Protokoll der Sitzung vom 10.12.2020

Dies verlangt den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aber auch viel ab. Unter den Tweets der Virologen Christian Drosten und Sandra Ciesek tummeln sich Corona-Leugner und Impfgegner. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bekommen Druck von denjenigen, die sich mehr Lockerungen wünschen, und von denjenigen, die härtere Maßnahmen für sinnvoll halten. Es ist unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker, uns entschieden an die Seite der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu stellen und deutlich zu machen: Wissenschaft berät – Politik entscheidet. Die Debatte über die Maßnahmen muss politisch geführt werden. Wir tolerieren keine Beleidigungen und Angriffe gegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Wir schätzen ihre Arbeit wert und sind dankbar für ihr Ringen um Antworten. Wir verteidigen die grundgesetzlich garantierte Wissenschaftsfreiheit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Ohne Forschung hätten wir keine Antwort darauf, wie wir unsere Gesellschaft auch in der Pandemie weitestgehend offenhalten können. Erst in der letzten Woche haben wir im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst eindrücklich von Ministerin Dorn gehört, wie intensiv der Austausch zwischen ihr und der Virologie in Frankfurt ist, um Lösungen zu finden, Kinos und Theater mittels Hygienekonzep

ten wieder zu öffnen und offen zu halten, und wie wichtig die Erkenntnisse sind, um ein solches Öffnungskonzept für die Politik zu entscheiden.

An dieser Stelle seien auch noch die Studien „Safe Kids“ und „Safe School“ zu erwähnen, die dasselbe Ziel verfolgen und in der Öffentlichkeit viel beachtet wurden.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen innerhalb kürzester Zeit Studien auf die Beine, diese wichtigen Fragen für uns zu adressieren. Sie ordnen die Aussagekraft von Studien für uns ein. Dabei ändern sich die Einschätzungen mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen von Tag zu Tag. Diese Dynamiken und Arbeitsweisen von Wissenschaft sind oft nicht einfach nachzuvollziehen. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen ist deshalb auch Teil von Wissenschaft.

Doch die Angriffe von Corona-Leugnern, Rechten und Verschwörungsideologen haben ein ganz anderes Ziel. Sie stellen die Freiheit von Wissenschaft infrage.

(Zurufe AfD)

Sie stellen unsere Demokratie infrage. Es wird mit allen Mitteln versucht, Wissenschaft zu diskreditieren. Es ist keine Überraschung, dass es dieselben sind, die die Wirkung von Masken leugnen, die auch den Klimawandel leugnen.

Ich darf an dieser Stelle an die Rede des Kollegen Scholz von der AfD erinnern, die er hier am 12.11. gehalten hat, in der er ausführt, dass eine Maske – ich zitiere –

… weder den Träger noch sein Gegenüber wirksam vor mit Viren belasteten Aerosolen schützt, jedoch häufig gesundheitliche Beeinträchtigungen hervorruft.

(Dr. Frank Grobe (AfD): Das sagt das RKI doch auch! – Zurufe)

Bei der Anzweiflung wissenschaftlicher Fakten geht es aber längst nicht mehr um das Virus. Auf der QuerdenkerDemo hat sich eine gefährliche Mischung an politischen Kräften zusammengebraut. Wenn Sandra Ciesek twittert: „Ich habe kein Problem, mich zu irren“, antwortet ihr ein User:

Lügen als Irrtum festzustellen, ist schon fail. NWO, faschistoide Gesetze und deren Unterstützer sollten sich auf etwas gefasst machen. Menschen weltweit haben sich über das Darknet mittlerweile neunstellig global mobilisiert und warten nur noch auf den Startschuss.

Der Druck, der von rechts gegen Wissenschaft ausgeübt wird, wird auch in Hessen leider konkret. Ich möchte das an einem etwas kuriosen Fall aus Darmstadt verdeutlichen.

Frau Abg. Eisenhardt, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Lichert zu?

Nein. – In Darmstadt demonstrieren regelmäßig direkt vor dem Hauptgebäude der TU Corona-Leugner.

(Zurufe)

Die Studierendenschaft hat einmal zu einer friedlichen Gegendemonstration aufgerufen, um sich für Wissenschaft und das Gelten wissenschaftlicher Fakten einzusetzen. Einem Stadtverordneten, der manchmal der AfD-Fraktion angehört, passt das nicht. Er droht mit Unterlassungsklagen, wendet sich an den Landtag und an die Rechtsaufsicht der Hochschule. Es gibt ein rechtsaufsichtliches Verfahren. Auf seinem Facebook-Profil relativiert er die Schoah.

Wir müssen uns als Demokratinnen und Demokraten dem Druck auf Trägerinnen und Träger der Wissenschaftsfreiheit entschieden entgegenstellen. Die Frage, die sich uns stellt, lautet: Wie lassen sich diese Tendenzen erklären, das Zusammenarbeiten von Corona-Leugnern und Rechtsextremen? Auch hierauf liefert die Wissenschaft Antworten.

