Protokoll der Sitzung vom 27.09.2006

Lieber Herr Maaß, ich weiß, das regt Sie auf. Aber Sie werden sich daran gewöhnen müssen, sich noch Einiges anzuhören.

Keinem CDU-Abgeordneten fällt eine solche Entscheidung leicht. Nur, die Wähler haben uns nicht hier in dieses Parlament geschickt, um eine parlamentarische Selbsthilfegruppe aufzumachen, sondern sie erwarten von uns, dass wir die notwendige Verantwortung für diese Stadt und das Funktionieren unserer Demokratie wahrnehmen sollen, und das tun wir heute auch.

(Jens Kerstan GAL: Sag' doch einmal etwas In- haltliches!)

Bei all den Diskussionen, die wir auch in meiner Fraktion geführt haben, kann ich Ihnen eines wirklich versichern: Es gibt keinen CDU-Abgeordneten, der der Meinung ist, dass das geltende Wahlrecht verfassungsrechtlich unbedenklich ist.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Wir haben uns über die Frage gestritten, ob es nicht sinnvoller ist, nicht die alleinigen Buhmänner in dieser Stadt zu geben und andere Fraktionen, insbesondere die der

SPD, durchaus mit in die Pflicht zu nehmen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Nach den Erfahrungen, die wir in den letzten Wochen und Monaten mit Ihnen gesammelt haben, gehen wir nicht mehr davon aus, dass Sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.

(Beifall bei der CDU – Uwe Grund SPD: Es ist un- verantwortlich, was Sie tun!)

Wir stehen also alleine in der Pflicht zu handeln. Wenn wir heute über diese Änderungen abstimmen, dann gibt es bei uns einen Kollegen, der anders abstimmen wird. Das gehört, wie ich finde, zum demokratischen Selbstverständnis eines jeden Parlamentes und einer jeden Fraktion.

Der Unterschied liegt vielleicht nur darin: Bei uns gibt es Kollegen, die sagen es offen und werden auch in diesem einen Fall anders abstimmen. Wie viele SPD-Kollegen haben heute den Mut, genau das zu tun, was sie seit Wochen und Monaten hinter verschlossenen Türen tun, nämlich uns aufzufordern, endlich das Wahlrecht zu ändern. Den Mut haben Sie bisher nicht gehabt.

(Anhaltender Beifall bei der CDU)

Ich erwarte von all den Kollegen, die wirklich nicht müde geworden sind, immer wieder zu betonen: Macht mal. Ihr habt unsere volle Unterstützung. Ich wünsche mir, dass Sie heute endlich aus Ihrer populistischen Versenkung auftauchen. In der SPD-Fraktion gibt es genug Abgeordnete, die eine andere Meinung haben.

(Michael Neumann SPD: Namen, Namen!)

Diese wagen es heute offensichtlich nicht, sich zu bekennen. Das können sie gleich sehen, denn die Kollegen von der SPD haben eine namentliche Abstimmung beantragt. Haben Sie den Mut, heute deutlich zu sagen, dass Ihnen die Verantwortung für die Stadt wichtiger ist als das Interesse Ihrer Partei. Haben Sie den Mut, mit uns gemeinsam diese Änderung vorzunehmen. Dann können wir Sie ernst nehmen. Hören Sie auf, weiter aus Ihrer populistischen Ecke heraus zu argumentieren.

(Lang anhaltender Beifall bei der CDU)

Bevor ich Herrn Dr. Petersen das Wort gebe, erteile ich Herrn Grund einen Ordnungsruf. – Bitte schön, Herr Dr. Petersen.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über einen vorgelegten Gesetzentwurf, der in Wahrheit einen Wahlrechtsraub darstellt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir sehen einen CDU-Fraktionsvorsitzenden, der seine Fraktion offenbar nur mühsam hinter sich halten kann.

(Frank-Thorsten Schira CDU: Was Sie alles wissen!)

Wir sehen sogar Rebellen in der CDU-Fraktion, die wohl mit dem Versprechen, einen sicheren Listenplatz zu bekommen, schnell zur Einsicht gekommen sind.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Karen Koop CDU: Quatsch!)

Liebe Rebellen der CDU, hören Sie bitte auf, weiterhin über ach so schlimme Bauchschmerzen zu lamentieren.

