Protokoll der Sitzung vom 06.09.2000

Frau Senatorin, Sie haben in den letzten Jahren viel versprochen. Auch heute haben Sie wieder Versprechungen gemacht, daß der Haushalt vielleicht noch im Jahre 2000 oder 2001 ausgeglichen werden könne. Vor zwei Jahren haben Sie hier schon gestanden und sich zum Haushalt 2001, über den wir heute sprechen, prophetisch geäußert. Damals sagten Sie, daß nach Ihren Berechnungen der Betriebshaushalt 2001 Überschüsse abliefern würde. Die Realität ist aber ein Defizit von 380 Millionen DM, obwohl es erhebliche Steuermehreinnahmen gibt. Das ist Ihrer Politik zuzuschreiben und niemandem sonst.

(Beifall bei der CDU – Petra Brinkmann SPD: Leere Worte!)

Die Finanzpolitik des Senats besteht aus leeren Worten und leeren Versprechungen. Die Steuermehreinnahmen sind wirklich gewaltig. Wir haben die Mehreinnahmen aus den Jahren 1998 bis 2001 zusammengerechnet und kommen dabei auf 2,5 Milliarden DM. Noch einmal: In die Kassen der Stadt sind 2568 Millionen DM an Mehreinnahmen geflossen. Die Reduzierung der bereinigten Gesamtausgaben von 1997 bis heute beträgt 155 Millionen DM. Den Löwenanteil der vorgenannten Mehreinnahmen machen die Steuermehreinnahmen aus, wofür nicht Sie, sondern die Wirtschaft und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieser Stadt die Verantwortung tragen. Denn wir verdanken es ihnen, daß die Steuerquellen gegenwärtig glücklicherweise so sprudeln.

(Senatorin Dr. Ingrid Nümann-Seidewinkel)

Tatsächlich befinden Sie sich, was die Wirtschaft angeht, eher in einer Dunkelzone. Es gibt eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung, der Essener RWE AG und des Wirtschaftsmagazins „Impulse“. Das sind Organisationen, die die unternehmerfreundlichste Stadt in Deutschland gesucht haben. Es wurden dafür Kriterien aufgestellt, die kommunale Wirtschaftsförderung, Stadtverwaltung und Stadtregierung zu durchleuchten und am Ende eine Rangordnung der wirtschafts- und unternehmerfreundlichsten Städte zu ermitteln. 25 Städte sind getestet worden; Hamburg kam dabei auf Platz 17.

(Rolf Kruse CDU: Platz 17 ist ein Abstiegsplatz!)

Das bedeutet die zweite Liga.

Wir müssen uns bei der Wirtschaft, der wir die Steuermehreinnahmen zu verdanken haben, und den Arbeitnehmern, die mit dazu beitragen, daß es diese Steuermehreinnahmen gibt, und nicht bei Ihnen vom Senat bedanken. Es gibt diese Steuermehreinnahmen nicht wegen, sondern trotz dieses Senats.

(Beifall bei der CDU)

Zu allem Überfluß hat die Finanzbehörde eine von Steuerzahlern finanzierte Jubelbroschüre über das Steuerentlastungsgesetz von 1999 herausgegeben.

(Ingrid Cords SPD: Aber auf chlorfreiem Papier!)

Darin wird zum Ausdruck gebracht, wie toll die rotgrüne Bundesregierung seit dem Regierungswechsel in 1998 das Ganze auf den Weg gebracht hat. Es ist verblüffend, Frau Senatorin, daß Sie solche Broschüren auflegen. Ich möchte einmal zitieren, was Sie vor zwei Jahren in der Haushaltsdebatte 1998 als Voraussetzung zur Zustimmung zu der von Theo Waigel vorgelegten Steuerreform genannt haben:

„Aufkommensneutralität bei den Steuerumgestaltungen. Es ist unstrittig, daß wir eine Reform des Steuersystems brauchen. Ebenso klar ist aber auch, daß es besonders aus Sicht der Länder und Gemeinden Steuersenkungen nur bei einer seriösen und ausreichenden Gegenfinanzierung geben kann.“

(Beifall bei Norbert Hackbusch REGENBOGEN – für eine neue Linke)

Jetzt haben wir die Steuerreform, aber sie ist nicht von Herrn Waigel, sondern von Rotgrün. Sie ist überhaupt nicht gegenfinanziert, sondern belastet die Hansestadt Hamburg in diesem Jahr mit 700, in 2002 mit 290, in 2003 mit 480, in 2004 mit 480 und in 2005 mit 1000 Millionen DM. Nichts ist gegenfinanziert. Sie haben die Steuerreform damals abgelehnt, weil sie von einer anderen Partei kam. Jetzt tun Sie genau das Gegenteil von dem, was Sie vor zwei Jahren versprochen haben.

