Der Senat beweist in seiner Antwort erneut klar, deutlich und nachvollziehbar, daß es in Hamburg keine pauschalierten Gnadenentscheidungen gibt, wie Sie behaupten,
daß nicht grundsätzlich wenigstens die Hälfte der Ersatzfreiheitsstrafen erlassen wird, wie Sie insinuieren, und daß die Gnadenpraxis nicht intensiviert wurde, wie Sie perhorreszieren. Allein die Entwicklung der Ablehnungsquoten bei den Begnadigungen macht deutlich, daß Ihr ideologisches Kartenhaus, das Sie gegen die Gnadenpraxis des Senats aufgebaut haben, in sich zusammenbricht. 1997 wurden 56 Prozent der Gnadenersuche abgelehnt, 1998 61 Prozent, 1999 71 Prozent. Wer bei einer fünfzehnprozentigen Zunahme der Ablehnungsquote von inflationärer Gnadenpraxis spricht, nimmt in unglaublicher Weise die Fakten nicht zur Kenntnis.
(Uwe Grund SPD: Das ist aber Absicht, also Vor- satz! – Dr. Holger Christier SPD: Juristisch ist das Vorsatz!)
Bedenklich finde ich auch, daß die CDU-Fraktion ihre Großen Anfragen in ein Beschäftigungsprogramm für die Justizbehörde umfunktionieren wollte.Auch hier kannte die CDU-Fraktion keine Gnade.Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, Sie können doch nicht allen Ernstes erwarten, daß der Senat innerhalb der Antwortfrist fast 12 000 Akten auswertet. Mit welchem Sinn? Wofür? Der Senat hat das zu Recht abgelehnt.
Ich möchte deshalb mit allem Nachdruck bekräftigen, daß das in Artikel 44 Absatz 1 Hamburger Verfassung dankenswerterweise auch von Ihnen zitierte verankerte Begnadigungsrecht nicht der parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Es ist festzuhalten, daß der Senat dieses Recht grundsätzlich mit Augenmaß und strikt einzelfallbezogen wahrnimmt. Daß Sie, verehrte CDU-Vertreter, nun wiederholt abenteuerlich herzuleiten versuchen, daß der Senat sein Gnadenrecht mißbrauche, ist absurd und entbehrt jeglicher Grundlage.Gnadenentscheidungen können – und da zitiere ich meinen Redebeitrag vom September 1998 – auch unpopulär sein.Auch ich würde vielleicht die eine oder andere Einzelentscheidung anders treffen. Darauf kommt es aber überhaupt nicht an. Darauf darf nach Abwägung aller individuellen Entscheidungsgründe keine Rücksicht genommen werden. Es wäre schön, verehrte CDU-Fraktion, wenn wir insoweit einmal einen Grundkonsens herstellen könnten.
Besonders im Visier der Opposition – Sie haben es hier noch einmal verdeutlicht – steht das Gnadenprojekt „Ersatzfreiheitsstrafen“.
Sie haben in zahlreichen Fragestellungen erneut versucht, die Motive dieses Projekts zu diskreditieren mit bewußtem Mißverstehen von Senatsäußerungen, die Rechtsgrundlagen in Zweifel zu ziehen und dem Senat unterzuschieben, es ginge ihm nur darum, die überfüllten Justizvollzugsanstalten zu entlasten. Ich habe wenig Neigung, jede Unterstellung und jedes Vorurteil Ihrer Anfrage einzeln wegzuräumen. Das hat der Senat in hinreichender Klarheit bereits getan.
Es geht mir aber darum, deutlich zu machen, daß die justizpolitischen Heißsporne aus Ihrer Fraktion, Herr von Beust, die soziale Komponente bei diesem Thema offenbar völlig außer acht lassen. Davon steht in Ihren vielen Anfragen zu diesem Thema nämlich keine Silbe.Über wen reden wir denn? Um wen geht es denn, wenn Geldstrafen uneinbringlich sind und Ersatzfreiheitsstrafen an die Stelle treten?
