Protokoll der Sitzung vom 10.04.2003

(Wilfried Buss SPD: Rheinland-Pfalz hat ein Kon- zept! Da ist die FDP mit in der Regierung und da klappt das komischerweise!)

Das Fehlen dieses Konzeptes aufgrund der Verzögerungen auf Bundesebene – das ursächlich mit den einzelnen Parametern der Finanzierung zusammenhängt – hat nichts damit zu tun, dass wir keines zum jetzigen Zeitpunkt vorlegen können. Insofern hat dies nichts mit Konzeptlosigkeit zu tun.

Herr Buss, ich bin neugierig auf Sie. Frau Ernst kommt auch noch, sie hat mit Sicherheit noch viele gute inhaltliche Bemerkungen zur Thematik der Ganztagsschulen im Köcher. Das wäre dann etwas Neues.

Interessant wäre es, wie sich die SPD ihre eigenen Konzepte zur Umsetzung und Verbesserung von Ganztagsschulen in Hamburg vorstellt. In diesem Punkt ist der Richtungswechsel der Sozialdemokratie in Hamburg schon erstaunlich. Warum?

In den letzten Jahren der Regierungsverantwortung – also noch 2001 – haben Sie es geschafft, pro Jahr eine einzige Ganztagsschule einzurichten.

(Wilfried Buss SPD: Gebetsmühle!)

Dass Sie das nicht hören wollen, können wir alle gut verstehen.

(Wilfried Buss SPD)

Es wird dadurch aber nicht falsch, dass man es bei dieser Gelegenheit wieder hervorholt. Wenn Sie eine solche Anfrage stellen, dann winseln Sie förmlich nach diesem Argument. Insofern sollen Sie dieses hier auch hören.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Ich möchte Ihnen und denjenigen, die es interessiert, einige Inhalte nennen, die belegen, dass sich die Haltung der SPD in Hamburg in den letzten Jahren ganz massiv geändert hat. Ich spreche nicht von der Zeit, als wir noch einen Kaiser hatten, sondern von der letzten Legislaturperiode.

Die CDU hat zuletzt in der Drucksache 16/4229 gefordert, das Ganztagsschulangebot in Hamburg entsprechend der Nachfrage der einzelnen Schulen auszubauen. Das war zu einer Zeit, als wir noch in der Opposition waren. Dieser Antrag wurde – wie alle anderen der Vorjahre – abgelehnt. Warum wurde er von Ihnen abgelehnt? Weil dies nicht notwendig war.

Ich lese einmal den Anfang Ihrer Großen Anfrage vor:

„Ganztagsschulen eröffnen neue Wege bei der Verknüpfung von fachlichem und sozialem Lernen. Ein verbessertes Angebot an Ganztagsschulen unterstützt die Eltern darüber hinaus bei ihrem Wunsch, Beruf und Familie miteinander vereinbaren zu können.“

Das war vor 17 Monaten nicht anders, Frau Ernst und Herr Buss.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU, der Partei Rechts- staatlicher Offensive und der FDP)

„Mit zusätzlichen Ganztagsschulen werden das Lernumfeld an den Schulen und die Qualität des Unterrichts verbessert. Denn der Zugang zu Bildung und der Erwerb von Bildung werden immer noch in zu starkem Maße von der sozialen, ethnischen und finanziellen Situation der Familien beeinflusst.“

Und so weiter. Das sind Dinge, die richtig sind. Aber wo waren Sie denn vor 17 Monaten, als Sie das Geld nicht dazu hatten, die 14 400 Lehrerstellen einzufordern, die Sie zum Teil am Haushalt vorbeifinanziert haben. Sie haben die Erkenntnisse der Vergangenheit aus der Mottenkiste geholt und sagen plötzlich, dass sich die Welt nach PISA geändert hätte. Die Welt hat sich in diesem Punkt nach PISA nicht geändert.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU, der Partei Rechts- staatlicher Offensive und der FDP)

Warum hat sie sich nicht geändert? In Hamburg hat sie sich nicht geändert, weil wir im Gegensatz zu allen anderen 15 Bundesländern auf die Ergebnisse der LAU-Studien 5, 7 und 9 zurückgreifen können. Die Dinge, die wir aus den LAU-Studien wissen, sind für Hamburg sehr wertvoll und natürlich richtig gewesen. Sie hätten das, was Sie jetzt vorweg in der Großen Anfrage an Erkenntnissen über die Ganztagsschulen geschrieben haben, spätestens nach LAU 5 und LAU 7 in Ihrem Regierungshandeln umsetzen können.

