Protokoll der Sitzung vom 04.07.2007

Deshalb ist der Ihnen jetzt vorliegende Bericht ein Zwischenbericht. Es ist eine erste Bilanz. Ich denke, diese zwei Jahre sind notwendig. Wenn Sie sich einmal diese letzten zwei Jahre vor Augen halten: Am 1. März 2005 war der tragische Vorfall von Jessica, im April 2005 haben wir den Schulzwang beschlossen, im selben Monat ist die Projektgruppe eingesetzt worden, um Arbeitsabläufe und zusätzliche Maßnahmen zu prüfen. Die sind in der Zwischenzeit alle auf die Spur gesetzt worden. Auch die von Ihnen immer wieder angekreideten nicht besetzten Stellen im ASD, die zu rot-grünen Zeiten schon nicht besetzt waren, sind jetzt mehr als besetzt.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb ist es notwendig, dass wir auf allen Ebenen handeln. Das heißt, nicht nur die Kommunikation zwischen den verschiedenen Ämtern, Schulen, Polizei, Jugendhilfe und den Trägern zu fördern, sondern, dass wir ihnen überhaupt die Möglichkeiten geben, frühzeitig zu erkennen, wo die besonderen Lücken sind. Deshalb ist es besonders wichtig zu erwähnen, dass sich in den vergangenen Jahren 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - das ist keine geringe Zahl - zur Kinderschutzfachkraft qualifiziert haben. Hier ist es ein wichtiges Erkenntniselement, die Gefährdung wirklich einschätzen zu können. Dieses gibt es in ganz Deutschland nicht. Da sind wir absolut Vorreiter und vorbildlich für ganz Deutschland.

(Beifall bei der CDU)

Im nächsten Jahr werden sich wieder 200 Personen als Kinderschutzfachkraft qualifizieren lassen. Das ist in meinen Augen wirklich entschlossenes Handeln.

Die Angebote zur Prävention, die Unterstützung der Familien, die Sie angemahnt haben, finden in vielfältiger Weise statt. Wir haben nicht nur die Telefon-Hotline - wie stark die angenommen wurde, haben Sie gesehen -, wir haben auch, was früher nicht bestand, die Aufbewahrung der Informationen, die das Erfahrungswissen über die Familien betreffen. Wir haben die Änderungen des Hamburger Schulgesetzes, das zentrale Schülerregister, die Bundesratsinitiative zur verbindlichen Ausgestaltung der Früherkennungsuntersuchung. Wir sehen die ganze Breite der Maßnahmen, die wir haben.

Der Senat hat darüber hinaus auch Konsequenzen aus anderen Fällen gezogen, die in der Zwischenzeit in Deutschland vorgefallen und bekannt geworden sind. Konsequenterweise geht es nicht nur um das Handeln des Staates, sondern es geht auch um die Eltern, um die Bürgerinnen und Bürger, alle Trägereinrichtungen, alle sind angesprochen. Diese Sensibilisierung der Hamburgerinnen und Hamburger hat wirklich stattgefunden. Das beweisen eindeutig die Zahlen. Schauen Sie sich die Kinderschutz-Hotline an. Bis März 2007 wurde in über 250 Fällen eine Prüfung zur möglichen Kindeswohlgefährdung durch den Allgemeinen Sozialen Dienst durchgeführt. Das gab es vorher noch nie. Wir haben die Stellen besetzt und ein Familieninterventionsteam aufgebaut, ein Mobilitätsprogramm und Kinderschutzkoordinatoren. Die arbeiten alle für unsere Kinder vor Ort zum Schutz

unserer Kinder. Wir haben heute über 100 Polizeibeamte im ausgebauten Modellprojekt Hamburger Modell, ein Modell, das Sie selber mit empfohlen haben, das wir in der Expertenkommission vonseiten der Berliner Kollegen gehört haben. Wir haben es jetzt für die Verfolgung von Fällen der Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. Diese speziell ausgebildeten Beziehungsgewaltsachbearbeiter an den Polizeikommissariaten kümmern sich um die Vernachlässigung Schutzbefohlener.

(Dr. Andrea Hilgers SPD: Das ist aber nicht das Berliner Modell!)

Im Bereich des Schulzwanges - auch eine Maßnahme, die einige von Ihnen kritisiert haben, als es dann zum Schwur der Abstimmung kam - haben wir bis Ende des Jahres 2006 rund 300 Fälle, in denen wir keinen Kontakt zu den Familien hatten, Fälle, bei denen wir früher Monate gebraucht hätten, um überhaupt an die Familie heranzukommen. Durch die Androhung von Schulzwang haben wir in über 80 Fällen die Kinder ganz schnell wieder zur Schule zurückführen können.