Es geht um die Mühseligen und Beladenen, die Randständigen, die Obdachlosen, die Drogenabhängigen. Es geht um die, die in unserer Gesellschaft wirklich durch den Rost gefallen sind. Und um welche Taten geht es? Es geht überwiegend um die klassischen Armutsdelikte: Ladendiebstahl, Beförderungserschleichung und so weiter. Ich will das gar nicht bagatellisieren.Ich will nur sagen, daß das die andere Seite der Medaille ist. Obwohl ich Ihnen diesen Aspekt schon in unseren bisherigen Debatten zum Thema Gnade vorgehalten habe, tun Sie weiterhin so, als gebe es beim Thema Gnadenpraxis diese Komponente nicht. Sie haben nichts dazugelernt. Das ist traurig für die CDU, die ja jetzt meint, wieder mitten im Leben zu stehen.Zumindest bei diesem Thema sind Sie jedenfalls fernab der sozialen Realität.
Es ist doch die soziale Lage, in die die Regierung Kohl in 16 Jahren viele Menschen an den Rand unserer Gesellschaft geführt hat. Das sollten auch Sie endlich zur Kenntnis nehmen. Um so wichtiger ist es, daß wir gerade in diesem sensiblen Feld die Reform des Sanktionensystems im Auge haben. Ein geänderter Umrechnungsmaßstab zwischen Geld und Ersatzfreiheitsstrafe statt 1 zu 1 dann 2 zu 1 kann ein Beitrag dazu sein, eine Ungleichbehandlung sozial benachteiligter Menschen bei der Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen zu vermeiden. Dies kann allerdings nur ein Baustein in einer grundsätzlichen Reform des Sanktionensystems sein. Insofern darf man hier nicht den Fehler der CDU-Fraktion machen, das Thema Umrechnungsmaßstab in der Diskussion um die Sanktionsformen isoliert zu betrachten.
So ist es denn auch nachdrücklich zu begrüßen, daß sich die Bundesjustizministerin, Frau Professor Däubler-Gmelin, eine ganzheitliche Neuregelung der Sanktionsformen als zentrales rechtspolitisches Vorhaben dieser Legislaturperiode vorgenommen hat, unterstützt und begleitet durch zahlreiche Bundesländer. Hamburg ist in diesem bundesweiten Diskurs mit an der Spitze. Ihren heutigen Beitrag zu diesem Diskussionsprozeß, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, kann man allerdings in diesem Zusammenhang getrost vergessen.
Bekanntlich soll bis zur Sommerpause ein Gesetzentwurf zur Sanktionsreform vorliegen. Man darf gespannt sein, inwieweit Hamburger Ideen und auch das Thema Umrechnungsmaßstab Eingang in die Vorlage finden werden. Das Thema Sanktionenreform wird uns hier also weiter beschäftigen.Die CDU gibt gerade in diesem Zusammenhang selbst einen äußerst vielstimmigen Chor ab, wie man Zeitungsmeldungen entnehmen konnte. Während ein Teil der neuen CDU-Fraktionsspitze in Berlin zum Beispiel für Fahrverbote bei nicht verkehrsbezogenen Delikten votiert, um das Sanktionensystem flexibler und effektiver zu gestalten, haben sich der Hamburger CDU-Landesvorsitzende Dirk Fischer und – ach, jetzt wollte ich Herrn von Beust zitieren, aber er ist hier entwichen – Herr von Beust dagegen ausgesprochen.
Zunächst kann man Herrn von Beust dazu gratulieren, daß er mit seinem Landesvorsitzenden in einer politischen Sachfrage einmal auf einer Linie liegt. Das soll nicht so oft vorkommen.Andererseits muß man feststellen, daß mit der ablehnenden Haltung zu dieser Frage offenbar wesentliche Teile der Modernisierungsdiskussion bezüglich des deut
schen Sanktionensystems an der CDU vorbeigegangen sind. Neue, der individuellen Tat und Schuld angemessene Sanktionen müssen eingeführt werden, damit auf Dauer effizientere Reaktionsmöglichkeiten gegen Kriminalität garantiert werden können. Eine Erweiterung des Fahrverbots gehört dazu.
