie Demokraten)

Danke, Herr Hahn. – Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Lambrou, der Fraktionsvorsitzende der AfD, gemeldet.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mich zu einer Kurzintervention gemeldet,

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sehen wir!)

um die Vermutung des Kollegen Hahn richtigzustellen. Es ist so gewesen, dass es eine Anfrage der dpa an alle Fraktionen gab. Daraufhin ist bei uns in der Fraktion die Idee entstanden, sich in der Tat darum zu kümmern, dass so eine Abwahl in Zukunft einfacher erfolgen kann. Wir alle wissen gar nicht, ob das in Frankfurt erfolgreich sein wird. Viel Spaß dabei, wenn das scheitert.

Dann haben wir den Antrag der FDP gesehen, der anscheinend zeitgleich in Arbeit war. Er war auf der Tagesordnung des vergangenen Plenums, wurde von dieser aber wieder abgesetzt. Wir haben unseren Gesetzentwurf eingereicht. Wir haben auch nicht ganz verstanden, warum Sie dazu einen Antrag gestellt und keinen Gesetzentwurf eingebracht haben. Wir wollen es regeln. Klar, man kann das machen, aber unser Weg ist der Gesetzentwurf, Ihrer der Antrag. Sie kamen zeitgleich. Hier wurde nicht abgeschrieben. Genauso gut könnte man sagen: Da haben Sie bei uns abgeschrieben. – Nein, wir hatten einfach zeitgleich dieselbe Idee. Sie haben den Weg des Antrags beschritten, wir den des Gesetzentwurfs.

Lieber Kollege Hahn, spannend wird, ob die Landesregierung unseren gemeinsamen Gedanken in Zukunft aufgreifen wird, damit sie nicht zugeben muss, dass wir beide hier einen guten Punkt damit haben, dass Regelungsbedarf besteht. – Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Danke, Herr Lambrou. – Herr Hahn verzichtet auf eine Antwort. Dann rufe ich für die SPD-Fraktion Frau Hofmann auf.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Verschiedene Vorredner haben zu Recht darauf hingewiesen – ich meine alle Vorredner bis auf den ersten –, dass wir es hier in der Tat mit einem an sich schon bedeutenden Thema zu tun haben, der Frage, inwieweit wir praxistaugliche Regelungen im partizipatorischen Verfahren, im direktdemokratischen Verfahren haben. Im konkreten Fall geht es um die Abwahl eines Bürgermeisters. Es geht um die Frage der „Hürden“, die in § 76 Abs. 4 HGO verankert sind. Insofern ist dieses Thema sehr bedeutend und nicht einfach zu regeln oder irgendwie mit einfacher Hand anzugehen.

In der Tat – da möchte ich an das anknüpfen, was Kollege Dr. h.c. Hahn gesagt hat –: Wir haben, wie wir feststellen, wenn wir uns HGO und HKO ansehen, einige Regelungen auf den Prüfstand zu stellen, etwa die Frage, inwieweit wir weitere digitale Sitzungstermine außerhalb der CoronaPandemie ermöglichen können, inwieweit die Mitbestimmungsrechte von Ausländerbeiräten und Seniorenbeiräten stärker verankert werden können, und viele weitere Fragen. Daneben steht auch diese Frage. Das heißt in der Tat, wenn man das seriös machen möchte, muss man sich aus unserer

Sicht HGO und HKO in Gänze anschauen. Das ist der erste Punkt.

Zweiter Punkt. Da möchte ich an das anknüpfen, was Herr Felstehausen gesagt hat. Das Thema der direkten Demokratie, das man umfassend erörtern muss, ist sehr gewichtig. Dazu gehört das Informationsfreiheitgesetz. Dazu gehören in Gänze die Quoren bei Volksbegehren und Volksentscheiden. Zuletzt haben wir das sehr intensiv im Rahmen der Enquetekommission zur Hessischen Verfassung erörtert.

Jetzt komme ich zum letzten Punkt. Dass Sie abschreiben, das müssen Sie mit sich selbst und mit der FDP ausmachen.

(Heiterkeit Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich sage Ihnen deutlich: Ich spreche Ihnen die Ernsthaftigkeit bei diesem Thema ab. Anders, als Sie es dargestellt haben, geht es Ihnen um parteipolitisches Kalkül. Es geht Ihnen um das laufende Abwahlverfahren gegen den Frankfurter Oberbürgermeister. Ihnen geht es nicht um die Sache.

(Dirk Gaw (AfD): Ist zu einfach!)

Ihnen geht es meistens darum, zu demonstrieren, dass unsere Demokratie, dass unser System vermeintlich nicht funktioniert. Da sage ich Ihnen deutlich: Diesen Gefallen tun wir Ihnen nicht.

(Beifall SPD – Robert Lambrou (AfD): Was machen Sie denn, wenn Sie ihn nicht von der Backe bekommen? Das ist der Bürgermeister der SPD, nicht der AfD!)

