Protokoll der Sitzung vom 20.11.2008

(Beifall bei der CDU – Michael Neumann SPD: Wenn ich den gleichen Quatsch höre wie von Wrocklage, dann kann ich nicht ru- hig bleiben!)

Womit wir beim Sicherheitskonzept des Hamburger Senats für den Kiez wären, das da wäre: verstärkte Polizeipräsenz, lageabhängige Kontrollen, Waffenverbot, Videoüberwachung und nicht zuletzt diese Selbstverpflichtung für die Gastronomen. Es greift zum Teil auch, natürlich nicht von heute auf morgen und für eine Statistik ist es einfach noch zu früh.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wann dürfen wir denn mal wieder nachfragen?)

Aber worauf kommt es an? Es greift auf jeden Fall für die Besucher und für die Bewohner von St. Pauli.

Nach der Planlosigkeit SPD-geführter Vorgängersenate ist die Sicherheit im Bereich der Reeperbahn und den angrenzenden Straßen bei der Regierungskoalition in guten Händen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Zum Schluss möchte ich noch sagen, Herr Dressel, dass fahrlässig der damalige SPD-Senat ge

(Dr. Andreas Dressel)

handelt hat, weil er nämlich nicht gehandelt hat. Und mit einer Plastikkarte, auf der steht, ich bin jetzt ganz fürchterlich derjenige, der hier aufpasst, sind Sie leider nichts geworden.

(Beifall bei der CDU und bei Jens Kerstan GAL)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Möller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kollege Dressel, Sie sind wieder mal martialisch eingestiegen, zwei bis drei Gewaltexzesse pro Tag. Es gibt da auch die anderen Zahlen: 3,5 Millionen Menschen pro Jahr, 2500 Körperverletzungen, 84 Prozent davon mit bloßen Händen und der Rest mit Waffen und davon 7 Prozent mit Glasflaschen. Das sind 7 Prozent zu viel und das ist auch gar nicht die Debatte, die wir hier führen müssen, weil wir uns darüber einig sind. Das Schwierige an dieser Debatte ist doch, was hilft eigentlich, um die Situation zu verändern. Da reicht es eben nicht zu sagen, wir brauchen mehr als Repression. Sie versuchen, die CDU noch auf der anderen Seite zu überholen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Zur Prävention haben wir auch etwas gesagt!)

Das kommt aber immer so ein bisschen als Nachsatz.

Wir müssen im Moment den Appell an die Menschen in den Mittelpunkt stellen, die vor Ort ihre Geschäfte machen und ihr Geld verdienen und mit den Menschenmassen, die über den Kiez laufen, sei es mit Alkohol, sei es wegen Kultur, Shows oder Prostitution. Das Mitnehmen der IG St. Pauli, aber auch das Mitnehmen der Waffengeschäfte – das haben wir schon mehrfach besprochen – halte ich für eine der wichtigsten Aufgaben, denn es ist einfach eine absurde Situation. Es gibt Schilder, dass man sich in einer Waffenverbotszone bewege, und gleichzeitig ist die Auswahl in dem Bereich dort am größten. Das mag verstehen, wer will, umsetzbar und realistisch, damit die Menge der Waffen auf dem Kiez zu verringern, ist es nicht.

Wir brauchen eine Debatte, die man nicht in einem Fünf-Minuten-Beitrag erledigen kann, und entscheidend ist, dass wir die Arbeit, die im Bezirk dazu gemacht werden kann, mitnehmen müssen. Dazu gehört auch, dass der BOD sich auf seine Aufgaben besinnt und der Bezirk an der Stelle ein bisschen mitzieht. Dazu gehört aber auch, gegenüber den Geschäften sehr deutlich zu sagen, wenn das nicht klappt mit der Selbstverpflichtung, dann reden wir über ein Glasflaschenverbot. Auch wenn das hier im Haus hoch strittig ist, ist das Stichwort Alkoholverkaufsverbot möglicherweise das nächste. Aber das alles wirkt nicht, wenn man es ver

fügt und in Wirklichkeit die Bereitschaft zur Umsetzung nicht besteht.

Vielleicht müssen die Runden Tische sich öfter treffen, vielleicht müssen sie anders zusammengesetzt werden, aber das öffentliche Werben dafür, über diesen Kiez zu gehen, ohne Waffen in der Tasche und ohne den Wunsch, sich zu prügeln, gehört auch dazu.

