Protokoll der Sitzung vom 01.03.2000

Drittens: Ausbildung ist keine freiwillige Leistung von Unternehmen oder eine soziale Wohltat des Staates, sondern sie ist eine Investition in die Zukunft unserer Kinder und in diese Stadt. Augenfälliger wie in der Diskussion der Aktuellen Stunde über die Green Card und die Probleme der nicht befriedigten Nachfrage bei besonders qualifizierten Tätigkeiten kann man dieses Thema nicht darstellen.

Zu den einzelnen Punkten.

In Hamburg sind im vergangenen Jahr insgesamt 468 zusätzliche Ausbildungsverträge abgeschlossen worden. 500 Ausbildungsplätze mehr bei der Handelskammer, die Handwerkskammer hat – wenn auch knapp – ein Minus und die anderen Kammern haben ein leichtes Plus zu verzeichnen, so daß wir insgesamt dieses erfreuliche Ergebnis erzielen konnten. Ich halte es allerdings für verfrüht, von Entwarnung zu sprechen.

Noch immer können wir in Hamburg rechnerisch nicht jedem Bewerber und jeder Bewerberin einen Ausbildungsplatz anbieten. Von einem deckenden Angebot kann erst dann gesprochen werden, wenn die Angebotszahl mindestens 10 Prozent über der Bewerberzahl liegt. Davon sind wir weit entfernt. Mindestens 1000 Ausbildungsplätze – wahrscheinlich einige mehr – fehlen uns noch in diesem Zusammenhang.

Über 400 zusätzliche außerbetriebliche Ausbildungsplätze sind im Rahmen der Initiative der Bundesregierung „Sofortprogramm für Jugendliche in Arbeit“ geschaffen worden. Diese überbetrieblichen Ausbildungsplätze werden natürlich in der Statistik der Kammern mitgezählt, weil es sich um anerkannte Ausbildungsberufe handelt. Insoweit sind die stolzen Zahlen, die die Kammern liefern, zum Teil auch wieder durch staatliche Angebote verbessert worden.

Außergewöhnlich positiv sind die Entwicklungen in den neuen Berufen gelaufen. Es ist hocherfreulich festzustellen, daß in den Medien- und IT-Berufen, die neu geschaffen wurden, insgesamt 603 Menschen in Ausbildung sind. Das sind 190 zusätzlich, also über 40 Prozent Steigerung nur innerhalb eines Jahres.

Bei den Informatikern und den entsprechenden Kaufleuten, den IT-Systemtechnikern, ist die Zahl von 200 auf 361 – also um 80 Prozent – gestiegen. Über das Fehlen von Arbeitskräften in diesen Berufen haben wir heute in der Aktuellen Stunde gesprochen. Sie können erkennen, daß sich in der Stadt und auch in den Betrieben etwas tut.

Ein besonderes Augenmerk will ich in meiner kleinen Ansprache – es ist unmöglich, diesen Bericht in allen Details

(Vizepräsident Berndt Röder)

zu erörtern – noch auf die Migranten werfen. Bemerkenswert und bedrückend empfinde ich, daß die Zahl der Auszubildenden, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben, nur noch 9,3 Prozent beträgt. Die Zahl der Schulabgänger, die nicht deutsche Staatsbürger sind, beträgt etwa 18 Prozent, ist also etwa doppelt so hoch. Die Chancen dieser jungen Menschen auf dem Ausbildungsmarkt werden in diesem gnadenlosen Wettbewerb immer ungünstiger. Dabei vergeben wir, meine Damen und Herren, auch eine wichtige Chance für die Stadt. Es ist nicht allein eine sozialpolitische Frage, wie es den Jungen und Mädchen, die nicht deutscher Staatsbürgerschaft sind, in dieser Stadt geht. Viele dieser jungen Menschen bringen unglaublich viel Kompetenz in diese Stadt hinein, zusätzliche Sprachkompetenz und Erfahrungen mit fremden Kulturen. Inzwischen beginnen Unternehmen zunehmend, diese Chancen zu entdecken, weil beispielsweise Zahnärzte und Einzelhändler merken, daß viele ihrer Kunden nicht deutsche Staatsbürger sind. Dies allein bewegt manchen; darüber hinaus mehr wäre notwendig.

