Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dass jedem von uns eine psychische Erkrankung treffen kann, ist, glaube ich, nicht von der Hand zu weisen. Eine genaue Ursachenforschung besagt, dass die psychische Gesundheit durch viele verschiedene Faktoren gefährdet wird. Stress, sexuelle Misshandlungen, Mobbing, um nur einige zu nennen, beeinträchtigen die menschliche Psyche.
In den Diagnosen der Erwachsenenpsychiatrie sind deutlich mehr Patienten im Bereich Verhaltensstörung durch Alkohol oder Schizophrenie zu verzeichnen. Die Einführung einer neuen Generation als Antidepressiva mit geringen Nebenwirkungen ist schon ein Schritt in die richti
ge Richtung. Die Große Anfrage zeigt uns, dass hier in Hamburg trotz der schlechten Gesundheitsreform in Berlin die Welt halbwegs in Ordnung ist. Beunruhigend sind allerdings die Diagnosen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hamburger Krankenhäusern im Bereich der Essstörungen. Aber hierzu haben wir am 15. Januar eine große Anhörung und werden darüber auch mehr erfahren. Im Bereich der Essstörungen wurden 25 Mädchen und drei Jungen behandelt. Genauso deutlich ist der Sprung der spezifischen Persönlichkeitsstörungen bei Mädchen. Hier ist das Verhältnis zwölf : zwei. Hier sehe ich dringenden Handlungsbedarf. Ebenso erschreckend sind die Zahlen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hamburger Krankenhäusern. Ein Anstieg von 194 Fällen in 1998 auf 678 Fälle junger Patienten in 2002 stellt einen Handlungsbedarf dar. Allerdings zeigt uns die Große Anfrage auch, dass unser System hier ausreichend ist. Durch Kapazitätenerweiterung – Herr Wersich hat es angesprochen –, zum Beispiel im Krankenhaus Wilhelmstift oder im Albertinen-Krankenhaus, wurde diesen Zahlen entgegengesteuert.
Weiterhin positiv zu bezeichnen ist der Anstieg von 14 auf 18 der niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und -psychiater. Alle sieben Hamburger Bezirke verfügen über einen jugendpsychiatrischen Dienst. Traurig ist es auf jeden Fall immer, wenn ein gesunder Mensch psychisch krank wird. – Danke.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Februar erhielten alle Fraktionen einen Brief der Psychiatriebetroffenen und der Angehörigen psychisch Kranker. Sie fragten uns Abgeordnete, was wir zur Verbesserung der unzureichenden Versorgung von chronisch schwerst psychisch Kranken in Hamburg tun werden. Dieser Brief wurde – Frau Brinkmann hat es bereits erwähnt – vom Parlament negiert. Die Regierungskoalition lehnte die von uns beantragte Selbstbefassung mit diesem Schreiben im Sozial- und im Gesundheitsausschuss ab mit der Bemerkung: "Ach, das Thema Psychiatrie, das wollen wir nicht." In der letzten Legislaturperiode hätten wir uns doch auf Initiative der GAL immer wieder vergeblich mit diesem schwierigen Thema abgekämpft und das wolle man sich nicht weiter antun.
Es stimmt, Psychiatrie-Politik ist ein mühsames Geschäft, aber, meine Damen und Herren, wir müssen dieses Feld weiter beackern, denn als gewähltes Parlament dürfen wir die drängenden Probleme, die Menschen in dieser Stadt an uns herantragen, nicht einfach negieren.
Die Versorgung psychisch kranker Menschen hat für die Politik auch deshalb einen besonderen Stellenwert, weil psychisch Kranke nach wie vor gegenüber körperlich Kranken diskriminiert werden. Die Krankenversicherung kommt nämlich für die notwendige psychosoziale Versorgung chronisch psychisch kranker Menschen fast nicht auf, sodass dies die Aufgabe des Sozialhilfeträgers ist. Herr Rehaag, ich freue mich sehr, dass Sie hier sind, aber es ist schade, dass Ihre Kollegin, Frau SchnieberJastram, nicht auch hier ist.