Gegen diese Bauchschmerzen gibt es nur ein Rezept: Stimmen Sie gegen den Wahlrechtsraub durch Ihre Fraktion.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Aber das werden Sie nicht tun und Sie wissen auch warum: Es geht Ihnen persönlich nur um einen sicheren Platz in der Bürgerschaft und Ihrer Partei um den nackten Machterhalt.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Inge Ehlers CDU: Das ist eine Lüge!)

Da hilft, Herr Hesse, auch kein öffentliches Tönen über Bedenken. Wahlrechtsraub bleibt Wahlrechtsraub. Sie von der CDU sind in dieser Frage nicht die Opfer, sondern die Täter.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Wir sehen einen Bürgermeister, der so tut, als ob ihn dies alles nichts anginge. Wer in solch einer Debatte schweigt, verweigert sich. Er handelt pflichtwidrig und agiert gegen seine Pflichten als Bürgermeister.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Sie schweigen heute, Herr Bürgermeister, opportunistisch gegen Ihre innere Überzeugung, denn Sie wissen, dass der heutige Wahlrechtsraub verfassungswidrig ist. Sie handeln heute als Parteifunktionär, nicht als Bürgermeister. Diese Methode ist bekannt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Die Mehrheit organisiert sich das Verfahren, um an der Macht zu bleiben, gegen den Volkswillen und die Verfassung. Schweigen Sie nicht, handeln Sie nicht als Parteifunktionär. Als Bürgermeister sind Sie Notar der Verfassungsrechte aller Hamburgerinnen und Hamburger. Beurkunden Sie diesen Wahlrechtsraub nicht. Beglauben Sie den Volkswillen, unterschreiben Sie dieses Gesetz nicht.

(Beifall bei der SPD und der GAL – Barbara Ahrons CDU: Wir reden über das Parlamentsrecht, damit hat der Bürgermeister nichts zu tun!)

Wir können nicht über die Änderung des hamburgischen Wahlrechts debattieren, ohne über den Grundsatz zu sprechen, den der Parlamentarische Rat mit dem Grundgesetz für diese Republik festgelegt hat, nämlich für eine repräsentative und gegen eine direkte Demokratie. Die Weimarer Erfahrungen waren damals noch frisch. Wir dürfen sie niemals aus unserem kollektiven Gedächtnis verlieren. Doch hat es nach der Wiedervereinigung, nach den Wir-sind-das-Volk-Rufen einen Reformtrend in Richtung mehr Bürgerbeteiligung gegeben, auch in Hamburg. Dies waren Schritte zu mehr Bürgerbeteiligung und mehr Transparenz in politischen Entscheidungsprozessen. Diese Schritte, zu denen auch der Volksentscheid zum Wahlrecht gehört, waren und sind ungeheuer wichtige Schritte im Kampf gegen die grassierende Politikverdrossenheit im Lande.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Aber das, was Sie hier veranstalten, ist ein Sonderprogramm zur Förderung der Politikverdrossenheit.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Sie allen voran!)

Der Eindruck, die dort oben machten doch, was sie wollten, und es sei ohnehin zwecklos, sich als Bürger an Volksentscheiden zu beteiligen, wird sich verstärken. Das Ergebnis wird sein, dass die Rattenfänger Zulauf finden.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich möchte Sie, Herr Bürgermeister, an Ihre Rede im Herbst 1997 hier in der Bürgerschaft erinnern. Damals ging es um die Frage, warum fast 9 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Hamburg Rechtsextremisten gewählt haben. Schauen Sie in diese Rede noch einmal hinein. Sie werden dort viel lernen. Entweder waren Ihre Thesen damals scheinheilig oder Ihr Verhalten heute ist allein von Panik vor Machtverlust geprägt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Mir scheint, dass Sie nach der Wahl zum Bürgermeister durch einen Rechtspopulisten das Gespür für die Gefahr verloren haben, die von rechtsextremistischen Demagogen ausgeht.

(Barbara Ahrons CDU: Fangen Sie doch beim Kaiser an, Herr Petersen!)

Wir, die großen Volksparteien in Hamburg waren es, die jahrzehntelang nicht in der Lage waren, gemeinsam ein neues Wahlrecht zu erarbeiten. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben uns nie vorstellen können, das Wahlrecht gegen den Willen der CDU-Opposition zu ändern.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Erst als die Bürger das Wahlrecht ändern wollten, haben wir uns gemeinsam viel zu spät über Vorschläge Gedanken gemacht. Wir dürfen den Bürgern ihr Wahlrecht nicht gleich wieder aus der Hand schlagen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)