(Beifall bei der CDU)

Es ist gelegentlich interessant, was Finanzpolitiker vor zwei Jahren gesagt haben und was die rotgrüne Bundespolitik an „Segnungen“ für den Hamburger Haushalt bereithält. Der Hamburger Haushalt leidet durch Beschlüsse der rotgrünen Bundespolitik. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen im Bereich des Wohngeldes, des Unterhaltsvorschusses, der Arbeitslosenhilfe, der Mittel der Kürzungen für die Bereitschaftspolizei, die auch die Hansestadt treffen. Es gibt zudem Reduzierungen bei den Sozialversicherungsbeiträgen von Arbeitslosen und Streichungen beim Straßenbau, bei den Schienenwegen, bei der Agrarstruktur und beim

Küstenschutz sowie massive Streichungen bei Zivildienstleistenden, die wiederum auf den Hamburger Haushalt durchschlagen.Viele dieser Maßnahmen treffen den Hamburger Haushalt direkt. Rotgrün in Berlin greift in unsere Kasse.

Auch das widerspricht dem, was Sie uns vor zwei Jahren versprochen haben, daß nämlich eine andere Bundesregierung die Hamburger Haushaltslage verbessern würde. Das Gegenteil ist der Fall. Tatsächlich wird der Hamburger Haushalt in dem von mir genannten Umfang massiv durch Rotgrün belastet.

Die Kerndaten dieses Haushalts sind ernüchternd. Die Rekordstaatsverschuldung in Höhe von 34,6 Milliarden DM ist eine Summe, die sich ein Normalbürger nicht vorstellen kann.Ich möchte darauf hinweisen, daß dies 34,6 Millionen Tausendmarkscheine bedeuten.Wenn man diese Scheine aneinanderlegen würde, ergäbe sich daraus eine Strecke von 6124 Kilometern.

(Dr. Martin Schmidt GAL: Wie ist das denn bei Hun- dertmarkscheinen?)

Das sage ich, um einmal die Dimension bildlich zu machen. Die Zinsen betragen 2 Milliarden DM und sind damit deutlich höher als die Investitionen. Diese Schieflage ist nur bei wenigen Bundesländern zu beklagen; Hamburg liegt auch hier an der negativen Spitze.

Pro Einwohner wurden im Jahr 1999, in dem ein Vergleich unter den Bundesländern durchgeführt wurde, 1124 DM an Zinsen pro Kopf ausgegeben. Hier liegt Hamburg hinter Bremen bundesweit an der Spitze.

(Rolf Kruse CDU: Die sind ja auch pleite! – Gegen- ruf von Dr.Martin Schmidt GAL: Die werden ja auch von der CDU regiert!)

Nur Bremen zahlt mehr Zinsen.

Die Personalausgaben sind aber weitgehend nicht durch echte Einsparungen reduziert worden, sondern dadurch, daß Sie ganze Verwaltungsbereiche, ob Stadtentwässerung, Stadtreinigung, Krankenhäuser, pflegen & wohnen, in Nebenhaushalte ausgegliedert haben. Die Personalkosten bilden sich nicht mehr im Kernhaushalt ab, sondern werden in den Nebenhaushalten der Anstalten des öffentlichen Rechts versteckt. Diese Ausgaben belasten die steuerzahlenden Bürger bei den Nebenhaushalten genauso wie im Kernhaushalt; sie sind nur versteckt.

(Dr. Martin Schmidt GAL: Warum reden Sie eigent- lich immer zur CDU?)