Beziehen Sie, verehrte CDU-Kolleginnen und -Kollegen, in der wichtigsten Zukunftsfrage des deutschen Strafrechts, nämlich der Neugestaltung des Sanktionensystems, erst einmal fundiert und klar deutlich Stellung, ehe Sie meinen, dem Senat und seiner Gnadenpraxis etwas ans Zeug flicken zu müssen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Heute war schon ein paar Mal von ritualisierten Debatten die Rede, und mich beschleicht das Gefühl, daß wir es hier auch mit einer solchen zu tun haben. Herr Klooß sagte schon so etwas ähnliches. Das Ganze wird davon nicht besser, und ich beschränke mich auf zwei Bemerkungen.
Das Weltbild der CDU ist doch ein wenig arg simpel.Es lautet, die einen legen sich krumm, um ihre Geldstrafen zu bezahlen, die anderen gehen lieber in den Knast, weil sie wissen, daß sie dann begnadigt werden, weil das die Politik der Justizsenatorin ist, und das ist dann ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.Das ist wirklich eine äußerst absurde Konstruktion.Dieser Gleichheitsgrundsatz, den Sie da konstruieren, Herr Professor Karpen, ist doch wirklich ein sehr seltsamer.Er ist nicht nur absurd, er geht völlig an den Realitäten vorbei.
Wenn Sie sich mit Richtern unterhalten und mit denen die Gnadenpraxis der Senatorin diskutieren, dann sollten Sie sich vielleicht auch einmal die Mühe machen und sich mit den Leuten unterhalten, die Ersatzfreiheitsstrafen antreten. Vielleicht haben Sie dann in der nächsten Debatte mal ein Gefühl dafür, wen das trifft und welche Zusammenhänge dazu führen, daß Leute Ersatzfreiheitsstrafen antreten müssen, denn das machen die ja nicht aus Quatsch, weil sie dann wissen oder hoffen, daß sie begnadigt werden.
Statt solchen Unsinn in die Welt zu setzen, täten Sie besser daran, den Sinn von Ersatzfreiheitsstrafen zu hinterfragen. Herr Klooß hat das getan, ich will mich da gar nicht wiederholen.
Zu den 65 Prozent, die angeblich keine Einzelfälle sind. Ab wann ist denn ein Einzelfall ein Einzelfall? Ist es nur ein einziger Fall oder sind es zwei Fälle, oder wo beginnt die Grenze, was kein Einzelfall mehr ist? Das ist auch eine sehr merkwürdige Rechnung, die Sie da aufmachen. Man kann durchaus diese ganzen Fälle einzeln prüfen und in jedem einzelnen Fall zu dem Ergebnis kommen, daß hier eine Begnadigung angemessen ist. Ich weiß nicht, wo da das Problem ist, und ich weiß auch nicht, woher Sie dann daraus den Vorwurf nehmen, daß hier eine pauschalierte Massenabfertigung im Wege der Gnade stattfindet.
Wenn man die Antworten auf die Anfragen gründlich liest, hat man schon den Eindruck, daß keine Ihrer Unterstellungen zutrifft, sondern daß diese Gnadenpraxis sehr sorgfältig, sehr verantwortungsvoll gehandhabt wird, und ich denke, dabei sollten wir es belassen.Wir sollten es lassen,
daran herumzumeckern, sondern die Frage der Begnadigung dort lassen, wo sie hingehört, nämlich in den Senat.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wir haben es gehört, die Opposition kann es einfach nicht lassen, die Gnade zum Spielball der Politik zu machen. Ich stelle fest, Herr Abgeordneter Professor Karpen, daß bestimmte Übereinkünfte, die über die Parteigrenzen hinweg in allen Bundesländern Gültigkeit haben, für Sie offenbar nicht gelten. Daß mein dringender Appell in meiner Bürgerschaftsrede vom 9.September 1998, nämlich zu der langjährig bewährten geräuschlosen Gnadenpraxis zurückzukehren, für Sie eher Ansporn war und ist, noch einmal nachzulegen.
