Protokoll der Sitzung vom 13.06.2001

denn Reiz und Akzeptanz der Politik besteht doch darin, daß vielfältige Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, nämlich um die Menschen zu erreichen und sie in unserem komplizierten System und der komplizierten Zeit auch nach Möglichkeit mitzunehmen.

Das Stichwort Wettbewerbsföderalismus ist von Wirtschaftswissenschaftlern einiger süddeutscher Länder in die Diskussion gebracht worden. Wenn damit gemeint ist, daß die föderale Ordnung ein Wettbewerb um die jeweils besten Problemlösungen ermöglichen sollte, stimmen wir damit überein. Ich denke, daß Hamburg dieses Konzept in einem reichen Umfang praktiziert. Anders wäre unser Konsolidierungskurs auch überhaupt nicht durchführbar gewesen.

Wenn aber die Vorstellung dahin geht, wie Herr Kruse und einer der Sachverständigen es in ihrem Minderheitenvotum zum Ausdruck gebracht haben, daß die Länder die Möglichkeit zu einer regionalisierten Steuerfestsetzung haben sollten – Herr Kruse hat das heute sehr, sehr klein gemacht, aber er hat sich dafür ausgesprochen,

(Rolf Kruse CDU: Und dazu stehe ich auch!)

und das ist nachlesbar –, und zwar durch die Einführung von Steuerzuschlagsrechten, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Damit ist tatsächlich zunächst die Reduzierung der Normalsteuersätze gemeint und dann die Erhebung von landeseigenen Zuschlägen zur Einkommensteuer.

Man muß zugeben, daß die Geberländer im Finanzausgleich von einem solchen System ohne Zweifel profitieren würden; wir auch. Wenn sie angesichts ihrer höheren Finanzkraft einen niedrigeren Zuschlag als die Nehmerländer erheben würden, würden sie als Sitz für örtlich bewegliche Steuerzahler attraktiver werden. Ihre Finanzkraft würde sogar weiter steigen. Unsere Spitzensportler brauchten beispielsweise nicht mehr nach Monaco zu gehen, München oder Stuttgart würden es auch tun. Die abwanderungsbedrohten, die ärmeren Empfängerländer hin

gegen würden schon durch die Konkurrenzsituation gehindert werden, ihre theoretisch bestehenden Zuschlagsmöglichkeiten auch tatsächlich auszuschöpfen, denn sie müssen im Konkurrenzkampf nun einmal mithalten.

In Wirklichkeit, Herr Kruse, bedeutet ein solches System die Übertragung privatwirtschaftlicher Maximen auf den Bereich der öffentlichen Hand. Der Bürger wird dann

(Rolf Kruse CDU: Das Bundesland!)

zum Shareholder, das Bundesland wird zum Übernahmekandidaten, nur mit einem Unterschied: Während Unternehmen Konkurs gehen, werden Länder einfach immer nur ärmer, mit allen Folgen; über diese Folgen können wir auch einmal sprechen, sie wären nur negativ!

(Rolf Kruse CDU: Weil Sie kein Vertrauen haben!)

Ich empfinde es als Gipfel des Unzumutbaren, daß im Minderheitenvotum als besonderer Vorteil hingestellt wird – Sie können es nachlesen –, daß Länder, die aufgrund von eher wohl häufiger zu erwartenden Haushaltsnotlagen die bündische Solidarität der anderen einfordern, zunächst einmal aufgefordert werden können, ihre eigenen Steuerquellen auszuschöpfen.

(Rolf Kruse CDU: Ja!)

Das heißt, daß sie notfalls auch von ihren Steuerzuschlagsmöglichkeiten Gebrauch machen. Sie finden das gut, Herr Kruse, aber wir haben Ihnen in den Beratungen der Enquete-Kommission mehrfach angeboten, einmal zu erläutern, wie Sie sich als virtueller Ministerpräsident von Thüringen verhalten würden, wenn Sie die Möglichkeit einer regionalen Steuerfestsetzung hätten. Darauf haben Sie uns leider keine Antwort gegeben.