Auch der Rechnungshof hat Ihnen im Bericht 2000 deutliche Worte eingestellt.Ich zitiere aus Seite 11 des Berichts:

„Trotz erheblicher Konsolidierungsleistungen hat sich der finanzielle Handlungsspielraum Hamburgs im Vergleich zu 1993 nicht verbessert. Insbesondere Höhe und der weitere Anstieg der Verschuldung sowie die damit einhergehende Zinsbelastung drohen die Stadt in ihrer Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit zu lähmen.“

Das sagen nicht wir, sondern der Rechnungshof. Dies zum Stolz auf Ihren Haushalt. Zeit für Entwarnung gibt es nicht, zumal sie die Deckungslücken der vergangenen Jahre ausschließlich aus sogenannten Mobilisierungserlösen der Veräußerung von Staatseigentum realisieren konnten. Über 8 Milliarden DM aus Verkaufserlösen sind nicht etwa für Zukunftsinvestitionen genutzt worden oder um die Staatsverschuldung zurückzuführen, sondern um die Lö

(Dr. Michael Freytag CDU)

cher im Betriebshaushalt zu stopfen. Damit ist dieses wertvolle Vermögen für die Stadt unwiderruflich verloren.

Wir haben eine ganze Reihe von Finanz-Benchmarks – die ich jetzt nicht im einzelnen aufführen will –, bei denen Hamburg deutlich schlechter abschneidet als andere Bundesländer und Kommunen. Die Kreditfinanzierungsquote ist deutlich angestiegen und viel schlechter als der Durchschnitt der anderen Länder und Kommunen. Das gleiche gilt auch für die Staatsverschuldung und die Finanzierungsdefizitquote. Auch hier ist Hamburg um ein Mehrfaches schlechter als die anderen Bundesländer.

Die Pensionslasten sind nach wie vor eine tickende Zeitbombe. Sie haben diese Bombe nicht entschärft. Sie stellen nach den Zinsen einen erheblichen Ausgabenblock dar. Im Jahr 1999 betrugen diese Ausgaben 1,5 und heute bereits 1,73 Milliarden DM. Jährliche Zuwachsraten bei den Pensionslasten von etwa 5 Prozent führen dazu – wenn nichts geschieht –, daß der Haushalt an den Rand seiner Möglichkeiten gedrängt wird.Auch dies hat Ihnen der Rechnungshof konstatiert; dennoch ist nichts Wesentliches geschehen. Beim vorzeitigen Ruhestand wird im großen Stil so weitergemacht wie bisher; zwei Drittel aller Hamburger Staatsdiener werden vorzeitig pensioniert. Auch das erhöht die Versorgungslasten immens. Es wurde von Ihnen kein Mittel gefunden, diese Entwicklung zu stoppen.

Auch die Anstalten des öffentlichen Rechts haben Pensionsrückstellungen zu bilden. Das ist aber nur in sehr unzureichender Form geschehen. Etwa 1,5 Milliarden DM notwendiger Pensionsrückstellungen erscheinen mangels Masse überhaupt nicht auf den Passivseiten der Bilanzen bestimmter ausgegliederter Anstalten des öffentlichen Rechts. Wenn nichts geschieht, sehe ich hier erhebliche Risiken für diesen Haushalt. Die Zeche hierfür wird am Ende die Stadt zahlen müssen.

Ihre Beweihräucherung, wieviel Sie an Personal abgebaut haben, kann ich nicht teilen. Der Rechnungshof hat Ihnen in seinem letztjährigen Bericht doch deutlich ins Stammbuch geschrieben, daß bereinigt um die Ausgliederungen seit 1980 tatsächlich nur etwa 2700 Stellen eingespart worden sind, also 10 Prozent von dem, was im Haushaltsplan als eingespart ausgewiesen worden ist. Der Rest ist versteckt in den ausgegliederten Nebenhaushalten; das ist keine nachhaltige Konsolidierung.

Wir reden hier häufig über Finanz-Benchmarks, über mehr oder weniger trockene Zahlen. Ich möchte aber deutlich machen, daß Finanzpolitik nicht irgendeine abstrakte Mathematik ist, die von wenigen als ein von ihnen auserkorenes Hobby betrieben wird. Ohne finanzielle Ausstattung ist der Staat in seinen wesentlichen Handlungsbereichen nicht lieferfähig, kann nicht agieren. Er setzt sich auch erheblichen Gefahren aus, über die wir vorhin gesprochen haben.

Hamburg hat für viele wichtige Bereiche kein oder nicht ausreichend Geld. Ich halte es für außerordentlich problematisch, daß im Bereich der Inneren Sicherheit erhebliche Sparmaßnahmen zu Lasten von Bereichen realisiert worden sind, in denen der Bürger direkt betroffen ist.Von 1994 bis 2000 wurden durch erhebliche Einsparungen die Stellen im Polizeivollzugsdienst von 8863 auf 7996 reduziert. Allein im Jahr 2000 sind 93 Polizeimeister und -hauptmeister und 13 Brandmeister und -hauptbrandmeister eingespart worden.Im Jahr 2001 sollen in diesen Bereichen weitere 84 Stellen gestrichen werden.

