Protokoll der Sitzung vom 28.02.2001

Ihr Vorschlag, den Hauptschulabschluß durch ein Zusatzzertifikat aufzuwerten, das den Schülern die erbrachten praxis- und berufsorientierten Qualifikationen bescheinigt, ist nicht so verkehrt. Das gibt es, meine Damen und Her

(Wolfgang Beuß CDU)

ren von der CDU, bereits an mehreren Hamburger Schulen in Form des Berufswahlpasses.

(Wolfgang Beuß CDU: Aber nicht an allen!)

Nicht für alle, aber es wird weitergehen.

(Wolfgang Beuß CDU: Sehen Sie? Also sind wir auf dem richtigen Weg!)

Das ist eine von den zuvor genannten Maßnahmen zur Erleichterung des Übergangs von der Schule ins Berufsleben. Ich hoffe, daß es mehr Hauptschülern durch diese Maßnahme gelingt, den Hauptschulabschluß zu schaffen.

Wenn Schülerinnen und Schüler diesen Übergang eigenverantwortlich planen sollen, müssen sie wissen, welche Wege und Alternativen ihnen zur Verfügung stehen, wo ihre Schwächen und Stärken liegen und wo sie Hilfe und Beratung erhalten können. Mit Hilfe des Berufswahlpasses erarbeiten sich die Schüler ein Konzept, indem sie sich eigenverantwortlich Ziele setzen und versuchen, diese durch systematische Planung zu erreichen. Ich könnte einige Beispiele von Hauptschülern nennen, die einen Ausbildungsplatz fanden, weil die Handwerksbetriebe sie gern genommen haben.

Das heißt, schulische Angebote und außerschulische Praktika werden geplant, durchgeführt und dokumentiert. Der Berufswahlpaß ist für den Schüler somit gleichzeitig ein Konzept und eine Dokumentation für den beruflichen Entscheidungsprozeß. Er kann dem zukünftigen Lehrbetrieb bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz über die in der Schule und außerschulisch erworbenen Fähigkeiten Aufschluß geben.

Herr Beuß hat in diesem Zusammenhang von dem Projekt an der Bergedorfer Schule

(Wolfgang Beuß CDU: Richard-Linde-Weg!)

gesprochen. Eine andere Maßnahme ist der Schulversuch „Arbeiten und Lernen in Schule und Betrieb“, die zur Zeit von zwei Hamburger Schulen durchgeführt wird. Hier lernen Schülerinnen und Schüler des neunten Jahrgangs einer Hauptschule beziehungsweise des zehnten Jahrgangs einer integrierten Haupt- und Realschule an zwei Tagen in der Woche jeweils für ein halbes Jahr in einem Betrieb die praktische Arbeit kennen. Dabei bleiben Strukturen und Anforderungen der Unterrichtsfächer und das System der Leistungsbewertung erhalten. Allerdings wird das Lernen in der Praxis und in der Schule in spezifischer Weise aufeinander bezogen.

Ich will noch kurz ein drittes Beispiel vorstellen. Für eine bessere Einfädelung in das Berufsleben hat die ZEIT-Stiftung das Projekt „TransFair“ ins Leben gerufen. Vier Hauptund Realschulen können sich an dem Projekt beteiligen, das sich mit der Förderung der Leistungsbereitschaft, der Voraussetzung für den Berufsübergang von Hauptschülern befaßt und mit dem Schuljahr 2001/2002 beginnt.

Dieses Konzept basiert auf Erfahrungen einiger bundesweiter Projekte. Sie haben gezeigt, daß eine Aufwertung des praktischen Lernens, eine verbesserte Zusammenführung von theoretischen und praktischen Anteilen sowie Bemühungen zur Stärkung des Selbstwertgefühls und der Motivationslage der Schülerinnen und Schüler erfolgversprechende Schritte sind.

Genau das habe ich zu Anfang meines Beitrags gesagt. Das Selbstwertgefühl und die Motivation sind wichtige Voraussetzungen für die jungen Menschen, um erfolgreich

die Hauptschule abzuschließen und einen Ausbildungsplatz zu suchen und zu finden.

Ihre im Antrag formulierte Forderung, meine Damen und Herren von der CDU, innerhalb der Lehrerausbildung schulartspezifische Ausbildungselemente zu verstärken, ist bereits ebenfalls seit langem auf dem Weg. Am Institut für Lehrerfortbildung wurden in den letzten Jahren speziell die Fortbildungskapazitäten

(Wolfgang Beuß CDU: Studium! Studium!)

für den Bereich Haupt- und Realschule erheblich verstärkt. Ich möchte aber im einzelnen nicht auf die Fortbildungsangebote des IfL eingehen. Ihre Forderung nach der Aktualisierung der Stellenzuweisungen für die Hauptschulen kann ich so nicht unterstützen,

(Wolfgang Beuß CDU: Habe ich mir gedacht!)

aber wir sind dabei, dies zu untersuchen.

