Protocol of the Session on September 20, 2000

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Meine Damen und Herren! Die Beantwortung der Großen Anfrage wirft viele neue Fragen auf und sollte uns, denke ich, zu weiteren politischen Initiativen ermuntern.Wenn wir aber künftig auf diesen Deliktsfeldern Erfolge erzielen wollen und die personellen und materiellen Ressourcen zielgerichteter und sinnvoller einsetzen wollen, benötigen wir

eine geordnete Erkenntnissammlung und eine seriöse Dunkelfeldforschung. Es ist zwar sicher nicht sinnvoll und auch zu aufwendig und zu teuer, zu jedem Straftatbestand alle möglichen verfügbaren Daten zu sammeln, auszuwerten und in Statistiken zusammenzufassen, aber es ist angesichts der hohen Sozialschädlichkeit der angesprochenen Verhaltensweisen im kriminellen und grauen Kapitalmarkt überhaupt nicht einzusehen, warum entsprechende Erkenntnisse über Unternehmen nicht systematisch ausgewertet werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Weise.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die heute vorliegende Antwort des Senats auf die Große Anfrage der GAL-Fraktion betreffend die Wirtschafts- und Umweltkriminalität in Hamburg liefert uns jede Menge Fakten zu allgemeinen und speziellen Fragen rund um beide Themenfelder. Das können wir beim Umfang der Drucksache mit bloßem Auge erkennen. Ob und inwieweit sich hieraus politische Rückschlüsse und Forderungen ableiten lassen, bleibt aber aus meiner Sicht offen. Das Auflisten der verschiedenen Stellenkegel und inhaltlichen Zuständigkeiten ist zwar interessant, aber viel mehr läßt sich daraus nicht ableiten. Darüber hinaus mußten viele Fragen nach statistischen Zusammenhängen – im übrigen für beide abgefragten Bereiche – offenbleiben, weil es die entsprechenden Statistiken nicht gibt. Eine Einschätzung, wie gut die verschiedenen Bereiche von Wirtschaftsstraftaten tatsächlich bekämpft werden und wieviel im Dunkeln bleibt, ist daher nur begrenzt möglich.

In diesem Zusammenhang möchte ich eine Bemerkung zum vorhandenen Datenmaterial machen. Die Fallzahlen sind bei einigen der im Anhang aufgeführten Statistiken gering und lassen statistische Aussagen über Zunahmen oder Verringerungen von bestimmten Straftaten über die Jahre hinweg gar nicht zu.Wenn zum Beispiel bei der Abfall-Einund -Ausfuhr zwischen 1998 und 1999 eine prozentuale Zunahme um 400 Prozent zu verzeichnen ist, klingt das besorgniserregend. Tatsächlich wurden aus einem Fall im nächsten Jahr fünf. Andererseits gab es bei Vermögensdelikten, beim Betrug und beim Kapitalanlagebetrug im Jahre 1997 Fallzahlen von mehr als 18 000 beziehungsweise 19 000. In allen übrigen Jahren des Berichtszeitraums lagen die Zahlen im zwei- oder dreistelligen Bereich.

Hier ist klar, daß es sich im wesentlichen um die Aufdeckung einer einzigen großen Betrugsaktion gehandelt hat, nämlich um die Vernichtung von 300 Millionen DM von rund 25 000 Anlegern, die durch die Hanseatische AG – man erinnert sich vielleicht noch an diesen Namen – geschädigt wurden. Darüber hinaus sind natürlich auch Hamburger Bürger – wahrscheinlich in nicht geringem Umfang – Opfer von Wirtschaftskriminalität außerhalb Hamburgs geworden. Ich erinnere an die großen Fälle von Wirtschaftskriminalität der vergangenen Jahre wie „Balsam“ – Sportbodenbelag – oder „Flowtex“, die in den Statistiken nicht genannt werden.

Positiv ist in jedem Fall der Hinweis, daß Hamburg bei der Fortbildung für Wirtschaftskriminalisten bundesweit hochanerkannt ist und darüber hinaus zahlreiche Möglichkeiten für entsprechende Fortbildung auch gemeinsam mit außerhamburgischen Institutionen und Einrichtungen sowohl im

(Manfred Mahr GAL)

polizeilichen als auch im juristischen Arbeitsfeld anbietet. Was hier zu tun ist, wird also getan.

Ich habe meinen politischen Schwerpunkt in der Umweltpolitik und werde deshalb im folgenden in erster Linie auf die die Umweltkriminalität betreffenden Ergebnisse der Großen Anfrage eingehen.

