Herr Abgeordneter, wenn ich klingele, hören Sie bitte auf zu reden.Ich bitte Sie, sich an den parlamentarischen Sprachgebrauch zu halten. Sie haben vorhin auch schon – fast – einen Verstoß dagegen gehabt. Persönliche Verunglimpfungen gehören nicht zu unserem Sprachgebrauch.
(Wolfhard Ploog CDU: Wir sind verunglimpft wor- den! – Ole von Beust CDU: Polemisch darf man sa- gen!)
Mit Ihrer Rede, Frau Senatorin, haben Sie der Toleranz in Wahrheit einen schlechten Dienst erwiesen.
Ihre Rede war lediglich davon geprägt, aus diesem Thema Ihren parteipolitischen Vorteil herauszuziehen. Das lehne ich ab, wenn es darum geht, breite gesellschaftliche Akzeptanz hinzubekommen. Sie benutzen das Wort „Diskriminierung“ als politischen Kampfbegriff.Mit einem Furienritt sind Sie über steuer- und sozialrechtliche Themen hinweggegangen, als seien wir im Raubritterwesen, und haben statt der Gleichberechtigung der Gleichmacherei das Wort geredet.
In Wahrheit ist diese Debatte nötig, um einerseits über die Toleranz in der Gesellschaft zu reden und andererseits darüber, wie wir tatsächlich den Bedürftigen, nämlich Kindern mit Familien, in diesem Land besser helfen können.
Das ist das zweite Thema. Bevor wir Gelder und Sozialleistungen auf anderer Seite ausweiten, sollten wir sie zielgerichtet Familien mit Kindern zukommen lassen.
Die CDU/CSU und die Länder, in denen sie entweder allein oder mitregieren, rufen generell zur Ablehnung des vom Bundestag beschlossenen Lebenspartnerschaftsgesetzes auf. Wenn man hört, was Teile der CDU, was katholische Bischöfe und was der bayerische Ministerpräsident zu dem vom Bundestag beschlossenen Lebenspartnerschaftsgesetz von sich geben,
Ich möchte einmal etwas in Ihre Richtung sagen. Ich habe den Eindruck, daß Sie heute Argumente durch Lautstärke ersetzen. Vielleicht hören Sie einmal zu.
Damals ging es um die Einführung der Zivilehe. Die Bischöfe fürchteten um Zucht und Ordnung und haben bis zuletzt die Zivilehe bekämpft. Welche Ironie der Geschichte! Heute gehören die gleichen Kreise zu den engagiertesten Verteidigern der Bismarck-Ehe, obwohl die moderne Ehe – denken wir an die heutigen Scheidungsquoten – kaum noch dem religiösen Versprechen entspricht, bei dem sich zwei Menschen vor Gott versprechen, füreinander einzustehen, bis daß der Tod sie scheidet.
Heute ist es die eingetragene Lebenspartnerschaft, die angeblich Ehe und Familie, im Grunde das ganze Abendland in Gefahr bringt. Diese Befürchtung ist genauso dummes Zeug wie die Befürchtung, daß die Fundamente der Familie abbröckeln, wenn – das hat die CDU-Regierung getan – im Rahmen der Familienrechtsreform die Möglichkeit eröffnet wird, daß Männer und Frauen nach der Heirat ihre angestammten Familiennamen beibehalten. Auch damals ging gerade einmal wieder das Abendland unter.
Niemand rüttelt am Grundgesetz. Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Das gilt selbstverständlich. Deshalb muß alles vermieden werden, was diesen Schutz relativieren könnte.Die Juristen nennen das das berühmte Abstandsgebot.
Wir alle akzeptieren, daß die Ehe sich in unserer Gesellschaft trotz der hohen Scheidungsquoten als recht stabil erwiesen hat. Wenn jede dritte Ehe geschieden wird, heißt das auch, daß zwei von drei Paaren bis zum Ende ihres Lebens zusammenbleiben. Noch immer wachsen 80 Prozent aller Kinder bei Vater und Mutter auf. Aber es gibt auch sogenannte Patchwork-Familien, die sich nach Scheidung
und mit oder ohne Wiederheirat neu zusammensetzen und in denen viele Kinder aufwachsen, ohne daß sie zu Monstern werden.
