Protokoll der Sitzung vom 28.02.2019

(René Rock (Freie Demokraten): Wo ist denn Ihre energiepolitische Kompetenz hin?)

Herr Müller, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Nein, überhaupt nicht.

Ohne das Wirtschaftswachstum, Fahrzeugzunahmen, steigenden Wohlstand der Menschen in Hessen und ohne die erneuerbaren Energien ist dieser Erfolg, wie er sich darstellt, gar nicht denkbar. Der Anteil der erneuerbaren Energien hat sich nahezu verdoppelt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dieser Wechsel der Energieform ist doch eine unfassbare Transformation in unserem Leben. Die Veränderung der Energieform ist in vielfältiger Hinsicht unglaublich. Die Arbeit verändert sich in hohem Maße. Wir haben es gestern gehört. Die Geschwindigkeit dieser Veränderung verunsichert nahezu jeden. Das kann man verstehen. Deshalb stellt sie auch hohe Anforderungen. Ich glaube, es ist der falsche Weg, an dieser Stelle immer nur zu sagen, was man nicht will.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Herr Rock, es reicht nicht, zu sagen, dass man Dinge nicht tut. Vielmehr muss man sagen, wie man Menschen in diesem Veränderungsprozess mitnimmt. Wir können nicht verleugnen, dass der Veränderungsprozess da ist. Wir haben Grundentscheidungen in dieser Republik getroffen. Wir haben den Atomausstieg beschlossen.

(Zuruf Jürgen Lenders (Freie Demokraten))

Wir haben den Kohleausstieg beschlossen. Er ist auch da. Wir können ihn doch schlicht und einfach nicht leugnen.

(René Rock (Freie Demokraten): Sie haben auf Ihrem Parteitag H 10 beschlossen!)

Insofern müssen wir doch versuchen, die Menschen bei diesen Veränderungen mitzunehmen, lieber Herr Rock und liebe FDP, und die Veränderung auch umsetzen.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Kollege Rock, Sie legen doch immer so großen Wert auf Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen. Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ist doch nicht nur eine CO2-Betrachtung, sondern das ist eine Energieeffizienzbetrachtung. Kollege Grüger hat bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen. Ich will nur auf einige wenige Aspekte hinweisen.

Schauen wir uns einmal die Primärenergieintensität in Hessen an und betrachten nur diesen fröhlichen Wert, also die Energieeffizienz in unserem Bundesland. Hierbei stehen wir bundesweit auf Platz 2.

Das passiert nicht deshalb, weil wir nichts tun, sondern das passiert ausdrücklich deswegen, weil wir, die Landesregierung, aber auch die Unternehmerinnen und Unternehmer sowie die Menschen in Hessen, etwas tun, um Energie effizient zu verwenden und zu nutzen.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Energiewende hat mehrere Ziele. Sie hat nicht nur das Ziel, Dinge von oben zu verordnen, sondern sie hat das Ziel, Menschen zu veranlassen, umzudenken, damit die Zukunft für uns alle in dieser Hinsicht gesicherter ist, als sie das heute zu sein scheint.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie produzieren doch auch Ängste. Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum Sie an dieser Stelle Ängste schüren. Sie kommen mir so vor wie der Bürgermeister der Stadt Fürth, der, als die Eisenbahnlinie zwischen Fürth und Nürnberg gebaut wurde, schlichtweg davon ausging, die Menschen würden sterben, die Menschen würden unglücklich, die Tiere würden tot umfallen, und im Übrigen werde es noch in 200 Jahren Kutschen geben. Was daraus geworden ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sehen wir heute.

(Heiterkeit und Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf René Rock (Freie Demokraten))

Lieber Herr Kollege Rock, wenn ich mir Ihre Argumentation anhöre, fällt mir eigentlich nur eine Sache ein, die wir hier in Hessen haben: 20 km weiter nördlich befinden sich der Limes und das Römerkastell Saalburg. Beide sind für mich schlichtweg Symbole für genau die Politik, nichts zu verändern. Der Bau des Limes war der letzte Versuch einer Kulturnation, mit einer Mauer Dinge aufzuhalten, die sich im Leben nun einmal verändern. Wie grandios diese Kulturnation gescheitert ist, sehen wir, wenn wir heute in den Museen die Relikte dieser Kulturnation anschauen.