Ihre in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung, „REBUS“ könne die verläßliche Schulsozialarbeit wegen personeller Unterbesetzung nicht leisten, kann ich nicht teilen. In der dreijährigen Pilotphase hat sich das „REBUS“-Projekt als sehr erfolgreich erwiesen. Darum wird „REBUS“ als Regelangebot auch weiterentwickelt und ausgebaut.

(Wolfgang Beuß CDU: Wissen Sie, was die für eine Wartezeit haben?)

Noch einen Satz zu Ihrer Forderung, an allen Hauptschulen auf Antrag die Möglichkeit zu eröffnen, ausreichende und dauerhaft gesicherte Ganztagsangebote bereitzustellen. Ich möchte die Forderung nach mehr Ganztagsschulen nicht isoliert auf die Hauptschulen beschränken, weil ich glaube, daß alle Schülerinnen und Schüler sämtlicher Schulformen von einem Ganztagsangebot profitieren. Man sollte daneben verstärkt Nachmittagsangebote im Verbund mit den Jugendeinrichtungen ausbauen und entwickeln.

Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der CDU, enthält keine neuen Vorschläge, um die Schülerinnen und Schüler zu stärken. Da dies aber unser Anliegen ist, werden wir Ihren Antrag ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält Frau Goetsch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es geht tatsächlich nicht um eine Schulform, sondern um Schülerinnen, wie Frau Woisin richtig gesagt hat. Es geht auch um mehr als die Hauptschule, es geht um die Sekundarstufe I. Tatsache ist – in Ihrer Analyse zum Teil auch richtig beschrieben –, daß ein Fünftel der Schülerschaft in jedem Jahrgang, aus verschiedenen Schulformen kommend, nicht den direkten Übergang in den Beruf, in die Ausbildung schafft. Soweit richtig.

(Wolfgang Beuß CDU: Das haben Sie gesagt! Das hätte ich nie gebracht!)

Natürlich hat die öffentliche Wertschätzung der Bildungsgänge – und da speziell auch die Haupt- und Realschule – nicht nur soviel Resonanz, sondern auch mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz erfahren. Es sind auch viele Versuche gemacht worden, die leidende Hauptschule als getrennte Schulform attraktiver zu gestalten. Das Problem ist

(Erika Woisin SPD)

nur, daß nur weniges curricular oder als Konzept eingebunden war. Zum Beispiel das Netzwerk Wirtschaft, Schule – wunderbar –, ist aber nicht curricular eingebunden, ein Problem, im Gegensatz zum „Anschub“ im Richard-Linde-Weg, auf den ich nachher noch einmal zurückkomme. Auch alle anderen inhaltlichen und organisatorischen Neuerungen, ob nun Stundenplangestaltung, Klassenlehrertag und was man nicht alles schon versucht hat – ich komme ja selbst aus dieser Schulform –, haben nicht per se die Attraktivität gesteigert. Auch die integrierte Haupt- und Realschule – für die ich stehe, wie man hier weiß – hat Luft zwar geschaffen und die Entwicklung konzeptionell weitergetrieben. Aber das Grundproblem bleibt bestehen, inwieweit wir die Schülerinnen stärken, daß sie wieder entsprechend „marktfähig“ – wie das so schön heißt – und ausbildungsreif sind und in die Ausbildung können.

Wenn ich Ihren Antrag anschaue, dann bieten Sie nichts für diese heterogene Schülerschaft, die Sie hier richtig beschreiben. Wir sind natürlich auch nicht dafür, daß alles in irgendwelche Reparaturbetriebe und BVJ’s geht. Das ist überhaupt nicht der Ansatz, sondern der Ansatz muß sein, in der Sekundarstufe I anzusetzen. Da kann zum Teil traditionelle Schule nicht funktionieren, und zwar auch nicht mit Ihren kompensatorischen Ansätzen, die Sie vorschreiben, weil es in Ihrem Antrag – und ich beziehe mich jetzt nur auf Ihre Antragspunkte – nur um mehr geht. Da stecken Sie mehr Schulsozialarbeiter rein, da soll da und da mehr, aber es ist absolut nicht ausgeführt, für was es denn eigentlich sein soll. Ich finde, Sie machen einen gravierenden Fehler, daß Sie Formalie und Quantität voranstellen und nicht sagen, für welche Qualität und für welche Konzepte. Sie haben zwar in Ihrer Ausführung ein bißchen über das Projekt „Stadt als Schule“ erzählt – „Anschub“ in Bergedorf –, aber es muß genau umgekehrt laufen. Hauptschule wird doch nicht besser, wenn Sie den Abschluß aufwerten, aber für welches Konzept denn? Für Lesen, Schreiben, Rechnen, was Sie eben priorisiert haben? Ich habe in Ihrem Antrag nicht gelesen, welches Konzept Sie der Berufsorientierung vorziehen. Was haben Sie für pädagogische Prinzipien? Welche inhaltlichen, welche organisatorischen? Wollen Sie vielleicht einmal ein bißchen vorangehen und Kerncurricula entwickeln und Kurse ergänzend anbieten und vielleicht modularisieren, um den Jugendlichen etwas mitzugeben, und das zertifizieren und anerkennen? Solche Dinge, die in der modernen Berufsbildungspädagogik diskutiert werden, finde ich null.

