Protokoll der Sitzung vom 30.05.2001

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Um die gegenwärtige Situation in Hamburg genauer zu beschreiben, muß ich ein paar Wochen zurück

(Senator Olaf Scholz)

gehen, auch, um deutlich zu machen, wie es um die Opposition in Hamburg steht. Hartmuth Wrocklage hat nämlich einen schweren Fehler gemacht. Er hat gegen eine Grundregel verstoßen, die für alle Politiker gilt. Diese Grundregel heißt: Du darfst nie die Presse, die dich kritisiert, auch kritisieren. Ich kann mir das dennoch leisten, denn ich bin nicht Senator, ich habe kein Amt, ich bin unabhängiger Abgeordneter, und es ist mir ziemlich wurscht, was über mich geschrieben wird.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Ich werde jetzt etwas über einige Damen und Herren sagen, denen gegenüber ich bisher diese Regel grundsätzlich praktiziert habe, und ich habe einen freundlichen Umgang mit der Presse gepflegt. Aber es gibt eine Situation, da gilt das Wort des Aristoteles:

„Amicus Plato, sed magis amica veritas.“

Das heißt auf Deutsch: Plato ist mein Freund, aber die Wahrheit ist noch viel mehr mein Freund. Deswegen rede ich jetzt über die Wahrheit.

Die Geschichte hat am 12. Mai, einem Samstag, begonnen. Da hat offenbar am Vortag ein ungenannter, aber ganz mutiger hoher Polizeiführer beim „Abendblatt“ und bei der „Morgenpost“ angerufen und die Geschichte der angeblichen Bestrafung des Polizeisprechers Fallak erzählt. Obwohl immerhin die „Morgenpost“ noch bei Herrn Fallak anruft und dieser die Story nicht bestätigt, schreiben beide Zeitungen lange Berichte und Kommentare, in denen der Wahrheitsgehalt der Story unterstellt wird und politische Folgerungen daraus abgeleitet werden.

Polizeiführung, Herr Fallak und der Innensenator erklären am Tag danach, daß die Story nicht stimme, aber das hat keinen Zweck, die Schlagzeilen heißen: „Typischer Reflex“, „Wrocklage streitet alles ab“, „Jetzt sind die Medien schuld“, oder der schöne Satz im „Abendblatt“:

„An den Vorwürfen ändert das nichts, auch wenn sie nur schwer zu beweisen sind.“

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Mein Vorschlag ist, diesen Satz ins Lehrbuch für angehende Journalisten unter der Überschrift „Wie organisiere ich am schlauesten einen Rufmord“ zu schreiben.

(Beifall bei der GAL, der SPD und bei REGEN- BOGEN – für eine neue Linke)

Dann schlägt die hohe Stunde der mutigen Anonymen.

(Holger Kahlbohm SPD: Peinlich!)

„Bild“ gibt die Aussage eines Polizeiführers wieder, der anonym bleiben will. Im „Abendblatt“ meldet sich auch einer, dessen Karriere angeblich blockiert worden ist; auch er möchte ungenannt bleiben. Das „Abendblatt“ verteilt dazu schon Orden. Wörtlich:

„Nachdem Hamburger Polizeiführer, wenn auch noch anonym, jetzt mutig an die Öffentlichkeit gegangen sind...“

Solche mutigen Führer haben wir uns immer gewünscht. Ein kleines Mißverständnis liegt freilich bei den Journalisten vor. Ihr Telefon ist nicht die Öffentlichkeit, sondern ein öffentliches, nicht anonym geäußertes Wort eines Menschen. Im übrigen gilt an dieser Stelle das, worauf der Bürgermeister schon angespielt hat. Seit 200 Jahren gibt es ein deutsches Sprichwort:

„Der größte Lump im ganzen Land, Das ist und bleibt der Denunziant.“

(Zuruf von Heino Vahldieck CDU)

Herr Vahldieck, im Gegensatz zu Ihrer Rede ist die Geschichte völlig anders als seinerzeit, denn hier ging es darum, zu klären, was wirklich los ist, und das hat niemand getan, weder die Zeitung noch die Opposition. Herr von Beust hat schon einmal konditionell den Rücktritt des Innensenators gefordert.

