Protokoll der Sitzung vom 10.12.2020

Dieses stetige Bearbeiten der Themen macht im Übrigen die Wissenschaft und die Forschung aus. Je komplexer und dynamischer die Fragestellungen sind, desto wahrscheinlicher ist es nun einmal, dass die Forschung durch neue Erkenntnisse zu anderen Einschätzungen kommt, als es sie etwa zu Beginn des Forschungsvorhabens gab. Die Politik ist dann wiederum in der Verantwortung, daraus entsprechende Maßnahmen abzuleiten.

Ja, die Wissenschaft lebt vom kritischen Diskurs, und zwar innerhalb ihres Wissenschaftssystems, aber auch gesamtgesellschaftlich. Deshalb ist es völlig in Ordnung, zu hinterfragen.

Herr Dr. Büger, ich weiß nicht, ob der Begriff Skepsis, den Sie gewählt haben, wirklich angemessen ist. Das mag jetzt vielleicht ein Stück weit Wortklauberei sein. Ein Diskurs und auch ein kritischer Diskurs sind vollkommen in Ordnung. Das ist mir bei Ihrer Rede aber ein wenig aufgestoßen.

Wenn in diesen aufgeregten Zeiten innerhalb der Wissenschaftsszene die Debatte zwischen den Wissenschaftlerinnen und den Wissenschaftlern teilweise etwas robuster vonstattengeht, dann nehmen wir das zur Kenntnis. Grundsätzlich möchte ich aber wirklich eine Lanze für diejenigen brechen, die mit großer Energie daran arbeiten, dass wir eine Antwort auf das Virus finden.

Ich glaube, dass unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesem System unser Grundvertrauen verdient haben, und zwar von uns, der Politik, und von uns, der Gesellschaft. Es ist deshalb sehr bedauerlich und besorgniserregend, dass Kräfte in diesem Land – und leider auch in diesem Parlament – immer wieder provozieren. Sie provozieren mit ihren Vorträgen auch Wissenschaftsfeindlichkeit. Teilweise ist das nur widerwärtig.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir als Politik und Verwaltung sind angewiesen auf die Erkenntnisse und die stetige Beratung vonseiten der Forschung. Es braucht dann, gerade in einer solchen Pandemielage, einen Abwägungsprozess, um auf der Grundlage faktenbasierter Erkenntnisse zu konkreten Maßnahmen, Einschränkungen oder auch Lockerungen zu kommen. Das ist dann die Verantwortung der Politik, und natürlich auch die Debatte darüber.

Die Abläufe einer Pandemie, die notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen, der Umgang mit Theorien und Annahmen sind eine inhaltliche Herausforderung für alle von uns. Ich glaube, das hätten wir uns alle im Advent 2019 so nicht träumen lassen. Genauso wie die Politik auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Debatten darüber führen muss, ob Maßnahmen angemessen, zu weitgehend oder auch zu wenig einschneidend sind, so ist es zu

akzeptieren und in unserer freiheitlichen Demokratie zudem besonders geschützt, wenn Bürgerinnen und Bürger aus Sorge um die persönlichen Lebensumstände Maßnahmen kritisch hinterfragen. Wenn es dann aber zu abartigen Vergleichen kommt – etwa mit den Schicksalen von Sophie Scholl und Anne Frank –, dann macht es einen nur noch fassungslos.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt SPD, Freie Demokraten und DIE LINKE)

Wenn es dann noch weitergeht, dass „dank“ des Netzes Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler übelsten Drohungen ausgesetzt sind, bis hin zu Todesdrohungen, weil sie ihre Erkenntnisse mitteilen, mit denen Politik dann wiederum umgehen muss, dann ist das unerträglich, und es zeugt davon, dass Kräfte in diesem Land am Werk sind, die eben nicht das Interesse der guten Zukunft dieses Landes im Sinn haben, sondern nur, das Land zu verunsichern, zu spalten; und dafür haben wir leider auch Beispiele in diesem Parlament.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Sehnsucht nach einfachen Antworten macht die Menschen mitunter empfänglich für Verschwörungsmythen. Wie oft hört man bei Debatten oder liest in Schriftwechseln als Quellenangabe: „Das habe ich im Internet gelesen“? Sich frei und unabhängig informieren zu können und dabei verschiedenste Möglichkeiten zu nutzen, ist ein Privileg eines freiheitlich-demokratischen Landes. Da besteht überhaupt keine Debatte. Aber das Hinterfragen von Quellen und deren Qualität darf dabei nicht in Vergessenheit geraten. Genauso sollte man sich bewusst sein, mit wem man sich bei Demonstrationen und Aktionen in diesem Jahr so gemein macht.

