„Frischer Wind für Wilhelmsburg: Neue Impulse durch die Zukunftskonferenz“. Wer den Titel der heutigen Aktuellen Stunde liest, stellt sich zunächst die Frage, wieso frischer Wind und vor allen Dingen für wen? Den Wilhelmsburgern sind die Probleme bekannt. Diese manifestieren sich im wesentlichen in der Arbeit des Ortsausschusses – immerhin in der letzten Legislaturperiode rund 800 Initiativen, in der jetzigen Legislaturperiode bereits rund 900 Initiativen –, in der Arbeit des Beirates, der das Engagement der Bürger bündelt und zu vielen kleinen Verbesserungen im Stadtteil geführt hat, und in dem hohen Engagement der Bürger in Vereinen, Verbänden und Institutionen, die weit über das Normale hinausgehen.
Dennoch haben wir Wilhelmsburger im Jahr 2000 eine Zukunftskonferenz für den Stadtteil gefordert. Worum ging es uns dabei? Im wesentlichen erst einmal um die Umsetzung der Sofortmaßnahmen nach der Kampfhundeattacke, die im wesentlichen das alte Bahnhofsviertel, die Schulen, die Kinder und Jugendlichen vor Ort betrafen. In zweiter Linie – hier zitiere ich den Runden Tisch – ging es um eine „positive Entwicklungsperspektive und Planungssicherheit für die Zukunft mit dem Ziel einer strukturellen Veränderung im Stadtteil“. Was ist daraus geworden? Die SPD hat sich ziemlich schnell aus dem Kreis der Aktiven verabschiedet. Die GAL nahm nur noch sporadisch teil. Dennoch haben alle Parteien im Herbst 2000 unter großen Geburtsschmerzen, die innerhalb der rotgrünen Koalition herrschten, diese Zukunftskonferenz beschlossen. Die Vorbereitungsgruppe sah sich bereits in den Anfängen den Einflüssen der STEB auf diese Planungen ausgesetzt. Am
Es ist natürlich nicht alles ganz so positiv abgelaufen, wie es hier dargestellt wird. Viele Wilhelmsburger waren nicht da, und die Wilhelmsburger, die da waren, waren leider alles Vertreter der Initiativen. Mit Herrn Schmidt habe ich im Arbeitskreis Verkehr gesessen, und Herr Schmidt wird festgestellt haben, daß dort neben meiner Person nur noch zwei weitere Wilhelmsburger anwesend waren und 17 Vertreter aus anderen Bereichen.
Es führte so weit, daß in der Arbeitsgruppe Arbeit und Wirtschaft von den 20 Teilnehmern acht aus der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales abgestellt wurden. Das ist schön. Da sehen wir aber auch gleich, wo der frische Wind herrschen muß, nämlich anscheinend in den Behörden. Leider waren kaum Bürger gekommen. Insofern entpuppt sich die Zukunftskonferenz im wesentlichen als laues Lüftchen denn als frischer Wind.
„Offenkundig ist, daß die heutige Bevölkerung des Viertels auf soziale Förderungsmaßnahmen und öffentliche Dienste aller Art überdurchschnittlich angewiesen ist. Die Quote der sogenannten Problemfamilien, bei denen mehrfach oder besonders langandauernde soziale Störungen zu verzeichnen sind, ist ungewöhnlich hoch.“
So läßt es sich endlos weiter zitieren. Das ist nicht die Zusammenfassung vom vergangenen Sonnabend, sondern ein Artikel aus der Wilhelmsburger Zeitung vom 19. Mai 1978 anläßlich der Pilotstudie und des ersten Handlungsund Maßnahmenkonzeptes des damaligen Senates, und wir sehen, es hat sich nichts verändert.
Bereits 1966 hat Herbert Weichmann erklärt, daß der Senat es als eine seiner wichtigsten Aufgaben ansieht, zu verhindern, daß bei dem Wiederaufbau und der zukünftigen Gestaltung des Gebietes zwischen den Elbarmen – und damit meinte er Wilhelmsburg – die Fehler der Vergangenheit wiederholt werden. Meine Damen und Herren, Sie haben fast 40 Jahre Zeit gehabt, Sie haben nichts erreicht, wir bauen immer noch an den selben Problemen. An den Wilhelmsburgern hat es nicht gelegen, das Engagement ist da. Leider fehlt es auf der Seite der Regierenden. Daran muß gearbeitet werden.
