Protokoll der Sitzung vom 03.09.2008

Das Wort bekommt Frau Rugbarth.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Auf den ersten Blick wirkt der Titel für diese von der GAL angemeldete Aktuelle Stunde ganz flott: Hamburg macht Schule! Start für längeres gemeinsames Lernen. Das Problem ist leider nur, dass diese Überschrift lediglich den Formelkompromiss des Senats überdecken soll. Schließlich wollte die CDU am liebsten bei den vier Jahren Grundschule bleiben, während die so reformfreudige GAL einen ganzen Wahlkampf lang sehr überzeugend neun gemeinsame Schuljahre favorisierte.

(Farid Müller GAL: So funktioniert Demokra- tie!)

Machen wir uns also nichts vor. Dass wir nun über die Einführung der sechsjährigen Primarschule reden, ist letztlich ein Zufall. Ein bisschen mehr Nachgeben der CDU beim Kraftwerk Moorburg hätte vielleicht nur zu einer gemeinsamen fünfjährigen Schulzeit geführt. Ein bisschen mehr Entgegenkommen auf Seiten der GAL in einem anderen Thema hätte vielleicht sogar zu einem Kompromiss einer beispielsweise siebenjährigen Primarschule geführt.

(Egbert von Frankenberg CDU: Das ist ja Unfug!)

Im Übrigen wissen wir inzwischen, dass in Nebenabreden eine Menge möglich war. Aber ungeachtet dieser eher zufälligen Ergebnisse Ihrer Koalitionsverhandlungen verdienen die Kinder, die Eltern und auch die Lehrer dieser Stadt, dass wir versu

chen, die schlimmsten, sich bereits ankündigenden Fehler in der Umsetzung Ihrer geplanten Schulpolitik zu begrenzen. Nebenbei bemerkt: Mich beschleicht das Gefühl, dass das Parlament an diesem Punkt nicht so richtig ernst genommen wird. Wir diskutieren über den zweiten Schritt vor dem ersten. Wir diskutieren über eine grundlegende Schulreform ohne die Vorlage einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage. Aber das nur nebenbei.

(Beifall bei der SPD)

Die grundsätzliche Forderung nach einem längeren gemeinsamen Lernen ist in Ordnung. Sie ist sogar erstrebenswert. Aber zunächst einmal ist die Schulstruktur nur eine reine Veränderung der Organisationsform. Wichtig wäre aber eine zusätzliche innere Reform, welche eine tatsächlich bessere Qualität des Unterrichts ermöglichen würde. Die Eltern wollen doch von Ihnen wissen, wie Sie das bewerkstelligen wollen.

(Wolfgang Beuß CDU: Das erzählen wir Ih- nen ja jetzt!)

Da bin ich gespannt.

Aber trotz einer gewaltigen Informationsflut aus dem Hause der Schulsenatorin haben wir bis heute keine Antwort auf die Frage, wie dies gelingen soll. Die von Ihnen in der Öffentlichkeit versuchte Gleichsetzung einer Schulstrukturänderung mit einer quasi von selbst eintretenden qualitativ inhaltlichen Verbesserung des Unterrichts ist doch ein fataler Irrtum. Wir wissen: Das hängt nicht voneinander ab. Die Eltern – und da bin ich mir ganz sicher – werden dies merken und konkret nach den Verbesserungen fragen. Im Vordergrund der reinen Strukturdiskussion stehen derzeit nur Themen wie die regionale Aufteilung der Primarschulen auf die verschiedenen Standorte oder die Fragen nach den regionalen Schulkonferenzen. So kommt es, dass viele problematische Punkte, die das wirkliche Leben so mit sich bringt, gar nicht gesehen werden. Überwiegt zum Beispiel in diesen regionalen Schulkonferenzen nicht das Interesse der einzelnen Schule beziehungsweise des jeweiligen einzelnen Schulleiters zukünftig Primarschulleiter zu werden, um so von A 13 nach A 15 gestuft zu werden?

(Olaf Ohlsen CDU: Wie kann das bloß ange- hen?)

Oder wird dann nicht dorthin und in die dann erforderlichen zusätzlichen Abteilungsleitungen ein Großteil der versprochenen Etaterhöhungen verschwinden?

