Protokoll der Sitzung vom 17.09.2008

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema dieser Debatte, von den Koalitionären angemeldet, lautet in der Tat:

"Kinder- und Jugendlärm privilegieren"

Man könnte die Debatte vielleicht besser überschreiben mit: Die Arbeitsverweigerung der Fachbehörde unter besonderer Berücksichtigung des Versagens des verantwortlichen Senators.

(Beifall bei der SPD – Frank Schira CDU: Ist viel zu lang der Titel!)

Sie brauchen gar nicht zu stöhnen. Die GAL hatte sich inhaltlich ähnlich geäußert. Am 2. September hieß es gegenüber dem "Hamburger Abendblatt":

"Jetzt ist dringend Handlungsbedarf angesagt, damit nicht noch mehr Kinder hinter Mauern spielen müssen."

(Vizepräsident Wolfgang Joithe-von Krosigk übernimmt den Vorsitz.)

So ist es. Es gibt in dieser Stadt drei Jahre nach den Vorgängen um die Kita Marienkäfer noch immer äußerst dringenden Handlungsbedarf. Darum haben wir unseren Gesetzentwurf aus dem vergangenen Jahr noch einmal eingebracht. Ich will das für die neuen Abgeordneten gern noch einmal berichten. Es liegt keine zwei Jahre zurück, als zwei Fachausschüsse eine differenzierte, fundierte, genaue Diskussion mit Experten geführt und eine Bestandsaufnahme auch der Rechtslage durchgeführt hatten. Das Ergebnis dieser Beratungen, die sich lange hinzogen, haben wir zu diesem Gesetzentwurf verarbeitet, dessen Grundsatz in der Tat die Interessenabwägung ist. Das haben Sie richtig erkannt. Am Ende hat sich die CDU geweigert, auch nur über unseren Entwurf zu beraten. Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der GAL, ging das ähnlich mit Ihrem eigenen etwas anderen, aber ebenso durchdachten Entwurf. Da ging es Ihnen damals nicht besser. Wo ist der alte Entwurf der GAL eigentlich geblieben? Darf Herr Maaß den heute nicht mehr vorlegen?

(Dirk Kienscherf SPD: Der traut sich nicht mehr!)

Stattdessen hat die CDU damals selbst versucht, mit Hilfe eines Gesetzes die Grundlage dafür zu schaffen, dass im Streitfall, bei Abwägung der gegensätzlichen Interessen für die Kinder und möglicherweise gegen die Nachbarn entschieden wird. Sie haben das damals mit einigem Getöse als Ihre neue Regelung verkauft, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, obwohl der Wortlaut bis auf das letzte Komma mit der zuständigen Behördenspitze abgestimmt war. Behördenspitze, das schließt den damaligen Staatsrat mit ein, der heute der zuständige Senator für diesen Bereich ist.

(Frank Schira CDU: Ist ja auch richtig!)

Inzwischen hat sich bestätigt, was wir und übrigens auch die GAL Ihnen damals prophezeit haben. Die Regelung, dieser neue Paragraf im Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz hilft nicht, sie ist nett, aber wirkungslos. In der Baugenehmigung für die Kita in der Reventlowstraße wird dieser Paragraf in seiner ganzen Länge und Breite zitiert – es handelte sich ja nur um einen einzigen Satz, den Sie damals beschlossen haben –, aber das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass dieser einzige Satz offensichtlich nicht taugt, wenn es um die Abwägung unterschiedlicher Interessen geht.

Herr Senator, das ist das Problem, mit dem wir heute umgehen müssen. Sie haben ein Gesetz gemacht, das gleich beim ersten Konfliktfall sangund klanglos durchfällt. Das ist mehr als peinlich und deshalb habe ich eingangs vom Versagen des Senats an dieser Stelle gesprochen.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt führen wir diese Diskussion um den sogenannten Kinderlärm nicht im luftleeren Raum, sondern aus aktuellem Anlass. Es geht darum, dass zum wiederholten Mal der Träger einer Kindertagesstätte vor das Verwaltungsgericht muss, weil sich Nachbarn gegen die Einrichtung wehren. Dabei geht es nicht darum, mit Fingern auf klagende Nachbarn zu zeigen – wie wir das auch bei der letzten Debatte gehört haben – und ihnen Kinderfeindlichkeit vorzuwerfen. Das ist Unfug.

(Wolfgang Müller-Kallweit CDU: Das hat kei- ner gesagt!)