Ich weiß, Herr Schmidt, es ist immer wieder dasselbe. Es ist schön und ich begrüße es auch, daß Bürgerschaftsabgeordnete wie Sie sich dann im Stadtteil blicken lassen, soweit es öffentlichkeitswirksam ist. Ich denke, Sie werden auch Ihren Beitrag dazu leisten, auch in den zukünftigen Arbeitsgruppen weiterzuarbeiten. Ich bin aber der Meinung, wenn Herr Senator Maier bei seiner Abschlußrede ausdrücklich sagt, daß die Wilhelmsburger, wenn es nicht gelänge, alle Maßnahmen umzusetzen, bitte nicht böse sein sollten, denn es würde nicht mit Absicht geschehen, daß dies die Wilhelmsburger eher frustriert denn animiert. Für die Zukunft kann ich nur hoffen, daß der derzeit und seit über 40 Jahren regierende rote Senat auf die Oppositionsbank geschickt wird, damit endlich einmal in den Behörden frischer Wind entsteht und neue Ideen eine Umsetzung finden. – Vielen Dank.
Herr Frommann, ich glaube, Sie haben sich mit Ihrer Äußerung eben selbst ins Knie geschossen. Ich habe auch an dem Zukunftskongreß teilgenommen. Da ich selbst nicht aus Wilhelmsburg komme, habe ich nach dem Kongreß mit sehr vielen Leuten aus Wilhelmsburg gesprochen, auch mit Leuten vom Runden Tisch, wo sie auch Teil sind, wie sie denn diesen Kongreß einschätzen.
Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Frommann, sagten mir die anderen Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger, daß sie diesen Kongreß als Erfolg empfinden, und zwar vor allen Dingen aufgrund des Umstandes, daß endlich einmal wieder alle Senatsbehörden anwesend waren. Daß es schon als Erfolg gefeiert werden muß, daß die Behörden wirklich vor Ort sind und – wie Herr Schmidt sagte – dem Volk mal aufs Maul schauen und sich auch den Diskussionen stellen müssen, das war ein Erfolg. Es ist gleichzeitig natürlich auch eine Ohrfeige für den Senat, daß sich einige Behörden jahrelang – vornehm ausgedrückt – sehr stark zurückgehalten haben.
Für mich persönlich war der Eindruck – das haben mir auch viele Wilhelmsburgerinnen bestätigt –, daß dieser Zukunftskongreß als Auftakt neue Impulse gebracht hat. Wenn ich an den Vortrag denke, der von dem Landschaftsplaner Fred Niemann gehalten wurde, dann konnte man feststellen, warum viele Leute davon sehr angetan waren. Wie Herr Marx nämlich richtig sagte, ist Wilhelmsburg die größte Flußinsel Europas, aber Wilhelmsburg hat kaum Zugänge zum Wasser. Es wäre wirklich eine einfache Forderung, zu sagen, Wilhelmsburg brauche mehr Uferzugänge. Da fragt man sich, warum das nicht schon lange möglich war. Man fragt sich auch, warum die Zollzäune teilweise völlig unsinnig in der Gegend herumstehen. Das einzige, was sie verhindern, ist nicht der Schmuggel, sondern daß die Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger ans Wasser kommen.
Eines ist aber auch deutlich geworden, und das, glaube ich, muß sich noch in vielen Köpfen festsetzen: Wilhelmsburg ist kein Zwischenstadtteil. Auf der Konferenz wurde immer gesagt, Wilhelmsburg liege zwischen der HafenCity und zwischen dem Harburger Binnenhafen, dort gebe es noch sehr viele Möglichkeiten zu entwickeln. Ich finde, wichtig ist, deutlich zu machen, daß Wilhelmsburg ein eigenständiger Stadtteil ist, ein Stadtteil, der viele Entwicklungschancen hat und auch eine gute Entwicklung verdient.
Bei den Themen, die auf dem Kongreß angesprochen wurden, war eins sehr deutlich: Die Menschen, die sich jetzt engagieren, wollen, daß die Themen, die sie behandeln, auch umgesetzt werden. Sie wollen, daß es eine Entscheidungsoffenheit gibt. In der Arbeitsgruppe Verkehr, in der ich auch war, ist eine ganz klare Forderung gewesen: Wenn wir über Verkehr reden, wenn wir darüber reden, wie Wilhelmsburg vom Autoverkehr entlastet werden kann und keinen zusätzlichen, zum Beispiel Schwerlastverkehr, bekommt, muß es auch eine Offenheit über die Planung der Hafenquerspange geben. Und die Baubehördenvertreter haben leider nicht bestätigen können, daß die Offenheit vorhanden ist, die gesamte Planung in Frage zu stellen.
