Protokoll der Sitzung vom 16.02.2000

„Hat ein Staat das Recht, Süchtigen den diskreten Tod auf Raten zu ermöglichen? Oder ist es seine Pflicht, Leben zu retten?“

Diese Kommentare und Einlassungen stellen die Wahrheit auf den Kopf. Das Gegenteil ist richtig. Gesundheitsräume ermöglichen nicht den diskreten Tod auf Raten, sondern sie retten Leben. Allein in Hamburg gab es 300 Fälle, in denen Notfall-Wiederbelebungen dazu geführt haben, daß Drogenabhängige nicht gestorben sind.

Die Zahl der Drogentoten in Hamburg ist von 184 in 1991, mit Beginn der Einrichtung von Gesundheitsräumen in 1994 auf 151 und im Jahre 1999 auf 115 gesunken. Das ist immer noch eine hohe Zahl, aber sie zeigt den Weg in die richtige Richtung. Ich möchte hinzufügen: Wenn der Staat die Süchtigen durch Prohibition und Strafverfolgung in die Illegalisierung und Verelendung treibt, hat er wenigstens die Pflicht, die Süchtigen nicht elendig krepieren zu lassen. In den Hamburger Gesundheitsräumen passiert weit mehr, als daß hier nur der Tod verhindert wird. Das möchte ich am Beispiel des Drob Inn deutlich machen:

Dort werden jährlich 1,4 Millionen Spritzen getauscht. Die Drogenabhängigen können für ein geringes Entgelt ein warmes Essen erhalten, aus der Kleiderkammer neu eingekleidet werden und bekommen eine medizinische Grundversorgung sowie eine Beratung, die im letzten Jahr immerhin in 300 bis 400 Fällen dazu geführt hat, daß sich die Süchtigen in Richtung einer Substitution oder eines Ausstiegs bewegt haben. Es kann also keine Rede davon sein, daß sich Süchtige in Gesundheitsräumen lediglich einen Druck setzen und nicht gleichzeitig auch Beratung und sonstige Angebote wahrnehmen.

Man kann sich in Hamburg fast darüber freuen, daß wir uns bei diesem Thema mit der Opposition nicht über das Ob, sondern lediglich um das Wie streiten. Ich hätte gern Herrn von Beust, der im Moment nicht anwesend ist, gefragt, wie intensiv er seine Telefongespräche mit den Herren Diepgen in Berlin, Schönbohm in Brandenburg, Perschau in Bremen

(Dr. Martin Schmidt GAL: Wer ist denn das?)

oder Koch in Hessen geführt hat, um sie davon zu überzeugen, daß es nicht sinnvoll sei, ideologische Politik zu betreiben, die den Verlust von Menschenleben in Kauf nimmt. Es wäre wichtig zu wissen, wie intensiv die Bemühungen der CDU in Hamburg waren, sich die Drogenpolitik nicht von den Herren Stoiber und Teufel diktieren zu lassen,

(Beifall bei Dr. Hans-Peter de Lorent GAL)

die sich jedoch letztlich durchsetzten und dieses Gesetz im Bundesrat haben nicht durchgehen lassen. Wenn auf Bundesebene die vielbeschworene Rückkehr der CDU zu Sachfragen so aussieht, dann gute Nacht!

Es gibt zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung Kritiker, die der Meinung waren – meines Erachtens stimmt das auch –, daß ein Durchbringen der Gesetzesänderung im Bundestag möglich gewesen wäre und nicht der Zustimmung des Bundesrats bedurft hätte. Nach meinen Informationen ist es aber so, daß gerade die SPD-geführten Flächenstaaten größten Wert darauf gelegt haben, zu einer einheitlichen Regelung über den Betrieb von Gesundheitsräumen zu kommen, und versuchten, die CDU-regierten Ländern Hessen und Berlin einzubeziehen. Beim Saarland war dieser Versuch immerhin erfolgreich.

Wenn eine gemeinsame Regelung im Vermittlungsausschuß nicht erreicht werden kann, ist es aber weiterhin möglich und notwendig, das Gesetz so zu ändern, daß Mitarbeiter von staatlich anerkannten Gesundheitsräumen von der Strafverfolgung wegen der Förderung der Weitergabe von Drogen ausgenommen werden. Diese Möglichkeit muß genutzt werden, um endlich Rechtssicherheit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schaffen und den Süchtigen auf diese Weise mit einem der vielen Mosaiksteine zu helfen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Herr Dr. Schäfer hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Zamory hat darauf hingewiesen, daß die Anzahl der Drogentoten seit Einführung der Gesundheitsräume nicht nur in Hamburg, sondern beispielsweise auch in Frankfurt zurückgegangen ist. Er hat auch auf die Anzahl der Reanimationen hingewiesen, die im vergangenen Jahr in Hamburg vorgenommen werden mußten. Man kann hier auf die Zahl von weiter zu beklagenden Toten schließen, wenn wir diese Räume nicht hätten. Es ist in der Zwi

schenzeit weitestgehend unbestritten, daß diese Räume helfen, den Kranken aus ihrer Sucht herauszufinden. Insofern ist der mehrstufige Hamburger Ansatz richtig.