Die Nachbarn sind nicht kinderfeindlich, sie denken vermutlich, dass sie in ihrer Ruhe nachhaltig und auf Dauer gestört werden und da haben sie auch recht, denn Kinder sind nicht leise. Nur, das ist ein Interessenkonflikt wie es ihn typischerweise immer wieder einmal in einem Gemeinwesen gibt. Die Allgemeinheit hat ein Anliegen, das der großen Mehrheit auch nützt, aber Einzelnen gerät dies zum Nachteil. Die Aufgabe eines Staates ist es, Regeln zu schaffen, mit denen solche Konflikte gelöst wer

(Stephan Müller)

den. Genau dafür haben und brauchen wir unseren Staat. Oder ganz konkret: Wenn der Staat will, dass es eine umfassende Kinderbetreuung gibt, dass Kita-Plätze entstehen, dass sogar mehr KitaPlätze eingerichtet werden, dann ist es seine Pflicht und Schuldigkeit, dafür auch die Voraussetzungen zu schaffen und das haben Sie versäumt.

(Beifall bei der SPD)

Wir sprachen eben in der Debatte über das Subsidiaritätsprinzip, das wir aus guten Gründen an vielen Stellen verankert haben. Nicht der Staat soll in erster Linie Sozialleistungen erbringen, sondern dies sollen andere Träger tun, wo immer es möglich ist. Das ist eine gute und bewährte Regel. Aber wenn die Träger die Aufgaben des Staates übernehmen sollen, dann ist es umgekehrt Aufgabe des Staates, die Voraussetzungen dafür zu schaffen und genau dieser Aufgabe versuchen Sie sich bisher zu entziehen. Sie, Herr Senator Wersich, haben an dieser Stelle vor zwei Wochen wirklich noch ein draufgesetzt, als Sie anregten beziehungsweise drohten, bei demografischen Veränderungen die Baugenehmigungen für Kitas vielleicht wieder zurückzunehmen. Einmal ganz abgesehen davon, dass weder das Baurecht noch das Verwaltungsrecht das irgendwie hergeben, was haben Sie eigentlich für eine Vorstellung von dem Umgang mit Trägern.

Die Träger sollen Kredite aufnehmen, sich verschulden, der Allgemeinheit Kita-Plätze schaffen und nach ein paar Jahren kommt dann Senator Wersich und sagt: April, April, ich schließe die Kita wieder. Der Träger ist dann pleite, weil er die Kredite nicht mehr bedienen kann. Ich finde solche Überlegungen genauso dumm wie schäbig, Herr Senator. Das wollte ich an dieser Stelle gerne noch einmal sagen.

(Beifall bei der SPD – Frank Schira CDU: Das geht nicht!)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk (unterbrechend) : Frau Abgeordnete, ich darf Sie bitten, zum parlamentarischen Sprachgebrauch zurückzukehren.

Sehr gern, Herr Präsident.

Das Kinderbetreuungsgesetz, das wir mit Hilfe vieler engagierter Mütter und Väter gegen den Willen der damals allein regierenden CDU in dieser Stadt durchgesetzt haben, hat zur Einrichtung von mehr Kita-Plätzen geführt. Weil es jetzt Rechtsansprüche gibt und auch, weil wir auf Bundesebene einen Teil der Finanzierung stellen, um in Hamburg fast 6000 zusätzliche Krippenplätze in den nächsten Jahren einzurichten, führen Sie diesen Ausbau fort, rühmen sich damit und haben noch weitere

Ankündigungen im Koalitionsvertrag für den Krippenausbau gemacht.

Aber es besteht eben ein Unterschied zwischen gemütlicher Runde in einem Hamburger Hotel öffentlichkeitswirksame Beschlüsse zu fassen

(Frank Schira CDU: Das war nicht gemüt- lich, sondern harte Arbeit!)

oder diese kleinteilig und in den Stadtteilen dann auch umzusetzen und genau hier liegt Ihr Versagen, meine Damen und Herren. Sie sind bis heute nicht in der Lage zu sagen, wo welche Kita-Plätze gebraucht werden. Es gibt bis heute keine tragfähige Kitabedarfsplanung. Ich habe zu diesem Thema diverse Anfragen gestellt und am Ende zur Antwort bekommen, Sie wüssten es auch nicht so genau. Es gebe in verschiedenen Stadtteilen sogenannte Nachfrageüberhänge, aber Genaueres wisse man auch nicht.

Meine Damen und Herren, es tut mir leid, aber das ist jämmerlich.