(Rolf Kruse CDU: Doch! Ich habe gesagt: Erst muß ich Ministerpräsident sein!)

Das reicht nicht ganz. Herr Kruse, ich muß Ihnen trotzdem sagen, daß Sie sich freuen sollten, daß diese Möglichkeit vollkommen im Rahmen der Nichtrealisierung liegen dürfte.

Freuen Sie sich wirklich. Sie würden nämlich sowohl mit dem Grundgesetz Artikel 72 und 106 als auch mit Ihrem sozialen Gewissen als CDA-Mitglied – das glaube ich zumindest – sowie mit ihrem volkswirtschaftlichen Sachverstand in Konflikt geraten.

(Rolf Kruse CDU: Das wüßte ich!)

Das wäre unausweichlich. Der Verfassungsgrundsatz der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse setzt nämlich zunächst einmal eine annähernd gleichwertige Finanzausstattung voraus. Nur auf dieser Basis kann dann der Wettbewerb stattfinden.

Unter allen herangezogenen Staaten mit einer föderalen Ordnung – und das haben wir mit einer gewissen Gründlichkeit gemacht – hat nur Deutschland ein solches Verfassungsziel. Ich denke, daß das kein Zufall und kein Irrtum ist, sondern eine bewußte Willensentscheidung des Verfassungsgesetzgebers. Dieses Ziel ist, wie ich finde, zu respektieren, und es geht der Umsetzung ökonomischer Theorien vor.

Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht – das nehme ich jedenfalls an – den ihm von Bayern und Baden-Württemberg mehrfach angedienten Begriff des Wettbewerbsföderalismus ja nicht einmal zurückgewiesen, sondern nur mit höflichem Schweigen übergangen. Daher ist das Min

(Elisabeth Kiausch SPD)

derheitenvotum auch in der Enquete-Kommission das Votum einer kleinen, in dieser Frage auch radikalen Minderheit geblieben.

(Präsidentin Dr. Dorothee Stapelfeldt übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen haben noch einen Zusatzantrag gestellt, weil wir einige Argumente und Positionen durch Beschluß des Parlaments bestärken wollen. Das, denke ich, kann für den Senat nur hilfreich sein, denn die augenblickliche Situation scheint nach wie vor schwierig zu sein; vielleicht hören wir dazu noch etwas.

Vielleicht wundert es Sie, daß wir neben dem ganz zentralen Punkt der Einwohnerwertung das Thema der Mischfinanzierung in unseren Antrag aufgenommen haben. In bezug auf die Transparenz der Finanzbeziehungen ist dieses Finanzierungsinstrument, wie ich finde, mit Recht in die Kritik geraten. Die Parlamente empfinden die fast automatische Bereitstellung von Komplementärmitteln als ärgerlichen Eingriff in ihre Haushaltshoheit, die ohnehin schon zurückgeht, eher zumindest, als daß sie zunimmt. Trotzdem sind Mischfinanzierungen auf einigen Gebieten für überregionale Aufgaben unverzichtbar. Sie sollten aber reformfähig und auf die Zukunft gerichtet sein und als variables Instrument betrachtet und genutzt werden.

Das Arbeitsergebnis unserer Enquete-Kommission bietet niemandem ein neues und ideal-typisches Modell für den Finanzausgleich an; das war übrigens auch nicht der Auftrag, aber vielleicht vor einem Jahr eine Versuchung. Ein solches Modell wäre wahrscheinlich herstellbar, aber nach meiner Überzeugung auch nicht transparenter und gerechter und mit Sicherheit politisch nicht durchsetzbar.

