Protokoll der Sitzung vom 19.04.2000

Ich sehe, Sie sind da, lieber Herr Ploog, recht haben Sie. Ich teile Ihre Auffassung voll und ganz.

(Beifall bei der SPD)

Leider stelle ich fest, daß Sie, Herr Ploog, mit Ihrer Meinung in Ihrer Fraktion keine Mehrheit haben. Möglicherweise ist den Damen und Herren von der Opposition entgangen, daß sich die Schere zwischen arm und reich in unserem Land, insbesondere in der Ära Kohl,

(Frank-Thorsten Schira CDU: Ja, ja!)

in besorgniserregender, schlimmer Weise geöffnet hat.Wir Sozialdemokraten, die nicht nur eine moderne, sondern eine moderne und gerechte Gesellschaft wollen, stellen mit großer Sorge fest, daß diejenigen, die zu Geldstrafen verurteilt werden und diese weder zahlen noch abarbeiten können, in vielen Fällen solche Menschen sind, die in unserer Gesellschaft auf der Strecke geblieben sind. Es sind Arme, es sind Randständige, Kranke, Suchtabhängige, Personen, die fast ausnahmslos Bagatelldelikte begangen haben.

Ich will ein Beispiel nennen, das den Nachteil hat, genauso vorgekommen zu sein. Ich nenne das Beispiel von Frau R. Sie ist Sozialhilfeempfängerin und hat im Monat 540 DM Sozialhilfe. Sie ist alkoholabhängig und hat einen Hund – vielleicht das einzige, was sie noch hat –, aber sie kann ihn sich natürlich bei so geringen Mitteln nicht leisten.

(Antje Blumenthal CDU: Stimmt doch gar nicht! Dafür bekommt sie doch Sozialhilfe! Und Hunde- steuer muß sie auch nicht zahlen!)

Lassen Sie mich doch einfach mal ausreden, Frau Blumenthal, Sie können ja sagen, was Sie wollen, aber jetzt hören Sie erst einmal zu. Das ist ein so vorgekommener Fall. Wie können Sie eigentlich bei einem verurteilten Fall erklären, das ist nicht so? Meine Güte noch mal.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Nachdem diese Frau sich mit einer Blutalkoholkonzentration von circa 3,5 Promille hoffnungslos betrunken in einer Tierfutterhandlung fünf Beutel – zu komisch, nicht? –

(Antje Blumenthal CDU: Ja!)

Hundefutter geben läßt, versucht sie, das Ladengeschäft zu verlassen, ohne zu bezahlen. Sie wird festgenommen und zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 10 DM, also 300 DM, verurteilt.Das Urteil habe ich auf meinem Platz liegen. Da sie diese Geldstrafe bei 540 DM Sozialhilfe nicht zahlen kann

(Antje Blumenthal CDU: Plus Geld für das Hunde- futter! Das gibt es doch nicht!)

und ihr aufgrund ihrer Alkoholabhängigkeit die Ableistung gemeinnütziger Arbeit nicht gelingt, gehört Frau R. zu den circa 160 Personen, die pro Tag in Hamburg eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen.Diese Frau hat sich übrigens nicht etwa – wie die Opposition uns immer wieder glauben macht – für die Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe entschieden in der Hoffnung, nun würde sie wohl bald begnadigt. Wer seine Geldstrafe bezahlen oder wer sie abarbeiten kann, der zahlt nach unserer Erfahrung oder arbeitet sie ab. In den Knast, um es einmal drastisch zu sagen, gehen nach unserer Erfahrung nur solche Menschen, die wirtschaftlich, gesundheitlich oder sozial nicht handlungsfähig sind, so wie die von mir geschilderte Frau. Und wir halten uns für verpflichtet, auch für diese Menschen, die in der Gesellschaft keine Lobby haben, etwas zu tun.