Ich bin froh über die Große Anfrage der SPD, durch die die psychiatrische Versorgung in Hamburg breit dargelegt werden konnte. Es gibt, meine Damen und Herren, durchaus Positives zu berichten. Die Dezentralisierung der klinischen Psychiatrie ist in letzter Zeit gut vorangekommen. Kürzlich wurde auch im Albertinen-Krankenhaus eine psychiatrische Abteilung eröffnet, was in der Drucksache noch gar nicht erwähnt wird, also es geht voran. Psychiatrische Abteilungen und Tageskliniken gibt es nun in fast allen Bezirken. Die klinische Versorgung von psychisch kranken Menschen in Hamburg erfolgt also weitgehend wohnortnah, womit eine wichtige Forderung der nun bald 30 Jahre alten Psychiatrie-Enquete erfolgt ist. Was leider bisher nicht erreicht werden konnte, ist die Verzahnung der psychiatrischen Abteilungen der Allgemeinen Krankenhäuser mit dem außerklinischen psychiatrischen Versorgungssystem, für das wiederum der Sozialhilfeträger zuständig ist. Die Dezentralisierung der klinischen Versorgung macht nämlich doch nur dann Sinn, wenn gleichzeitig regionale Versorgungsverbünde entstehen und dies ist bisher in Hamburg nicht geleistet worden.
Mit dem Regierungswechsel wurde die unter Rotgrün mühsam aufgebaute Steuerungsgruppe, die dies mit diversen Arbeitsgruppen voranbringen wollte, erst einmal auf Eis gelegt. Zwei Jahre lang passierte leider gar nichts und es schien nicht einmal klar, ob die Gesundheits- oder die Sozialbehörde dafür verantwortlich ist.
Zu meiner großen Freude kann ich Ihnen mitteilen, dass die Reanimation dieser Steuerungsgruppe kürzlich von der BSF eingeleitet wurde. Es bleibt nun zu hoffen, dass sie sich von dem langen Koma bald erholt und wieder ihre Arbeit aufnehmen kann.
Der Sinn dieser regionalen Versorgungsverbünde ist die Koordination aller psychiatrischen Einrichtungen, wodurch erreicht werden soll, dass alle psychisch Kranken der Region die notwendigen Hilfen in ihrer Wohnortnähe erhalten. In den letzten Jahren erfolgte bundesweit, also nicht nur in Hamburg, ein rasanter Bettenabbau in der Psychiatrie. Die Behandlungszeiten werden immer kürzer, was bedeutet, dass psychisch kranke Menschen aus der Klinik entlassen werden, bevor sich ihr Zustand wieder einigermaßen stabilisiert hat. Das betrifft vor allem die große Gruppe der an Schizophrenie Erkrankten, von denen etwa ein Drittel dauerhaft auf viel Unterstützung angewiesen ist.
Mit der Verkürzung der klinischen Behandlungszeit nimmt die Bedeutung der außerklinischen Behandlung natürlich zu. Dies ist in vielen Fällen in Hamburg nicht adäquat möglich, weil dazu die Strukturen fehlen. Wir haben leider in Hamburg viel zu wenig betreute Wohneinrichtungen für chronisch psychisch kranke Menschen, die längere Zeit auf engmaschige Hilfe angewiesen sind, denn mit dem Abbau der Klinikbetten ist nicht ein gleichzeitiger Ausbau des außerklinischen Versorgungssystems passiert und das wäre nötig gewesen. Dieser Mangel an außerklinischen Einrichtungen führt leider wieder vermehrt zu Einweisungen in weit abgelegene Heime, worauf auch der anfangs zitierte Brief der Betroffenen hingewiesen hat.
Meine Damen und Herren! Mit der Psychiatrie-Enquete, die nun fast 30 Jahre alt ist, wollten wir die Enthospitalisierung psychisch kranker Menschen erreichen. Wir wollten also nicht länger hinnehmen, dass viele psychisch Kranke ihr Leben in den so genannten Langzeitbereichen der Krankenhäuser zubringen mussten.
Was wir in vielen Fällen leider nur erreicht haben, ist eine Enthospitalisierung in die Heime und das widerspricht natürlich völlig dem Ansinnen der Psychiatrie-Enquete, denn das Ziel war ja, die psychisch kranken Menschen mitten ins normale Leben – so verrückt es oft auch sein kann – zurückzuholen und eben nicht in Heimen zu lassen. Ich denke, wir sollten die gelungene Dezentralisierung der stationären Psychiatrie zum Anlass nehmen, nun aktiv den Aufbau der außerklinischen regionalen Versorgungsverbünde zu unterstützen.