(Wolfgang Beuß CDU: Aber Sie sagen jetzt, was Sie wollen!)

Ich setze hier auf die Sachen, die wir wollen und die wir auch pädagogisch und bildungspolitisch vorantreiben. Sie fordern, daß die Lehrerausbildung hauptschulspezifisch geschieht. Gerade hat die Kommission eine prioritäre Querschnittsaufgabe festgelegt, nämlich die kulturelle und soziale Heterogenität der Schülerschaft verbindlich in die Ausbildung aufzunehmen. Da brauchen sie jetzt auch noch ein Hauptschullehrerstudium. Das ist pädagogisch und von der Ausbildung her sowieso Blödsinn.

Dann die Handwerksmeister. Das ist toll. Wir sind absolut dafür, daß andere Professionen in die Schule kommen – absolut richtig – und sowieso außerschulische Erfahrungen gemacht werden, außerschulische Lernorte. Aber das sind alles Dinge, die man erstens schon längst machen kann, und zweitens steht natürlich wieder nicht da, in welchem Kontext das Ganze passieren soll. Sie haben dann

zwar in Ihrer Rede dieses Projekt „Anschub“ erwähnt. In der Behörde heißt es inzwischen „Lernen und Arbeiten in Betrieb und Schule“, was ich großartig finde, weil es aus dem Prüfauftrag des Koalitionsvertrages „Stadt als Schule“ stammt und etwas umgesetzt worden ist. Eben gab es den Vorwurf, es passiere nichts, und genau das ist zum Beispiel eine Stoßrichtung.

Sie bleiben immer in der Struktur und fordern mehr Quantität und mehr Sozialpädagogen. Ich möchte einmal wissen, wofür.

(Wolfgang Beuß CDU: Das sagen Sie den Leuten, die in der Schule arbeiten!)

Ich arbeite da. Ich denke, es kommt natürlich auch darauf an, welche Rahmenbedingungen gegeben werden. Aber Sie können doch nicht Bildungspläne hauptschulspezifisch vorgeben, was vollkommen im Widerspruch zu dem steht, was auch HR-Schulen entwickelt haben. Das sind zentralistische Vorgaben, und Sie behindern damit Schulen, die sich entwickeln.

Interessanterweise ruft morgen die ZEIT-Stiftung, Herr Beuß, die Initiative „Lernwerk Hamburg“ ins Leben: 1,1 Millionen DM für die Reformierung dieser Schulen. Da wird gesagt, daß es um die Eigeninitiativen geht, die diese Entwicklungen in den Schulen vorangetrieben haben. Das wird unterstützt und nicht vorgeschriebene Vorgaben.

Ganztagsangebote: Absolut d´accord. Natürlich sind Ganztagsangebote, Ganztagsschulen richtig, aber das ist auch nichts Hauptschulspezifisches. Ganztagsschulen sind auf Dauer sowieso nicht nur ein Angebot für soziale Brennpunkte. Ganztagsschulangebote sind europäischer Standard, und es wäre richtig, wenn wir perspektivisch auch dahin kommen.

Der Antrag macht nicht deutlich, wie sie gute Hauptschulabsolventen produzieren wollen, egal, ob jetzt aus der Gesamtschule oder aus dem HR-Bereich. Der Antrag geht nicht mit uns, weil wir nicht nur mehr wollen, sondern wir wollen das vor allen Dingen besser und anders machen. Ich habe auch die dumpfe Vermutung, wie Frau Woisin, daß Sie die Dreigliedrigkeit als einziges auf Ihre Fahnen heben, und das war es dann, und inhaltlich ist nichts gewesen. Ich hätte einen Antrag der CDU mit fliegenden Fahnen unterstützt und mich beim Koalitionspartner stark dafür gemacht, wenn da gestanden hätte: Ausweitung...

(Dr. Holger Christier SPD: Seien Sie vorsichtig! Ich schreibe das alles auf!)

Ausweitung des erfolgreichen Modells „Lernen in Schule und Betrieb“ in die Fläche und zum Beispiel auch einen Schritt weiter in Richtung einer strukturellen Veränderung der Sekundarstufe I, daß man Modellversuche anschiebt, um dort Entwicklungen voranzutreiben. Das wäre sinnvoll gewesen. So ist das wirklich ein Antrag, der nicht unsere Unterstützung findet, Herr Beuß. – Danke.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort erhält Frau Koppke.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich finde diesen Antrag schlimm und möchte deswegen noch einmal deutlich machen, was in diesem Antrag wirklich steht. In diesem Antrag steht erstens: An Hauptschulen sind vorwiegend und zunehmend – Zitat –:

(Christa Goetsch GAL)