Dank der sogenannten sozialen Netzwerke haben es interessierte Kreise relativ einfach, vermeintliche Fakten in die Welt zu setzen. Dank der Algorithmen auf den entsprechenden Plattformen verstärken sich Eindrücke stetig weiter. Damit ist für Desinformationskampagnen eine gute Grundlage gelegt; denn sie haben auch häufig die gleiche Mixtur: Einige korrekte Aussagen, die aber im jeweiligen Kontext nicht unbedingt relevant oder nicht entscheidend sind, werden mit Falschaussagen zusammengeführt und ergeben am Ende vermeintliche Fakten. Wider besseres Wissen werden damit Menschen verunsichert, und es wird Misstrauen geschürt. Das ist das Gegenteil von verantwortlicher Politik, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf AfD)

Politik, uns hier im Parlament, den Regierungen kommt hier sicher die Verantwortung zu, getroffene Maßnahmen auf der Grundlage der faktenbasierten Erkenntnisse zu erklären, zu hinterfragen und zu diskutieren. Die Wissenschaft hilft hier dauerhaft, zumindest bei denjenigen, die trotz verständlicher Sorgen nach wie vor zugänglich für Argumente und bereit zur Aufnahme von Fakten sind.

Die Angebote von Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Virologie, der Epidemiologie und der Medizin sind mittlerweile sehr zahlreich – und hier ist das Internet wiederum hilfreich –, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu erklären und dabei zu versuchen, emotionale Debatten zu versachlichen und damit auch weiter Erklärungen zu liefern.

Wir können in Hessen sehr dankbar sein, hier hervorragende Institute und hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu haben, die sich dauerhaft einbringen. Wir haben mit dem Pandemienetzwerk hessischer Universitätsmedizin einen wirklich großen Tanker an der Stelle auf den Weg gebracht, durch den schon zahlreiche Beiträge zur Bekämpfung des Virus geleistet wurden und wo weiterhin hart daran gearbeitet wird.

Ja, wir befinden uns in mehr als bewegten Zeiten. Die Herausforderungen sind komplex. Es gibt nicht die eine Blaupause in einer solch mobilen Welt wie der unseren. Wir befinden uns im gesamten Land, in weiten Teilen Europas und in zahlreichen Ländern der Welt in einer sehr schwierigen Phase. Aber wenn ich mir allein unser Land betrachte, mit den Möglichkeiten, die sich uns bieten, mit den Fähigkeiten und den Stärken, die wir aufseiten der Medizin haben, aufseiten der Verwaltungen, die volkswirtschaftliche Stärke an sich, dann sollte es uns, wenn wir dieses Land zusammenhalten, doch gelingen, aus dieser schwierigen Zeit herauszukommen. Schrille, unreflektierte Beiträge – sei es analog bei Demonstrationen, sei es digital im Netz – helfen aber sicherlich nicht weiter. Diese spalten nur und sorgen nicht für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger.

Ich danke abschließend der Wissenschaft, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, den Forscherinnen und Forschern, für die großartige Leistung in diesem Jahr. Wir können uns hier weiterhin auf sie verlassen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abg. Hofmeister. – Für eine Kurzintervention hat sich der Abg. Lichert von der AfD-Fraktion gemeldet.

Danke sehr, Frau Präsidentin. – „Widerliche Wissenschaftsfeindlichkeit“ – vielleicht war das nicht der O-Ton, ich paraphrasiere. Meine Damen und Herren, das ist doch genau der Punkt: Sie machen es sich zu einfach.

(Beifall AfD)

Sie möchten einen Wissenschafts-TÜV betreiben. Sie als Politik möchten sich die Wissenschaft aussuchen, die Ihnen in den Kram passt, und so geht es nicht.

(Beifall AfD)

Ex ante ist im Prinzip immer ununterscheidbar, wer als Wissenschaftler die Wahrheit sagt. Das ist ja das Wesen dessen, was auch von fast allen referiert wurde: Wissenschaft muss ein offener Prozess sein. Wenn es da irgendwie eine Abkürzung gibt, wie z. B. beim Impfstoff: Warum gibt es denn das normale Zulassungsverfahren, das, wie wir schon gehört haben, 13 Jahre dauert? Wieso haben wir denn eigentlich das Vorsorgeprinzip? Das scheint auch völlig überholt zu sein.

(Beifall AfD)

Die USA beispielsweise haben dieses Prinzip nicht. Dafür haben sie aber ein extrem strenges Haftungsrecht.