(Ole von Beust CDU: Wenn das stimmt, habe ich gesagt!)

Wenn das stimmt, hat er gesagt, anstatt zu fragen, ob es stimmt, aber so kann man auch Opposition machen.

In „Bild“ wird weiter gemunkelt, in der „Morgenpost“ wird dem Polizeipräsidenten ein Satz untergeschoben, den er gesagt haben „soll“; alles so, daß nichts behauptet wird, damit auch nichts zurückgenommen werden muß, aber immer etwas hängenbleibt.

Und als in dem Wust von Unterstellungen und anonymen Vorwürfen, die längst das Ansehen aller anonymen und nicht anonymen Polizeiführer beschädigt haben, die Innenbehörde und die Polizeiführung alle wichtigen Beförderungen und Versetzungen um einige Monate verschieben, da hat das auch keinen Zweck mehr; „es ist längst zu spät“.

Die Vorwürfe, die meist unter Berufung auf die „mutigen“ Anonymen gegen den Innensenator erhoben werden, sind „SPD-Parteibuchwirtschaft“ und „Unterdrückung von Widerspruch“. Zur Unterdrückung von Widerspruch weiß ich nur soviel, daß der Senator, nicht immer zu meiner Freude, oft der Ansicht seiner, auch bei Besprechungen mit Abgeordneten anwesenden und ohne Scheu redenden, Bediensteten gefolgt ist.

Zur SPD-Parteibuchwirtschaft möchte ich die Geschichte der letzten drei Polizeipräsidenten in Erinnerung rufen. Der eine war CDU-Mitglied und trat zurück, ohne daß um ihn jemand getrauert hätte, der nächste war SPD-Mitglied, und sein Weggang wurde allseits in diesem Hause betrauert, und der dritte ist wieder SPD-Mitglied, und er steht jetzt zusammen mit Hartmuth Wrocklage im Streit der Meinungen. Was ist daran Parteibuchwirtschaft?

An dieser Stelle einige Anmerkungen zu dem, was dann natürlich sofort im Zusammenhang kommt, nämlich zum Filz. Es ist in Hamburg wirklich so, daß man wie der Hase immer auf den Igel trifft, es gibt nur einen Unterschied zum alten Märchen: Man kann die Frau des Igels leicht vom Mann unterscheiden, weil es in der SPD so viele Unterschiede wie im Volk auch gibt. Herr Freiberg ist auch SPD-Mitglied, und mich täte es nicht wundern, wenn auch einige Mitglieder der Gruppe der „mutigen Anonymen“ SPD-Mitglieder wären.

(Heiterkeit bei der GAL und der SPD – Heino Vahl- dieck CDU: Sonst wären sie keine Polizeiführer!)

Zweitens: Herr von Beust hat sich einen Berater an Land gezogen, der in der Stadt viele Geschäfte macht. Er hat jüngst dem SPD-Filz einen klassischen Persilschein ausgestellt. Dieter Becken sagte auf die Frage, warum er, der so eng mit dem rotgrünen Senat kooperiert, sich jetzt für die CDU engagiert:

„Das eine schließt das andere nicht aus. Ich glaube nicht, daß ich dadurch Nachteile habe.“

(Dr. Martin Schmidt GAL)

(Beifall und Heiterkeit bei der GAL und der SPD – Ole von Beust CDU: Der ist doch kein Beamter, der ist Unternehmer! Dummes Zeug!)

Drittens: Ich wiederhole, was ich hier schon einmal gesagt habe. Wir, die GAL, haben uns immer bemüht, möglichst alle Stellen von Bedeutung in dieser Stadt öffentlich auszuschreiben. Wir sind da auch ziemlich erfolgreich, aber eine politisch relevante Stelle konnte im letzten Jahr nicht ausgeschrieben werden, die des stellvertretenden Leiters der Landeszentrale für politische Bildung.