Der Bericht ist vom Trend her positiv. Er zeigt uns, daß wir noch viel zu tun haben.

Ich plädiere dafür, im Jahre 2000 das fünfte Jahr zu erreichen, in dem es uns gelingt, die Ausbildungszahlen deutlich nach vorne zu bewegen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Heide Simon und Dr. Dorothee Freudenberg, beide GAL)

Das Wort erhält der Abgeordnete Drews.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Worte von Herrn Grund waren einerseits lobend für die Politik des Senats – das haben wir erwartet –, anderseits waren sie aber in einigen Punkten sehr nachdenklich, und da möchte ich einhaken.

Wir haben im Jahre 1999 zum vierten Mal in Folge auf dem Hamburger Ausbildungsmarkt einen Zuwachs an Lehrstellen verzeichnen können. So weit, so gut. Wenn man sich allerdings ansieht, wie dieser Lehrstellenzuwachs zustande gekommen ist, fällt auf, daß diese positive Entwicklung ausschließlich den Steigerungsbemühungen der Hamburger Wirtschaft zu verdanken ist.

(Uwe Grund SPD: Das ist definitiv falsch!)

Am deutlichsten fällt die Steigerung der Ausbildungsberufe im Bereich der Handelskammer mit 6,8 Prozent aus, in anderen Kammern wurde die Ausbildungsleistung ebenfalls gesteigert. Allerdings vollkommen gegensätzlich dazu steht zu dieser positiven Entwicklung die Ausbildungsleistung in den Ämtern und Behörden Hamburgs.

(Erhard Pumm SPD: Quatsch! Die Ausbildung im öffentlichen Dienst kann man nicht als Maßstab für das duale Ausbildungssystem nehmen!)

Entgegen den Beteuerungen des Senats ist hier ein Rückgang der neu abgeschlossenen Verträge um 4,1 Prozent zu verzeichnen, in den Kammerberufen bedauerlicherweise sogar um 18,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Anstatt ausschließlich immer wieder an die Wirtschaft zu appellieren, meine Damen und Herren, täte der Hamburger Senat gut daran, über den Bedarf hinaus auch in seinem eigenen Umkreis in den klassischen Kammerberufen auszubilden.

Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist in Hamburg nach wie vor angespannt. Herr Grund hat es schon gesagt. Ob

wohl sich die Angebots-Nachfrage-Relation im letzten Jahr um 2,2 Prozent auf einen Stand von 97,3 Prozent verbessert hat, ist nach den bundesweit gültigen Definitionskriterien in Hamburg noch lange nicht von einem auswahlfähigen Angebot die Rede. Dieses liegt bei 112,5 Prozent und damit leider in weiter Ferne. Sie hatten dies in Ihrer Rede mit gut 10 Prozent erwähnt.

Das defizitäre Niveau der Schulabschlüsse in Hamburg, immer mehr Ausbildungsplatzsuchende ohne Schulabschlüsse – in Hamburg sind es 12 Prozent – sind zentrale Probleme, die uns im letzten Jahr bei fast jeder Debatte verfolgt haben. Hier muß der Senat noch seine Hausaufgaben verbessern. Ich denke aber, daß wir uns in der Zielrichtung alle einig sind.

Ganz besonders liegt mir die Situation der Jugendlichen ausländischer Herkunft und – ganz generell – die der Auszubildenden in unserer Stadt am Herzen. Wir wissen, daß die ausländischen Jugendlichen in Hamburg nur 9,3 Prozent der Auszubildenden, aber 18 Prozent der Schulabgänger ausmachen. Hier gibt es mit Sicherheit noch sehr viel zu tun.

(Erhard Pumm SPD: Was wollen Sie denn da zum Beispiel tun?)