Die Große Anfrage der SPD stellt die Vielzahl Hamburger Einrichtungen dar und mit dieser Drucksache haben wir eine gute Grundlage für eine konstruktive Arbeit in den Ausschüssen, denn ich bitte Sie hiermit um Überweisung der Anfrage an den Sozialausschuss und an den Gesundheitsausschuss. Meine Damen und Herren, die Ablehnung dieses Überweisungsantrages würde von den Betroffenen nach der schäbigen Behandlung ihres Briefes als Beweis dafür verstanden werden, dass sich die Bürgerschaftsmehrheit nicht mit dem Anliegen der psychisch Kranken befassen möchte. Ich denke, ein solches Signal dürfen wir keinesfalls geben. – Ich danke Ihnen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! In den zwei Jahren habe ich noch nie im Vorlauftext einer Großen Anfrage gelesen, wir stellen sie deshalb, weil die böse, böse Mehrheit nicht diskutieren wollte. Das ist neu.
Es ist nicht pauschal schändlich, nein, das ist gar nichts Falsches. Es ist dann richtig, wenn man da eine berechtigte Hoffnung hat, wirklich neue, bahnbrechende Erkenntnisse zu gewinnen. Dann ist dieses Verfahren sicher angemessen. Ich muss Ihnen leider sagen, dass es in den Ergebnissen der Großen Anfrage keine bahnbrechenden Erkenntnisse gibt, außer einer und die sage ich Ihnen am Ende. Versuchen wir also, das Beste aus dieser Großen Anfrage und ihren Ergebnissen zu machen.
Welches sind die wesentlichen Ergebnisse? Erstens: Wir haben in erheblichem Maße unsicheres Datenmaterial. Frau Brinkmann, darauf sind Sie auch ein bisschen hereingefallen. Es gibt einmal fallbezogene Daten und es gibt personenbezogene Daten. Herr Wersich wies bereits darauf hin. Die KV und auch die Krankenkassen können Ihnen sagen, diese Abrechnungsposition wurde so und sooft in dem Quartal abgerechnet. Das können Sie durch die Bewohnerzahl teilen, dann haben Sie ein bestimmtes Ergebnis. Das sagt aber überhaupt nichts über den einzelnen Menschen aus. Wir haben gerade keine Statistik darüber, wie viel dieser Diagnosen, wie viel Therapien bei einem Menschen gemacht wurden.
Zweitens: In der Tat haben Anträge – das ist besorgniserregend – auf sofortige Unterbringung deutlich zugenommen. Das ist ein bemerkenswertes und auch beunruhi
Dann hat Frau Freudenberg zu Recht auf die kürzere Verweildauer hingewiesen. Wir haben in der Psychiatrie das Problem – und das ist eigentlich das wesentliche Ergebnis dieser Großen Anfrage –, das im gesamten Medizinbereich vorhanden ist. Wir wollen die Verweildauer nicht nur in der Psychiatrie, sondern auch in der Somatik laufend verkürzen, was grundsätzlich zunächst einmal gar nicht verkehrt ist. Aber es wurde hier zu Recht gesagt, dass das nur dann geht, wenn man auch im ambulanten Bereich, oder von mir aus verzahnt, entsprechende Angebote macht. Das ist richtig. Meine persönliche Sorge ist, dass es nicht nur in der Psychiatrie, sondern auch im somatischen Bereich daran fehlt. Ich glaube, aufgrund der Strukturen unseres gesetzlichen Gesundheitswesens wird es auch noch sehr lange dauern, bis man da zu anderen Ergebnissen kommt. Dafür kann Ihre Bundesregierung etwas, weil die immer noch keine vernünftige Gesundheitsreform macht. Das ist das Problem. Die Hamburger können gar nichts daran machen. Der Senator würde gern etwas machen. Wir auch, nur Sie lassen uns ja nicht, weil Sie schlechte Strukturen vorgeben. Das ist doch das Problem.
Was auch interessant und wichtig ist – ich gebe zu, dass das für mich wirklich ein neues Ergebnis war –, war die Kampagne gegen die Elektroschocktherapie, dass die aus der Scientology-Organisation stammt. Ich gebe zu, dass mir das neu war. Das ist ein wichtiges Ergebnis. Wenn man weiter solche Briefe bekommt – wir bekommen die als gesundheitspolitische Sprecher laufend –, kann man sie besser einordnen. Das sind für mich die noch messbaren Ergebnisse dieser Großen Anfrage.