(Vizepräsident Farid Müller übernimmt den Vorsitz.)

Wir haben es nicht mit neuen Konzepten und Ideen der SPD, sondern mit einem alten Hut zu tun. Damals hatten Sie nicht das Geld, dieses umzusetzen.

(Jenspeter Rosenfeldt SPD: Ja, eben! Jetzt ist es doch da!)

Heute stellen Sie sich aber voller Entrüstung hier hin und fordern dieses ein. Ich will Ihnen einmal belegen, wie unseriös das ist.

(Wilfried Buss SPD: Was ist jetzt mit Ihrem Kon- zept?)

Frau Ernst, Sie haben vor eineinhalb Wochen großspurig eine Pressekonferenz abgehalten, in der Sie sagten, dass Hamburg von den in den nächsten Jahren zur Verfügung stehenden 66,78 Millionen Euro 100 neue Ganztagsschulen einrichten müsste. Sie haben den Taschenrechner genommen und ausgerechnet, was in etwa eine Ganztagsschule kostet; so kamen Sie auf die Zahl 100. Das ist richtig. Dafür gibt es einen Punkt.

Zum zweiten und dritten Punkt – Herr Buss, Sie haben mit den schulischen Vergleichen begonnen; diese originelle Art führe ich fort –: Was ist mit den Personalkosten? Was ist mit den Folgekosten? Haben Sie einmal mit Ihrem jetzigen haushaltspolitischen Sprecher Werner Dobritz darüber gesprochen? Haben Sie sich mit dem ehemaligen langjährigen haushaltspolitischen Sprecher Zuckerer – dem jetzigen Fraktionsvorsitzenden – unterhalten, der früher mit bebender Stimme über die Kontinuität des Haushalts

(Wilfried Buss SPD: Priorität!)

gesprochen hat? Wie wollen Sie das bezahlen?

Eine Nebenbemerkung: Sie haben in demselben Papier auch das zehnte Schuljahr gefordert nach dem Motto: Ich fordere mehr Bildung und sage nicht, wie das bezahlt werden soll, bin aber dann der Gutmensch. Die, die es nicht machen, sind dann die schlechten Menschen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU, der Partei Rechts- staatlicher Offensive und der FDP – Wolf-Dieter Scheurell SPD: Sie waren die Gutmenschen der ganzen Legislatur!)

So funktioniert politisches Handeln nicht.

Sie haben vergessen – insofern will ich das nicht weiter konkret und episch ausführen, weil das auf den Tribünen schon keiner mehr hören kann –, dass dieser Senat drei Ganztagsschulen pro Jahr aus den eigenen Mitteln bezahlt hat. Aber Sie hätten zumindest erwähnen können – weil das wirklich eine Leistung ist –, dass diese Koalition auch die weiteren außerunterrichtlichen Nachmittagsangebote wie zum Beispiel „PROREGIO“ mal eben von sechs auf zwölf verdoppelt hat

(Wilfried Buss SPD: Das haben wir doch einge- führt!)

und auch für das Schuljahr 2003 und 2004 um weitere sechs Standorte ausweiten will.

Sie haben völlig ignoriert – ich bin gespannt, ob Frau Ernst darauf eingeht; ich tippe darauf, dass sie dies nicht tun wird, weil es nicht in ihr Konzept passt –, dass der Senat zum Beispiel in der Großen Anfrage erwähnt hat, dass nicht nur die Frage der Ganztagsschulen das Entscheidende ist, sondern dass das Konzept des Senats natürlich auch ein niedrigschwelligeres Angebot beinhaltet, nämlich Schulen mit Ganztagsangeboten.