Danke sehr, Frau Hofmann. – Als Frankfurter Bürger fühle ich mich jetzt doch einmal dazu aufgerufen, darauf hinzuweisen, dass das mein Oberbürgermeister ist, aber nicht der der SPD. Der ist zwar SPD-Mitglied, aber mein Oberbürgermeister. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich Herr Frömmrich gemeldet.

Werter Herr Präsident, ich will jetzt nicht beurteilen, in welcher Gesellschaft Sie sich hier befinden. Das kann aber auch jeder für sich selbst entscheiden, mit wem er sich in welcher Gesellschaft befindet und wer „seiner“ ist. Das ist aber eine andere Frage. Wir reden hier ja nicht über das Verhältnis des Präsidenten zum Frankfurter Oberbürgermeister.

Lieber Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass dieses Thema viel diffiziler ist, als es hier angelegt worden ist. Die Kollegin Hofmann, der Kollege Dr. Hahn und auch der Kollege Alexander Bauer haben die Fallstricke aufgezeigt, die eine solche Debatte hat. Ich möchte daran anknüpfen.

Mir ist hier etwas zu kurz gekommen. Was Sie hier vorschlagen, ist eine einfach-gesetzliche Regelung. Das kann man machen. Vielleicht sollte man sich dann aber auch in Erinnerung rufen, dass die Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten bei uns Verfassungsrang hat. Art. 138 der Hessischen Verfassung sieht das vor. 1991 haben die

Bürgerinnen und Bürger des Landes Hessen mit über 75prozentiger Mehrheit gesagt, dass sie diese Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten in der Hessischen Verfassung verankert haben wollen.

Also muss sich doch die Frage der Möglichkeit der Abwahl von Bürgermeistern und Landräten daran orientieren, dass diese Wahl bei uns Verfassungsrang hat. Das Wahlverfahren – und das Abwahlverfahren erst recht – muss das berücksichtigen.

Man kann zur Frage der Direktwahl von Landräten und Oberbürgermeistern sehr unterschiedlicher Auffassung sein. Ich bin durchaus offen für eine Evaluation. Dabei berücksichtigt werden sollte, wie viele Menschen zur Wahl gehen und wer wen wählt. Außerdem beleuchtet werden sollte das Verhältnis von Parlament und direkt Gewählten. Das sind Fragen, die ich durchaus interessant finde. Diese sollte man auch diskutieren, und zwar losgelöst von einem Einzelfall, sondern insgesamt. Nach über 25 Jahren sollte durchaus einmal geschaut werden, wie sich die Idee der Direktwahl ausgewirkt hat. Welche Wirkung hat das, und zu was hat das geführt?

Es gibt ein Problem mit dem Frankfurter Oberbürgermeister. Ich glaube, da sind wir uns hier alle einig. Die Stichworte muss ich gar nicht erst in Erinnerung rufen. Das betrifft den Fall AWO, die sexistischen Äußerungen, seinen Auftritt bei der Feier anlässlich des Gewinns der Europa League usw. Wenn man das gesehen hat, kann man nur sagen: Der Fremdschämfaktor für diesen Oberbürgermeister ist schon gewaltig. Deswegen haben wir in der Tat ein Problem mit dem Frankfurter Oberbürgermeister.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Es stellt sich die Frage, ob wir ein Gesetz ändern müssen, weil wir einen irregeleiteten Frankfurter Oberbürgermeister haben. Muss das dazu führen, dass wir gesetzliche Änderungen vornehmen?

Die AfD schlägt vor, das Quorum für die Abwahl durch die Bürgerinnen und Bürger zu ändern und an die Zustimmungsquoren beim Bürgerentscheid anzupassen. Vorgeschlagen wird also faktisch eine Halbierung des Quorums.

Im Lichte der Symmetrie unserer Kommunalverfassung frage ich mich: Was machen Sie denn eigentlich mit den Landräten? In § 49 der HKO findet sich eine gleichlautende Regelung wie in der Hessischen Gemeindeordnung. Was machen Sie damit? Die Oberbürgermeister wählen wir dann mit 15 % in den Großstädten ab, und in den Landkreisen lassen wir es bei 30 %? Wo ist die Symmetrie? Welche Gedanken haben Sie sich dabei gemacht? Wahrscheinlich keine. Das kann ich mir denken. Ich will das einmal hier in die Diskussion bringen.

Ich finde, der Vorschlag ist nicht zielführend. Ein Oberbürgermeister, der das Wohl und das Ansehen der Stadt im Blick hat, der Schaden von seinem Amt abwenden will, der eine derartige Misstrauenserklärung von der Stadtpolitik bekommt, sollte den Anstand haben und zurücktreten. Das ist das, was man dazu nur sagen kann, liebe Kolleginnen und Kollegen.