Weil die Ehe eine so wichtige Keimzelle der Gesellschaft ist, kämpfen viele – insbesondere die Kirchen – zu Recht gegen jegliche Abwertung. Aber die entscheidende Frage ist: Kämpfen sie an der richtigen Stelle, mit den richtigen Argumenten? Was beinhaltet eigentlich das Abstandsgebot? Man wertet nicht automatisch das eine ab, wenn man das andere nicht länger diskriminiert.
Welche Eheleute sollen sich diskriminiert begreifen, wenn Schwule und Lesben sich auf dem Standesamt eintragen dürfen? Warum sollten sich deswegen Krisensymptome in Ehe und Familie, die wir alle kennen und die niemand bestreiten kann, etwa verschärfen?
Unbestreitbar weisen Ehe und Familie Krisensymptome auf. Viele Menschen schaffen es nicht mehr, eine lebenslange Partnerschaft durchzuhalten.Viele Ehepaare können und wollen keine Kinder haben, denn die Kinder, das wissen wir, sind ein großes Armutsrisiko in unserem Land geworden. Immer noch ist es sehr, sehr schwer – auch für Ehepaare –, Beruf, Kinder und Partnerschaft zu vereinbaren. Aber keines dieser Krisensymptome wird dadurch verstärkt, daß homosexuelle Paare einen gemeinsamen Mietvertrag unterzeichnen, daß sie sich verpflichten dürfen, füreinander zu sorgen und einzustehen.
Für den von mir so beschriebenen neuen Kulturkampf besteht überhaupt keine Veranlassung. Nach meiner Überzeugung kann niemand gegen das Grundprinzip des Lebenspartnerschaftsgesetzes sein.
Worum geht es? Zwei Menschen gehen eine Verpflichtung ein, gegenseitig für sich zu sorgen; eine Verpflichtung, die klare Folgen hat, wenn sie nicht eingehalten wird.Kann bezweifelt werden, daß unsere Gemeinschaft von solcher gegenseitiger Verantwortung lebt, ob sie von homo- oder heterosexuellen Menschen wahrgenommen wird?
Aus diesem Grunde ist es sinnvoll, im Erb- und Mietrecht, bei der Kranken- und Pflegeversicherung und im Steuerrecht Bedingungen zu schaffen, die einer Lebenspartnerschaft angemessen sind und ihr entsprechen. Es war und ist dringend überfällig, unsinnige Barrieren zu beseitigen, zum Beispiel bei Auskünften in Krankenhäusern.
Man mag natürlich darüber streiten, ob alle Einzelheiten des jetzt beschlossenen Gesetzes dringend geboten sind. Heute geht es darum, Benachteiligungen und Diskriminierungen im Alltag zu beseitigen. Dies, meine Damen und Herren von der CDU, erkennen auch viele Christdemokraten.
Um so bedauerlicher ist es, daß Sie das Gesetzesvorhaben im Bundesrat grundsätzlich verhindern wollen, daß Sie den Vermittlungsausschuß mit dem Ziel einer grundsätzlichen Aufhebung dieses Gesetzes anrufen und daß Sie dieses alles im Vermittlungsverfahren erreichen wollen.Wer das bezweifelt, ist nicht informiert. Ich sitze dem Rechtsausschuß des Bundesrats vor und habe es mit all diesen Anträgen von CDU-Seite zu tun gehabt.
Die eingetragene Lebenspartnerschaft bringt – das ist überhaupt nicht zu bezweifeln – mehr Gerechtigkeit und
Menschlichkeit in unseren Alltag. Sie schadet niemandem und nützt vielen.Eine so normierte Lebenspartnerschaft ist weder kraft ihres Namens noch in ihrem Kern eine Ehe.Die Angst, auf diese Weise würden die verfassungsrechtlichen Garantien für Ehe und Familie ausgehöhlt, hat keine Grundlage. Bald wird man sich wundern, daß man darüber überhaupt im Jahre 2000 noch streiten konnte, genau wie wir uns heute über den Kulturkampf von 1875 wundern.
Meine Damen und Herren! Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist das erste Thema der Aktuellen Stunde abgeschlossen.