(Ole von Beust CDU: Eine A-15-Stelle!)

Warum nicht? Weil die CDU darauf bestand, im Stellenproporz beteiligt zu werden und auch ihre Pfründe zu bekommen. Sie hat sie bekommen und genommen und eine überdurchschnittliche Beförderung gleich mit dazu.

(Ole von Beust CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

Dann ging die Geschichte weiter: Die günstige Gelegenheit, daß Wrocklage im Schußfeld lag, nutzte die Gewerkschaft der Polizei zur Kündigung des Bündnisses für Sicherheit, dessen Verabredungen inzwischen zu 90 Prozent abgearbeitet sind. Grund ist das Vorhaben der von der Bürgerschaftsmehrheit gewollten Reform der Polizeiausbildung. Der Vorwurf kann sich also kaum gegen Hartmuth Wrocklage richten, sondern nur gegen die Bürgerschaft; darüber kann jetzt Olaf Scholz nachdenken.

In der Presse geht es weiter: Am 15. Mai erscheint in „Bild“ ein Artikel über die Büroleiterin des Innensenators, der an Chauvinismus und Frauenfeindlichkeit kaum zu übertreffen ist.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Die „Morgenpost“ darf da nicht fehlen und zieht am Tag danach nach. Am nächsten Tag wird die Uralt-Story des Professor Merten von der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung aufgewärmt. Da hat die Fachhochschule vor einigen Jahren etwas beschlossen, das intern großen Streit verursachte, und die zuständige Behörde versucht, das auszuführen. Wie wären wohl die Schlagzeilen, wenn der Senator einen Beschluß der Fachhochschulleitung außer Kraft setzen würde?

Der nächste Schritt ist fast der Höhepunkt. Zunächst beginnt die Geschichte mit dem Hauskauf. Es erscheint folgendes Bild:

(Der Abgeordnete präsentiert ein Zeitungsfoto.)

Diese Akte hat es nicht gegeben, sie ist erkennbar für diese Fotografie hergestellt worden. Jedenfalls stellt am selben Tag das Dezernat Interne Ermittlungen fest, daß ein Aktenordner „Wrocklage Hauskauf Uhlenhorst“, wie in der Berichterstattung dargestellt, bei einer Durchsuchung im Rahmen eines gegen Frau Scholz betriebenen Ermittlungsverfahrens am 7. August 1997 nicht sichergestellt worden ist. Dies bleibt dennoch in der Öffentlichkeit, und alle anderen Zeitungen ziehen nach. Wenn man auch nur ein bißchen darin liest, dann kann man feststellen, daß Wrocklage eine absolut geniale Voraussicht und kriminelle Energie gehabt haben müßte, wäre auch nur ein Funken an der Story wahr. Aber auch dieses dient dazu, Herrn Wrocklage zu diffamieren.

Dann hat er wirklich einen Fehler gemacht, er hat geglaubt, er könne das, was jedem Bürger im Rechtswesen zusteht, nämlich sich juristisch gegen Unterstellungen und Verleumdungen zu wehren, auch als Senator verwenden; das

war sicher falsch. Denn es hat sofort eine heftige Erklärung der Landespressekonferenz gegeben, die das als einen inakzeptablen Versuch gewertet hat, kritische Stimmen zu unterdrücken. Wo war in all diesen Wochen die Kritik der Landespressekonferenz an dem, was in der Hamburger Presse stattgefunden hat?

(Beifall bei der GAL und der SPD)

In der Schreibtischschublade in meinem Abgeordnetenbüro liegt vorsichtshalber Luthers kleiner Katechismus. Mein Vorschlag für die Journalistenschule der Hamburger Zeitungen ist, einmal die Auslegung zum achten Gebot aufzuschreiben: