Protokoll der Sitzung vom 10.05.2000

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Wahl einer oder eines Deputierten der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales – Drucksache 16/4157 –]

Die Stimmzettel finden Sie auf Ihren Plätzen. Auf allen Stimmzetteln befinden sich jeweils drei Felder, und zwar ein Feld für Ja-Stimmen, ein Feld für Nein-Stimmen und ein Feld für Stimmenthaltungen. Ich bitte Sie, die Stimmzettel jeweils mit nur einem Kreuz zu versehen. Weitere Eintragungen und Bemerkungen machen die Stimmzettel ungültig. Auch unausgefüllte Stimmzettel gelten als ungültig. Ich darf Sie nun bitten, die Stimmzettel einzusammeln.

(Die Wahlhandlung wird vorgenommen.)

Sind alle Stimmzettel eingesammelt worden? – Es gibt keinen Widerspruch aus dem Hause. Damit schließe ich die Wahlhandlung und bitte, die Stimmenauszählung durchzuführen. Ich gehe von Ihrem Einverständnis aus, daß wir ohne Unterbrechung mit der Tagesordnung fortfahren. Die Ergebnisse dieser Wahlen werden im Laufe der weiteren Sitzung bekanntgegeben.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 50:Antrag der CDU zur Unterbringung von jugendlichen Intensivtätern.

[Antrag der Fraktion der CDU: Unterbringung von jugendlichen Intensivtätern in pädagogisch-therapeutischen Einrichtungen mit hoher Verbindlichkeit – Drucksache 16/4152 –]

Von wem wird das Wort begehrt? – Das Wort erhält Herr Hesse.

(Dr. Hans-Peter de Lorent GAL: Schlechte Situa- tion!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr de Lorent hat vollkommen recht. Es ist eine gewisse Unruhe nach einem Thema, das natürlich emotional bewegt. Auch jetzt haben wir ein Thema zur Debatte angemeldet, das uns schon lange beschäftigt und mindestens genauso wichtig ist wie das Thema der Roten Flora, das wir hier schon oft debattiert und Argumente ausgetauscht haben. Aber warum, meine Damen und Herren, haben wir das Thema heute angemeldet, um es zu diskutieren? Das liegt daran, daß wir am Horizont einen Schimmer bei der SPD gesehen haben, daß sich im Bereich der Jugendpolitik etwas verändern könnte.

(Unruhe im ganzen Hause – Glocke)

Meine Damen und Herren! Ich bitte um mehr Ruhe. Die kleinen Gesprächsgrüppchen können Ihre Gespräche auch draußen führen.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zu einer Frage, die in der politischen und öffentlichen Diskussion einen außergewöhnlichen Stellenwert einnimmt, die symbolisch – und auch das ist kein Geheimnis – sehr hoch besetzt ist und deshalb sehr häufig zu ganz heißen Debatten geführt hat, die der Situation in Hamburg allerdings nicht gerecht wird.Wir kommen zu einer Debatte, die gerade heute einmal wieder sehr wichtig ist. Ich möchte Ihnen auch schildern, warum.

Obwohl die Enquete-Kommission „Jugendkriminalität“ ihre Endergebnisse noch nicht vorgestellt hat, möchte ich Ihnen gerne schildern, warum wir als Fraktion diesen Antrag vor dem Endbericht gestellt haben, um darüber zu debattieren.

(Dr. Monika Schaal SPD: Weil Sie es wieder mal nicht abwarten können!)

Nein, das ist nicht der Grund. Sie werden es gleich verstehen.

Dafür würde ich mir wünschen, daß wir bei einem solch wichtigen Antrag eine sachliche Debatte führen, die nicht – wie so häufig – von Emotionen und Polemik geprägt ist.

Ergebnisse siehe Seite 3565 D.