Unser Bericht, so denke ich, ist eine saubere Situationsbeschreibung. Er untermauert vielfältig die berechtigten Ansprüche Hamburgs, gibt zukunftsbezogene Anregungen und festigt hoffentlich die Überzeugung, die wir alle haben: Hamburg darf nicht schlechter gestellt werden als bisher.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Frau Hajduk.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Demnächst wird es spannend, auch wenn das im Hause noch nicht so wahrnehmbar ist, aber es dauert nur noch einige Tage, dann werden sich die Ministerpräsidenten wieder zusammensetzen, und es werden wesentliche Entscheidungen über das Maßstäbegesetz zu erwarten sein. Das wissen wir nicht mit Sicherheit, aber davon gehe ich aus.

Ich sage deshalb, daß es spannend wird, weil das Ausmaß, die finanziellen Folgen für die Neuregelung für den Hamburger Haushalt sehr weitreichend sind. Ich möchte Ihnen das noch einmal an einigen Zahlen – ich spreche jetzt nicht von der Einwohnerwertung, das wurde hinlänglich genannt – in Erinnerung rufen, denn die letzten Zahlungen, die Hamburg in den letzten vier Jahren geleistet hat, weichen nämlich erheblich voneinander ab, und vor allem ist die Tendenz steigend.

1997 haben wir 400 Millionen DM bezahlt, 1998 525 Millionen DM, 1999 waren es 680 Millionen DM und im Jahr 2000 haben wir über 1 Milliarde DM gezahlt. Sie wissen

auch, daß wir in den letzten Jahren keinen anwachsenden Haushalt hatten, so daß wir nicht sagen können, das konnten wir locker abgeben. Deswegen möge sich jeder ausrechnen, was es bedeutet, wenn Hamburg mit einem einseitig schlechten Ergebnis aus diesen Verhandlungen herauskommt. Das wäre für uns schwer verkraftbar. Deswegen sage ich, daß die Situation spannend ist. Die Aufgabe, die Sie haben, Herr Runde, ist nicht einfach.

Wir haben aber in der Enquete-Kommission – so habe ich es jedenfalls wahrgenommen – nicht nur über die finanziellen Folgen für Hamburg gesprochen, sondern uns im Grunde über unseren Föderalismus auseinandergesetzt, weil wir auch die Folgen für andere Regionen mit betrachtet haben. Der Finanzausgleich in Deutschland, der zu über 80 Prozent ein Mitteltransfer in die neuen Länder ist, wird schlechter geredet, als er ist, und er ist auch in einer Weise dramatisiert worden, die ich nicht gerechtfertigt finde.

Wir haben in der Enquete-Kommission festgestellt, daß die historische Dimension in der aktuellen Diskussion um die Verfassungsklagen zu stark weggelassen wurde. Historische Dimension heißt, daß wir erst seit elf Jahren die Wiedervereinigung haben und der größte Mitteltransfer in die neuen Länder geht. Dem haben sich in der aktuellen Debatte auch alle angeschlossen. Deswegen fand ich die Diskussion um unsere Finanzbeziehungen und daß sie nicht mehr gut und daher reformbedürftig sind, nur zur Hälfte berechtigt.

Des weiteren glaube ich – daraus ziehe ich auch folgenden Schluß –, daß es nicht falsch ist, Herr Kruse, mit einer Zielrichtung in die Verhandlung zu gehen, die lautet: Erst einmal ansetzen, ohne großartige Gewinner oder Verlierer. Man kann sehr wohl Vereinfachungen vornehmen, ohne zu sagen, daß das zwingend zu großen Verlierern oder Gewinnern führt.

Niemand stellt in Frage, daß alle Gebietskörperschaften, sowohl der Bund, wie auch viele Länder, erhebliche Konsolidierungsbemühungen unternehmen – mit mehr oder weniger gutem Erfolg –, das ist unstrittig. Deswegen glaube ich, daß es nicht hilfreich ist, wenn man nun Veränderungen herbeiführt, die die Stärkeren stärker und die Schwächeren noch schwächer macht. Das ist insgesamt eine Reform, die man jetzt nicht braucht.

