Protokoll der Sitzung vom 23.02.2006

Geht es vielleicht etwas ruhiger? Ich kann auch eine Pause machen. Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie nur daran erinnern, dass wir jetzt eine namentliche Abstimmung haben. Das sage ich für diejenigen, die jetzt vielleicht den Raum verlassen wollen.

Die SPD-Fraktion hat hierzu gemäß Paragraph 36 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung beantragt.

Frau Thomas und Frau Martens werden Sie daher gleich in alphabethischer Reihenfolge aufrufen. Wenn Sie den SPD-Antrag aus der Drucksache 18/3671 annehmen möchten, antworten Sie bitte mit Ja und wenn Sie ihn ablehnen wollen mit Nein. Wenn Sie sich enthalten möchten, antworten Sie bitte mit Enthaltung.

Ich darf nun Frau Thomas bitten, mit dem Namensaufruf zu beginnen.

(Christoph Ahlhaus CDU: Das verschlägt mir die Sprache!)

Entschuldigung, ich muss noch einmal unterbrechen. Könnte es jetzt vielleicht etwas ruhiger sein, weil es unheimlich schwer ist, die Antworten hier vorn aufzunehmen. Vielen Dank.

(Der Namensaufruf wird vorgenommen.)

Ist ein Mitglied der Bürgerschaft nicht aufgerufen worden? – Es sind alle aufgerufen worden. Dann erkläre ich die Abstimmung für beendet. Meine Damen und Herren! Das Abstimmungsergebnis wird nun ermittelt und Ihnen in wenigen Minuten mitgeteilt.

Unterbrechung: 17.52 Uhr ______________

Wiederbeginn: 17.57 Uhr

Ich darf Sie bitten, wieder Platz zu nehmen. Das Ergebnis ist ermittelt. Bei der Abstimmung über den SPD-Antrag aus der Druck

sache 18/3671 gab es 53 Ja-Stimmen und 59 Nein-Stimmen. Damit ist der Antrag abgelehnt worden.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Wir kommen jetzt zum Punkt 56 der Tagesordnung, Drucksache 18/3711, Antrag der GAL-Fraktion: Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug beim Bund belassen.

[Antrag der Fraktion der GAL: Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug beim Bund belassen! – Drucksache 18/3711 –]

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 18/3770 ein Antrag der SPD-Fraktion vor.

[Antrag der Fraktion der SPD: Strafvollzug: Gesetzgebungskompetenz bleibt beim Bund – Drucksache 18/3770 –]

Wer wünscht das Wort? – Herr Dr. Steffen.

(Olaf Ohlsen CDU: Nicht so lange!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!…

(Unruhe im Hause – Glocke)

Herr Abgeordneter, ich möchte Sie noch einmal unterbrechen, weil hier eine sehr große Unruhe ist, und zwar auf allen Seiten. – Bitte fahren Sie fort.

Dieser Antrag geht auf eine Initiative unserer Landtagskolleginnen und -kollegen in Schleswig-Holstein zurück. Dort wurde einstimmig von allen Fraktionen und auch unter ausdrücklicher Unterstützung des Justizministers ein gleichlautender Antrag beschlossen. Der Schleswig-holsteinische Landtag hat sich eindeutig dafür ausgesprochen, dass die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug beim Bund bleibt und hat hierfür auch sehr gute Gründe ins Feld geführt.

(Wolfhard Ploog CDU: Richtig!)

Zum einen geht es um ganz abstrakte Probleme, die sich zu allen Zeiten stellen, wenn man die Regelungseinheit, die zwischen dem Strafvollzugsgesetz einerseits, was jetzt auf die Länder übertragen werden soll, und dem Strafgesetzbuch sowie der Strafprozessordnung andererseits, die weiterhin beim Bund bleiben sollen, auseinander zerrt. Das schafft erhebliche Probleme und sollte man nicht ohne Not vornehmen. Das führt zu mehr Bürokratie und zu mehr Regelungsbedarf für Gerichte und Behörden.