Ich glaube, meine Damen und Herren, wir alle wissen, dass der beste Kinderschutz der ist, der greift, bevor etwas Schlimmes passiert. Deshalb wollen wir mit dem Ausbau der Familienhebammen auf 16 Projekte im Laufe des Jahres - wieder eine Maßnahme vor Ort in den Familien -, den 22 beschlossenen Eltern-/Kind-Zentren - auch eine Maßnahme vor Ort in den Familien und bei den Eltern - und dem Ausbau der sogenannten frühen Hilfen durch fünf Modellprojekte, Familien, die sich in einer sehr schweren Lebensphase befinden, möglichst früh und niedrigschwellig erreichen.

Diese Modellprojekte "Prävention von Vernachlässigung" und auch "Frühe Hilfen für Risikofamilien" sowie "Frühe Hilfen Altona" sehen die Zielgruppe der schwangeren Mütter und Väter mit kleinen Kindern vor, die sich selber nicht aktiv um eine Unterstützung bemühen, die wir aufsuchen müssen, um ihnen unsere Unterstützung zu bringen, weil sie sie nicht holen.

Meine Damen und Herren! Ich komme noch einmal auf die Bedeutung von Hamburg für die Entwicklung innerhalb Deutschlands für den Kinderschutz zurück. Hamburg war in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe und den kommunalen Spitzenverbänden bei der Erarbeitung eines Empfehlungskataloges für einen wirksamen Kinderschutz formal und inhaltlich federführend. Diese Regelungen zum Kinderschutz sind bei der Jugend- und Familienministerkonferenz im vergangenen Monat verabschiedet worden. Das beweist doch letztendlich wirklich, dass Hamburg im Bereich Kinderschutz spitze in Deutschland ist.

(Beifall bei der CDU)

Ich gebe Ihnen recht, dass wir mit einem Zwischenbericht noch nicht am Ende angekommen sind. Über das Handlungskonzept "Hamburg schützt seine Kinder" haben wir mit der Initiative "Lebenswerte Stadt Hamburg" ein weiteres Signal zur Verbesserung der Alltagssituation von Familien in Hamburg gesetzt. CDU und Senat wollen auch in Zukunft Bildungsbenachteiligung und Gefährdung im Alltag der Kinder frühzeitig begegnen.

Dieser Bericht, der Ihnen heute vorliegt, beweist eines: Der Hamburger Senat hat entschlossen auf die Probleme reagiert. Wir haben ein dichtes, ein wachsames Netz

geschaffen, welches auf allen Ebenen zum Tragen kommt. Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass wir so für unsere Kinder in unserer Stadt das Beste erreichen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält die Abgeordnete Veit.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ob wir in Hamburg spitze sind, Frau Senatorin, da sind wir noch nicht so sicher.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Sie nicht! Aber Sie können ja noch daran arbeiten!)

Mit dem Fall Jessica jedenfalls waren wir bundesweit ganz weit unten.

Frau Senatorin, es klingt immer wieder nett, was Sie oder auch Ihre Kollegin Schnieber-Jastram hier erzählen, so nach dem Motto: Alles ist gut. Aber zur Wahrheit würde doch auch gehören, dass man nichts oder wenigstens nichts Nennenswertes verschweigt. Das Thema ist ja auch ein bisschen größer als diese Drucksache. Wir reden hier über bedauernswerte Kinder aus meist armseligen Verhältnissen. Da muss man hier auch noch einmal sagen und zugeben, dass wir 2003 zwar auch schon 46 000 Kinder im Sozialhilfebezug hatten, aber dass es jetzt 64 000 Kinder sind, die Transferleistungen erhalten. Das ist fast die Hälfte mehr in nur zwei Jahren, meine Damen und Herren. Das ist auch eine Schande für diese Stadt und da kann man sich nicht hier hinstellen und so tun, als habe man alle Probleme gelöst. Sie schaffen doch zum großen Teil erst die Probleme.

(Beifall bei der SPD und der GAL - Viviane Spethmann CDU: Das ist doch nicht die Schuld des Senates!)