Wir müssen uns alle gemeinsam überlegen, wie wir unsere ausländischen Jugendlichen stärker in die Ausbildungsberufe bekommen können.

Der Anteil der jugendlichen Auszubildenden aus Hamburg sinkt in Hamburg von Jahr zu Jahr. Im letzten Jahr lag der Anteil von Auszubildenden aus anderen Bundesländern im Mittel bei 29,6 Prozent, in einigen Berufen – beispielsweise Bankkaufleute und Versicherungskaufleute – streckenweise über 50 Prozent. Wir sollten uns Gedanken darüber machen, daß die Hamburger Behörden, wenn sie Auswahlmöglichkeiten haben, auch Hamburger Jugendliche zum Zuge kommen lassen.

Wie der Senat in Drucksache 16/3195, einer Kleinen Anfrage von mir, einräumen mußte, lag in den Behörden im letzten Jahr der Anteil der Jugendlichen anderer Bundesländer bei 68,3 Prozent. Der Hamburger Senat oder die Behörden stellen also von Jahr zu Jahr deutlich weniger Hamburger in ihren eigenen Dienst ein. Hier gibt es noch viel zu tun.

Themen wie staatliche Förderungsprogramme, Sofortprogramm der Bundesregierung, führen hier zu weit. Auf der anderen Seite muß man ganz klar sagen, daß mit diesen staatlichen Maßnahmen alleine die Problematik in Hamburg nicht zu verbessern ist. Wir wissen, daß noch immer knapp 75 Prozent der im Rahmen des Sofortprogramms der Bundesregierung eingerichteten außerbetrieblichen Ausbildungsplätze mit Jugendlichen besetzt sind, denen es nicht gelungen ist, in eine betriebliche Ausbildung zu wechseln. Dieses führt nur zu einer punktuellen Entlastung des Arbeitsmarkts.

(Glocke)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pumm?

Nein, Herr Präsident.

Wir haben vor drei Wochen in der letzten Sitzung des Schulausschusses erfahren, daß die Mittel nach Artikel 2 des Sofortprogramms der Richtlinie im letzten Jahr nur mit

(Uwe Grund SPD)

6,8 Prozent der zur Verfügung stehenden Finanzmittel eingesetzt worden sind. Wir haben erfahren, daß sich dieses im Jahr 2000 nicht grundlegend ändern soll. Sie sehen an den Ausführungen, die ich nur in Kürze machen konnte, daß sich in Hamburg in diesem Bereich ganz enormer Handlungsbedarf aufgestaut hat. Wir müssen ihn im Ausschuß gemeinsam bereden, um zu sachgerechten, effizienten Lösungsansätzen zu kommen, die es erlauben, daß immer mehr Hamburger Jugendliche, insbesondere aber ausländische Jugendliche, einen Ausbildungsplatz finden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Goetsch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Drews, das ist absoluter Kokolores, den Sie erzählt haben. Ich habe zur Vorsicht meine letzte Rede zu JUMP 2 mitgebracht. Wir haben des öfteren das Sofortprogramm diskutiert. Wir haben eine Verstaatlichung der beruflichen Ausbildung, wie es sie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat. Ich nenne noch einmal die Zahlen. Es sind über 8000 junge Menschen – ein fast kompletter Jahrgang Hamburger Jugendlicher –, die sonst in eine berufliche Ausbildung in der sogenannten freien Wirtschaft gehen würden. Insofern ist dieser Appell an den Senat völlig unangebracht.

(Beifall bei Dr. Silke Urbanski und Horst Schmidt, beide SPD)

Wir haben des öfteren das Sofortprogramm und JUMPdiskutiert, und es ist sicherlich gut, wenn wir noch einmal einen Bericht bekommen.