Zum Zweiten, was auch – unabhängig von allen politischen Konstellationen – zu zusätzlichen Problemen führen wird, ist die Erschwerung der länderübergreifenden Zusammenarbeit. Wir haben zum Beispiel in Hamburg das Zentralkrankenhaus, in das wir auch Gefangene aus anderen Bundesländern aufnehmen. Für die würden dann andere Strafvollzugsgesetze gelten. Die Gefangenen hätten andere Rechte, wenn sie aus anderen Bundesländern kommen, und das müsste dann das Zentralkrankenhaus jeweils berücksichtigen. Das wäre sicherlich

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Einzelergebnisse siehe Anlage 2 Seite 2640

keine Erleichterung für die Kooperation mit anderen Bundesländern.

Wir haben noch eine weitere Kooperation. Straffällige Mädchen verbüßen ihre Strafhaft auch nicht in Hamburg, sondern dann in Niedersachsen. Solche Kooperationen sollte man in Zukunft vielleicht ausbauen, um auch die Qualität im Strafvollzug steigern zu können. Aber das wird dadurch erschwert, wenn man unterschiedliche Regelungen für den Strafvollzug hat, wenn Strafvollzug ganz unterschiedlich ausgerichtet ist.

Aber man muss natürlich auch in die politische Landschaft gucken. Was wird konkret passieren, wenn die Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich tatsächlich den Ländern überlassen wird. Viele Experten befürchten einen Wettlauf der Schäbigkeit, also einen Wettlauf dahingehend, dass man die Kosten senkt und dabei grundsätzlich keine Rücksicht darauf nimmt, was das für die Strafgefangenen und vor allem für ihre Chancen zur Resozialisierung bedeutet und welche Möglichkeiten der Strafvollzug den Gefangenen bieten kann. Da werden die Landesjustizminister noch einmal zeigen, worauf man im Strafvollzug noch alles verzichten kann, wenn erst einmal dieser einheitliche Standard weg ist.

Wir haben aber natürlich eine besondere Situation in Hamburg. Ich möchte dazu zunächst einmal nur die "Süddeutsche Zeitung" vom 24. Januar 2006 zitieren. Dort steht zu dem Thema "Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz im Strafvollzug" – ich zitiere –:

"Wer wissen will, wie eine Gegenreform aussieht, muss nach Hamburg schauen. Dort setzt sich CDU-Justizsenator Roger Kusch über das Strafvollzugsgesetz des Bundes so eindrucksvoll hinweg, wie man das nur dem in der Versenkung verschwundenen Ronald Schill zugetraut hätte.

(Beifall bei der GAL)

Die sozialtherapeutische Anstalt Altengamme wurde geschlossen, die Arbeit der sozialtherapeutischen Anstalt in Bergedorf zunichte gemacht, der offene Vollzug mehr als halbiert, die Haftbedingungen wurden verschärft, eine zentral gelegene Übergangsanstalt für Männer und Frauen ist geschlossen, der gesetzliche Auftrag, Gefangene in die Gesellschaft einzugliedern, wird vernachlässigt."

Soweit die "Süddeutsche Zeitung".

Ich denke, dem kann man nur wenig hinzufügen, außer dass natürlich die geschlossene Sozialtherapeutische Anstalt nur im Bezirk Bergedorf ist und bislang immer Altengamme genannt wurde, aber das kann man sicherlich einer weit entfernten Zeitungsredaktion nachsehen.

(Vizepräsidentin Dr. Verena Lappe übernimmt den Vorsitz.)

Aber wenn wir uns die Realität in Hamburg angucken – und wir wissen insoweit noch ein bisschen mehr –, dann ist es nicht nur so, dass die Resozialisierung der Strafgefangenen auf den Hund kommt, dass Strafgefangene mittlerweile gänzlich unvorbereitet in die Freiheit entlassen werden, sodass die Rückfallgefahr enorm steigt, es ist nicht nur so, dass die Sozialtherapie abgeschafft wird, die eine besonders gute Entlassungsvorbereitung war,

(Olaf Ohlsen CDU: Erzähle doch nicht so viel vom Pferd!)

sie wird zusammengestrichen, sodass von ihr nicht mehr viel übrig ist, wir haben deutlich weniger Lockerungen, das ganze System der abgestuften Lockerung wird im Strafvollzug in Hamburg nicht mehr praktiziert, nicht nur das, es gibt auch eine ganze Reihe von konkreten Gerichtsentscheidungen, die diesem Justizsenator bescheinigt haben, dass seine Strafvollzugspolitik schlicht und einfach rechtswidrig ist. Ich will ein paar Beispiele nennen.

