Protocol of the Session on October 29, 2003

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Diesen Antrag möchte die Fraktion der Partei Rechtsstaatlicher Offensive federführend an den Jugend- und Sportausschuss und mitberatend an den Innenausschuss überweisen. Wer begehrt das Wort? – Herr Hesse bekommt es.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! "Sonst gebe ich dir die Faust!" – So beginnt häufig das, was meist liebevoll in unserer Stadt mit Abziehen bezeichnet wird. Es stellt aber tatsächlich schweren Raub und Erpressung unter Jugendlichen dar. Die Hol-Mentalität – was ich will, das hole ich mir – hat in den letzten Jahren bundesweit zu einem kräftigen Anstieg im Bereich des Raubes unter Jugendlichen geführt.

Der Hamburger Senat hat die Bekämpfung der Jugendkriminalität als einen seiner Schwerpunkte festgelegt. Der Rückgang der Jugendkriminalität um 19 Prozent im letzten Jahr hat gezeigt, dass die Arbeit der zuständigen

Behörden Erfolg hatte. Ich möchte Ihnen in Kürze sagen, was getan wurde.

Bei der Behörde für Soziales und Familie wurden beispielsweise HzE-Mittel in Höhe von 4 Millionen Euro umgeschichtet und eine geschlossene Unterbringung geschaffen, um verbesserte Voraussetzungen zu haben.

(Vizepräsident Farid Müller übernimmt den Vor- sitz.)

Die Behörde für Bildung und Sport optimiert gerade zusammen mit der Behörde für Inneres die Arbeit von REBUS, um sich der Schulschwänzer anzunehmen. Sie haben es vielleicht dem heutigen Pressespiegel entnehmen können, dass sie gerade mit dem "Faustlos"-Projekt an den Grundschulen beginnt.

Die Justizbehörde hat mit der neu konzeptionierten jugendgerichtlichen Unterbringung und einem neu konzipierten Jugendarrest für Jugendrichter neue Möglichkeiten geschaffen. Die Behörde für Inneres hat mit 235 Cop4U und 91 Präventionsbeamten in den Schulen bereits viel zur Vertrauensbildung zwischen Polizei und Schülern beigetragen.

Ich möchte zu den Cop4U zwei Zahlen nennen. Seitdem es Cop4U gibt, haben diese seit dem letzten Jahr an insgesamt 1146 schulischen Veranstaltungen teilgenommen. Es gab 780 Strafanzeigen und 304 Hinweise auf Straftaten. Das ist ein wirklich gutes Zwischenergebnis. Es zeigt, dass diese Einrichtung schon jetzt ein voller Erfolg ist.

Das sind alles Maßnahmen, um die Jugendkriminalität zu bekämpfen und das Vertrauen bei Jugendlichen für eine Kooperation zu schaffen. Leider aber erreichen wir mit diesen Maßnahmen nicht alle Kinder und Jugendlichen. Es gibt Kinder und Jugendliche, die sich aus Angst mit ihren Problemen weder an die Eltern, noch an die Lehrer, noch an die Freunde und auch nicht an die Polizei wenden. Ich möchte Ihnen, weil ich glaube, dass man es gar nicht besser schildern kann, aus einem "Spiegel"-Artikel vom 28. April 2003, Seite 55-60, zwei Absätze kurz vortragen:

"Die Angst, die ihn einfach nicht mehr loslässt, nicht in der Schule, nicht auf dem Fußballplatz, nicht zu Hause, diese Angst lässt ihn auch schweigen. Er fürchtet, Jérome könnte sich an seinen Eltern rächen, an seiner Schwester, und er hofft, die Bedrohung werde irgendwann von sich selbst vorübergehen, wie ein böser Traum. Aus Angst, Jérome und Malik wieder zu treffen, traut sich Bastian kaum noch aus dem Hause. Welche Ängste sie bei ihren Opfern auslösen, ist den meisten dieser Täter nicht annähernd klar, weiß der Hamburger Jugendrichter Joachim Katz,“

den zitiere ich eigentlich recht selten, aber in diesem Fall hat er Recht –

"der oft mit den Folgen des Abziehens konfrontiert ist. 'Da werden Lebenswege total verbogen', vermutet eine Hamburger Polizistin, die häufig jugendliche Opfer vernommen hat, bei einigen pure Verzweiflung spürte, 'die werden nie mehr mutig und selbstbewusst.' 'Viele Jugendliche schämen sich, als derart schwach und hilflos dazustehen', begründet der Kriminologe Christian Pfeifer solche für außen Stehende unbegreifliche Verschwiegenheit. Die meisten minderjährigen Erpressungsopfer behielten ihre Nöte bis zuletzt für sich, so

wie der siebzehnjährige Marco S. aus dem Hamburger Stadtteil Neuwiedenthal: Der Jugendliche, der jahrelang von einer Bande geschlagen, beraubt und erpresst wurde, stürzte sich 1997 vor eine S-Bahn und starb. Er traute zum Schluss niemandem mehr."