Zwei Fragen sind offen geblieben, die einer weiteren Prüfung durchaus würdig sind. Hier wird die Frage aufgeworfen, ob die Beratungsstellen nur einfache Klientel haben und dadurch die sozialpsychiatrischen Dienste mehr belasten. Ich glaube, für die Bejahung dieser Frage spricht einiges. Das hätte dann natürlich unter Umständen auch Konsequenzen für den Haushalt. Die wesentliche Frage – die haben Sie auch angesprochen – ist, ob die Versorgung psychisch Kranker ausreichend ist. Da haben wir in der Tat unterschiedliche Ergebnisse. Wir haben einmal die BUG und die Kassenärztliche Vereinigung, die einen Versorgungsgrad von 130 Prozent angibt. Frau Brinkmann, wenn Sie schon – Herr Wersich erwähnte es schon – aus dem Brief der Psychotherapeutenkammer zitieren, dann müssten Sie natürlich auch aus der Antwort der BUG zitieren. Die BUG hat nämlich inzwischen auf den Brief der Psychotherapeutenkammer geantwortet und praktisch alle Vorwürfe zurückgewiesen. Ich gebe gern zu, hier steht Argument gegen Argument. Ich sage Ihnen nur, dass Sie hier nicht einseitig auftreten und argumentieren dürfen, sondern, wenn die BUG auf einen Vorwurf antwortet, auch diese Antwort zitieren müssten.
Meine Damen und Herren! Netterweise ist auch in dieser Anfrage, von Ihnen provoziert im Abschnitt A. 7., eines meiner Lieblingsthemen aus der Gesundheitspolitik erwähnt worden, und zwar die sogenannten atypischen Neuroleptika, ein sehr gutes Therapeutikum mit sehr guten Ergebnissen. Wir haben dadurch eine bessere Integration der Kranken ins Arbeitsleben, wir haben weni
ger Fehlzeiten, wir haben weniger Ausgaben für ambulante und stationäre Therapie und – am Allerwichtigsten – wir haben mehr Lebensfreude der Patienten. Da sollte man sagen, das ist ja wunderbar. Das Problem ist, dass die etwa zehnmal so teuer sind wie die klassischen Therapeutika. Wenn ein Arzt die verschreibt, sprengt er sofort sein Medikamentenbudget und er kommt in den persönlichen Regress.
Eine grausame Folge der Planwirtschaft im Gesundheitswesen. Das Ergebnis ist nämlich, dass er es nicht verschreibt. Sie kennen vielleicht die Studien, dass in Deutschland deutlich weniger atypische Neuroleptika verschrieben werden als in den vergleichbaren europäischen Ländern. Ich glaube nicht, dass die Deutschen in dem Bereich weniger krank sind als in anderen Ländern.
Ergebnis also: Den Menschen geht es schlechter. Es werden der Volkswirtschaft viel größere Kosten verursacht.
Meine Damen und Herren! Jetzt ist der Geräuschpegel sehr viel besser. Fahren Sie bitte fort, Herr Dr. Schinnenburg.
Vielen Dank, Herr Präsident! Es werden also volkswirtschaftlich höhere Kosten verursacht wegen größerer Fehlzeiten in den anderen Bereichen der Gesundheitsversorgung, stationärer Kosten und Ähnliches, und den Menschen geht es auch schlechter. Dieses Beispiel, was auch in Ihrer Großen Anfrage wieder provoziert wurde, ist für mich ein besonders widerliches, wie völlig unzureichend unser System der gesetzlichen Krankenversorgung ist. Es produziert zusätzliche Kosten, wo es eigentlich Kosten sparen wollte, den Menschen geht es schlechter, und zwar nur deshalb, weil Bürokraten mit einem schlechten Gesetz zusammen schlechte Ergebnisse herbeiführen. Das, meine Damen und Herren, ist doch das wesentliche Ergebnis dieser Großen Anfrage.
Herr Schinnenburg, ist Ihnen nicht bekannt, dass Psychiater, die diese atypischen Neuroleptika verordnen, der Kasse gegenüber begründen können, warum sie dieses tun, zum Beispiel, wenn sie besonders viele schwer psychisch kranke Menschen haben und dass sie dann auch diese Medikamentenkosten erstattet bekommen?