(Beifall bei der SPD, der GAL und bei REGEN- BOGEN – für eine neue Linke)

Ein letztes Wort zu Ihrer stereotypen Behauptung, die Gnadenpraxis im Projekt Ersatzfreiheitsstrafe sei rechtsmißbräuchlich. Dieser Vorwurf ist schlicht abwegig. Wie Sie wissen, kam der renommierte Strafrechtswissenschaftler Professor Lüderssen von der Universität Frankfurt am Main in seinem gründlichen Gutachten zu dem Ergebnis, daß an der Rechtmäßigkeit des Gnadenprojekts überhaupt kein Zweifel bestehe. Ebenso abwegig ist die Behauptung von Ihnen, Herr Professor Karpen, dieses Gutachten sei bestellt und in byzantinischer Unterwerfung gefertigt. Ihre Reaktionen auf die Ergebnisse des Gutachtens, die Sie auch schon an anderer Stelle so geleistet haben, zeugen nicht nur – verzeihen Sie, daß ich das so deutlich hier sagen muß – von schlechtem politischen Stil, sondern darüber hinaus von einer tiefen Uneinsichtigkeit in bezug auf die rechtmäßige Handhabung der Hamburger Verfassung.

Im übrigen halte ich es schon für bemerkenswert, daß ein deutscher Hochschullehrer von einem anderen schlicht behauptet, er lasse sich quasi kaufen, nämlich er gebe bewußt ein sachlich falsches Gutachten auf Bestellung ab.

(Beifall bei der SPD – Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Unglaublich! – Zurufe von der SPD: Hört, hört!)

Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie übersehen im übrigen beharrlich, daß die Begnadigungen im Projekt Ersatzfreiheitsstrafen nur ein Teil eines wesentlich umfassenderen Gesamtkonzepts gegen die Zunahme der Verbüßungen von Ersatzfreiheitsstrafen sind.Lassen Sie mich nur einige wenige Aspekte dieses Gesamtkonzepts nennen.

Wie Sie vielleicht der Presse entnommen haben, haben wir am 1. April dieses Jahres das sechs Monate gültige Sozialticket für Entlassene aus Ersatzfreiheitsstrafen einge

(Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit)

führt.Durch dieses in der Bundesrepublik einmalige Projekt soll der Gefahr, daß sich dieser Personenkreis bereits kurz nach der Haftentlassung erneut wegen Schwarzfahrens strafbar macht, entgegengetreten werden.Das Projekt trägt natürlich auch dazu bei, die hohe Zahl von Verbüßern von Ersatzfreiheitsstrafen zu verringern. Dieses Sozialticket – das will ich hier auch noch einmal sehr deutlich sagen – bekommen unsere Haftentlassenen natürlich nicht geschenkt. Sie gehören zu dem Kreis der Berechtigten, weil sie Sozialhilfe beziehen, und sie haben – wie jeder andere Sozialhilfeberechtigte – einen Eigenanteil von 30 DM monatlich zu zahlen, der ihnen mit ihrem Einverständnis von der Sozialhilfe einbehalten wird.

Aufgrund unserer Erkenntnisse aus der Jahresauswertung 1997 zum Gnadenprojekt Ersatzfreiheitsstrafe und weiterer wissenschaftlicher Erhebungen wissen wir, daß bei den von Herrn Klooß so genannten armen Teufeln der Gesellschaft die Einkommensverhältnisse – ich habe darauf hingewiesen – fast stets falsch geschätzt werden. Diese falsche Schätzung – die Richter gehen häufig von 15 und 20 DM Tagessatz aus – führen dann zu Geldstrafen von 1000 DM und mehr, die ein Mensch in dieser beklemmenden sozialen Situation häufig nicht bezahlen kann.

Die Staatsanwaltschaft hat nun aufgrund dieser Untersuchungsergebnisse am 10. Februar dieses Jahres eine Verfügung zur künftigen Berechnung der Tagessatzhöhen erlassen.Künftig soll bei Sozialhilfeempfängern und anderen gering Verdienenden grundsätzlich von einem Tagessatz von 3 bis 4 DM ausgegangen werden.Wir wissen, das Gesetz beginnt bei 2 DM, und in geeigneten Fällen wird die Staatsanwaltschaft künftig auch Rechtsmittel gegen anderslautende Verurteilungen einlegen.