Meine Damen und Herren! Bevor ich auf den Antrag eingehe,

(Dr. Holger Christier SPD: Müssen Sie nicht!)

möchte ich eines klar hervorheben: Die Enquete-Kommission, die ihre Arbeit beendet hat, hatte eine sachliche Diskussion. Wir hatten dort sachliche Debatten und fachkundige Wissenschaftler.Ich kann nur aus Sicht der CDU-Fraktion von hier aus ein ganz kräftiges Dankeschön an den Arbeitsstab der Enquete-Kommission sowie an alle Mitglieder der Enquete-Kommission, an die Abgeordneten, aber hauptsächlich auch an die Wissenschaftler und natürlich ihren Vorsitzenden, Professor Kastner, richten.

(Dr.Holger Christier SPD: Wir haben gar keinen Be- richt! Wie kommt denn das? Sie sollten nicht weiter dazu reden! Setzen Sie sich wieder hin! Was soll denn das?)

Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion wird bis zur Vorstellung des Berichts keine weiteren Anträge formulieren.

(Lachen bei Manfred Mahr GAL)

Lachen Sie, Herr Mahr, wir machen das aus Respekt vor der Arbeit der Enquete-Kommission. Wir haben uns aber, Herr Mahr, nicht auf die Fahnen geschrieben, wie Sie oder die SPD, während der Arbeit der Enquete-Kommission nichts in der Jugendpolitik zu tun. Wir haben weitergearbeitet, wir haben weitere Anträge gestellt. Wir laufen hier nicht mit einem Heiligenschein herum wie die SPD, die vor kurzem einen Parteitag hatte, auch bevor die EnqueteKommission ihre Arbeit beendet hatte, und dort reichlich Anträge verabschiedet hat.

(Beifall bei der CDU)

Gerade das, meine Damen und Herren, ist der Grund, warum wir heute diesen Teilaspekt diskutieren müssen.Die CDU ist nicht in Zeitdruck, diesen Antrag vor dem Endbericht der Enquete-Kommission einzubringen. Wir hätten auch noch zwei Wochen warten können.Wir warten schon 20 Jahre, daß sich endlich in dieser Stadt in dieser Sache etwas tut, aber es tut sich nichts. Deswegen liegt es nicht an den zwei Wochen. Ich hätte mich gefreut, wenn dieser SPD-Parteitag nicht so frühzeitig gewesen wäre und man respektiert hätte, daß die Arbeit der Enquete-Kommission rechtzeitig zu Ende geht.

(Anja Hajduk GAL: Das ist doch lächerlich!)

Meine Damen und Herren! Sie wollen es nicht verstehen. Deswegen werde ich es Ihnen etwas genauer erläutern.

Die Arbeit der Enquete-Kommission endete mit einem Endbericht am 12. April. Dort war die letzte Sitzung dieser Enquete-Kommission.In dieser Sitzung haben sich dann auch – und das ist wirklich ein Phänomen – diverse Wissenschaftler, die von der SPD benannt wurden, einem Papier von Professor Ahrbeck von der Humboldt-Universität in Berlin angeschlossen, das als Teilaspekt auch die Unterbringung von jugendlichen Intensivtätern in pädagogischtherapeutischen Einrichtungen mit hoher Verbindlichkeit beinhaltete.

Nur vier Tage später – und das ist bestimmt kein Zufall – hat sich dann die SPD auf ihrem Landesparteitag genau mit diesem Thema beschäftigt und einen Antrag des SPD-Landesvorstandes beschlossen. Der lautet – ich zitiere –:

„Vor einer möglichen Verurteilung stellt die U-Haft die Ultima ratio dar. Deshalb kommt für eine geringe Zahl von

(Vizepräsidentin Sonja Deuter)

jugendlichen Intensivtätern auch die Unterbringung in einer Einrichtung mit hoher Verbindlichkeit in Betracht, deren Verlassen den Jugendlichen auch zum Schutz der Gesellschaft nur nach sichtbaren erzieherischen Erfolgen und unter strengen Auflagen erlaubt wird.“

Herzlichen Glückwunsch kann ich dazu nur sagen.