Dann muss man vielleicht auch darüber reden, wer in die Clubs reingelassen wird, was an Kultur angeboten wird, für welche Szene es dort Angebote gibt und was sich strukturell, sei es durch veränderte Angebote, auf dem Kiez noch verändern lässt. So weit müssen wir die Debatte führen, nur in dieser Breite kommen wir vielleicht an den Kern der Entwicklung, die uns alle etwas unklar ist. Woher kommt es, dass es einerseits eine derartige Zunahme an Alkoholexzessen, andererseits eine so herabgesenkte Schwelle des Benutzens von Waffen oder von Glasflaschen als Waffen gibt. Die einseitigen Forderungen nach mehr Polizei auf der Straße,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wir wollen nur nicht, dass es weniger wird!)

nach mehr Überwachung, nach mehr Repression, nach verdachtsunabhängigen Kontrollen von Zigtausenden von Personen klingen gut, sind aber völlig unrealistisch und ändern überhaupt nichts an dem Problem, das wir dort haben.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Schneider.

Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Erstens: Das Problem ist ernst. Ob nun die Steigerung der Zahlen auf eine reale Steigerung zurückzuführen ist oder auf eine Aufhellung des Dunkelfeldes, will ich dahingestellt lassen. In jedem Fall ist die Zahl der erfassten Fälle von gefährlicher und schwerer Körperverletzung viel zu hoch. Diese hohe Zahl gewalttätiger Auseinandersetzungen auf dem Kiez darf weder akzeptiert noch verharmlost werden.

Zweitens: Die CDU-Senate haben in den letzten Jahren mit ständiger Ausweitung repressiver und präventiver Maßnahmen reagiert. Das Gefahrengebiet Bekämpfung der Drogenkriminalität wurde eingerichtet, das Gefahrengebiet allgemeine Kriminalität, Waffenverbotszone, Videoüberwachung. Lieber Kollege Dressel, die SPD bleibt in dieser Logik und will neben einem Glasflaschenverbot eine Ermächtigung der Polizei für eine körperliche Durchsuchung von Kiezbesuchern. Ich kann mir, ehrlich gesagt, gar nicht vorstellen, wie das gehen soll bei diesen Zahlen.

(Thomas Felskowsky)

Es gehört nicht viel Phantasie zu der Voraussage, dass das eine Spirale ohne Ende sein wird. Was soll denn der nächste Schritt sein, wenn das gewünschte Ergebnis nicht erzielt wird? Ich kann mich vielem anschließen, was Frau Möller gesagt hat – das möchte ich ausdrücklich sagen –, will aber das aufgreifen, was Sie ganz am Schluss gesagt haben, und die Debatte noch ein bisschen erweitern, denn man soll sie auch nicht allzu eng führen.

Das Gewaltpotenzial beziehungsweise die Gewaltrealität darf nicht akzeptiert und verharmlost werden, aber sie muss verstanden und erklärt werden. Deshalb eignet sich das Thema nach unserer Auffassung nicht für billige Auseinandersetzungen und auch nicht für populistische Forderungen, sondern erfordert von uns allen ein Nachdenken darüber, was sich eigentlich Wochenende für Wochenende auf dem Kiez abspielt. Welche gesellschaftlichen Konflikte entladen sich dort in ungezügelter Aggression und Gewalt? Müssen wir uns nicht den Kopf darüber zerbrechen, auf welche konkreten Erfahrungen Jugendliche mit Gewalt bis hin zu schweren und gefährlichen Körperverletzungen reagieren, Erfahrungen des Scheiterns an gesellschaftlicher Realität, Erfahrungen von Armut, Ausgrenzung, Diskriminierung, Desintegration, Erfahrungen von schulischem Scheitern, Verlust sozialer Bindungen, Vereinzelung und Vereinsamung, Ohnmachtserfahrungen, Erfahrungen von Langeweile, sozialräumlicher Enge, bewegungsfeindlichem Erlebnis und kontaktarmen Wohngebieten, unattraktiven Freizeitangeboten, mangelnden Experimentier- und Grenzerfahrungsmöglichkeiten.

Der Kollege von der CDU hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das ein Großstadtphänomen ist, das wir überall in der Bundesrepublik und in den westlichen Industrieländern vorfinden. Letztlich, Kollege Dressel, ist es eine Verharmlosung des Problems, wenn Sie glauben, ihm durch noch ein Verbot und noch eine Ausweitung und wieder ein Verbot und wieder eine Ausweitung von Polizeibefugnissen beikommen zu können. Natürlich muss man sich über jede einzelne mögliche Maßnahme diesbezüglich unterhalten und, wie ich finde, streiten, aber das reicht nicht.