(Beifall bei der SPD)

Sie sind es, die über alle erforderlichen Daten verfügen. Sie wissen zwar, wo die Eltern und ihre Kinder leben, das können Sie auch verantworten, aber Sie schaffen es nicht, daraus eine vernünftige Bedarfsplanung abzuleiten. Sie denken, das sollen die Freien Träger selbst ermitteln und dann die entsprechenden Kitas anbieten.

Vor einem Jahr haben Sie mir in einer Kleinen Anfrage fein säuberlich aufgelistet, dass in Othmarschen zwar 371 Kinder im Alter von null bis drei Jahren leben, für diese Kinder aber nur 29 Krippenplätze vorhanden sind. Das reicht natürlich hinten und vorne nicht. Das zählen Sie dann zwar notgedrungen, weil ich eine Anfrage stelle, aber Sie bemühen sich nicht, für Abhilfe zu sorgen. Das macht stattdessen ein Freier Träger und richtet dort entsprechend Plätze ein – da freuen wir uns alle – und der droht dann an den Nachbarn zu scheitern, die den Lärm fürchten. Das Einzige, das Ihnen in der letzten Debatte einfiel zu sagen war, vielleicht entscheidet das Obergericht ja anders. Wunderbar.

Das Verwaltungsgericht hat im Fall der Kita in der Reventlowstraße nach Recht und Gesetz entschieden, dass der Widerspruch der Nachbarn gegen die Baugenehmigung eine aufschiebende Wirkung hat, also zurzeit nicht weiter gebaut werden darf, bis die Sache geklärt ist. Daran gibt es nichts rumzukritteln.

Die Annahme, die Ihrem Antrag zugrunde liegt, nämlich dass das Verwaltungsgericht dem Widerspruch gegen die Erteilung einer Baugenehmigung stattgegeben hätte, ist einfach falsch. Möglicherweise sind Sie nicht dazu gekommen, den Gerichtsbeschluss einmal zu lesen, ganz abgesehen davon, dass Ihnen da auch mit der Gewaltentei

lung etwas durcheinandergeraten ist und Sie das auch vom Verfahren her nicht begriffen hatten.

(Zurufe von der CDU: Thema, Thema!)

Sie haben die angeblichen Schwachpunkte unseres Gesetzentwurfs bemängelt.

(Thilo Kleibauer CDU: Zu Recht!)

Da mag vielleicht das eine oder andere auch zutreffen.

(Stephan Müller CDU: Ja!)

Das Bessere ist der Feind des Guten und wenn es von Ihrer Seite Vorschläge gäbe, wie unser Entwurf noch besser werden könnte, dann wären wir sicherlich die Letzten, die sich dagegen sperrten.

In Ihrem in drei Wochen sorgfältig erarbeiteten Zusatzantrag lese ich allerdings nur, dass der Senat die Rechtslage auswerten und dann Vorschläge unterbreiten möge. Oha, man sollte meinen, dass ein verantwortlicher Senat dieses ohnehin täte,

(Beifall bei der CDU)

aber wenn Sie Ihrer Regierung nicht trauen, Sie kennen Ihre eigenen Leute besser. Fest steht, für die entsprechenden Regelungen, die dafür sorgen, dass Kitas im Konfliktfall nicht unterliegen, sind wir als Parlament verantwortlich. Es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, die gesetzlichen Voraussetzungen für einen fairen Interessenausgleich zu schaffen. Das haben Sie bisher nicht getan und nur deshalb liegt unser Gesetzentwurf noch einmal vor. Wir können das alles gerne im nächsten Jugendausschuss beraten, wenn Sie dann nicht wieder die Mitarbeit verweigern. Ich will das noch einmal sagen. Bei der letzten Sitzung haben Sie von der CDU und der GAL vorher pressewirksam im "Hamburger Abendblatt" angekündigt:

"Die Jugendpolitiker des schwarz-grünen Senats kündigen an, die Problematik von Kita-Standorten und Lärmschutzmaßnahmen im nächsten Kinder- und Jugendausschuss auf die Tagesordnung zu setzen."

Wir haben das auf die Tagesordnung gesetzt und was ist passiert? Sie haben es im Ausschuss wieder von der Tagesordnung runtergestimmt und wir haben es nicht beraten.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Peinlich! – Mi- chael Neumann SPD: Das kann ich mir ja gar nicht vorstellen!)

Sie haben das Problem bisher verschlafen. Wenn unser Gesetzentwurf jetzt die Grundlage für eine weitere gemeinsame Beratung ist und wir schnell und zügig zu einem guten Ergebnis kommen, dann freuen wir uns. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)