Meine Damen und Herren! Vor zwei Jahren mussten wir bei den Ermittlungen des Sonderausschusses in vielen, mitunter quälenden Sitzungen erfahren, wie löchrig das so viel gerühmte soziale Netz für Hamburgs Kinder ist. Quälend war es, weil es in der Tat eine Schande für eine der reichsten Städte Europas ist. Wir haben in aller Deutlichkeit feststellen müssen, dass hier viel zu wenig getan wurde. Die Senatorinnen haben damals Besserung gelobt. Im Ausschuss mochten Sie bisher nicht mit uns darüber reden. Deswegen, Herr Frankenberg, ist es auch keine Überraschung, dass wir das hier anmelden. Dann bekommen Sie es eben hier um die Ohren.

Aus der Drucksache lernen wir nun, dass der Formularverkehr und Datenaustausch zwischen Jugendämtern, Familienkassen, Schulen, Polizei, dem Allgemeinen Sozialen Dienst und den Kindertageseinrichtungen besser funktioniert und dass auch wirklich jemand ans Telefon geht, wenn es klingelt und nicht nur im KJND, wenn dort um des Kindeswohl besorgte Menschen anrufen und dass auch die Stellen besetzt werden. Das ist gut, aber das konnte man doch wohl auch erwarten von unserer Hamburger Verwaltung, dass sie das organisieren kann, wenn sie denn gut ausgestattet ist.

(Beifall bei der SPD und der GAL - Kai Voet van Vormizeele CDU: Das haben Sie in 44 Jahren auch nicht geschafft und vieles andere auch nicht!)

Die Frage ist doch, Frau Senatorin - und ich finde es schade, dass Sie die nur gestreift haben -, was in diesen

zwei langen Jahren seit dem Tod von Jessica wirklich bei den Menschen angekommen ist, die Hilfe brauchen? Es geht doch nicht nur um die Frage, wie schlimme Fälle besser entdeckt werden können, mit Schülerregistern und so weiter. Wir wollten doch alle gemeinsam, dass Möglichkeiten geschaffen werden, mit denen so etwas von vornherein verhindert werden kann. Da ist in der Tat viel zu wenig passiert und es bleibt auch vieles im Klein-Klein.

Sie rühmen sich insgesamt mit über 100 einzelnen neuen Projekten im Kinder- und Jugendbereich, dass Sie die erdacht hätten und mit dieser schönen runden Zahl wollen Sie dann der staunenden Öffentlichkeit verkaufen, dass sich die Situation für Hamburgs Kinder verbessert habe. Einmal abgesehen davon, dass sich kaum noch jemand in diesem Maßnahmendschungel zurechtfindet und, Herr von Frankenberg, das ist dann schon weniger Handlungsschwerpunkt, das ist dann doch wieder eher die Gießkanne. Da ist leider Vieles reine Kosmetik.

Nehmen wir zum Beispiel den Ausbau der Hebammenprojekte. Die haben Sie ja nicht erdacht, sondern ein kleines bisschen ausgebaut, von sieben auf dreizehn. Jetzt werden es vielleicht noch mal 16. Warum denn so zögerlich? Die Projekte sind doch gut. Der Erfolg ist von allen unbestritten, aber was Sie machen, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Meinen Sie, dass Sie damit Probleme lösen?

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Oder auch die Eltern-Kind-Zentren. Wir haben uns damals im Sonderausschuss in langen Sitzungen von den Experten berichten lassen, wie erfolgreich die britischen Early Excellence Centres arbeiten und wir wollten das auch für Hamburg haben. Dabei geht es um die Familien, die kurz vor der Kindeswohlgefährdung stehen. Sie gründen jetzt mit den Eltern-Kind-Zentren ein paar Early Excellence Centres light. Die sollen die elterliche Erziehungskompetenz stärken, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen die Eltern auch mal zu Hause aufsuchen. Das alles soll mehrsprachig geschehen. Das klingt gut, aber nur bis man dann erfährt, dass Sie pro Einrichtung ganze 19 Erzieherwochenstunden zur Verfügung stellen. An drei Tagen in der Woche sollen sich eineinhalb Erzieherinnen und Erzieher vier Stunden lang um jeweils 13 Kinder und ihre Familien kümmern, aufsuchend und mehrsprachig. Frau Senatorin, meine Damen und Herren, das ist wirklich Kosmetik.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich mache das noch einmal deutlich, weil ich diese Zahlen wirklich wichtig finde. Die EU-Experten sagen, dass man eine Erzieherin für drei solcher Kinder bräuchte und die Gruppen sollten nicht größer als acht Kinder sein. Das wären dann 13 Erzieherwochenstunden pro Kind. Wenn man Ihr Projekt umrechnet, dann kommt man auf nicht einmal 1,4 Erzieherwochenstunden pro Kind. Das ist wirklich ein Skandal. 13 Stunden in Europa und 1,4 Stunden in einer der reichsten Städte der EU. Das geht wirklich nicht.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Herr von Frankenberg, kleinere Klassen fallen Ihnen ein. Kleinere Kitas fallen Ihnen bis heute nicht ein. Das ist und bleibt auch deswegen ein Skandal, meine Damen und Herren, weil Sie gerade in den ärmeren Stadtteilen die Kinder massiv aus den Kitas hinausgedrängt haben. Wir können es hier nicht oft genug betonen. Sie verweigern