Von der reinen Überlebenshilfe hin zur Bereitstellung von Räumlichkeiten und Hilfestellungen, die dazu führen, daß sich Süchtige – auch wenn es immer noch illegal ist – ihren Schuß setzen können, ohne sich Krankheiten zu holen, über die Bereitstellung von Grundausstattungen wie Essen, Kleidung sowie Duschmöglichkeiten bis hin zu den Beratungsangeboten, die es in allen Hamburger Gesundheitsräumen gibt, haben wir insgesamt eine Stufenleiter, die es ermöglicht, die Betroffenen zunächst aufzufangen und aufzunehmen, um sie dann auf den von uns beabsichtigten Weg zu bringen: Heraus aus der Sucht und den Krankheiten.

Die Ablehnung der Legalisierung und rechtlichen Absicherung dieser Gesundheitsräume durch den Bundesrat ist nur zu bedauern; sie ist ideologisch begründet und hat keinerlei Bezug zur Realität. Wir bedauern, daß es auf diese Art und Weise nicht möglich war, den sich abzeichnenden Grundkonsens im Bereich der Drogenpolitik weiterzuführen. Wir hatten gehofft, daß die Bundesländer Bremen, Berlin und insbesondere Hessen einsehen, daß die Geschehnisse in den großen Städten – vor allem seit längerer Zeit in Frankfurt – für richtig und als rechtlich einwandfrei angesehen werden können. Leider müssen wir diese zusätzliche Gesprächsrunde im Vermittlungsausschuß einlegen.

Die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes ohne Zustimmung des Bundesrates wäre möglich gewesen. Ich halte es dennoch für richtig zu versuchen, eine solche Änderung im Konsens durchzuführen. Unsere diesbezügliche Hoffnung hat getrogen, daß die Hamburger CDU zeigt, daß ihre Bekenntnisse der letzten Monate und Jahre nicht nur Lippenbekenntnisse waren, sondern daß sie auf die anderen CDU-regierten Länder einwirkt, dieser Änderung im Vermittlungsausschuß doch noch zuzustimmen. Ein Konsens wäre immer besser, als wenn man ein solches Gesetz gegen den Willen einer großen Partei durchpeitschen müßte, die eigentlich schon zugestimmt hatte. Insofern möchte ich meiner Hoffnung Ausdruck geben, daß wir von Ihnen Ermutigendes zu hören bekommen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Herr Wersich.

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Jetzt aber los!)

Frau Präsident, meine Damen und Herren! Die CDU-Bürgerschaftsfraktion bedauert die Entscheidung des Bundesrates, mit der die Legalisierung der Druckräume vorerst gescheitert ist. Die Hamburger CDU steht grundsätzlich hinter den Einrichtungen, die die Stadtteile der offenen Drogenszene vom öffentlichen Konsum mit allen seinen Folgen entlasten sollen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Wir erkennen die schwierige Arbeit der dort Tätigen ausdrücklich an und halten die rechtliche Grauzone der staatlich gewollten Einrichtung für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für unzumutbar. Wir wollen Rechtssicherheit für Betreiber und Mitarbeiter. Deshalb ist das Scheitern dieses Gesetzes auch bedauerlich. Dennoch hat die Entscheidung des Bundesrates keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Hamburger Gesundheitsräume; sie können und sollen weiter betrieben werden, denn zunächst ist lediglich ein

Gesetzentwurf der Bundesregierung abgelehnt worden. Das ist kein ungewöhnlicher Vorgang, denn den kennen wir auch aus unserer Regierungszeit zur Genüge.

Ich möchte aber den Vorwurf an die CDU, hier wäre aus Ideologiegründen so entschieden worden, offen ansprechen. Da ist etwas dran, denn viele in der CDU können den Weg der Großstädte, die sie als Drogenzentren empfinden, nicht mitgehen; sie glauben an andere Lösungen. Dabei spielt manchmal die Ideologie eine Rolle, denn die Lösungen für den ländlichen und kleinstädtischen Raum entsprechen oft nicht denen der Großstädte. Aber auch die Befürworter der Fixerräume sind oft ideologisch gefangen. Gesundheitsräume in Hamburg sind nicht fortschrittlich und modern, sondern sie sind eine Notmaßnahme, eine Verzweiflungstat einer Drogenhochburg, um noch Schlimmeres zu verhüten. Dafür gebührt Herrn Bürgermeister Runde Dank, daß er dieses so vor dem Bundesrat zum Ausdruck gebracht hat.