Zunächst läßt sich der Eindruck gewinnen, die Umweltkriminalität in Hamburg sei im Vergleich zur Wirtschaftskriminalität deutlich geringer. Das wird aus den Tabellen im Anhang deutlich. Sowohl bei den insgesamt bekannt gewordenen Straftaten als auch hinsichtlich der verschiedenen Deliktsgruppen im Umweltbereich bleiben die Fallzahlen sehr weit hinter denen bei den wirtschaftskriminellen Straftaten zurück.Oft liegen sie über die Jahre sogar nur im einstelligen Bereich.

Deutlich an der Spitze der Umweltstraftaten liegt der unerlaubte Umgang mit gefährlichen Abfällen, gefolgt von Straftaten betreffend die Verunreinigung eines Gewässers. So nennt der Senat in seiner Antwort die Gesetzesverstöße im Zusammenhang mit illegaler Abfall- und Abwasserbeseitigung als die wesentlichen im abgefragten Zeitraum. Trotz allem ist Hamburg bei den Straftaten im Zusammenhang mit unerlaubter Abfallbeseitigung im bundesweiten Vergleich eher unterdurchschnittlich betroffen. Während bundesdurchschnittlich 74 Prozent der Umweltstraftaten hierunter fallen, liegt der Anteil in Hamburg nur bei 48 Prozent.Weil Hamburg aber mit Sicherheit kein geringeres Abfallproblem als andere Länder und Kommunen hat, könnte eine der Ursachen für diese Tendenz zum Beispiel in der Einrichtung einer speziellen Dienststelle bei der Polizei – konkret bei der Wasserschutzpolizei – liegen. Deren Schwerpunkt liegt bei der Verfolgung von Umweltstraftaten, die beim Betrieb von Unternehmen durch deren Beschäftigte begangen werden.

Positiv zu vermerken ist im übrigen auch, daß das Umweltstrafrecht insoweit verschärft wurde, daß die sogenannten abstrakten Gefährdungsdelikte eingeführt worden sind. Das bedeutet: Wer beispielsweise genehmigungsbedürftige Anlagen in der Kerntechnik betreibt, für die keine Genehmigungen vorliegen, kann bereits allein aufgrund der potentiell hiervon ausgehenden Gefährdung empfindlich bestraft werden und nicht erst dann, wenn bereits ein Störfall aufgetreten ist. Probleme bleiben natürlich trotz allem, und nicht alle Fragen sind zur Zufriedenheit gelöst. Zum Beispiel ist es bisher nicht gelungen, bundeseinheitlich den Abfallbegriff und die Ausgestaltung der Produktverantwortung zu regeln. So versucht die natürlich überregional agierende Abfallwirtschaft immer wieder, aus Kostenersparnisgründen billigere und oft ökologisch fragwürdige Verwertungswege zu beschreiten, um sich der aufwendigen Beseitigung in ökologisch hochanspruchsvollen Entsorgungsanlagen zu entziehen. Hier werden beispielsweise im Rahmen von Bundesratsinitiativen weitere Anstrengungen notwendig sein, um solchem Verhalten künftig einen Riegel vorzuschieben.

Viele Tabellen, viele Zahlen.

(Präsidentin Dr. Dorothee Stapelfeldt übernimmt den Vorsitz.)

Die Umweltkriminalität spiegelt sich als eher geringes Problem wider. Ist mit der Umwelt alles in Ordnung? Das, was uns als Großstadtbewohner als Umweltverschmutzung ärgert und von uns manchmal nur unbewußt wahrgenommen wird, liegt unterhalb der Schwelle des Strafgesetzbuches: zum Beispiel auf die Straße geworfene Getränkedosen,

Pappteller, Bonbonpapiere, Zigarettenstummel, Kaugummiplacken oder beschmierte Wände oder auch klingelnde Handys.Das beste Umweltstrafrecht hilft nicht weiter, wenn der Gesellschaft die notwendige Sensibilität für unerlaubte Abfallbeseitigung verlorengeht.

(Beifall bei Dr. Monika Schaal und Michael Dose, beide SPD)

Hier sind wir alle gefordert, unseren Teil hin zu einer ökologischeren und sauberen Umwelt zu leisten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort hat Herr Vahldieck.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Mahr hat natürlich in einem Punkt recht.

(Uwe Grund SPD: In mehreren!)