Wie soll es weitergehen? Wir haben jetzt ein halbes Jahr Zeit, in den sechs Arbeitsgruppen weiterzuarbeiten. Das erste, was für diese Arbeitsgruppen wichtig ist, ist, daß die
Arbeitsgruppen kooperativ im Prozeß zusammenarbeiten, sowohl zwischen den Leuten vom Runden Tisch, den Leuten vom Beirat und zwischen den Behörden. Sie müssen alle mitmachen können. Jetzt kommt der Kritikpunkt, der auch am Samstag noch einmal laut wurde. Die Behörde schlägt jetzt vor, namentlich Stadtentwicklungssenator Maier, daß in diesen Arbeitsgruppen, in denen wirklich Menschen sitzen, die sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich engagieren, daß diese Leute die Arbeitsgruppen aber auch selbst moderieren sollen, was auf den ersten Blick ja ganz gut klingt. Selbstbestimmtes Diskutieren finden wir immer toll. Da wir aber am Samstag festgestellt haben, daß es sehr viele kontroverse Themen gibt und sehr viele Leute dazu auch ihren eigenen Beitrag leisten müssen, finde ich, daß diese Entscheidung falsch ist. Wer schon einmal eine Moderation gemacht hat – und wir haben es am Samstag erfreulicherweise auch erleben können –, der weiß, daß Moderation heißt, daß ich mich als Moderatorin neutral verhalten muß, daß ich als Moderatorin aus dieser Rolle nicht heraus kann und mich selbst nicht in den Diskussionsprozeß einbringen kann. Es ist für die ehrenamtlichen Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger, die sich dort engagieren, eine Zumutung, daß sie sich dann selbst rausziehen sollen, daß sie selbst nicht so engagiert mitdiskutieren können.
Deswegen mache ich noch einmal meinen Vorschlag vom Samstag. Es sind jetzt sehr viele Fachbehörden beteiligt, und ich finde, diese Fachbehörden, die sonst erstaunlicherweise auch immer überall Haushaltsreste finden, die sie dann in Altenwerder oder im Mühlenberger Loch versenken, sollen doch noch einmal gucken, ob sie nicht Gelder finden können, um die externe Moderation, die neutrale Moderation, für die Wilhelmsburger zu gewährleisten.
Wir wünschen uns jedenfalls, daß dieses positive Engagement der Wilhelmsburgerinnen nicht nur aufgenommen wird, sondern daß das Engagement auch umgesetzt wird und die Wilhelmsburgerinnen nicht wieder enttäuscht werden, daß nach der Wahl alles gar nicht mehr so gilt wie vor der Wahl.
Meine Damen und Herren! Da die technischen Probleme mit der Anlage so schnell nicht zu beheben sind, wie mir aus den Rückmeldungen deutlich wird, darf ich Sie bitten, noch etwas ruhiger zu sein, damit die allgemeine Lautstärke hier im Saal nicht zu groß ist.
(Karl-Heinz Ehlers CDU: Das ist ja erst ein paar Jahre her! – Jürgen Klimke CDU: Das war ja auch nicht so teuer!)
Meine Damen, meine Herren! Herr Frommann hat in einer Sache recht: Es gibt in Wilhelmsburg schon über Jahre eine sehr intensive Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, die sich für den Stadtteil einsetzen. Das geht über den Ortsausschuß, über den Beirat und durch viele Initiativen hindurch. Das ist gar keine Frage. Darum haben wir auch gesagt, daß das, was wir dort auf Beschluß der Bürgerschaft machen, nicht etwa eine neue Beteiligungsstruktur ist, die wir dort per Bürgerschaft hineinsetzen, sondern es soll der Versuch sein, einen neuen Impuls für das zu geben, was es ohnehin schon
gibt und was, wie ich finde, auch auf gutem Wege ist, denn der Beirat macht eine gute Arbeit. Die Sanierungen am Vogelhüttendeich sind gut vorangekommen. Kirchdorf-Süd sieht heute anders aus, als es noch vor zehn Jahren ausgesehen hat. Da ist etwas passiert.