Meine Damen und Herren! Diesen Beschluß vom SPD-Parteitag finden wir wieder, und wo finden wir ihn wieder? In dem Papier, das Professor Ahrbeck, der von der CDU in diese Enquete-Kommission berufen wurde, mit Mehrheit in dieser Enquete-Kommission abgestimmt hat, denn dort steht:

„Die heutigen Einrichtungen mit einer verbindlichen Unterbringung sind als pädagogisch-therapeutische Intensivabteilung zu charakterisieren. Sie stellen bei guter Ausstattung und sorgfältiger Indikation ein ethisch verantwortbares, pädagogisch wirksames Hilfsmittel dar, das dringend benötigte Betreuungs- und Erziehungsaufgaben auch dann noch übernehmen kann, wenn dies anderswo nicht mehr möglich ist.“

Das ist absolut das gleiche, meine Damen und Herren. Der SPD-Landesvorstand hat hier abgeschrieben; vier Tage nachdem die Enquete-Kommission ihren Endbericht vorgelegt hat.

(Beifall bei der CDU – Dr.Holger Christier SPD:Das ist doch alles langweilig, was Sie erzählen!)

Herr Christier, ich kann das gerne für Sie noch etwas deutlicher machen, denn Sie haben in der Enquete-Kommission auch Ihre Abgeordneten:

(Dr.Holger Christier SPD: Lassen Sie es doch nach zu reden! Warten Sie den Bericht ab!)

Frau Dr.Hilgers, die sich eben zu Wort gemeldet hatte, Herr Neumann, Frau Rogalski-Beeck und Herr Kahlbohm haben wenige Tage bevor dieser SPD-Parteitag stattgefunden hat, etwas ganz anderes beschlossen.Sie haben nämlich in der Enquete-Kommission beschlossen:

„Eine verbindliche Unterbringung wird in Hamburg kompromißlos abgelehnt, obgleich unstrittig ist, daß es Kinder und Jugendliche gibt, die in besonderen Krisen- und Gefährdungssituationen durch das offene System nicht erreicht werden.“

Das haben Ihre SPD-Abgeordneten in der Enquete-Kommission unterstützt. Sehen Sie da einen Zusammenhang zu dem, was auf Ihrem Parteitag beschlossen wurde? Ich glaube, eher nicht, und ich weiß, das tut Ihnen auch weh.

(Antje Möller GAL:Zu welchem Thema reden Sie ei- gentlich? – Zuruf von Carmen Walther SPD)

Meine Damen und Herren! Man könnte der SPD fast zu diesem revolutionären Beschluß auf dem Landesparteitag gratulieren, wenn es nicht die – und das ist für die SPD untypisch – große Zustimmung gäbe. Aus der Zeitung habe ich entnommen, daß es eine Gegenstimme zu dem Kompromißvorschlag dieses Landesvorstandes gab bei vielleicht zwei, drei oder zehn Enthaltungen – ich weiß es nicht, das ist auch egal –, denn die anschließenden Interpretationen des Beschlusses durch Ihre Abgeordneten, Herr Christier, die hier im Parlament sitzen, lassen eigentlich keine Schlußfolgerungen zu, als daß das, was dort beschlossen wurde, absolut schwammig und nicht interpretierbar ist. Fakt ist: Der SPD-Landesvorstand hat es geschafft, daß weder der rechte noch der linke Flügel Ihrer

Partei weiß, woran er ist, und die zuständigen Behörden weiterwurschteln können und es auch werden.

(Dr.Holger Christier SPD: Warten Sie doch den Be- richt ab, dann reden wir weiter!)

Es fehlt nicht an Gutachten und Erkenntnissen in dieser Stadt, sondern es fehlt an politischem Willen und auch am Willen, Herr Christier, zur Veränderung. Was Sie auf Ihrem Parteitag gemacht haben, ist Schadensbegrenzung auf Kosten notwendiger Veränderungen in der Jugendpolitik.