Meine sehr verehrten Damen und Herren, so etwas darf in Hamburg nicht mehr passieren

(Beifall bei der CDU und der Partei Rechtsstaatli- cher Offensive)

und da müssen wir uns Gedanken machen, wie wir das ändern können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Antrag: Ich weiß auch, dass es viele Hotlines in Hamburg gibt und dass das Vertrauen in Hotlines auch nicht bei jedem gegeben ist. Deswegen ist es auch nicht mit der Schaffung einer Hotline allein getan, um diese Problematik anzugehen. Wir haben deswegen nicht nur eine Hotline gefordert, sondern auch eine Kampagne, eine Plakataktion und eine Broschüre, die darstellt, sowohl welche Konsequenzen das Abziehen für denjenigen hat, der abzieht, der raubt und erpresst, als auch, was das Opfer tun kann. Ich bin auch überzeugt, dass die Hotline nur dann funktioniert, wenn man immer wieder regelmäßig darauf hinweist, wenn man immer wieder regelmäßig in Zusammenarbeit mit den Cops4U an den Schulen auf die Problematik hinweist.

Meine Damen und Herren, "sonst geb' ich dir die Faust": Dieser Spruch muss in Hamburg mit aller Härte bekämpft werden. Alle Opfer müssen wissen, dass Raub und Erpressung in dieser Stadt mit der ganzen Härte des Gesetzes bekämpft werden. In jeder scheinbar noch so ausweglosen Situation gibt es staatliche Hilfe. Daher ist es wichtig und notwendig, sich jemandem anzuvertrauen. Lassen Sie uns in den beiden Ausschüssen, in denen wir diesen Antrag beraten werden, über die Kampagne "Wehr Dich!" sprechen und überlegen, wie wir sie in die bereits bestehenden Konzepte zu Bekämpfung von Jugendkriminalität integrieren können. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und der FDP)

Das Wort hat Herr Schulz.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag ist, glaube ich, in der Tat ein sinnvoller Baustein im Kampf gegen Jugendkriminalität, nicht mehr und nicht weniger. Es wird auch nicht der letzte Baustein sein, den wir brauchen. Vielem von dem, was Herr Hesse gesagt hat, stimme ich zu. Bei manchem hätte ich einen anderen Akzent gesetzt, aber das waren keine prinzipiellen Unterschiede, eher graduelle.

Zwei Anmerkungen zu dem, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Hesse: Ich würde Ihnen dringend empfehlen, beim Umgang mit Statistiken etwas vorsichtiger zu sein, und zwar aus folgendem Grund: Wenn das, was hier zum Beispiel angeregt wird, sich schlagartig positiv auswirkte, all diejenigen Opfer, die jetzt noch Angst haben und nicht sagen, dass sie Opfer sind, dies jetzt schlagartig täten, dann hätten wir in der Statistik ein katastrophales Ergebnis. In der Realität hätten wir einen Riesengewinn an Sicherheit. Deshalb etwas mehr Vorsicht beim Auslegen von Statistiken. Wir haben in den letzten Jahren damit

zum Teil richtig Schindluder getrieben und Sie wissen auch, aus welchen politischen Gründen das geschehen ist.

Zu dem Antrag selbst: Ich habe einen einzigen Punkt, über den wir, finde ich, im Ausschuss reden müssten. Sie haben gefordert, das Ganze soll haushaltsneutral durchgeführt werden. Ich verstehe das so: Es muss innerhalb der zuständigen Behörde umgeschichtet werden. Das wird keine ganz billige Maßnahme. Es geht ja nicht um 5000 oder 6000 Euro, sondern das kostet uns richtig Geld. Dann, finde ich, können wir dem eigentlich nur richtig verantwortungsvoll zustimmen, wenn wir denn mindestens im Fachausschuss erfahren, wo, wenn wir dieses hier durchführen, wir dann etwas anderes wegsparen. Unter dieser Vorsaussetzung ist das ein sinnvoller Antrag. Wir werden ihm zustimmen beziehungsweise den Vorschlag der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, das in den Fachausschuss zu überweisen, akzeptieren und freuen uns auf eine sinnvolle Diskussion. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Burkhardt Müller- Sönksen FDP)

Das Wort hat Herr Bauer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mein Kollege Klaus-Peter Hesse hat es schon auf den Punkt gebracht: Die Entwicklung der Jugendkriminalität, insbesondere das so genannte Abziehen, erfordert große Anstrengungen aller staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen, um nachhaltig und dauerhaft Verbesserungen zu erzielen. Deshalb ist der Antrag sinnvoll, auch wenn jetzt schon die Jugendbeauftragten der Polizei sowie die Cops4U vom Abziehen betroffenen Kindern und Jugendlichen auch anonym mit Rat und Tat zur Seite stehen. Kinder und Jugendliche, Täter wie Opfer, müssen begreifen, dass das so genannte Abziehen weder supergeil noch supercool ist. Es ist eine Raubstraftat, also ein Verbrechen, das verfolgt und geahndet werden muss. Die Hotline ist der erste, aber ein sehr wichtiger Schritt, junge Opfer dahingehend zu stärken, sich trotz berechtigter Angst oder falsch verstandener Freundschaft an die Polizei oder andere Institutionen zu wenden. Verbrechen dürfen sich nicht lohnen, egal, wie jung der oder die Täter sind.