Gleichwohl ist dieser neue Schub nötig. Es ist ein Experiment, das wir über eine begrenzte Zeit machen. Es ist nicht endlos möglich, eine direkte Zusammenarbeit zwischen Bürgerinnen und Bürgern vor Ort und Vertretern aus allen Behörden zu machen für einen Stadtteil, der im Moment ein besonderes Problem hat. Das kann man nicht ständig für alle Stadtteile machen, weil es natürlich auch sonst noch etwas in den Behörden zu tun gibt, außer Beteiligungsprozesse zu organisieren.
(Karl-Heinz Ehlers CDU: Das gilt immer nur wieder regelmäßig ein halbes Jahr vor der Wahl, und dann ist Schluß!)
Nein, das hat nichts mit einem halben Jahr vor der Wahl zu tun. Weil Wahlkampf ist, Herr Ehlers, haben wir uns darauf vereinbart zu sagen, im nächsten halben Jahr finden Arbeitsgruppen statt, die nicht den Charakter der öffentlichen Manifestation haben, und erst im Januar gibt es die Abschlußveranstaltung, das heißt, erst in einer Situation, die vom Wahlkampf wieder entlastet ist. Es geht nicht darum, Wilhelmsburger Bürgerinnen und Bürger in die Wahlkampfauseinandersetzung hineinzuziehen, sondern ganz im Gegenteil, sie in gewisser Weise unabhängig davon gemeinsam daran arbeiten zu lassen, wie es weitergehen kann mit ihrem Stadtviertel.
Die Bürgerschaft hat die Sache überschrieben mit „Zwischen HafenCity und Channel Harburg“. Frau Sudmann sagt, „zwischen Stadtteilen“ soll man nicht sagen. Das ist aber nicht besonders klug. Natürlich ist Wilhelmsburg etwas Eigenständiges. Wenn man aber die besondere Chance Wilhelmsburgs im Zusammenhang der Stadt betonen will, dann ist es doch richtig zu sagen, zwei der wichtigsten Zukunftsprojekte Hamburgs sind direkt benachbart, und die besondere Lagegunst dieses Stadtteils hängt damit zusammen. Und man muß auch Bürgermeister Weichmann in Schutz nehmen: Wenn der 1962 gesagt hat, wir werden Wilhelmsburg nicht vergessen, dann konnte er nicht voraussehen, daß sich anschließend die Containerisierung der Häfen vollzog, daß sich die Deindustrialisierung vollzog und sich damit ein völliger Umbruch der Arbeitswelt in Hamburg abspielte. Genau darunter leidet aber doch Wilhelmsburg. Das war doch zu der Zeit noch nicht vorauszusehen. Jetzt überlegen wir, wie unter diesen neuen Bedingungen dieser im Westen ganz industriell strukturierte Stadtteil eine neue Chance bekommen kann, wo ihm seine Nachbarschaften und seine zentrale stadträumliche Rolle helfen kann, diese Chance wahrzunehmen. Natürlich spielt die Nähe zur Innenstadt, zur City, dabei eine große Rolle. Alle, die dazu gesprochen haben, haben gesagt, wir müssen die Lagegunst nutzen und die Uferzugänge öffnen. Darum arbeiten wir im Gebiet des Reiherstiegs daran, einen Gewerbepark neu zu erschließen, der diese Uferzugangsmöglichkeiten an einer Stelle schon einmal öffnet.
Auf dem Kongreß hat weiterhin eine Rolle gespielt, daß man Schluß damit machen muß, diese 46 000 Menschen in Wilhelmsburg auch in ihrer sprachlichen Vielgestaltigkeit nur immer als Problem zu beschreiben, sondern man davon ausgehen muß, daß dort 46 000 Menschen sind mit hohem Arbeitswillen, mit hoher Arbeitskraft, mit vielen Möglichkeiten, zum Beispiel ihrer Vielsprachigkeit. Um die
ses Potential aber zu erschließen, sind besondere Anstrengungen nötig, muß Besonderes getan werden, damit in den Schulen diese Vielsprachigkeit so genutzt werden kann, daß alle zumindest die eine gemeinsame Sprache Deutsch auch gut beherrschen. Dazu ist schon einiges in Gang gekommen. Die Schulbehörde hat jetzt schon 50 Lehrerstellen über den Durst in die Wilhelmsburger Schulen hineingegeben, um diesen Sprachunterricht zu gestalten. Daß man aber lernen muß, wie man in Schulen mit mehrsprachigen Kindern zurechtkommt, ist in der ganzen Bundesrepublik ein Problem.