Eine wissenschaftliche Erklärung liefert die Politikwissenschaftlerin Prof. Elvira Rosert. Sie bedient sich des Konzepts des autoritären Charakters nach Fromm und Horkheimer in ihrer Erklärung der Gemeinsamkeiten von CoronaLeugnern und Rechtsextremen: Es ist Grundsatz von Wissenschaft, dass Erkenntnisse widerlegt werden können. Es widerspricht einem autoritären Weltbild, dass alles als umstößliche Wahrheit proklamiert wird. – Prof. Rosert erklärt:

Autoritär denkenden Menschen fällt es schwer, wissenschaftliche Erkenntnisse nicht auf sich zu beziehen. Liefern diese Erkenntnisse Sachgründe für unbequeme Beschränkungen, werden sie als Ausdruck von Macht (statt von Natur) umgedeutet und Wissenschaft zum Teil des autoritären Staates erklärt. Attraktiv werden im Gegenzug solche Autoritäten, die mit ihrer Beschreibung der Situation das Verhalten legitimieren, das für einen selbst am kostengünstigsten ist. Der Konflikt mit der staatlichen Macht provoziert indes die Reaktion, die dem frühkindlichen autoritären Skript folgt: Widerstand.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde diese Analyse so interessant wie in ihrem Kern aufschlussreich. Aufgrund der Einschränkungen, die in der Tat für viele Menschen sehr schmerzlich sind, wird aus einem Naturereignis, das ein Virus ist, eine machtpolitische Frage gemacht.

(Zurufe AfD)

Ich bin überzeugt, dass wir als Politik dem nur entgegentreten können, wenn wir die Naturgewalt des Virus verständlich erklären. Dafür brauchen wir die Fakten, die uns die Forschung liefert.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU – Zuruf Dr. Frank Grobe (AfD))

Wir können in dieser Krise froh und stolz sein, über starke staatliche universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen zu verfügen. Staatlich finanzierte Forschung ist auch ein wichtiger Baustein für das Vertrauen der Bevölkerung. Für verlässliche Fakten und Antworten zur Bekämpfung des Virus fördern wir das Pandemienetzwerk hessische Universitätsmedizin mit 4,35 Millionen €. Mein Dank gilt besonders den Mitgliedern der Steuerungsgruppe, Prof. Becker, Prof. Ciesek, Prof. Ziebuhr und Prof. Graf, die seit Jahren zusammenarbeiten und zur Bewältigung der aktuellen Pandemie gemeinsam an Impfstoffen und Medikamenten forschen, um die bestmögliche Behandlungen von Patientinnen und Patienten zu ermöglichen und die Bevölkerung zu schützen.

Wir freuen uns über die gute Zusammenarbeit der hessischen Universitätsmedizin. Forschung für globale Herausforderungen findet aber auch immer in einem globalen Kontext statt. Auch hier engagieren sich unsere Hochschulen in europäischen Forschungsnetzwerken, und wir unterstützen sie mit Hessen Horizon, auch weiterhin europäische Forschungsanträge zu stellen.

Mir ist wichtig, dies herauszustellen, weil globale Herausforderungen nicht alleine gelöst werden können und besonders die Europäische Union in der Forschungskooperation von entscheidender Bedeutung für Innovationen ist. Medizin und Impfstoffforschung stehen bei der Forschung natürlich im Mittelpunkt. Es gibt aber auch andere Disziplinen, die bei der Bewältigung der Pandemie wichtig sind. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu sozialen Auswirkungen, psychologischen Fragestellungen, besonders in Bezug auf Kinder und Jugendliche, bis hin zur Medizintechnik und digitaler Unterstützung bei der Bekämpfung der Pandemie, bilden eine wichtige Grundlage für faktenbasierte politische Entscheidungen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und verein- zelt CDU)

Ich möchte mit diesem grünen Setzpunkt und unserem Antrag dafür werben, dass Politik und Wissenschaft ihren Dialog vertiefen, wissenschaftliche Erkenntnisse und Fakten als Grundlage politischer Abwägung beibehalten und auch bei der Bewältigung anderer Herausforderungen wie der Klimakrise heranziehen. Als Demokratinnen und Demokraten sollten wir gemeinsam an der Seite von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Freiheit der Wissenschaft gegen diejenigen verteidigen, die sie angreifen. – Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Vielen Dank, Frau Abg. Eisenhardt. Das war eine Punktlandung. – Als Nächster hat sich Herr Dr. Büger von den Freien Demokraten zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität. – Ob das wirklich Kurt Schumacher gesagt hat, sei dahingestellt, aber ganz klar ist: Fakten sind wesentlich. Das Leugnen von Fakten ist ein Merkmal autoritärer Systeme. Das wissen wir beispielsweise aus dem Stalinismus Anfang der Dreißigerjahre, da hat ein gewisser Herr Lyssenko behauptet, es gebe keine Gene, und man könne Pflanzen umerziehen. Die Folgen waren Missernten, Hungersnöte, die es in der Sowjetunion gab. Es ist also ganz klar: Politik gegen Wissenschaft geht nicht, aber Wissenschaft ersetzt auch nicht Politik.

