Protokoll der Sitzung vom 11.10.2006

Herr Reinert, wenn Sie mir mitteilen wollten, dass Sie gerade aus der CDU ausgetreten sind, dann wäre das eine interessante Neuigkeit,

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

aber ich kann feststellen, dass hier nur Abgeordnete sitzen, die von Parteien entsandt worden sind. Etwas anderes haben wir in Hamburg noch nicht erlebt und wir würden es frühestens mit dem neuen Wahlrecht erleben. Tatsächlich ist dieses Wahlrecht eine Zumutung für die Parteien, weil die Parteien weniger Sicherheit in ihren Personalentscheidungen haben. Es ist eine Zumutung, aber es ist eben nicht gedacht als ein Wahlrecht, das sich gegen die Parteien richten würde. Das wäre auch schlimm, wenn es so wäre. Wir brauchen die Parteien als einen Ort, an dem Ideen reifen können. Wir haben es vorhin von Herrn Kopitzsch gehört. Diese drei Konzepte – "Wachsende Stadt", "Menschliche Metropole", "Kreative Stadt" –, die in dieser Stadt miteinander konkurrieren, im produktiven Wettstreit stehen, wären nicht denkbar, wenn wir es in dieser Stadt nur mit politischen Einzelkämpfern zu tun hätten. Wir brauchen Parteien, auch als einen Ort, an dem politische Talente heranreifen können, an dem sie an die politische Arbeit und die Übernahme von persönlicher Verantwortung herangeführt werden. Aber genau das will das Wahlrecht überhaupt nicht infrage stellen. Das Wahlrecht – ich muss es auch im Unterschied zu Herrn Neumann betonen, weil er hier nicht die Lanze für das Wahlrecht in der Sache brechen wollte, ich es aber hiermit tun will – ist getragen von der Überzeugung, die uns auch eint, dass die Demokratie tatsächlich die beste Form ist, die wir uns als Staatsform, als Regierungsform und als beste Form, Konflikte und Interessen miteinander in Einklang zu bringen, vorstellen können. Es ist getragen von der tiefen Überzeugung und von der Sorge um die Demokratie, dass sich die einfachen Bürgerinnen und Bürger in unserem Land und die Parteien immer weiter voneinander entfernen. Diese Sorge führt natürlich auch zu der Sorge, dass unsere Demokratie auf Dauer in Gefahr ist. Die Initiatoren für das neue Wahlrecht sind glühende Anhänger unserer Demokratieform und sie wollen dafür sorgen, dass das Band zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und Parteien wieder enger wird. Deswegen ist es so schade, wenn Sie, von denen ich weiß, dass Sie überzeugte Demokraten sind, dieses Angebot der Bürgerinnen und Bürger, ein engeres Band zu knüpfen, ausschlagen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Es ist nicht nur eine Zumutung für die Parteien, es ist auch eine Zumutung für die Bürgerinnen und Bürger, für die Wählerinnen und Wähler. Niemand kann sich nach dem neuen Wahlrecht, wenn es tatsächlich angewendet würde, hinsetzen und sagen, die da oben machen sowieso, was sie wollen, das ist mir alles egal, sondern jeder ist in der Pflicht, sich vor Ort über die Kandidaten in den Wahlkreisen kundig zu machen. Jeder ist in der Pflicht, sich auch über die Kandidatinnen und Kandidaten kundig zu machen, die auf der Landesliste stehen und jeder Abgeordnete muss dann dieses Wechselspiel aufnehmen, aber es lebt eben auch von der Initiative der Bürge

rinnen und Bürger, die dann auch die Fragen stellen, die auf die Kandidatinnen und Kandidaten zukommen. Wenn das tatsächlich passieren würde, dann müssten auch die Wählerinnen und Wähler mehr leisten. Aber das Wahlrecht sagt, wir wollen diese beidseitige Zumutung. Deswegen ist es so schade. Es ist wirklich bezeichnend: Dann kommt eine Liste von fünf Einwänden gegen das geltende Wahlrecht, wo gesagt wird, da ist es rechtswidrig, da ist es problematisch und so weiter. Aber zu den zwei zentralen Punkten äußern Sie sich gar nicht mehr. Die zwei zentralen Punkte, wo Sie dieses zu knüpfende Band schon zerschlagen, bevor es überhaupt erst richtig unter Spannung geraten konnte, sind die Abschaffung der offenen Landesliste, also die Einführung der gebundenen Landesliste, und diese enorm hohe Relevanzschwelle, die sicherstellen wird, dass tatsächlich eine effektive Auswahl in den Wahlkreisen nicht mehr stattfinden wird. Ich finde das extrem schade und Sie tun sich selber keinen Gefallen damit und werden sich selber nicht gerecht.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Dr. Jäger.

(Michael Neumann SPD: Hallo, Herr Jäger!)

– Hallo, Herr Neumann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Steffen, dass Sie sich nach der Rede von Herrn Müller hier hinstellen und uns Polemik vorwerfen, finde ich – gelinde gesagt – zumindest verwunderlich.

(Beifall bei der CDU)

Dann erwähnen Sie hier die Übergangslösung, die Sie bei der Verlängerung der Wahlperiode für die Bezirksversammlungen gern mitgemacht hätten. Sie wissen doch ganz genau, dass auch jede Übergangslösung zu einer Verlängerung geführt hätte und dass das genauso verfassungs- oder rechtswidrig gewesen wäre.

