Die im Frühjahr 1992 auf zunächst 27 Hauptverkehrsstraßen eingeführte Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 50 Stundenkilometer war eine über das Knie gebrochene, rein politische Entscheidung nach dem Motto: Wer kreiert die besten Tempolimits? Die damalige Verkehrsunfallentwicklung gab dazu keinen Anlass. Im Gegenteil.
Die Akzeptanz der Maßnahme war und ist gering und nicht geeignet, bei der Bevölkerung Einsicht in tatsächlich notwendige Geschwindigkeitsbegrenzungen zu wecken. Entscheidend ist jedoch – das werden Sie möglicherweise, meine Damen und Herren von Rotgrün, nicht so gerne hören –, dass sich diese Temporeduzierung auf den Hauptstraßen nicht signifikant auf den Rückgang der Unfallrate ausgewirkt hat.
Herr Polle, was Sie der Öffentlichkeit mit Ihrer Pressemitteilung verkaufen, ist schlichtweg falsch, im besten Fall halb richtig. Der im ersten Jahr erzielte anfängliche Erfolg beim Rückgang der Unfallrate war nur kurzfristig. Dieses verschweigen Sie oder Sie wissen es nicht – beides spricht nicht für Sie.
Das Gutachten des Verbandes der Schadenversicherer in Köln, das über verschiedene Zeithorizonte die Auswirkung dieser Maßnahme auf die Verkehrssicherheit untersucht hat, ergibt, dass nach diesem erwähnten Anfangserfolg in der Langzeitstudie über zwei Jahre die ursprünglich vermuteten Sicherheitsgewinne nicht bestätigt werden konnten. Zwar sind sowohl Unfallzahlen als auch Unfallkosten auf den Untersuchungsstrecken um circa ein Fünftel zurückgegangen, aber ein vergleichbarer Rückgang war auch für das restliche Stadtgebiet zu verzeichnen. Das heißt, eine Maßnahmewirkung war nicht erkennbar und damit insgesamt auch kein Sicherheitsvorteil auf den temporeduzierten Straßen gegeben. Das, Herr Polle, sollten Sie als Fachsprecher wissen.
In Ihrer Information an die Presse sagen Sie, Herr Polle, etliche Autofahrer würden denken, ihnen alleine gehöre die Straße. Dass Sie die Gabe der Hellsichtigkeit besitzen, freut mich für Sie, wenn es denn so wäre. Ich weiß jedenfalls nicht, was die Autofahrer denken. Ich setze auf Selbstverantwortlichkeit und wo das nicht greift, auf strikte Kontrolle und Sanktionierung.
Für den verantwortungsvollen Autofahrer geben die gut ausgebauten Hauptstraßen 60 Stundenkilometer ohne weiteres her. Dafür sind diese Straßen schließlich auch gebaut worden.
Im Hinblick auf die Emissionsproblematik hat eine Tempoerhöhung um 10 Stundenkilometer nur relativ geringe Auswirkungen. Ausschlaggebend sind hier die Innovationen der Fahrzeugtechnik, die in den letzten Jahren einen deutlichen Rückgang insbesondere der Schadstoffbelastung bewirkt haben und mit der Einführung der strengen europäischen Abgasgrenzwerte, der Euronorm 4, fortgeführt werden. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass gerade 0,4 Prozent der globalen Emission durch den Straßenverkehr verursacht werden.
Meine Damen und Herren! Es ist unser Ziel, den Verkehr auf den Hauptstraßen zu bündeln und gleichmäßig fließen zu lassen, gerne auch etwas schneller als die derzeitige Durchschnittsgeschwindigkeit von 28 Stundenkilometer. Dieses wird außerhalb der Stoßzeiten die Leistungsfähig
keit und Attraktivität der betroffenen Straßen steigern und zur Entlastung nachrangiger Straßen, das heißt also auch zur Entlastung von Wohngebieten, führen.
Natürlich, Frau Sager, ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht allein entscheidend für den Verkehrsfluss. Entscheidend ist die Leistungsfähigkeit des Straßennetzes an sich. Da bekanntermaßen die Verkehrsknoten als leistungsbegrenzend wirken, gilt es, ein effektives Verkehrsleitsystem zu installieren, das echte Grüne-Welle-Schaltungen ermöglicht, mit variabler Geschwindigkeitsvorgabe, je nach Straßenzustand und Verkehrsaufkommen.