Zur Ausbildungssituation beziehungsweise zur Drucksache des Senats nenne ich einige Stichworte. Herr Grund hat schon über die Migrantinnen berichtet. Ich möchte besonders hervorheben, daß die Bereitschaft der Betriebe, Migrantinnen auszubilden, stetig wächst. Auch die Akquise konnte hervorragend gesteigert werden. Inzwischen wurden weit über 100 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen. Es ist aber – Herr Grund hat das schon angeführt – weiterhin ein hoher Anteil der Schulabgängerinnen ohne Abschluß. Im Vergleich zu den deutschen Schülern sind es doppelt so viele.

Ich habe mich gefreut, Herr Grund, daß Sie besonders die Kompetenzen der Migrantinnen hervorgehoben haben. Sukzessive scheint dies auch Eingang in die Köpfe der deutschen Betriebe zu finden.

In den Medienberufen sind die Berufsschulen in der Ausbildung federführend, und es kommt eine Vielzahl Berufsschülerinnen aus dem Umland. Leider bilden in dieser Branche zu wenig Betriebe aus, es gibt zu wenig Nachwuchsförderung. Der Multimedia-Führerschein wurde heute schon genannt. Wir müssen noch die Erfahrungsberichte abwarten. Gutes und Schlechtes liegen sehr nahe beieinander, weil sich die Frage stellt, wie dieser Führerschein auch zur Umschulung und zur Weiterbildung taugt. Er darf kein Ersatz für die Ausbildung sein.

Ich will aber noch einmal auf die Benachteiligten zu sprechen kommen. Ich sehe deren Situation nicht so positiv wie Herr Grund. Der Bundesausbildungskonsens darf bundesweit als gescheitert angesehen werden, denn die Berufsbildung ist verstaatlicht, und wir haben gerade für die Benachteiligten keine Lösungen. Das Tor zur Ausbildung für

Benachteiligte schließt sich für diese Gruppe weiter, denn die Anforderungen steigen. Es gibt immer mehr Azubis mit höherem Abschluß. Ich bedauere, daß es die kooperative Berufsfachschule immer noch nicht gibt. Es handelt sich um 300 Plätze, die wir nicht mit Jugendlichen besetzen können, für die genau dieses Angebot richtig wäre.

Eine Frage zu den zielgenauen Angeboten, zu JUMP. JUMP2 wird sich sicher ändern, und es werden Erfahrungen aufgenommen, die im ersten Durchgang noch nicht berücksichtigt werden konnten. Das heißt auch, daß die Zielgruppen genauer angesprochen werden, wobei wir immer noch für viel intensivere stadtteilbezogene Aktivitäten plädieren. Ein anderes Ziel, das sich ganz klar auf das Thema, das wir heute diverse Male an anderer Stelle diskutiert haben, bezieht, ist nicht erreicht: Die jugendlichen Flüchtlinge fallen aus dem JUMP-Programm heraus mit der Begründung, daß sie keine Bleibeperspektive haben. Dies widerspricht aber all dem, was wir diesen Jugendlichen mitgeben könnten. Wir sollten ihnen für eine bestimmte Zeit eine Perspektive bieten, damit sie eine Qualifizierung erhalten, die sie später in ihr Heimatland mitnehmen können.

Ich habe heute früh ein Gespräch mit den Betreuern der Jugendwohnungen und der Erstversorgungseinrichtungen geführt sowie mit vielen, die mit diesen Jugendlichen vertraut und betraut sind. Wir müssen diesen Jugendlichen etwas anbieten. Wir können sie nicht permanent – vier, sechs, acht Jahre – in schulischen Maßnahmen halten, ohne daß sie eine berufliche Qualifizierung bekommen, die sie später eventuell konstruktiv nutzen können. Ich finde es sehr dramatisch, daß JUMP diese Gruppe – aufgrund des Aufenthaltsstatus – weiterhin ausschließt.

Wir haben immer noch nicht genug Transparenz in dem Maßnahmenangebot. Ich könnte mir vorstellen, ein Serviceheft als Antrag oder als Vorschlag einzubringen, um im Internet für die Jugendlichen und für die Schulen eine anschauliche Übersicht zu bekommen.

(Uwe Grund SPD: Die gibt es!)