Das Oberlandesgericht hat im letzten Jahr entschieden, dass das Resozialisierungsgebot im Hamburger Strafvollzug missachtet wird. Als es in Bezug auf einen konkreten Gefangenen über dessen Antrag zu entscheiden hatte, doch endlich in den offenen Vollzug verlegt zu werden, obwohl die Voraussetzungen dafür längst vorlagen – das wurde mehrfach beantragt, immer wieder –, musste tatsächlich erst das Landgericht diesem Gefangenen Recht geben und schließlich auch noch das Oberlandesgericht, bis die Justizbehörde dieses Senators diesem Strafgefangenem zu seinem Recht verholfen hat.

Angesichts dieses Vorgangs ist es besonders zynisch, wenn der Justizsenator sagt, im Rahmen einer gegebenen Gesetzgebungskompetenz für Hamburg würde er dann einmal die zwangsweise Überführung von Strafgefangenen in den offenen Vollzug einführen. Das klingt so, als würden die Leute da nicht hinwollen. Teilweise ist es natürlich praktisch, wenn Sie alle halbwegs annehmbaren Haftanstalten, die es bislang gegeben hat, für den offenen Vollzug schließen und nur noch eine Haftanstalt mit Gruppenräumen, Gruppenbelegungen und Saalunterkünften übrig bleibt. Wenn man das so ausgestaltet, dann will dort natürlich so ohne weiteres auch keiner hin, abgesehen davon, dass man von einer weit entfernt gelegenen Haftanstalt nicht das machen kann, wofür der offene Vollzug da ist, nämlich schon einmal Arbeit aufnehmen. Das funktioniert natürlich praktisch nicht. Aber es ist auch so, dass Strafgefangene, die auch unter den Bedingungen den offenen Vollzug wollen, nicht gelassen werden und deswegen ist das besonders zynisch.

(Beifall bei der GAL)

Zweites Beispiel, auch im letzten Jahr entschied das Landgericht, dass die Aufschlusszeiten in Fuhlsbüttel rechtwidrig verringert wurden. Aufschlusszeiten sind die Zeiten, in denen die Strafgefangenen einmal aus ihrer Zelle herauskommen. Das wurde rechtswidrig verringert unter ein Maß, das tatsächlich rechtlich geboten ist. Auch da musste erst das Gericht der Justizbehörde sagen, welche Rechte die Strafgefangenen haben.

Ein drittes Beispiel ist der Aufenthalt im Freien, dass die Leute überhaupt einmal aus den Gebäuden herauskommen. Das wurde in rechtswidriger Weise auf ein Maß verringert, das das unterschreitet, worauf Strafgefangene Anspruch haben; auch eine Entscheidung des Landgerichts im letzten Jahr.

Aber das lässt sich sogar noch toppen. Es gab eine Eilentscheidung des Landgerichts. Das ging ursprünglich auf ein Ereignis im Jahre 2003 zurück, nämlich dass der dauerhafte Verbleib von Strafgefangenen in der Zelle sofort aufzuheben sei, weil er rechtswidrig war. Diese Entscheidung wurde dann von der Justizbehörde ignoriert. Es ist nicht nur so, dass die Justizbehörde sich regelmäßig sagen lassen muss, was die Rechte der Strafgefangenen sind, sondern es kommt hinzu, dass dann auch noch Gerichtsentscheidungen ignoriert wer

den. Ich denke, das macht sehr deutlich, wie hier Recht und Gesetz mit Füßen getreten werden.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)