Man darf nicht, so wie Sie es tun, bei der Bekämpfung der Kriminalität, bei der Steigerung der Sicherheit der Bevöl

kerung, die ihnen das Gefühl gibt, daß sie in einem Rechtsstaat leben, der jederzeit in der Lage ist, das Recht auch durchzusetzen, im Polizeivollzug sparen. Sie versündigen sich am Rechtsstaat, wenn Sie nicht nur ein subjektives Sicherheitsgefühl reduzieren, sondern der Bevölkerung auch objektiv nicht ausreichend Polizei zur Seite stellen. Dies zählt auch zur Schattenseite Ihrer Einsparungs- und verfehlten Haushaltspolitik, bei der Inneren Sicherheit massiv zu sparen, obwohl wir es dort genau nicht dürfen.

(Beifall bei der CDU)

Hamburg hat auch zu wenig Geld im Bereich der Justiz. Wenn Sie sich ansehen, was in diesem Bereich passiert, werden Sie bei vielen Bürgern, die nicht nur mit der Strafjustiz in Berührung kommen, sondern auch Rechtsschutz an unseren Gerichten suchen, Frustrationen erleben. Ich spreche hier nicht über irgendein Gut, sondern über einen Kernbestand des Rechtsstaates. Allein die Dauer der Verfahren in den einzelnen Gerichtszweigen hat wegen der Sparmaßnahmen und der unzureichenden Ausstattung mit Richtern und anderem Personal teilweise Ausmaße erreicht, die nicht erträglich sind.

Wenn die Bürger beim Finanzgericht im Jahre 1999 für die Abwicklung eines Verfahrens durchschnittlich 20 Monate, beim Sozialgericht über zwei Jahre – nämlich zwei Jahre und zwei Monate – und beim Landessozialgericht über zwei Jahre brauchen, bis sie Rechtsschutz erhalten haben, dann ist dies unerträglich. Auch dies ist eine Schattenseite der verfehlten Haushaltspolitik, die für wichtige Servicebereiche der Bürger kein Geld mehr hat.

(Beifall bei der CDU)

Die Einsparungen im Justizbereich sind bedauerlich. Insbesondere sind sie dort erheblich, wo Richter Dienstleistungen für die Bürger erbringen. Allein im Jahr 2000 – daran möchte ich Sie noch einmal erinnern – haben Sie 14 Richter und vier Staatsanwälte eingespart.Das ist in der Tat der falsche Weg.

Mein Kollege Karpen hat eine Kleine Anfrage gestellt, um zu erfahren, wie viele Untersuchungshäftlinge, die teilweise schwerster Verbrechen wie Mord, Totschlag oder Vergewaltigung verdächtigt sind, in den letzten Jahren entlassen werden mußten, weil man das Verfahren nicht hinbekommen hat. Es waren in den letzten zehn Jahren immerhin bedauerliche 31 Fälle. Auch dies ist unerträglich und den Bürgern in einem Rechtsstaat nicht mehr zu vermitteln. Ein Staat, der es sich leistet, nicht einmal eine Untersuchungshaft ordnungsgemäß durchzuführen, ist ein Staat, der sich in Richtung Nachtwächterstaat bewegt. Frau Senatorin, es ist jedenfalls kein Staat, auf dessen Haushaltsgebaren man stolz sein kann. Das ist peinlich.

(Beifall bei der CDU)

Auch im Bildungsbereich sind alles andere als Erfolge zu vermelden. Sie müssen Hamburg einmal mit anderen Metropolen, anderen Bundesländern vergleichen und sich die Zahlen vor Augen führen. Das ist nicht berauschend. Es ist schon beklemmend, wenn der Bürgermeister große Sonntagsreden hält, welche Aufbrüche er bei der Wissensgesellschaft für richtig hält.Zwar sind Passagen enthalten, die ich durchaus mittragen kann. Nur halte ich es für unerträglich – ich weiß, wovon ich spreche, denn ich habe drei schulpflichtige Kinder –, wenn ich sehe, was an den Schulen passiert, wieviel dort noch getan werden müßte, aber kein Geld vorhanden ist. Im Gegenteil, es werden im Jahr 2000 noch zwölf Lehrer an den Schulen eingespart.Das ist

(Dr. Michael Freytag CDU)