Wirtschaftskriminalität wird von der Bevölkerung erheblich weniger als Problem wahrgenommen als andere Kriminalitätsarten.Straßenraub, Alltagskriminalität, all diese Dinge, werden von der Bevölkerung als gravierendes Problem wahrgenommen. Das, was sich im Bereich der Wirtschaftskriminalität abspielt, ist scheinbar nicht so wichtig. Wenn es einen dann allerdings erwischt, wenn man an einen Kredithai oder einen Anlagebetrüger – einer von diesen Herren sitzt gerade in Südafrika – geraten ist, dann sieht man, daß das Ganze doch ein Problem ist; für unsere Volkswirtschaft allemal. Insofern ist es wichtig und richtig, sich auch in diesem Parlament mit diesen Fragen zu befassen.

Allerdings, Herr Mahr, Ihre Euphorie hinsichtlich dieser Anfrage kann ich nicht ganz teilen. Sie ist zwar eine hervorragende Fleißarbeit sowohl der Fragenden als auch der Antwortenden, aber das Ganze war aus meiner Sicht nicht besonders ertragreich. So häufig, wie in dieser Anfrage, habe ich noch nie den Satz gelesen „darüber werden keine Statistiken geführt“. Ich habe bei 25 aufgehört zu zählen, und da hatte ich noch nicht einmal die Hälfte der Anfrage durchgeblättert. Worüber alles keine Statistiken geführt werden, füllt Bände.

(Manfred Mahr GAL: Das habe ich doch gesagt!)

Ich weiß nicht, ob man das kritisieren sollte, denn das Führen von Statistiken ist nicht die Hauptaufgabe der Polizei. Ihre Hauptaufgabe sollte es sein, Kriminalität zu bekämpfen. Daß man dafür auch Vorfeldforschungen unternehmen muß und dafür bestimmte Erkenntnisse benötigt, ist völlig klar. Aber wenn über das, was Sie alles abfragen, Statistiken geführt werden, müßten Dutzende von Polizisten Tag und Nacht Statistik führen. Das stelle ich mir nicht unter Polizeiarbeit vor.

(Uwe Grund SPD: Manchmal muß man auch die Statistiken bekämpfen!)

Ständig wurde gefragt, wenn ihr es schon nicht genau wißt, wie schätzt ihr dann die Lage? Schätzungen, meine Damen und Herren – falls Sie die Anfrage nicht gelesen haben –, nehme ich niemandem übel. 70 Seiten zu lesen ist an der Grenze des Zumutbaren für einen Feierabendparlamentarier, und nicht nur für den.

(Manfred Mahr GAL:Das müssen Sie schaffen! und Zuruf von Farid Müller GAL)

Haben Sie es gelesen, Herr Müller? Seien Sie ehrlich, Sie interessieren sich doch für die Wirtschaft.

(Helga Weise SPD)

(Farid Müller GAL: Ja!)

Wir wollen das nicht hinterfragen. Ich gehe davon aus, daß jeder von Ihnen das natürlich gelesen hat.

Schätzungen nimmt der Senat aber nicht gerne vor, weil er meint, das sei nicht seriös. Recht hat er. Man benötigt feste Zahlen, und die liegen nicht vor.Auch die ausführlichen Abhandlungen über Rechtsfragen über die Paragraphen 16 und 34 Gewerbeordnung waren sehr interessant, hatten aber mit Politik nur am Rande zu tun. Auch die rechtspolitischen Äußerungen über Unternehmensstrafrecht waren interessant, aber ich weiß nicht, welche Schlüsse man daraus ziehen soll.

(Uwe Grund SPD: Welche ziehen Sie denn?)

Ich weiß es nicht.Für mich war es überzeugend, daß man keinen Straftatbestand Unternehmensstrafrecht einführen will, aber darüber kann man in der Tat diskutieren.

Zwei Punkte waren aber wichtig, und die sind in der Anfrage auch offen angesprochen worden. Im Bereich der Wirtschaftskriminalität sind bei der Kriminalpolizei 22 Stellen nicht besetzt. Das ist ein Faktum.

(Manfred Mahr GAL: Das ist eben einfache Politik!)

Das ist nicht einfach, das ist ein Faktum.

Hier fehlen 22 Leute, die Kriminalität bekämpfen könnten und nicht Statistiken führen.Daran sollten wir den Erfolg der Politik messen.

(Beifall bei der CDU)

Um bei diesem Thema zu bleiben: Auch bei der Staatsanwaltschaft, bei der Spezialeinheit, die sich mit Wirtschaftskriminalität befassen soll, sind zwei Stellen unbesetzt. Wir werden diesen Fragen nachgehen. Das Thema ist zu wichtig, als daß man diese Stellen unbesetzt lassen kann.