Die im Petitum genannten Punkte 1 bis 4 sind daher absolut richtig. Aber, lieber Klaus-Peter, zu Punkt 1 im Petitum sind wir der Meinung, dass nicht nur die Jugendhilfe, sondern auch die polizeilichen Jugendbeauftragten sowie besonders geschulte Polizeibeamte die Kampagne unterstützen und begleiten sollen. Abziehen ist ein Verbrechen, für dessen Bekämpfung, aber auch für Hilfe und Ratschläge zum Thema "Abziehen" originär die Polizei zuständig ist. Prävention und Repression sind Aufgaben der Polizei, die sie gleichermaßen auch zu erfüllen hat. Aber darüber können wir ja noch einmal im Ausschuss reden.

Ein deutliches Ja zu Prominenten, die die Kampagne mit einer Plakataktion unterstützen sollen. Aber bitte nicht mit Dieter Bohlen, Naddel oder Verona, sondern die Klitschkos, Dariusz Michalczewski, Spieler des HSV oder St. Paulis sowie der Hamburg Freezers sollten das ehrenamtlich, also ohne Honorar, übernehmen. Mit Hamburger Sportlern können sich die Kinder und Jugendlichen nämlich sehr wohl identifizieren, und wir hoffen alle, dass sie mitmachen.

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Meine Damen und Herren, das Betreff im Antrag meines Kollegen Klaus-Peter Hesse, "Kampagne 'Wehr Dich' – eine Initiative zur Stärkung des Selbstbewusstseins junger Menschen", nehme ich jetzt wörtlich: Jawohl, potenzielles Opfer, wehr dich! Wir wollen, dass es erst gar nicht zu einer Raubstraftat, dem so genannten Abziehen kommt. Mit den Mitteln der Sicher-stark-Philosophie könnte das erreicht werden, unter anderem durch Selbstbehauptungs- und Konflikttraining, Schulung der Wahrnehmung von Gefahrensituationen wie Gefahrenerkennung und -vermeidung und verbaler Selbstverteidigung, Vermittlung von wirkungsvollen und zugleich einfach anwendbaren Selbstverteidigungstechniken und vieles mehr. Ziel der Sicher-stark-Philosophie, die von kompetenten Polizeibeamten, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten, Psychologen und Kampfsporttrainern vermittelt, geschult und trainiert wird, ist, Sicherheit, Schutz und Selbstbewusstsein für die Kinder und Jugendlichen zu erreichen. Sie erfahren dadurch, dass sie stark und sicher sind und sich wehren können, wenn es darauf ankommt, nämlich frei nach dem Antragsbetreff "Wehr Dich!"

Das eben Gesagte, lieber Klaus-Peter, gehört auch zur Stärkung des Selbstbewusstseins. Einen entsprechenden Antrag zur Umsetzung der Sicher-stark-Philosophie an Schulen und Jugendzentren werde ich schnellstmöglich einbringen. Und, meine Damen und Herren, wie ich schon am Anfang meines Redebeitrages gesagt habe, muss gesamtgesellschaftlich, also auch von der Politik, alles unternommen werden, dass die Trendsportart "Abziehen" nicht zur olympischen Disziplin mutiert, nach dem Motto "Feuer und Flamme fürs Abziehen". – Danke schön.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Das Wort hat Frau Opitz.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Schön, dass die Rechtskoalition nach so viel Repression endlich auch die Prävention entdeckt.

(Dr. Michael Freytag CDU: Bürgersenat!)

Wir werden Ihren Antrag "Wehr Dich!" gerne im Ausschuss diskutieren. Die grundsätzliche Idee ist gut: Sie greifen – mal wieder – einen unter Rotgrün entwickelten Ansatz auf.

(Burkhardt Müller-Sönksen FDP: Das ist eher von der FDP!)

Eine längerfristige Konzeption steht allerdings nicht dahinter. Zunächst soll einmal wieder eine Hotline eingerichtet werden. Wie sich die Hamburger Bürgerinnen und Bürger jemals alle Hotline-Nummern merken sollen, ist mir völlig schleierhaft.

(Beifall bei der GAL)

Sinnvoller wäre es, wie bereits geschehen, die Jugendlichen aufzufordern,

(Dr. Willfried Maier GAL: Das ist die Hotline Num- mer 10! – Burkhardt Müller-Sönksen FDP: www.hotline.de!)

genau, Willfried –

bei der Polizei Anzeige zu erstatten. Die Polizei ist nämlich zuständig. Es handelt sich um eine Straftat.