(Christa Goetsch GAL: Das stimmt nicht! – Katja Husen GAL: Das werden Sie jetzt anders machen!)

Da müssen Sie doch aber bei der Wahrheit bleiben.

(Beifall bei der CDU)

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir debattieren heute erneut die Wahlrechtsänderung, aber Neues ist Ihnen dazu nicht eingefallen. Sie haben die altbekannten Klischees vom Wahlrechtsraub, der Arroganz der Macht und dem rechtlichen und moralischen Verfassungsbruch aufgewärmt wie die Witwe Bolte ihren Sauerkohl.

(Beifall bei der CDU – Harald Krüger CDU: Richtig!)

Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, was gibt Ihnen eigentlich das moralische Recht, uns zu verurteilen? Sie werfen uns vor, wir würden uns nicht an Recht und Gesetz halten. Schauen Sie doch bitte einmal in Ihr eigenes Spiegelbild. Da rufen diverse Abgeordnete von SPD und GAL mit ihrem sogenannten Appell zum offenen Rechtsbruch auf. Und das ist nicht meine Meinung, denn die Herren Neumann und Dressel werden nicht müde, in der Presse zu verkünden, dass die Aufforderung zum Rechtsbruch keine Lösung sei.

Ein weiteres Thema ist die Umsetzung des geänderten Gesetzes über die Mitgliedschaft in den Deputationen. Hier lassen Sie es zu, dass Deputierte weiter tätig sind, obwohl diese nach dem Gesetz nicht mehr amtieren dürften. Stellen Sie doch in diesem Bereich erst einmal gesetzmäßige Zustände her, ehe Sie uns verurteilen.

(Beifall bei der CDU)

Sie messen mit zweierlei Maß. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD und der GAL, das Recht ist nicht disponibel. Sie können sich nicht die Rosinen herauspicken und uns beim Wahlrecht anklagen, für sich aber das Recht beanspruchen, sich nur dort an Gesetze zu halten, wo es Ihnen passt.

(Beifall bei der CDU)

Darüber hinaus gibt es zwischen unseren Änderungen des Wahlrechts und Ihren Rechtsverstößen einen entscheidenden Unterschied. Wir handeln rechtmäßig und im Rahmen der Verfassung.

(Michael Neumann SPD: Das wird sich noch zei- gen! – Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich bin überzeugt, dass das Hamburgische Verfassungsgericht unseren Gesetzentwurf bestätigen wird. Das Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts zum LBK ist insoweit eindeutig. Ich habe daraus in meiner letzten Rede hier ausführlich zitiert und möchte das deswegen nicht wiederholen.

Eingehen möchte ich jedoch noch kurz auf den Grundsatz der Organtreue. Dieser Grundsatz besagt, dass jedes Verfassungsorgan in Wahrung seiner eigenen Kompetenz auf Rechte und Interessen anderer Verfassungsorgane Rücksicht zu nehmen hat. Er führt aber nicht zu einer Kompetenzerweiterung. Insoweit können aus diesem Grundsatz keine erweiterten Rechte gegenüber der Bürgerschaft hergeleitet werden.

Der Grundsatz der Organtreue verpflichtet die Bürgerschaft dazu, im parlamentarischen Entscheidungsverfahren das Ergebnis des Volksentscheids inhaltlich und in seiner politischen Zielsetzung zu berücksichtigen, das heißt in die Abwägung einzubeziehen und sich gewissenhaft damit auseinanderzusetzen. Dieser Verpflichtung, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Bürgerschaft nachgekommen.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben das Wahlrecht mehrfach debattiert.

(Glocke)

Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?

Immer noch nicht, Herr Präsident.

Bleibt es auch weiterhin dabei?

Der Verfassungsausschuss hat eine öffentliche Anhörung und eine Expertenanhörung durchgeführt. Die Grundzüge des Wahlrechts bleiben – auch wenn Sie anderes sagen – erhalten. Es wird weiterhin Mehrmandatswahlkreise geben. Das Panaschieren und Kumulieren bleibt auf den Wahlkreislisten erhalten. Die Anzahl der in Wahlkreisen zu vergebenden Mandate bleibt gleich. All das zeigt, dass die CDU den Volksentscheid ernst nimmt. Wir haben uns ausführlich mit dem Wahlrecht der Initiative auseinandergesetzt und Änderungen nur dort vorgenommen, wo sie unerlässlich waren.

(Beifall bei der CDU)

Eines muss ich auch einmal ganz deutlich sagen: Es waren im Endeffekt nur 21 Prozent der Wahlberechtigten. Ich will damit nicht infrage stellen, dass das Gesetz damit rechtmäßig zustande gekommen ist.

(Katja Husen GAL: Doch, genau das wollen Sie!)

Nein, das will ich nicht und das können Sie mir auch nicht unterstellen. Aber es ist nicht das gesamte Volk, das diese Entscheidung getroffen hat. Das muss man auch einmal sagen dürfen.

(Beifall bei der CDU – Unmutsäußerungen bei der SPD und der GAL)

Eine Bemerkung zum Abschluss.

(Glocke)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller?

Auch eine von Herrn Müller nicht.

Gilt das auch für weitere Zwischenfragen?

Ja, ich bin sowieso gleich fertig.