Deshalb ist es richtig, dass die Landesregierung durch den Koalitionsvertrag aufgefordert ist, weiter in die erneuerbaren Energien zu investieren, sie weiter als Big-Point-Thema zu verfolgen. Deshalb ist es richtig, einen Dialog mit den Menschen zu suchen und zu führen und eine größtmögliche Akzeptanz herzustellen. Deshalb ist es richtig, dass sich die marktwirtschaftlichen Elemente, die Sie immer wieder einfordern, im Erneuerbare-Energien-Gesetz jetzt immer mehr durchsetzen. Deshalb ist es richtig – ich habe vorhin ein Beispiel erwähnt –, dass die Landesregierung unseren Mittelstand besonders im Auge hat und diesen im Bereich Energie besonders fördert. Deshalb ist es außerdem richtig, dass sich die Landesregierung intensiv dafür einsetzt, dass der Ausbau der Stromtrassen effizient, sauber, ökologisch und bürgerbezogen erfolgt. Sie ist aufgefordert, weiterhin zu verhandeln und die Stromtrassenführungen zu optimieren.

All das funktioniert in Hessen aber nur, weil zwei politische Akteure zusammengefunden haben, die trotz voll

kommen unterschiedlicher Ansätze erkannt haben, dass die gewaltige Transformationsaufgabe nur zum Erfolg führen kann, wenn man unterschiedliche politische Ansätze und Erfahrungen zusammenbringt.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Herr Rock, gestatten Sie mir abschließend eine kleine polemische Anmerkung. Sie kommen mir vor wie ein kleines Kind im Sandkasten, das sich darüber aufregt, dass zwei andere Kinder im Sandkasten wunderbar miteinander spielen, sie dauernd mit Sand bewirft und sich darüber ärgert, dass es nicht mitspielen darf.

(Zuruf René Rock (Freie Demokraten))

Ich schlage Ihnen vor: Nehmen Sie die Schaufel in die Hand, spielen Sie mit, dann wird alles gut.

(Heiterkeit und Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe Freie Demokraten)

Meine Damen und Herren, das war die erste Rede des Abg. J. Michael Müller in diesem Haus.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, AfD und vereinzelt DIE LINKE)

Ich erteile Frau Wissler das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber René Rock, Sie haben eingangs alle Fraktionen namentlich darum gebeten, differenziert zu Ihrem Antrag zu argumentieren. Das mache ich natürlich gerne. Der Appell an mich war eigentlich unnötig, weil ich stets differenziert argumentiere. So kennen Sie mich.

(Heiterkeit – Beifall DIE LINKE und vereinzelt Freie Demokraten – Manfred Pentz (CDU): Mit schwerem Linksdrall!)

Es mag sein, dass Sie mir nicht immer differenziert genug zuhören,

(Große Heiterkeit)

aber ich argumentiere stets differenziert, und das werde ich selbstverständlich auch bei diesem Antrag tun.

Ich beginne mit einer Gemeinsamkeit. Die FDP hat beantragt, den Bürgerwillen in der Energiepolitik ernst zu nehmen. Liebe FDP, dafür sind auch wir. Auch wir wollen den Bürgerwillen ernst nehmen. Mehr als zwei Drittel der Deutschen, nämlich 68 %, machen sich Sorgen um die Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Region. Diese Sorgen nehmen wir sehr ernst. Gerade nach dem Dürresommer 2018 kam ein milder Winter. Starkregenereignisse und Stürme nehmen zu, die Landwirtschaft, die Wälder, die Obstbäume, das ganze Ökosystem bekommen zunehmend Probleme. Das merken die Menschen. Daher ist eine sehr breite Mehrheit für ein entschlossenes Vorgehen gegen den Klimawandel.

Wer hier bremst, der handelt gegen den Bürgerwillen, weil sich die Menschen ein entschlosseneres Vorgehen wünschen. Das Zögern und Blockieren beim Klimaschutz ist es doch, was die Schülerinnen und Schüler im Rahmen der „Fridays for Future“ anprangern, über die wir im letzten Plenum diskutiert haben.

Sie machen sich in Ihrem Antrag Sorgen um die durch Windkraftprojekte gespaltenen Dorfgemeinschaften. Machen Sie sich aber bitte auch Sorgen um die nachfolgenden Generationen, die nicht verstehen werden, warum wir nicht gehandelt haben, als es noch Zeit war.

