Der erste, zentrale Punkt unseres Antrages beschäftigt sich mit dem Anliegen, möglichst vielen Menschen zu ermöglichen, aus der Prostitution auszusteigen und andere Lebensperspektiven zu suchen. Es ist kein Zufall, daß viele Prostituierte in irgendeiner Form drogenabhängig sind, dessen Ausübung mit gravierenden gesundheitlichen und physischen Schäden verbunden ist. Es gibt in Hamburg eine ganze Reihe von Frauen, die aussteigen wollen und nach geeigneten Möglichkeiten für andere Berufsperspektiven suchen.
Eine wichtige Veränderung für diese Gruppe ist im letzten Jahr durch die Reform des Sozialgesetzbuches ermöglicht worden. Die Voraussetzungen, bei Bezug von Sozialhilfe und Übernahme der Lehrgangskosten durch das Arbeitsamt an einer Umschulungsmaßnahme teilnehmen zu können, erfüllen jetzt auch Prostituierte. Sie müssen keine Nachweise über vorherige Tätigkeiten bringen und auch nicht mehr angeben, daß sie als Prostituierte gearbeitet haben. Dies ist ein wichtiger Schritt. Wir wüßten gern vom Senat, wie weit auf dieser Grundlage Angebote angenommen beziehungsweise weitere konzipiert werden.
Eines hat sich mit dieser neuen Regelung aber auch bestätigt: Der Ausstieg aus der Prostitution ist nicht einfach. Viele haben Schwierigkeiten, Zeit- und Zielvorgaben einzuhalten, die eine Umschulung oder auch ein Arbeitsplatz mit sich bringen, den Achtstundentag einzuhalten oder morgens pünktlich zu erscheinen. Auch die direkte Suche
nach einem Arbeitsplatz ist schwierig. Welche glaubwürdigen Angaben können die Frauen denn machen, wenn sie gefragt werden, welche Kenntnisse sie vorher erworben haben? Wie sollen sie Unternehmen dazu bringen, ihre Einstellung zu akzeptieren? Einige versuchen es mit erfundenen Biographien; aber das hilft nur in den seltensten Fällen.
Um diese Probleme aufzufangen, gibt es für ausstiegswillige Prostituierte in Hamburg das Beschäftigungsprojekt Textilwerkstatt unter der Trägerschaft des Diakonischen Werkes. Es ist ein sehr sinnvolles Vorschaltprojekt, wo seit Jahren erfolgreich Prostituierten der Übergang in eine Umschulung oder auch Ausbildung ermöglicht wird. Hier werden die Frauen durch das Lernen an der Nähmaschine fit gemacht und können hinterher – das zeigt auch die Arbeit dieses Projektes – eine Umschulung erfolgreich absolvieren.
Wir wollen dieses Angebot in Hamburg erweitern und ergänzen. Es gibt einen Bedarf an Ausstiegsprojekten, die an die Chancen von Frauen im Bürobereich anknüpfen. Nicht alle sehen einen Sinn darin, Fertigkeiten im Textilbereich zu erlernen und an einer Nähmaschine qualifiziert zu werden. Hier wünschen wir uns für Hamburg ein Angebot, das Bürokenntnisse vermittelt, die von den Frauen auch angenommen werden.
Als zweiter Punkt bewegen uns die Rahmen- und Arbeitsbedingungen der Prostitution. Unsere niederländischen Nachbarinnen und Nachbarn sind am weitesten gegangen. Das Bordellverbot wurde aufgehoben, die freiwillige Prostitution wurde völlig legalisiert. Das niederländische Hauptziel ist, die Prostitution wie jedes andere Gewerbe unter kommunaler Kontrolle zu halten und der Stigmatisierung ein Ende zu setzen. In Amsterdam wurde inzwischen einigen Unternehmen die Anerkennung als Gewerbe gewährt. Ich denke, daß auch dieses – vor allen Dingen, wenn die Rahmenbedingungen durch die veränderte Bundesgesetzlage in Kraft treten – etwas ist, was Sie ernsthaft prüfen sollten, weil wir nur so in diesen Betrieben die Maßstäbe für die Arbeitsbedingungen setzen können, die auch mit der dortigen Realität zu tun haben.
Uns bewegt noch ein dritter Punkt. Wir reden über Menschen, die sich zu diesen notwendigen Debatten selbst kaum äußern. Es gibt in Hamburg keine Gruppe von Prostituierten, die als Lobby für ihren Berufsstand eintritt. Das hat auch etwas mit den schlechten Bedingungen der Tätigkeit, aber auch mit dem Anwachsen des Menschenhandels, dem großen Anteil illegaler Prostituierter und auch mit der elendigen Beschaffungsprostitution Drogenabhängiger zu tun.
Trotzdem sollte versucht werden, hier etwas aufzubauen. In Hamburg gibt es mehrere Tausend Prostituierte. Es ist ein großes Problem, daß wir über ganz elementare Veränderungen sprechen, ohne daß sich diese Gruppe selbst Gehör verschafft und auch von uns nicht gehört wird.