den Kindern von Arbeitslosen nach wie vor die Betreuung, obwohl alle Erfahrung zeigt, dass gerade in dieser Gruppe viele Kinder dringend auf die Kita angewiesen wären.

(Zuruf von Robert Heinemann CDU)

Das wissen Sie doch, Herr Heinemann. In den von Ihnen definierten benachteiligten Stadtteilen, Herr Heinemann, gibt es immer noch weniger Krippenplätze als wir Ihnen 2001 hinterlassen haben, denn Sie haben nicht nur abgeschafft, Sie haben auch umverteilt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Auch für diesen Skandal sind Sie verantwortlich.

(Robert Heinemann CDU: Lüge! - Glocke)

Ich erteile Herrn Heinemann einen Ordnungsruf.

- Danke, Frau Präsidentin! Herr Heinemann, ich hoffe, Sie informieren sich, vielleicht sprechen Sie einmal mit Ihrem Bürgermeister. Der Bürgermeister hat, nachdem er nun fast sechs Jahre im Amt ist, anscheinend eingegriffen, nur Sie haben es nicht gemerkt. Vor vier Wochen hat er der staunenden Öffentlichkeit verkündet, er wolle nun das Kita-Angebot auch für Kinder von Eltern ausbauen, die nicht berufstätig sind, weil gerade die Kinder in sozialen Brennpunkten - das hatte Herr von Beust bemerkt und der Zeitung mitgeteilt - benachteiligt sind. Ja, wer hätte das gedacht? Außerdem hat er noch bemerkt, dass es um die Qualität der Kitas insgesamt in Hamburg wohl auch nicht so gut bestellt ist. Die wolle er jetzt auch verbessern. Das klingt zunächst einmal gut. Aber, meine Damen und Herren von der CDU, Sie haben ja dafür gesorgt - und ich finde, Ihre Zwischenrufe belegen das auch, dass Sie nach wie vor davon überzeugt sind -, dass die Zustände in Hamburger Kitas so sind wie sie eben sind, so schlecht. Jetzt, acht Monate vor der Bürgerschaftswahl, schaut Ihr Bürgermeister - bei der Debatte ist er leider wieder nicht anwesend, das ist er bei dem Thema eigentlich nie - treuäugig in die Kameras und redet davon, dass er etwas verbessern wolle. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn jemand seine Fehler einsieht, wenn er es denn wirklich täte,

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Wenn Sie erst mal Ihre einsähen!)

denn es ist gerade mal ein halbes Jahr her, dass Sie den Doppelhaushalt 2007/2008 beschlossen haben. Wir wollten damals Verbesserungen für die Kitas und die Kinder in dieser Stadt. Sie haben, wie immer, alles abgelehnt. Ich glaube nicht, dass die Hamburgerinnen und Hamburger jetzt dem Bürgermeister glauben werden.

(Viviane Spethmann CDU: Unglaublich!)

Viele von Ihnen haben dieses grauenhafte Bild vom "durchs Rost fallen" benutzt. Durchs Rost fällt man ins Feuer und das wollten selbst Sie nicht für Hamburgs Kinder, aber auf dem Rost wird man auch gegrillt oder gebraten. Ich weiß nicht, ob das besser sein soll. Das, was Sie, Frau Senatorin, jetzt in immer neuen Variationen einem großen Teil der Hamburger Kinder anbieten, führt direkt und ohne Umwege in den tiefen Keller der sozialen Benachteiligung. Was Sie hier als soziale Politik verkaufen wollen, das ist und bleibt in Wahrheit eine Politik der sozialen Spaltung. - Vielen Dank.