(Jens Kerstan GAL: Mehr fällt Euch nicht ein? Das ist wirklich traurig!)

Aber zum Thema des Schulhaushalts und der tatsächlichen Kosten Ihrer Schulreform werden wir si

(Dittmar Lemke)

cherlich noch die eine oder andere Überraschung erleben.

Hinsichtlich der regionalen Schulkonferenzen werden die Eltern aber konkret wissen wollen, nicht nur wo die Primarschule ist, sondern welche Ausstattung die Schule hat oder haben wird, ob die Kinder wirklich gemeinsam unterrichtet werden oder ob es verschiedene Kurse auf unterschiedlichem Leistungsniveau geben wird und vor allem, ob die Lehrer eine entsprechende spezielle Weiterbildung für diesen individualisierten Unterricht haben werden.

(Wolfgang Beuß CDU: Das ist eben gerade gesagt worden!)

Genau, Frau Goetsch hatte gerade gesagt, dass Fortbildungspakete geschnürt werden. Ich höre es gern, toll.

Aber umfassen diese Fortbildungspakete so wie im Fall der gerade einmal abgeschafften Hauptschulen wieder nur die Weiterbildung für 30 Stunden je Lehrer und Schuljahr, die sowieso schon im Lehrerarbeitszeitmodell verankert sind, oder ist dabei an ein bisschen mehr gedacht? Ich fordere mehr.

(Beifall bei der SPD)

Diese Antworten sind Sie uns bisher schuldig geblieben.

Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt bleibt für mich, dass die bislang wenigstens teilweise vorhandene Durchlässigkeit des Schulsystems auf der Strecke bleibt. Wir wissen, dass die …

(Glocke)

Erste Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbre- chend): Sie sehen das rote Licht.

– Ich komme zum letzten Satz.

Ich befürchte, dass der Dortmunder Schulexperte Wilfried Bos leider allzu recht hat, wenn er sagt, dass das nur Geld koste und wenig bringen werde. Man werde die Fehler, die man heute bei der Aufteilung der Kinder nach Klasse 4 macht, nur um zwei Jahre verschieben. – Danke.

(Beifall bei der SPD und bei Dora Heyenn DIE LINKE)

Das Wort bekommt Herr Bischoff.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir sind ziemlich pompös mit dem Begriff Exzellenzstandort in die Debatte gestartet, so Herr Gwosdz und Herr Freistedt. Im Lauf der Debatte, das gebe ich Ihnen ger

ne zu, Herr Kerstan und auch Frau Goetsch, haben wir das jetzt ein bisschen realistischer gefasst. Es geht in Hamburg nicht um Exzellenzstandort, sondern es geht darum, ob wir uns in den nächsten Jahren dem europäischen Standard nähern.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL)

Das heißt zunächst einmal: Wir haben einen großen Nachholbedarf. Wie Frau Goetsch gesagt hat – das kommt in der Diskussion nun einmal nicht vor: Wir haben einen heftigen Druck, dem wir nachgeben müssen: Der Druck – ich will das wenigstens noch einmal sagen – für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, Sie wissen, wie dramatisch das ist. Es geht um Schulabbrecher und es geht um verschiedene Ebenen der Qualität von Abschlüssen und Fähigkeiten. Das ist der Druck, der in Hamburg existiert. Da sind wir weit vom europäischen Standard entfernt. Wir haben uns – und das will ich noch einmal klargestellt haben – fraktionsübergreifend darauf geeinigt, die Schritte gemeinsam zu machen. Die Abschaffung der Hauptschule war ein wesentlicher Schritt und die Begleitmaßnahmen, die wir eingeleitet haben, gehen in die richtige Richtung. Dora Heyenn hat darauf hingewiesen – ich möchte das noch einmal bekräftigen: Bitte schauen Sie jetzt nach, was die auslaufenden Klassen für Probleme aufwerfen. Sie haben das wenigstens damals zugesagt. Wir sehen, dass es vielleicht eine kleine Gruppe ist, um die es geht, aber gerade diese Gruppe hat es verdient, dass man sie nicht alleine laufen lässt. Wenn man an den europäischen Standard heran will, muss man sich diesem Punkt auch stellen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Monika Schaal SPD)