Daher bitten wir den Senat zu prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, um Selbsthilfe- oder auch Interessenvertretungsstrukturen zu stärken. Wir sind gespannt, was uns da gelingt. Wenn es uns gelänge, daß Prostituierte in Hamburg für ihre Belange eintreten, wäre auch das ein wichtiger Schritt.
Es gibt viele verschiedene Auffassungen zu diesem Thema. Das hat – wie ich schon sagte – vor allen Dingen
die letztmalige Debatte gezeigt. Ich glaube aber, daß wir uns bei dem Anliegen unseres Antrages weitgehend einig sein können. Daher hoffe ich auf eine breite Zustimmung. – Vielen Dank.
Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Frau Ernst, Sie haben Ihren Antrag schon sehr ordentlich vorgestellt. Der Antrag hat ja auch durch das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts – dem ich im übrigen zustimme – eine gewisse Aktualität erhalten. Die Sittenwidrigkeit ist auf dem Wege, abgeschafft zu werden; das wird Ihnen auch bekannt sein. Die bundesweite Umsetzung ist nun Aufgabe Ihrer Koalition, die wohl auch nicht so leicht sein wird, wie Sie sich das bei den Koalitionsvereinbarungen gedacht haben.
Zur Lage haben Sie berichtet. Wir haben uns anläßlich der Diskussion um den Menschenhandel sehr weitgehend über die Zustände informieren können. Es ist unbestritten – das wird in diesem Hause wohl kaum jemand ablehnen können –, daß hier Abhilfe, Unterstützung und Veränderung der Lebensumstände stattfinden müssen. Das steht außerhalb jeder Diskussion. Dem sozialfürsorglichen Anteil Ihres Antrages ist deswegen uneingeschränkt zuzustimmen.
Ich kann es auch nur begrüßen, wenn im stärkeren Maße Möglichkeiten zum Ausstieg aus diesem – wie es heute bezeichnet wird – Sexgeschäft und die Rückkehr ins normale Erwerbsleben gefunden wird. Das ist nämlich wichtig, denn ich teile nicht die euphorischen Vorstellungen über die berufliche Anerkennung. Das habe ich auch schon sehr deutlich gemacht.
Sie kennen meine Einstellung zur Prostitution, die keineswegs in die bigotte Ecke gestellt werden kann. Wenn man versucht, sie dorthin zu schieben, dann tun Sie mir unrecht. Ich vertrete nämlich eine urfeministische Meinung. Wenn Sie sich einmal die globale Diskussion ansehen, dann bemühen sich die Frauenverbände, über eine UNO-Resolution weltweit eine Ächtung der Prostitution durchzusetzen.
Das tun sie nicht, weil sie den Frauen die Arbeitsplätze nehmen wollen oder grundsätzlich ihre Tätigkeit verurteilen, sondern weil sie das Vorbild schaffen wollen, daß es andere Perspektiven für Kinder und Jugendliche gibt, als in diesem Bereich den Lebensunterhalt zu verdienen. Der Kernpunkt ist, daß man Prostitution für menschenunwürdig hält. Sie sind da anderer Meinung, Sie halten sie für einen ganz normalen Beruf. Die Meinungen werden auch auseinander bleiben.
Bei aller Kritik meinerseits, zur Menschenunwürdigkeit der Prostitution muß man natürlich auch sehen, daß es uns die Achtung vor der Menschenwürde gebietet, daß wir niemanden bevormunden.
Nicht ach nee, Frau Schilling, dem habe ich nie widersprochen. Wenn sich Menschen dieser Tätigkeit freiwillig hingeben, dann sollen sie es tun. Aber ob dies freiwillig ist, das ist eben der Punkt und das Dilemma. Woran wollen Sie das genau messen? Was heißt in diesem Milieu freiwillig? Und wer ist schon in der Lage, sich dort selbständig zu be
haupten? Ob wir ein Umdenken erreichen können, das weiß ich nicht, da sind Ihre Erwartungen etwas euphorischer als meine.
Die Prostitution ist schon immer sehr zwiespältig und widersprüchlich gesehen worden. Auf der einen Seite gibt es die äußerste Erniedrigung der Frau, auf der anderen Seite ist es eine Errungenschaft der Emanzipation, daß man sich selbst verkaufen kann, anstatt verkauft zu werden. Das bedeutet ein Hin- und Herschwanken der Beurteilungen zwischen den Polen.
Sicherlich hat sich in der Öffentlichkeit eine Veränderung ergeben, der man Rechnung tragen muß. Ob dies vom Zeitgeist getragen wurde, Herr Müller, oder ob dies aus Überzeugung richtig ist, wollen wir einmal dahingestellt lassen. In unserer auf raschen, unkomplizierten und möglichst folgenfreien, genußgepolten Spaßgesellschaft ist dies natürlich anders zu beurteilen, als wenn ich da mit einer beruflichen Tätigkeit herangehe.