Zugunsten der grünen Welle haben wir nach Aussagen der Fachbehörde bei den Ampelschaltungen noch ausreichend Verbesserungsspielräume. Das heißt, in absehbarer Zeit werden alle Lichtzeichenanlagen rechnergesteuert und verkehrsaufkommensabhängig arbeiten.
Nicht zuletzt setzen wir auf kapazitätserweiternde Straßenbaumaßnahmen. Dies betrifft zunächst Engpassbeseitigungen, besonders auf den Ringen 2 und 3. Wenn Hamburg die durch große infrastrukturelle Projekte sich ergebenden wirtschaftlichen Entwicklungspotenziale nutzen will, dann lassen sich die damit verbundenen Verkehrszuwächse auch bei Ausschöpfung aller Verlagerungsmöglichkeiten letztlich nur durch eine deutliche Kapazitätserweiterung im Straßennetz auffangen.
Wir wollen, dass in bestimmten leistungsfähigen Abschnitten von Hauptverkehrsstraßen wieder eine Höchstgeschwindigkeit von 60 Stundenkilometer zugelassen wird. Dieser Schritt ist im Kontext der verkehrsverbessernden Maßnahmen nur ein Mosaikstein, aber er wird bei den Bürgern Hamburgs ebenso positive Resonanz finden wie bereits erfolgreich durchgeführte Maßnahmen. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Winkler, schönen Dank, dass Sie aus meiner Presseerklärung zitiert haben, vielleicht wird sie dadurch umso mehr beachtet. Ich werde zunächst die Argumente für alle darlegen, die die Presseerklärung noch nicht gelesen haben, und dann Ihre Kritik daran widerlegen.
Gestatten Sie mir erst einmal zu sagen, dass die SPD im Straßenraum in erster Linie auf Verkehrssicherheit setzt und erst später auf Schnelligkeit, denn die Senkung der Unfallzahlen ist uns ein vorrangiges Anliegen. Im Jahr 1992 hat der von uns unvergessene Innensenator Werner Hackmann auf 60 Hamburger Hauptstraßen Tempo 50 eingeführt, also von 60 auf 50 reduziert, nicht auf allen. Es gibt auch heute noch – das wissen Sie sicher – Hauptstraßen, auf denen Tempo 60, teilweise sogar Tempo 70 erlaubt ist, auf der Wilhelmsburger Reichsstraße auch noch 80. Keineswegs ist also hier alles über einen Kamm geschert worden.
Nach einem Jahr hat die Innenbehörde eine Auswertung des Schadenverlaufs auf diesen Straßen vorgenommen und festgestellt, dass sich in dieser Zeit die Zahl der Unfälle im ersten Jahr um 22,5 Prozent reduziert hat
darf ich vielleicht einmal ausreden, Sie werden gleich mehr hören –, im übrigen Straßenraum in dieser Zeit um 2,3 Prozent – da stimme ich Ihnen zu – und die Unfälle mit Personenschäden sogar um 25,2 Prozent sanken. Im Jahr 1995 hat die von Ihnen zitierte Stelle eine Untersuchung durchgeführt und im Grundsatz bestätigt, dass in der ersten Zeit die Unfälle deutlich zurückgegangen sind. Das hat sich später ausgeglichen und ich will Ihnen auch sagen, warum. Dank der Verkehrspolitik des SPD-geführten Senats ist die Zahl der Unfälle in ganz Hamburg deutlich zurückgegangen, nämlich durch Tempo-30-Zonen und eine Reihe abgestimmter Maßnahmen.
Dass dort, wo die Unfälle bereits vorher zahlenmäßig zurückgegangen sind, jetzt natürlich nicht mehr so viel reduziert werden kann, ist doch klar. Sie werden immer einen Bodensatz an Unfällen haben, der sich nicht vermeiden lässt. Sie haben selbst von den unbelehrbaren Rasern gesprochen. Außerdem ist jeder Unfall, der nicht passiert, den wir naturgemäß nicht wahrnehmen können, ein Unfall weniger. Es ist weniger Leid, es sind weniger Verletzte, wahrscheinlich auch weniger Tote.