(Wolfhard Ploog CDU: Sehr gut!)

Schließlich haben die Verbüßer von Ersatzfreiheitsstrafen seit kurzem auch in unseren Justizvollzugsanstalten, also innerhalb der Mauern, die Möglichkeit, ihre Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit zu verkürzen. Durch sechs Stunden gemeinnützige Arbeit verringert sich die Haftzeit um einen Tag. Diesem Projekt, das wir gerade aufgelegt haben, liegt die Erkenntnis zugrunde, daß auch sozial hoch belastete Personen in einem festen Bezugsrahmen, der natürlich in einer Justizvollzugsanstalt vorhanden ist, durchaus unter entsprechender Anleitung Arbeiten erbringen können. Die ersten Gefangenen, die auf diese Weise ihre Haftzeit durch Arbeit verkürzt haben, sind bereits entlassen.

Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie fragen schließlich nach den rechtspolitischen Erwägungen, die für die Aktivitäten des Senats zur Veränderung des Umrechnungsfaktors Geldstrafe in Ersatzfreiheitsstrafe leitend gewesen sind. Ich meine, die Begründung liegt auf der Hand.

Die Veränderung des Umrechnungsfaktors, einen Tagessatz Geldstrafe auf einen Tag Freiheitsentziehung, auf künftig zwei Tagessätze statt einen Tag Freiheitsentziehung, liegt wirklich auf der Hand. Es ist ein großer Unterschied, ob ich 10 DM bezahle oder ob ich dafür einen ganzen Tag Freiheit verliere.Wir wollen auf diese Weise eine Gleichbehandlung herbeiführen und die bisher bestehende Ungleichbehandlung sozial benachteiligter Menschen künftig vermeiden. Herr Ploog hat ziemlich genau vor einem Jahr zu Recht geäußert, daß der Verlust des Nettoeinkommens für einen Tag gerechterweise nicht mit dem Verlust der Freiheit für einen Tag gleichgesetzt werden kann. Ich kann Ihnen auch hier, Herr Ploog, nur zustimmen.

Nun hört man eilfertige Unkenrufe, die Gerichte würden die Reform ja doch zunichte machen, weil sie nämlich bei der Verhängung von Geldstrafen in Zukunft flächendeckend die Anzahl der Tagessätze verdoppeln würden. Ich weiß nicht, woher diese Vermutung kommt. Sie ist mit Sicherheit unbegründet, denn die Ersatzfreiheitsstrafe wird ja nicht ausgeworfen;es wird eine Geldstrafe ausgeworfen, und die Ersatzfreiheitsstrafe ist ein Druckmittel bei der Vollstreckung und nicht der Zweck der Verurteilung zu einer Geldstrafe.Wenn der Richter meinen sollte, dieser Mensch muß in den Vollzug, dann verurteilt er ihn zu einer Freiheitsstrafe.

Diese Veränderungen und auch andere, die wir längst auf den Weg gebracht haben und die überfällig sind, sind nur ein Teil des insgesamt zu reformierenden Sanktionensystems. Weitere Bausteine sind zum Beispiel die selbständige Verhängung von Fahrverboten. Herr Klooß hat bereits darauf hingewiesen, daß nun auch die CDU dies als ganz neuen Vorschlag macht, die Ausweitung der gemeinnützigen Arbeit.

Es hat wirklich lange gedauert und der verschiedensten Anläufe – damals noch in Bonn – bedurft, bis die Länder, die dieses Anliegen immer vorgebracht haben – Berlin und Hamburg, das weiß ich ganz genau, aber andere natürlich auch –, endlich Gehör gefunden haben, denn in der bisherigen Regierung haben sie das nicht. Nun aber kommt die frohe Kunde aus dem Bundesjustizministerium, daß ein Referentenentwurf zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems fertiggestellt ist. Wir erwarten ihn in Kürze, und er wird – so höre ich – die von uns so dringend gewünschten Veränderungen vornehmen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Herr Professor Karpen, Sie haben das Wort gewünscht, und Sie haben es.