Wir hatten bei anderer Gelegenheit die Einrichtung einer Enquete-Kommission zur Gewalt in der Gesellschaft vorgeschlagen. Ich möchte ausdrücklich an diesen Vorschlag erinnern und glaube, dass wir letzten Endes nicht um eine solche sachliche und rationale gemeinsame Untersuchung der Phänomene umhinkommen werden. Wenn wir das Problem der Gewalt nicht an der Wurzel packen, dann werden wir letztlich keinen Beitrag zur Reduzierung von Gewalt leisten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort erhält der Abgeordnete Grote.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist richtig, dass alle hier bekunden, das sei ein wichtiges Thema. Das ist auch gar nicht von der Hand zu weisen, aber wo die Konsequenzen aus dieser Bedeutung gezogen werden, kann ich an den Redebeiträgen nicht erkennen. Insofern, Thomas Felskowsky, frage ich mich schon ein bisschen, wo du heute vorgeglüht hast,

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

denn dieser etwas hilflose Redebeitrag hatte mit der Realität …

(Glocke)

Herr Abgeordneter, ich möchte Sie bitten,

(Hans-Detlef Roock CDU: Das ist doch eine Frechheit!)

darüber nachzudenken, ob das die richtige Sprachregelung für dieses Haus ist.

(Beifall bei der CDU – Frank Schira CDU: Mit so einer Arroganz hier aufzutreten!)

– Gut, ich nehme das zurück.

Was jedenfalls nicht geht, ist, dass Sie sich hinter anderen Großstädten und gesamtgesellschaftlichen Problemen verstecken. Wir alle werden auch sonst nicht müde zu betonen, welche Einzigartigkeit dieser Stadtteil St. Pauli hat, dass das ein besonders verdichtetes, hochattraktives, aber eben auch sehr belebtes Vergnügungsviertel ist und wir dort eine besondere Problemstellung haben. Die haben wir, sich steigernd, seit vielen Jahren und seit über einem Jahr haben wir eine sehr intensive Diskussion darüber. Dass sich nun gerade die CDU und ein Innensenator, der ansonsten durchaus den Anspruch hat, diese Probleme in den Griff zu bekommen, dahinter versteckt, dies seien allgemeine Phänomene und so richtig könne man da nichts tun, ist ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der SPD)

Wenn von der CDU gesagt wird, man solle die Augen nicht vor der Realität verschließen, dann weiß ich nicht, in welcher Realität Sie leben. Wenn Sie bei den Zahlen, die wir jetzt haben, das heißt, eine leicht gestiegene Gewaltkriminalität und immer noch eine gleich hoch bleibende Zahl von Verletzten mit Glasflaschen, 157 in den ersten neun Monaten, sagen, Ihre Konzepte wirkten, dann kann ich keinen Realitätssinn erkennen. Ich habe den Eindruck, Sie sind in einem anderen St. Pauli unterwegs.

(Christiane Schneider)

(Beifall bei der SPD)

Sie zweifeln unsere Interpretation von Statistiken an, nennen aber selbst nicht eine einzige Zahl und die Zahlen sind eindeutig. Sie sind von Ihren Behörden veröffentlicht worden und insofern gibt es da auch gar nichts zu interpretieren. Das wäre ja noch was, wenn man die interpretieren könnte, aber die sind eindeutig.

Sie müssen sich an Ihren eigenen Maßstäben messen lassen. Sie haben vor einem Jahr gesagt, wenn wir es nicht schaffen, die Zahlen gefährlicher Körperverletzung nachhaltig zu senken, gerade mit dem Tatmittel Glasflasche, dann müssen wir über ganz andere Dinge nachdenken. Das haben Sie bei verschiedenen Gelegenheiten immer gesagt, passiert ist aber nichts, es ist eine Chronik der folgenlosen Ankündigung und des Nichthandelns.

(Jörg Hamann CDU: Was macht denn der Bezirk?)

Dazu kann ich Ihnen etwas sagen.

Nach Ihrem letzten Runden Tisch hat es eine Pressekonferenz und eine Pressemitteilung der Innenbehörde gegeben und wissen Sie, was darin stand: dreimal "prüfen", einmal "soll" und einmal "fortsetzen" und es stand auch einmal "wird" drin. Dieses "wird" bezog sich auf den Bezirk Hamburg-Mitte. Insofern brauchen Sie darauf Ihr Interesse nicht zu richten.