Die Leute, die gestorben und verletzt worden wären, wäre das nicht passiert, wissen das heute nicht und erfreuen sich wahrscheinlich bester Gesundheit.
Wenn Sie jetzt umgekehrt auf Tempo 60 gehen, werden Sie – das prophezeie ich Ihnen, das wird Ihnen jeder Verkehrswissenschaftler bestätigen – eine vermehrte Sorglosigkeit erzeugen. Sie werden eine Euphorie erzeugen: freie Fahrt für freie Bürger. Und wenn Sie sagen, Raser rasen sowieso, so stimmt das nicht. Sie wissen selber, dass die Leute, die Tempo 50 fahren dürfen, Tempo 60 fahren, denn die Polizei bestraft erst ab Tempo 60 mit 15 Euro und dann gibt es noch eine Toleranzgrenze von drei Stundenkilometern. Das heißt, jeder kundige aufgeweckte Hamburger weiß, dass er Tempo 63 fahren kann und nicht bestraft wird. Wenn Sie das auf Tempo 60 erhöhen, dann haben Sie den Effekt: zehn mehr plus drei sind 73.
Und wenn Sie das jetzt auf die Unfälle übertragen, so verlängert sich der Bremsweg überproportional, je schneller jemand fährt. Bei Tempo 30 können Sie noch vor einem Fußgänger, der unvorbereitet auf die Straße läuft, anhalten, ihm wird wenig oder gar nichts passieren. Bei Tempo 50 haben Sie ihn auf dem Kühler, bei Tempo 70 ist er im Krankenhaus oder im Leichenschauhaus. Das wollen wir nicht und deswegen wollen wir kein Tempo 60.
(Beifall bei der SPD und der GAL – Karl-Heinz Ehlers CDU: Es gibt sogar Leute, die fahren mit dem Fahrrad zu schnell!)
Außerdem kommt Ihr Vorschlag ein Vierteljahr zu spät. Der von Ihnen gestützte Innensenator Schill hat bereits in einer Pressekonferenz am 26. März verkündet und auch schriftlich verteilt, dass das Ziel der Koalitionsvereinbarung, die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Hauptverkehrsstraßen auf 60 heraufzusetzen, in absehbarer Zeit realisiert werde.
Und da das nicht langte, hat er dann noch gesagt, die Innenbehörde werde auf Hauptverkehrsstraßen die Höchstgeschwindigkeit von 50 auf 60 heraufsetzen. Warum dann noch Ihr Antrag, den Senat zu ersuchen, das zu prüfen, wenn der Senat sagt, das mache ich schon?
Das ist doch überflüssig, das macht doch überhaupt keinen Sinn, es sei denn, Sie wollten uns Gelegenheit geben, Ihre Argumente öffentlichkeitswirksam zu widerlegen. Dafür danken wir Ihnen recht herzlich.
Ich komme zum Schluss. Der Effekt, den Sie erreichen werden, wird eine zunehmende Sorglosigkeit der Autofahrer sein. Es wird in Hamburg schick werden, schnell zu fahren. Es wird in Hamburg schick werden, sorglos zu sein und schwächere Verkehrsteilnehmer nicht zu beachten. Sie werden damit – das haben Sie schon gemacht – für eine weitere Steigerung von Unfallzahlen sorgen. Sie werden dieses billigend in Kauf nehmen müssen, wenn Sie solche Beschlüsse fassen. Herzliches Beileid schon jetzt den Unfallopfern.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin wahrlich ein Freund von Radfahrern, aber das war geistiges Radfahrertum und dagegen habe ich etwas.
(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP – Christian Maaß GAL: Als Radfahrer ist man in Hamburg schneller!)
Wir haben diesen Antrag ganz bewusst so formuliert, wie wir ihn formuliert haben. Wir wollen für die Hauptverkehrsstraßen im Gegensatz zu dem, was Sie uns hier unterstellt haben, keine pauschale Lösung, bei der wir sagen, alles wird über einen Kamm geschoren. Wir wollen, dass geprüft wird, wo diese Maßnahme Sinn macht, und dass sie da, wo sie Sinn macht, auch realisiert wird.