Herr Kerstan, damit wir für die künftigen Debatten – wir werden das Thema noch häufiger debattieren – keine Missverständnisse haben: Es geht in der Tat um eine Doppelstrategie, die wir verfolgen. Frau Heyenn und ich haben das schon gesagt. Der erste Schritt ist, dass Sie jetzt wirklich aufgebrochen sind und vernünftige Sachen eingeleitet haben. Hinter diesen Aktionen steht wenigstens die Fraktion der LINKEN ganz vorbehaltlos. Der erste Punkt, den wir wollen, ist, zu wissen, ob das alles ordentlich gemacht ist. Wir werden uns im Detail darüber streiten, ob man das besser machen kann. Das ist der Punkt, den wir dann auch im Ausschuss regeln wollen. Da haben wir gar keine Differenzen. Ich sage das jetzt nur noch einmal im Hinblick auf die auslaufenden Klassen der Hauptschule.

Dann haben wir einen zweiten Punkt, in dem wir eine Differenz haben, denn wir sagen: Weil wir noch ziemlich weit entfernt sind von dem europäischen Standard und weil wir in den nächsten Jahren einiges tun müssen, setzt sich jedenfalls unsere Fraktion dafür ein, dass das Ziel einer Schule für

(Andrea Rugbarth)

alle nicht aus den Augen verloren wird. Das heißt: Selbstverständlich werden wir in den nächsten Wochen die Volksabstimmung unterstützen, weil wir dieses Ziel mittelfristig für den einzigen Weg halten, den wir einschlagen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das heißt, ich will das ganz eindeutig sagen: Dieses Ziel ist nicht gegen die aktuellen Reformpläne gerichtet, sondern das wollen wir auf den Weg bringen, insofern ist das eine Doppelstrategie. Wir schauen genau hin, was Sie jetzt machen, werden das immer unterstützen, soweit wir davon überzeugt sind und wollen gleichzeitig aber eine mitteloder langfristige Perspektive des gemeinsamen Lernens haben.

Deswegen will ich abschließend noch einmal sagen: Natürlich sind die regionalen Schulentwicklungskonferenzen, die Sie eingeführt haben, toll, denn das hat es lange nicht gegeben. Das ist ein Schritt nach vorne. Hören Sie aber bitte auf die Kritik, dass es noch an dieser und jener Stelle hakt. Wir müssen möglichst viele Leute mitnehmen, wenn wir diese Reform voranbringen wollen. Das ist der entscheidende Punkt und an dieser Stelle kann man meines Erachtens noch einiges tun. Letztlich heißt das auch, wenn Sie sich die Presse und die Debatten anschauen: Es gibt gegen diese Reform auch Widerstände, es gibt Initiativen, die das nicht wollen. Auch das müssen wir politisch aufgreifen und uns mit den Argumenten auseinandersetzen. Nur dann kommen wir einen Schritt in Richtung Schulfrieden.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort bekommt Herr Beuß.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu dem Bündnis Rot-Grün, das wir vor wenigen Jahren erlebt haben, gibt es bei Schwarz-Grün, was wir jetzt haben, einen entscheidenden Unterschied in vielen sachpolitischen Fragen.

(Vizepräsident Wolfhard Ploog übernimmt den Vorsitz.)

Wir haben wirklich – und dafür ist die Schulpolitik das beste Beispiel – Kompromisse miteinander gefunden. Was die Sozialdemokraten damals mit den Grünen gemacht haben, war die Krötentherapie. Die wollten wir nicht machen und deswegen haben wir auch von bestimmten Dingen, die uns sicherlich heilig gewesen wären, Abschied nehmen müssen, um im Interesse der Regierungsfähigkeit dieser Stadt vernünftige Kompromisse hinzubekommen.

(Beifall bei der CDU – Michael Neumann SPD: Was war Ihnen denn heilig? Nichts!)

Herr Neumann, das wissen Sie ganz genau. Wir hatten uns für den Erhalt der Gymnasien in der jetzigen Form eingesetzt, müssen nun aber zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht mehr die alleinige Mehrheit hier im Hause haben. Deswegen müssen wir mit unserem Partner nach Kompromissen und guten Lösungen suchen. Die haben wir mit dieser Schulpolitik gefunden. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL – Michael Neumann SPD: Jetzt ma- chen die Grünen die Krötentherapie mit Ih- nen!)