Eigentlich wollte ich diese Ausführungen in meiner Rede streichen, aber vielleicht sollte ich sie doch machen. Ich habe nämlich nachgelesen, was Flaubert, der im übrigen von der Szene in Paris sehr fasziniert war,
„Schon in der bloßen Vorstellung von der Prostitution treffen Bitterkeit und Lust, wildes Spiel, der Klang des Geldes und eine ungeheure Leere in den menschlichen Beziehungen aufeinander, so daß einem ganz schwindelig wird.“
Diese Zwiespältigkeit, die in der Beurteilung der Prostitution immer bleiben wird, wird sich auch nicht ändern, wenn wir sie als Sexarbeit oder als Dienstleistungsberuf hinstellen. Einige Frauen werden ihre Arbeitsbedingungen ändern, wenn sie selbständig handeln und ihr Leben in die Hand nehmen können. Aber glauben Sie wirklich allen Ernstes, daß sich die Rotlichtbosse im Milieu dazu hergeben werden, die Arbeitgeberanteile bei der Krankenversicherung oder bei der Rentenversicherung zu zahlen? Das halte ich für ein Gerücht.
Zum anderen haben Sie Holland angesprochen. Der „Roote Draat“ – die Vereinigung der Huren in Holland – vermutet, daß eindeutig ein großer Teil ihrer Damen abtauchen und es neben dem legalen einen breiten illegalen Markt geben wird, von dem keine Abgaben geleistet und die hygienischen Auflagen nicht mehr erfüllt werden.
Das mag sein, Frau Walther. Warten wir es ab, die Verhältnisse sind politisch nicht so einfach zu lösen, wie man es sich manchmal sozialromantisch vorstellt. Wir werden dem Antrag zustimmen, der manches anschieben wird. Wenn die Ergebnisse vorliegen, werden wir uns hier wieder treffen. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Koop, ich glaube nicht, daß die Frauenbewegung die Prostitution als Emanzipation an sich gewürdigt hat. Zumindest kann ich mich daran nicht erinnern.
Es geht um keine Zeitgeistgeschichte, sondern um ein ernstes Thema. Es geht nämlich um den Schutz dieser Frauen und die rechtliche Absicherung ihrer anzubietenden Dienstleistungen im Sinne einer Sexworkerin, die sie aber nicht einklagen können.
Sie sagen so locker, daß Rotgrün in Berlin das nun machen kann. Schön wäre es. Es gibt darüber juristische Auseinandersetzungen, ob in diesem sogenannten Dienstvertrag zwischen der sich prostituierenden Frau und dem Freier die Sittenwidrigkeit tatsächlich so formuliert werden kann, daß sie legal ist. Der Streit um die Sittenwidrigkeit an sich wird nicht mehr geführt, sondern es geht darum, ob die betroffenen Frauen ihre Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abführen können. Das ist ein Punkt, der uns in diesem Antrag auch beschäftigt.
Das ist keine Frage der Zeitgeistgeschichte und der Moral. Nach wie vor bin ich der Meinung, daß wir den Begriff der Sexworkerin nicht direkt ins Deutsche übersetzen können. Dieser Begriff drückt aus, daß etwas angeboten wird. Hier sollten wir nicht den moralischen Zeigefinger heben,
sondern einfach anerkennen, daß es die freiwillige, aber auch die Zwangsprostitution gibt, die mit vielen Problemen verbunden ist.
Das im Antrag der SPD genannte Ausstiegsprojekt unterstützen wir schon lange gemeinsam. Wir führen im übrigen auch Gespräche und Veranstaltungen mit den betroffenen Frauen in Hamburg durch. Es gibt hier keine Frauenhurenvereinigung wie zum Beispiel in Berlin. Das ist bedauerlich, aber die sich prostituierenden Frauen haben sehr deutlich gemacht, daß sie an bestimmten rechtlichen Regelungen interessiert sind und daß es ihnen wichtig ist, daß wir Ausstiegsprojekte anbieten.
Allerdings reden wir über dieses Thema sehr abgehoben, was sicherlich im Sinne des Erfinders liegt, da wir in diesem Gewerbe nicht tätig sind. Deswegen möchte ich die bestehenden Abhängigkeiten deutlich machen und darauf hinweisen, warum wir darüber diskutieren, die Frauen langfristig durch bestimmte rechtliche Vorgaben zu schützen oder ihnen Ausstiegsmöglichkeiten anzubieten.
Es geht nicht nur einfach darum, freiwillig von einem Beruf in den anderen zu wechseln, sondern darum, den Frauen, die sich oft in Abhängigkeit und Gewaltverhältnissen zu ihrem Zuhälter oder ihrem Bordellbetreiber befinden, die drogenabhängig sind, Alkohol konsumieren und nicht zuletzt große finanzielle und wirtschaftliche Probleme haben, eine Perspektive in einem „normalen“ Beruf anzubieten. Das geht nicht von heute auf morgen.