(Beifall Freie Demokraten und vereinzelt CDU)

Ich möchte deswegen einmal abgrenzen, was Wissenschaft ist. Wissenschaft ist ein System von Aussagen und Theorien. Ergebnisse werden einer strengen Prüfung unterzogen, beispielsweise Versuchen in der Statistik oder in den Naturwissenschaften. Sie hat ein Anspruch auf objektive Gültigkeit.

Was ist Politik im Vergleich dazu? Politik, das wissen wir alle, sind Strukturen und Prozesse zur Regelung der Angelegenheiten unseres Gemeinwesens, Entscheidungen beruhen auf Macht. Der Anspruch ist, es ist formal korrekt zustande gekommen, und am Ende handelt es sich um Interessendurchsetzung. Das ist, das darf ich hier als Privatdozent und damit als Wissenschaftler sagen, etwas grundsätzlich Unterschiedliches.

Dann frage ich mich an der Stelle: Was soll „faktenbasierte Politik“ sein? Wenn es Politik ist, die auf Fakten achtet, dann sagen wir als Freie Demokraten, dass das selbstverständlich ist und wir das gerne und immer tun. Wenn es aber Politik ist, die Interessen mit Rücksicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse oder mit deren Nutzung besonders durchsetzen will, dann machen wir dahinter ein dickes Fragezeichen und sagen Nein.

Vor die Klammer möchte ich einmal ziehen: Frau Eisenhardt, wir freuen uns, dass die hessischen Hochschulen so gute Arbeit leisten, auch so gute Arbeit, wie es in dem Antrag steht. An der Stelle sind wir uns auch einig. Wir freuen uns auch immer, wenn wir gute Fakten bekommen. Klar ist aber, bitte schön, auch: Was heute Stand der Wissenschaft ist, kann morgen überholt sein. Wissenschaft lebt von Skepsis.

(Beifall Dr. Frank Grobe (AfD))

Skepsis sollte deshalb auch für den Umgang mit Wissenschaft gelten.

(Beifall Freie Demokraten)

Meine Damen und Herren, warum greift Politik so gern auf Wissenschaft zurück? Ich habe einen interessanten Aufsatz von Jürgen Zöllner gefunden. Er ist Sozialdemokrat, war 20 Jahre lang Minister, zuletzt Wissenschaftsminister im Land Berlin. Er hat Anfang dieses Jahres, kurz vor der Pandemie, einen, wie ich finde, sehr bemerkenswerten Aufsatz geschrieben, aus dem ich zitieren möchte:

Politik ist Interessenvertretung und Interessenausgleich. Ihre Königsdisziplin ist … die hohe Kunst des Kompromisses: … Wo Politik … schwächelt, wird gern die Wissenschaft bemüht. Hat man nicht die Kraft zum Kompromiss, … oder fehlt die Überzeugungskraft der eigenen Argumente, erliegt Politik leicht der Versuchung, sich eine wissenschaftliche Stellungnahme zu suchen, um vermeintliche Sachzwänge zu erzeugen.

Das Problem ist, wer faktenbasierte Politik ruft, der meint oft: Meine Politik möchte ich nicht mehr diskutieren. – Prinzip „Basta“, das darf es nicht sein.

(Beifall Freie Demokraten und AfD)

Weiter heißt es bei Zöllner:

Wissenschaft muss aufmerksam darauf achten, einem Missbrauch ihrer Arbeit zu wehren. Sie liefert Fakten und keine Entscheidungen. Für politische oder wirtschaftliche Entscheidungen ist eine Wertigkeitsskala bestimmend, die der Wissenschaft strukturell fremd ist,...

Jetzt kurz zu Corona. Was ist dort Wissenschaft? Wissenschaft ist ganz klar, dass es das Corona-Virus gibt. Wissenschaft ist, dass sich das Virus ausbreitet, nämlich durch Kontakte. Wie genau, wissen wir nicht. Wissenschaft ist auch, dass das Risiko durch mehr Abstand sinkt, durch we

niger Kontakte, auch – meine Herren von der AfD – durch Masken. Wie hoch es genau ist, wissen wir noch nicht. Wissenschaft ist auch, dass wir Impfstoffe haben, die zu 95 % wirken. Ich werde mich selbstverständlich impfen lassen, wie ich mich immer habe impfen lassen. Das ist Wissenschaft.