Sie hören wenigstens zu, das ist ja schon mal etwas. – Vielmehr geht es um eine allgemeine Problematik, die nicht nur die LINKE bewegt, sondern in weiten Bürgerrechtskreisen bis hin zu den Grünen und auch der FDP immer wieder thematisiert wird. Die Polizei ist physische Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols. Ihr ist die Aufgabe zugeteilt, innerhalb gesetzlicher Grenzen unmittelbare Gewalt, unmittelbaren Zwang auszuüben.
Dabei ist sie nicht nur repressiv zur Verfolgung von Straftaten, sondern auch präventiv zur Abwehr von Gefahren tätig. Daraus erwächst eine hohe Verantwortung für die Polizei, denn im operativen Polizeidienst wird faktisch tagtäglich in Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern eingegriffen. Daraus erwächst dann aber auch das Erfordernis demokratischer Kontrolle der Polizei durch den Souverän, das heißt durch die Bürgerinnen und Bürger.
Die individuelle Kennzeichnung der Polizeibeamten ist eine Bedingung dieser demokratischen Kontrolle. Aufgepasst, meine Damen und Herren von der CDU: Dieser demokratische Standard wurde vor 160 Jahren bei der Geburt der preußischen Polizei 1849, übrigens einer obrigkeitsstaatlichen Polizei, gesetzt. Wollen Sie wirklich auf ewig dahinter zurückbleiben?
Damals mussten – ein Zugeständnis des Kaisers an das Bürgertum – alle Schutzmänner deutlich sichtbare Dienst- und Abteilungsnummern tragen. Die Kennzeichnungspflicht galt übrigens auch nach 1945 in der amerikanischen Besatzungszone und wurde erst mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland aufgehoben.
Spätestens seit den Achtzigerjahren wird über diese Frage heftig gestritten. Nicht unerwähnt bleiben soll deshalb auch, dass 1990 die demokratisch gewählte Volkskammer der DDR
die Pflicht zum Tragen einer Dienstnummer an der Uniform gesetzlich geregelt hat. Diese Regelung galt in den fünf neuen Bundesländern noch bis Mitte der Neunzigerjahre. In jüngster Zeit setzten sich neben der LINKEN zum Beispiel die Grünen 2007 in Berlin sowie in Niedersachsen im Oktober dieses Jahres mit einem Antrag für die gesetzliche Verankerung der individuellen Kennzeichnungspflicht ein. Auch in Bayern arbeiten die Grünen derzeit an einem entsprechenden Antrag. Sie interessieren sich deshalb, wie sie mir gestern geschrieben haben, für unseren Antrag und sein Schicksal.
Ausdrücklich verweisen möchte ich noch auf den europäischen Kodex für Polizeiethik, den das Ministerkomitee des Europarats 2001 verabschiedet und der für die Mitgliedstaaten den Charakter einer Selbstverpflichtung hat.
"BeamtInnen mit Polizeibefugnissen sind auf allen Rangstufen persönlich verantwortlich und rechenschaftspflichtig für ihr eigenes Tun und Unterlassen oder für ihre Anweisungen an Untergebene."
"BeamtInnen mit Polizeibefugnissen sind während Einsätzen gewöhnlich in der Lage, sich hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zur Polizei und ihrer amtlichen Identität auszuweisen."
"Ohne die Möglichkeit, einen Polizisten beziehungsweise eine Polizistin persönlich zu identifizieren, wird der Begriff der Rechenschaftspflicht aus der Perspektive der Öffentlichkeit sinnentleert."
Soweit der Europarat. Wir befinden uns also mit unserem Antrag zur gesetzlichen Verankerung von Ausweis- und individueller Kennzeichnungspflicht in guter Gesellschaft und verlangen bei Weitem nichts Sensationelles oder gar Skandalöses, sodass Sie sich auch gar nicht so aufregen müssen.
Bis zu einem gewissen Grad kommt die Polizeidienstvorschrift 350 in Hamburg, die seit 1995 in Kraft ist und weitreichendere Regelungen – das will ich durchaus zugestehen –, als man sie in anderen Bundesländern vorsieht, dem demokratischen Gebot von Transparenz und Kontrolle staatlichen Handelns entgegen. Dort wird das Tragen von Namensschildern ausdrücklich als Schritt bezeichnet – ich zitiere–
"[…] Anonymität abzubauen, Öffentlichkeit zu signalisieren, die Ansprechbarkeit zu erhöhen, den Dialog zu fördern und dadurch das Vertrauensverhältnis Bürger-Staat zu stärken."
Aber, erstens ist die PDV 350 eine Verwaltungsvorschrift und entfaltet keine Außenverbindlichkeit – das heißt, kein Bürger kann sich darauf berufen – und zweitens ist sie nur ein Schritt und deshalb unzureichend. Sie ist für den gesamten mittleren und gehobenen Dienst freiwillig, gilt nicht für geschlossene Einsätze und als Hamburger Dienstvereinbarung auch nicht für auswärtige Polizeikräfte bei Einsätzen in Hamburg.