(Dr. Holger Christier SPD: Das ist doch nicht nötig! – Zurufe von der SPD: Gnade, Gnade!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Senatorin und auch Herr Klooß, Sie fragen uns nach den Gründen, warum wir – in der Tat sehr beharrlich – an diesem Thema dranbleiben. Natürlich wissen wir, daß wir kein parlamentarisches Kontrollrecht hinsichtlich Ihrer Gnadenentscheidungen haben. Aber wir als die erste Gewalt haben sehr wohl die Aufgabe, zu schauen, ob eine andere Gewalt ihre Grenzen überschreitet und damit die Verfassung verformt. Das zu sagen war unser erstes Anliegen.

(Uwe Grund SPD: Herr Karpen, wenn es keine Gnade gibt, dann wenigstens Erbarmen!)

Ein zweiter Grund. Wir sprechen ja nicht nur mit Ihnen und den anderen Fraktionen, sondern auch mit Richtern und Staatsanwälten, und da hört man manches ganz anders, als Sie es hier dargestellt haben. Daß Sie das nicht sehen und nicht wissen wollen, zeigt, daß Sie unangemessen und auftrumpfend gegenüber diesen Menschen, nämlich den Richtern und Staatsanwälten, auftreten. Unangemessen gehen Sie auch mit den anderen Gewalten, den nachgeordneten Organen und auch den Einzelinstitutionen um. Das gilt für die Mißachtung des Budgetrechts Ihrer Deputation, das gilt für Ihr Agieren bei der Berufung der Generalstaatsanwältin ebenso wie für Ihren unwürdigen, öffentlichen Umgang mit dem verdienten ehemaligen Generalstaatsanwalt.

(Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit)

(Petra Brinkmann SPD: Thema! – Dr. Roland Sal- chow CDU: Recht hat er!)

Unangemessen und überheblich gehen Sie auch mit den Richtern um.

(Dr. Monika Schaal SPD: Wozu reden Sie eigent- lich?)

Ich rede von dem Gnadenrecht.

(Lachen bei der SPD)

Lassen Sie uns nicht nur unter uns reden, sondern auch die Außenwelt in Betracht ziehen. 32 Richterinnen werden es Ihnen verübeln, wenn Sie sie auslachen. 32 seriöse Richterinnen und Richter haben sich an die Senatorin gewandt und eine Korrektur der Gnadenpraxis verlangt. Sie sehen ihre Spruchtätigkeit durch die Einführung einer nichtrichterlichen Kontrollinstanz entwertet. Auf diese Vorhaltungen der Richter, die überwiegend doch nicht dazu neigen, sich in die Politik einzumischen, haben Sie geantwortet, das sei grob ungehörig, und wenn es den Richtern auch nicht gefalle, müßten sie es akzeptieren, daß diese Fragen einer anderen Instanz zugewiesen seien. Im übrigen würden sie auch nicht informiert.

Ich kritisiere nicht nur Ihren Umgang mit der dritten Gewalt, sondern auch Ihr Verhalten gegenüber der ersten Gewalt, dem Parlament.

(Bettina Kähler GAL: Zum Thema!)

Die unabhängige Kommission – beachten Sie das, meine Damen und Herren – nach dem Hamburgischen Abgeordnetengesetz hat auf Seite 24 in ihrem Bericht über den Status der Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft im vorigen Jahre festgestellt, daß das Auftreten von Senatsmitgliedern gegenüber der Bürgerschaft mitunter Respekt vermissen lasse. Viele Abgeordnete aus allen Fraktionen haben die Attitüde von Senatsvertretern gegenüber der Bürgerschaft als anmaßend, unkooperativ und unangemessen gerügt, Seite 10,

(Wolfgang Baar SPD: Das gilt bei Ihnen aber um- gekehrt! – Mehrere Zurufe)

aus allen Fraktionen, meine Damen und Herren. Es ist unsere Sache, um die es hier geht. Sie wissen, Frau Senatorin, daß damit vor allem Sie gemeint sind.