(Dr. Michael Freytag CDU: Mehr als der Senat! – Antje Blumenthal CDU: Immer erst mal bei sich selbst gucken!)
Meine Damen und Herren von der Opposition! Von Rechts wegen bin ich – wie Sie wissen – überhaupt nicht verpflichtet, Ihnen Auskunft über die Gnadenpraxis des Senats zu geben, denn bei der Ausübung des Gnadenrechts unterliegt der Senat nicht der parlamentarischen Kontrolle, und das wissen Sie natürlich, Herr Professor Karpen, als Staatsrechtler ganz genau.
Nur, um Ihre durchsichtigen und wahrheitswidrigen Behauptungen nicht im Raume stehen zu lassen, gehe ich hier und heute erneut – ich frage mich, zum wievielten Male – auf die Gnadenpraxis des Senates ein. Ich möchte einige Punkte ansprechen.
Ich beginne mit den Begnadigungen im Projekt Ersatzfreiheitsstrafen, eines Ihrer Lieblingsthemen, wie wir wissen, das Sie mit Unterstützung einiger Strafrichter besonders gern und wiederholt traktieren. Sie behaupten stereotyp, die Begnadigungen ergingen pauschal. Diese Behauptung – wir haben es eben von Herrn Klooß und Frau Kähler zu Recht gehört – ist falsch. Richtig ist, daß die Gnadenabteilung der Justizbehörde natürlich in jedem Einzelfall eine individuelle Prüfung vornimmt, und das ist auch notwendig, denn zum Zeitpunkt der Gnadenentscheidung liegen regelmäßig genauere Informationen über die soziale Situation der Beschuldigten oder Verurteilten vor als zum Zeitpunkt der Verurteilung.
Die Verurteilungen geschehen ja im allgemeinen durch Strafbefehl. Im Verlauf der Vollstreckung der Geldstrafe kommen nun viele Informationen über den Verurteilten ans Licht, die Staatsanwaltschaft und Gericht vor der Beantragung und dem Erlaß des Strafbefehls noch nicht kannten. Durch unsere Jahresauswertung 1997 wissen wir, daß in 80 Prozent der Fälle die Geldstrafe durch Strafbefehl verhängt wird und daß die Justiz gerade im Strafbefehlsver
fahren größtenteils über keinerlei Informationen über die soziale und wirtschaftliche Situation der Beschuldigten und später Verurteilten verfügt.
Die Folge ist, daß in 72 Prozent aller Fälle die Richter das Einkommen der Verurteilten schätzen und schätzen müssen. Obwohl die Verbüßer der Ersatzfreiheitsstrafe in der überwiegenden Zahl der Fälle sozial hoch belastet sind, über kein eigenes Erwerbseinkommen verfügen, kommt die Justiz in 89 Prozent der Fälle aufgrund ihrer Schätzungen eines tatsächlich nicht vorhandenen Einkommens zu Tagessätzen von über 10 DM, obwohl das Gesetz – wie wir wissen – bei einem Tagessatz von 2 DM beginnt. Für diesen hier gemeinten Personenkreis stellt sich also die auf diese Weise entstehende relativ hohe und vor allen Dingen zu hohe Geldstrafe von vornherein als eine verkappte Freiheitsstrafe dar.
Ihr Kollege, Herr Ploog, hat in der Bürgerschaftsdebatte zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen vom 3. März letzten Jahres von den armen Teufeln der Gesellschaft gesprochen, die durch das soziale Netz gefallen sind und trotz aller Anstrengungen aus den verschiedensten Gründen ihre zu hoch ausgefallene Geldstrafe nicht zahlen können. Herr Ploog ist zu der richtigen Folgerung und Feststellung gekommen, daß diese Verbüßer von Ersatzfreiheitsstrafen gerade nicht ins Gefängnis gehören.