(Beifall DIE LINKE und Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

In historischen Dokumenten werden wir einmal Argumente wie „Landschaftsbildverspargelung“ oder „Infraschall“ lesen und uns angesichts des Zustands der Wälder vielleicht fragen, welche merkwürdigen Debatten wir eigentlich geführt haben. Die Zeit zum Handeln ist jetzt. Genau genommen war die Zeit zum Handeln eigentlich schon gestern.

(Beifall DIE LINKE)

Doch statt Hindernisse aus dem Weg zu räumen, werden politisch neue geschaffen. Die Neufassung des im Grundsatz erfolgreichen Erneuerbare-Energien-Gesetzes der Großen Koalition im Bund hat den Ausbau der Windkraftnutzung erschwert. Die Pflicht zur Ausschreibung erschwert gerade den kleinen Projektträgern enorm das Leben. Wir haben hier mehrfach darüber diskutiert, dass das ein großes Problem ist, auch hinsichtlich der Planungssicherheit bei kleineren Windkraftprojekten.

Die Deckelungen bei der Förderung von Wind- und Solarstromprojekten müssen dringend weg. Wir brauchen keinen Deckel; denn unser Problem ist nicht, dass die Energiewende zu schnell geht, sondern dass sie nach wie vor zu langsam vorangeht. Deshalb müssen diese Ausbaudeckel weg.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Es ist schon lustig, wenn die FDP in ihrem Antrag die Energiewende als „planwirtschaftlichen Eingriff“ bezeichnet und ein Ende der Subventionen im Strommarkt erreichen will. Das machen Sie ausgerechnet an den erneuerbaren Energien fest. Dabei muss man einmal feststellen, dass hierzulande die Stromerzeugung und ein freier Markt, historisch gesehen, nie viel miteinander zu tun hatten.

(Zuruf René Rock (Freie Demokraten))

Es gab in diesem Bereich nie eine freie Marktwirtschaft, sondern Gebietsmonopole. Dass Sie jetzt fordern, dass sich Ökostrom weiterhin gegen direkte oder indirekte Millionen- und Milliardensubventionen für die Kohle und für die Atomkraft behaupten muss, verweist doch gerade auf das Problem. Daran ändern doch auch alle Ausstiegspläne nichts; denn nach wie vor laufen in Deutschland die Kohlekraftwerke und viele Atommeiler. Gerade hier, beim Generationenprojekt Energiewende, mehr Markt zu fordern, ist bizarr; denn den freien Markt – das wissen wir doch – beherrschen die alten Stromriesen mit ihren abgeschriebenen und hochgradig subventionierten schmutzigen Altanlagen. Ihre marktbeherrschende Stellung haben sie nicht über einen freien Wettbewerb oder einen freien Markt erlangt, sondern durch die Gebietsmonopole. An der Stelle die Marktwirtschaft heraushängen zu lassen, wo man einen vollkommen vermachteten Markt hat, halten wir für völlig falsch. Es geht hier um eine ganz entscheidende Frage, nämlich die, wie man die Energiewende voranbringt. Dafür brauchen wir ein gutes Erneuerbare-Energien-Gesetz.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf René Rock (Freie De- mokraten))

Wenn die FDP sagt, wir sollen den Bürgerwillen ernst nehmen, antworte ich: 73 % der Deutschen fordern einen schnellstmöglichen Ausstieg aus der Kohleverstromung. Auch das sollten wir ernst nehmen. Dann muss man eben für Alternativen sorgen.

Sie behaupten in Ihrem Antrag, die in Hessen leider steigenden CO2-Emissionen würden zeigen, dass die Windkraft kein wirksames Instrument sei. Dabei beziehen Sie sich ganz bewusst auf eine Zahl aus dem Berichtsjahr 2016 gegenüber dem Berichtsjahr 2014. Das ist der Witz dabei: 2014 stand Hessens größtes Kohlekraftwerk Staudinger sechs Monate lang wegen Reparaturarbeiten still, und im Jahr zuvor waren bereits zwei der drei letzten Blöcke abgeschaltet worden. Das hat für eine merkliche Reduktion des CO2-Ausstoßes gesorgt. Das wissen auch Sie, Herr Rock. Deshalb ist es unredlich, gerade diese beiden Jahre miteinander zu vergleichen.