Wir haben in der Enquete-Kommission ein Problem angesprochen, bei dem mir hinsichtlich der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern ein Element fehlt, das nämlich sicherstellt, daß Konsolidierungserfolge auch belohnt werden. Wenn ich mir vorstelle, daß uns der steigende Konsolidierungserfolg, den wir in den letzten Jahren in Hamburg zu verzeichnen hatten, durch den Finanzausgleich vollständig weggeschlagen werden kann, hinterläßt das natürlich eine große Sorge. Ich gehe noch nicht davon aus, daß das zwingend so sein muß, aber ich muß auch zugeben, daß wir in der Enquete-Kommission keinen tatsächlich griffigen Vorschlag gemacht haben, wie man verhindern könnte, daß Konsolidierungserfolge auch Erfolge im Finanzausgleich sind.

Wenn ich jetzt auf den Bericht näher eingehe, möchte ich voranstellen, daß wir in der Enquete-Kommission eine sehr weitgehende Forderung formuliert haben, und zwar einstimmig mit allen. Wir haben dazu aufgerufen – und das findet man in keinem der Vorschläge, weder bei den Südländern noch im Elf-Länder-Modell oder beim Bund –, die Vielfalt der Bundesergänzungszuweisung zu verringern. Was heißt das eigentlich und warum?

(Elisabeth Kiausch SPD)

(Heike Sudmann REGENBOGEN – für eine neue Linke: Ja, was heißt das?)

Wir haben gesagt, daß wir diese Fehlbetrags- und Ergänzungszuweisungen des Bundes nicht wollen, sondern zusätzliche Umsatzsteuerpunkte für die Länder. Das heißt, wir haben eine deutliche Aussage dahin gehend gemacht, daß wir finanziell stärkere Länder wollen, eine Stärkung des Föderalismus und keine Stärkung des Zentralismus. Das heißt, wir wollen, daß am Anfang, bei der Verteilung der Gelder, die Länder mehr Geld bekommen. Dann braucht der Bund hinten, auf Stufe 4, auch nur geringere Korrekturzahlungen vorzunehmen.

Der Charme darin liegt in folgendem: Man könnte sagen, es sei eine Vereinfachung. Am Anfang bekommen die Länder mehr, und das teilen sie dann untereinander auf, damit der Bund am Ende nicht korrigieren muß. Die Vereinfachung ist aber kein hinreichendes Argument. Wichtig ist der Grundgedanke: Mehr Föderalismus statt Zentralismus. Das bedeutet, daß wir nicht wollen, daß der Einfluß des Bundes über die Bundesergänzungszuweisungen, die nur an einzelne Länder gezahlt werden, gegenüber einzelnen Ländern ins Unermeßliche steigt. Ich erwähne das, weil in letzter Zeit zu Recht kritisiert wurde, daß es Verhandlungen auf Ministerpräsidentenebene und im Bundesrat gab, bei denen beklagt wurde, daß nicht in den Parlamenten, sondern in den Exekutivgremien Dinge verhandelt und miteinander in Austausch gebracht wurden, die sachlich eigentlich nichts miteinander zu tun haben.

Dazu könnte man sagen, daß die Regierung Schröder das gut hinbekommen und dadurch die Steuerreform durchgeboxt habe, weil sie den Stadtstaaten, wie beispielsweise Berlin, damals bereits Zusagen hinsichtlich der Einwohnerwertung gemacht hat. Genau so kann man feststellen, daß es gut ist, daß wir eine Rentenreform bekommen haben. Es ist aber schon ein Kennzeichen der politischen Reformfähigkeit in unserem Land, daß die Rentenreform, der Familienleistungsausgleich und der Länderfinanzausgleich so gemeinsam verhandelt werden.

(Thomas Böwer SPD: Richtig!)

Um dem ein bißchen stärker entgegenzutreten, wollen wir die Anzahl der Länder, die einseitig unter dem Druck des Bundes stehen, durch die Abhängigkeit von Bundesergänzungszuweisungen in der Strategie eingedämmt sehen.

(Zuruf von Susanne Uhl REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Das habe ich jetzt leider nicht verstanden.