Die individuelle Identifizierung von Beamten mit Polizeibefugnissen muss gerade bei Massenveranstaltungen und Großeinsätzen der Polizei gewährleistet sein, wenn uniformierte und zum Teil vermummte Polizei gegebenenfalls in die Lage kommt, …
… unmittelbaren Zwang und unmittelbare Gewalt auszuüben und Personalienfeststellungen, Festnahmen und Gewahrsamnahmen vorzunehmen, wenn es um das urdemokratische Recht der Versammlungsfreiheit geht, ein Schutzrecht gegen staatliche Eingriffe. Gerade während solcher konfliktträchtigen Einsätze muss staatliches Handeln transparent, zurechenbar und damit kontrollierbar sein. Die Individualisierung der Polizeibeamten ist ein Grund dafür, dass Polizei, Teilnehmer und Teilnehmerinnen überhaupt vertrauensvoll kooperieren können. In diesem Sinn ist die individuelle Kennzeichnungspflicht eine Maßnahme der Deeskalation. Sie ergibt sich nach unserer Auffassung auch aus dem Deeskalationsgebot, zu dem das Bundesverfassungsgericht die Polizei verpflichtet.
Ich möchte abschließend auf eines der Hauptargumente gegen die individuelle Kennzeichnungspflicht eingehen. Es wird behauptet, dass damit in inakzeptabler Weise ein generelles Misstrauen gegenüber der Arbeit der Polizei signalisiert werde. Dazu zwei Anmerkungen.
Erstens möchte ich den sozialdemokratischen Juristen und langjährigen Geschäftsführer – Herr Dressel, das war lange vor Ihrer Zeit – der SPDBundestagsfraktion, Adolf Arndt, zitieren:
"Misstrauen ist eine demokratische Tugend. Wo Misstrauen nicht wacht, wächst kein Vertrauen. Ohne Vertrauen kann ein Staat den Tag nicht überdauern."
Beweist nicht der, der sich gegen Transparenz wehrt und das Privileg eingeschränkter Kontrollierbarkeit mit Zähnen und Klauen verteidigt, wie berechtigt Misstrauen ist?
Nach unserer Auffassung muss die Polizei als Trägerin des Gewaltmonopols selbst daran interessiert sein, durch die Bürger, die staatliche Gewaltausübung zu dulden haben, jederzeit kritisch beobachtet zu werden. Nach meiner Kenntnis gibt es in der Polizei und zum Beispiel auch unter den Absolventinnen und Absolventen von Polizeifachschulen nicht wenige, die gegen eine individuelle Kennzeichnung nichts einzuwenden haben und die sich einem zeitgemäßen Leitbild einer transparenten Verwaltung keineswegs verschließen.
Eine Kleine Anfrage von mir zum Thema Körperverletzung im Amt hat erwiesen, dass die Einstellungsquote bei solchen Verfahren unvergleichbar hoch ist. Die Einstellung eines solchen Verfahrens kann selbstverständlich auch darauf zurückzuführen sein, dass sich der Vorwurf als unberechtigt erweist. Das ist unbenommen. Die hohe Quote, die mit keiner anderen Einstellungsquote zu vergleichen ist, ist allerdings erklärungsbedürftig. Wer auf ein solches Verlangen reagiert, als handele es sich um eine Majestätsbeleidigung, offenbart sein Problem mit demokratischer Kontrolle und Öffentlichkeit.
Ausweispflicht und individuelle Kennzeichnung von Polizisten sind ein wichtiges und unverzichtbares Mittel, individuell zu verantwortendes und mögliches Fehlverhalten nachweisen zu können sowie Straflosigkeit entgegenzuwirken. Deshalb bin ich froh, wenn dieser Antrag an den Innenausschuss überwiesen wird, damit die verschiedenen Probleme im Zusammenhang mit dem von mir Genannten ausführlich, sachlich und differenziert diskutiert werden können.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Schneider, Ihr Beitrag hat erneut deutlich gemacht, dass das Bild, das viele Kolleginnen und Kollegen in diesem Raum von der Hamburger Polizei und der Polizei in den anderen Bundesländern haben, komplett anders ist als Ihr Bild.
Die Hamburger Polizei ist kein Haufen von Strafund Gewalttätern, der permanent versucht, arme, hilflose Demonstranten mit Gewalt zu traktieren, wie Sie wieder versucht haben, es darzustellen.
Die Hamburger Polizei ist Garant dafür, dass die Grundrechte uneingeschränkt ausgeübt werden können. Das ist wichtig und gut so.
Frau Heyenn, das hat Frau Schneider bereits mehrfach gesagt. Heute hat sie es wieder deutlich gemacht. Sie unterstellen permanent, dass die Polizei im Rahmen des Nichterlaubten strukturell bewusst Gewalt ausübt. Das ist falsch.