Ziel dieser Koalition ist es, nicht nur Ganztagsschulen einzurichten und sich auf den Lorbeeren der drei – nach wie vor zu wenigen – Standorte auszuruhen, sondern an möglichst vielen Standorten den Kindern in dieser Stadt eine

(Wolfgang Drews CDU)

Nachmittagsbetreuung anzubieten. Das ist im Übrigen in der Großen Anfrage – auf Seite 2, Spiegelstriche 1 bis 4, werfen Sie uns dazu Konzeptionslosigkeit vor – deutlich beantwortet worden.

(Wilfried Buss SPD: Das ist doch kein Konzept!)

Herr Buss, man kann natürlich wieder zu der Floskel greifen und sagen: Das reicht mir nicht, das ist schlecht. Ich sage aber: Das ist ein Quantensprung, denn hier reden wir über eine wirkliche Nachmittagsbetreuung.

(Wilfried Buss SPD: Das ist ja Wahnsinn!)

Lassen Sie mich noch einmal ausführen, was für Hamburg wichtig ist.

Für Hamburg ist es wichtig, dass wir unsere Schülerinnen und Schüler an vielen Schulstandorten in unterschiedlichsten Schulen nachmittags betreuen. In diesen Genuss der Angebote sollen auf der einen Seite die GHR-Schulen, aber auf der anderen Seite auch die weiterführenden Schulen wie die Gymnasien und auch – wo es notwendig ist – die Gesamtschulen kommen. Das haben wir im letzten Jahr bewiesen, indem zum Beispiel eine Gesamtschule eine Ganztagsschule wurde. Das passt natürlich nicht in Ihr Konzept.

Über den Punkt der fehlenden Investitionskosten – die Mogelpackung von 10 Prozent, die der Bund nicht angeführt hat – für das Personal habe ich gesprochen. Das stammt jedoch aus der Zeit vor der Bundestagswahl, aber Sie versuchen den Eindruck zu erwecken, dass dies mit dem Investitionsprogramm allein abgedeckt ist.

Sie haben nicht erwähnt, Herr Buss, dass auf Ihre entsprechende Anfrage der Senator und die Behörde geantwortet haben – schreiben Sie das ruhig mit, Frau Ernst, damit Sie darauf noch einmal eingehen können –, dass natürlich ergänzende Angebote wie zum Beispiel die Nachmittagsangebote in Gymnasien aufgrund der Schulzeitverkürzung – Abitur nach zwölf Jahren – wichtig sind.

Meine Damen und Herren von der SPD! Ein Punkt, den Sie völlig ausgeblendet haben, macht mich allerdings abschließend sehr nachdenklich: Sie kommen – wie Frau Dr. Hilgers gestern bei den Ausbildungsplatzangeboten für Jugendliche – immer mehr dazu, dass die Insellösung für Sie das Nonplusultra ist. Sie vergessen, dass Schul- und Bildungspolitik mit anderen Bereichen zusammenhängt. Wir reden nicht nur über die Ganztagsbetreuung und die Nachmittagsangebote, sondern generell darüber, wie wir Schulen in Hamburg für Schülerinnen und Schüler auf Dauer qualitativ verbessern können. Dabei ist der Bereich der Ganztagsschulen nur ein entscheidender Punkt.

(Wilfried Buss SPD: Habe ich gesagt!)

Die in den nächsten Monaten zu beschließende Schulgesetznovelle, die dieser Senat und diese Bürgerkoalition vorgelegt hat und über die wir – auch über Ihre großen Konzepte, meine Damen und Herren von der SPD – noch sprechen werden, ist gut und entscheidend für Hamburg: Schulzeitverkürzung, die entsprechenden Leistungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, die Schärfung der Profile im Bereich der HR-Schulen und der Integration und zum Beispiel das, was wir im Bereich der Berufsbildungszentren oder der Weiterentwicklung der beruflichen Schulen vor uns haben. Das sind nur wenige Elemente aus derselben Kette. Für die Bürgerkoalition heißt das: Verbesserung des Qualitätsniveaus bei allen Hamburger Schulen und Schulformen.