(Beifall bei der SPD, der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Ziel muß es sein, in Deutschland eine differenzierte Drogenpolitik zwischen Stadt und Land zu erreichen, denn wir haben hier trotz der Differenzen beim Gesundheitsschutz große Erfolge wie beispielsweise beim Spritzentausch, bei den Übernachtungsangeboten und der medizinischen Versorgung. Ich appelliere an Sie, diesen Konsens nicht durch eigene ideologische Ausfälle zu belasten.

Ihre Vorwürfe, Herr Zamory, die Sie in der Presseerklärung vom 4. Februar formulierten, indem Sie von Intoleranz und Inhumanität der CDU sprechen und uns aufforderten, das „C“ aus unserem Namen zu entfernen, sind billige Polemik. Dieser Stil schadet einer vernünftigen Drogenpolitik und nährt den Verdacht, daß Sie von Ihrer eigenen Machtlosigkeit in der Hamburger Drogenpolitik gegenüber dem Senat ablenken wollen.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte auch betonen, daß dieses Gesetz nicht allein an der Union gescheitert ist, sondern es sind schwere handwerkliche Fehler gemacht worden. In der Anhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages ist diese Gesetzesvorlage quasi zerrissen worden. Der Oberstaatsanwalt Frankfurts war der Meinung, daß das Gesetz sein Ziel verfehle und Fragen regele, die nicht zu regeln wären. Andere Sachverständige haben sich ebenfalls sehr kritisch dazu geäußert. Uns liegen Studien vor, in denen ausgeführt wird, daß beispielsweise in den Gesundheitsräumen in Hannover ein Drittel der dort Konsumierenden gleichzeitig im Methadon-Programm betreut werde. Wir haben jetzt gelesen, daß sich Menschen das aus dem Mund der Dealer stammende Kokain direkt unverändert spritzen. Gesundheitsräume kommen mit diesen Problemen irgendwann an ihr Ende. Wir Befürworter müssen uns diesen Fragen kritisch stellen und nicht einfach nur jubeln.

Ich möchte Herrn Dr. Bossong zitieren, der zusammenfassend in der „taz“ gesagt hat:

„Nach dem Crash ihres Reformprojektes (...) stimmt Rotgrün jetzt ein lautes Lamento über die ,verantwortungslosen‘ Konservativen an. Das ist verständlich, aber zu billig. Denn tatsächlich sind es vor allem drei hausgemachte Gründe, die zum Scheitern des Reformvorhabens geführt haben: handwerkliche Mängel, politische Naivität und die hohen Kosten, die mit dem Betrieb der Fixerräume verbunden sind.“

(Dr. Martin Schäfer SPD)

Es ist eben nicht die CDU allein; vor diesem Hintergrund bekommen wahrscheinlich auch die Aussagen der Senatorin Roth und des Bürgermeisters Ortwin Runde vom drogenpolitischen Desaster eine andere Zielrichtung und einen anderen Adressaten.

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Glaub’ ich nicht!)

Es ist nämlich die Bundesregierung selbst,

(Dr. Martin Schmidt GAL: Jetzt hast du aber die Kurve gekriegt!)

die dieses drogenpolitische Desaster zu verantworten hat.

Der Vermittlungsausschuß ist aufgerufen, die zustimmungsfähigen Teile, das Methadon-Register und die Qualität der Ärzte zur Substitutionsbehandlung zu verabschieden, damit die tödlichen Nebenwirkungen der derzeitigen Substitutionspraxis unter Kontrolle kommen.

(Glocke)

Ich komme zum letzten Satz.

Wenn es keinen Konsens in der rechtlichen Absicherung gibt, dann sollten wir über eine neue Hamburger Initiative zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes nachdenken. Für billige Polemik ist dieses Thema nicht geeignet und auch nicht dazu, um auf die Hamburger CDU einzuschlagen.

(Beifall bei der CDU – Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Das war aber ein müdes Geklatsche!)

Das Wort hat Herr Jobs.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In einem hat Herr Wersich recht: Nicht nur die CDU hat versagt.

(Beifall bei REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Alle, die das behauptet haben, sind von dem einen oder anderen oppositionellen Schmetterling in der Bürgerschaft geblendet worden. Denn immer wenn es darauf ankommt, zeigt die CDU, wo sie tatsächlich steht: mit beiden Beinen fest verankert in der drogenpolitischen Steinzeit.