(Beifall AfD)

Das sorgt dafür, dass die Unternehmen und vor allem die verantwortlichen Manager allerhöchstes Interesse daran haben, dass ihre Produkte sicher sind.

(Beifall AfD)

Genau dieses Prinzip, dass Haftung und Profit zusammengehören, wird ausgerechnet bei diesem wichtigen Thema aufgehoben. Deswegen habe ich dem Minister, dem ich sogar wirklich abkaufe, dass er hier ehrlich um Aufklärung bemüht ist, die Frage gestellt, ob er es denn für plausibel hält, dass auch nur ein Unternehmen mit dem Impfstoff an den Markt gehen würde, wenn es diese Haftungsfreistellung nicht gäbe.

(Zurufe CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, das ist das, was wir hier im Land erzählt haben. Leute, ihr habt doch gehört, was die EU gemacht hat. Wollen Sie jetzt leugnen, dass die EU diese Haftungsfreistellung gibt? Wollen Sie das leugnen? Das ist hier wieder einmal wirklich sehr speziell: Sie versuchen, uns wieder irgendwelche Unwahrheiten zu unterstellen, und unterschlagen komplett, was auf anderen – natürlich nicht den hessischen – Ebenen adressiert wird.

(Beifall AfD – Zuruf)

Herr Abg. Lichert, die Redezeit ist um.

Der Punkt ist gesetzt, aber „widerliche Wissenschaftsfeindlichkeit“ müssen wir uns nicht vorhalten lassen.

(Beifall AfD)

Vielen Dank, Herr Abg. Lichert. – Herr Abg. Hofmeister hat zwei Minuten zur Erwiderung.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Zwei Minuten werde ich sicherlich nicht brauchen. – Herr Kollege Lichert, Sie haben gerade in Ihrem Beitrag wieder einmal gezeigt: Sie hören immer nur das, was Sie hören wollen, deuten dann um, und verbreiten wiederum Fake News. Nichts anderes machen Sie. Das ist die einzige Methode, mit der Sie hier Politik betreiben.

Es hat hier niemand geleugnet oder behauptet, Impfstoffe seien nicht mit gewissen Risiken behaftet. Das habe ich gerade zu Beginn meiner Rede gesagt. Ich habe aber auch gesagt, dass wir ein Grundvertrauen in die Wissenschaft brauchen, Sie aber mit Ihren Einlassungen und denen Ihrer Parteifreunde, und was Sie sonst so bei sich in dem Gemenge haben, dafür sorgen, dass Wissenschaftsfeindlichkeit in der Gesellschaft entsteht, weil eben nicht ganz sachlich und nüchtern auf der Grundlage von Untersuchungen gesagt wird: Ja, das ist wohl der bessere Weg, den wir hier gehen können. – Nein, Sie streuen Zweifel, Sie streuen Unsicherheiten. Das ist die Methode, mit der Sie Politik be

treiben. Das habe ich an dieser Stelle kritisiert. – Vielen Dank.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abg. Hofmeister. – Als Nächste hat sich die Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende der LINKEN, Frau Wissler, zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ja, in der Tat, die Wissenschaft ist massiven Angriffen von rechts außen ausgesetzt. Das haben wir auch gerade wieder erlebt. Im Moment werden ganz besonders Virologinnen und Virologen sowie Mediziner angefeindet, bedroht und beleidigt, weil sie ihre Erkenntnisse öffentlich machen, weil sie vor dem Virus warnen. Die Gefährlichkeit des Corona-Virus wird geleugnet – das haben Sie gerade wieder gemacht, Herr Lichert, als stolzes Mitglied der Identitären Bewegung, wie man Sie dank der Klage Ihres Parteikollegen mittlerweile auch öffentlich nennen darf.

(Zuruf Andreas Lichert (AfD))

Das ist jetzt schon die zweite Debatte hintereinander. Da fragt man sich schon: Was wollen Sie eigentlich? Sie wollen keine Masken. Sie weigern sich, im Landtag Masken zu tragen, und klagen gegen die Maskenpflicht – ich sagte es schon –, weil Sie Angst vor Herpes und posttraumatischen Belastungsstörungen haben;

(Vereinzelte Heiterkeit)

deswegen klagen Sie beim Staatsgerichtshof gegen die Masken. Sie wollen keine Impfung. Sie demonstrieren in Berlin ohne Maske und ohne Abstand mit Corona-Leugnern. Sie machen nicht einen Vorschlag, was Sie hier eigentlich wollen. Deswegen ist es auch so schwierig, sich mit Ihnen auseinanderzusetzen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD – Zuruf AfD)