Protokoll der Sitzung vom 20.11.2008

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 19/1580 ein Antrag der CDU-Fraktion vor.

[Antrag der Fraktion der CDU: Wissenschaft und Geschlechtergerechtigkeit in Hamburg – Drs 19/1580 –]

Wer wünscht das Wort? Frau Koop, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Schlagartig leert sich der Saal.

Nun wollen wir nach den vielen ungelegten Eiern mal wieder über gelegte Eier sprechen. Ich finde es sehr schön, dass wir auch heute am zweiten Sitzungstag eine Genderdebatte auf der Tagesordnung haben. Vielleicht sollten wir einführen, in jeder Sitzung wenigstens einmal zu dem Thema zu sprechen, damit es sich im Gedankengut aller im Raume verfestigt.

(Gabi Dobusch SPD: Wir machen das mit!)

Mit der Geschlechtergerechtigkeit an der Hochschule haben wir uns schon längere Zeit beschäftigt. Ich erinnere mich, dass ich im Juli 2007 dazu schon eine Rede gehalten habe. Ich habe sie noch einmal durchgelesen und dabei festgestellt, dass vieles als Daueraufgabe heute noch aktuell ist und man hier eigentlich wiedergeben könnte. Aber eine Grundaussage meiner damaligen Rede hat sich verändert, und zwar die Aussage, dass die Alma Mater eine Rabenmutter wäre. Wenn man das streng biologisch nehmen würde, dann stimmt es, aber sprichwörtlich gesehen ist sie das nicht mehr, da hat sich doch eine ganze Menge getan.

Wer die Anfrage sorgfältig semantisch durchleuchtet – da wir heute soviel über Semantik gesprochen haben –, der merkt, dass die Antworten in einem ganz anderen Tenor geschrieben worden sind; es hat sich gewandelt. Wir werden nicht mit Tabellen und Statistiken zugeschüttet, hinter denen man sich prima verstecken kann, wenn man Aktivitäten nicht so ganz umgesetzt hat oder Defizite nicht deutlich werden lassen will. Sie wissen alle, dass der berühmten Datenflut immer auch die Gedankenebbe folgt und das wollen wir nicht erreichen. Man spürt den Willen der Berichtenden, dass sich tatsächlich etwas ändern soll und dass sich auch etwas geändert hat. Dabei reicht es nicht, Gesetze und Verordnungen aufzulegen, sondern das, worauf es wirklich bei der Geschlechtergerechtigkeit ankommt, ist der Mentalitätswandel und da sehen wir deutlich, dass der vorangekommen ist.

Die geschlechtergerechte Universität ist in erster Linie eine familiengerechte Hochschule, denn in dem Moment, wo Studierende oder Lehrende eine Familie haben, merken sie, dass sie benachteiligt

(Dr. Dorothee Stapelfeldt)

werden. Die familiengerechte Hochschule ist also eine Frauensache, weil es leider noch überwiegend Frauen betrifft. Langsam, wenn auch sehr langsam, aber stetig verändert sich dieses Bild. Wenn man heute über die Universitäten oder Hochschulen geht, dann gibt es in der Cafeteria eine Spielecke, es gibt Wickel- und Stillräume,

(Wilfried Buss SPD: Hier? – Heiterkeit bei al- len Fraktionen)

in denen man der Vorlesung folgen kann.

Doch nicht hier, in der Universität, Herr Buss. Ab und zu sollten Sie vielleicht kontinuierlich zuhören und nicht nur zwischendurch aufwachen.

Wir haben Kindergärten und Krippen auf dem Campus, wir haben Beratungsstellen für Familien und die Zertifizierung familiengerechte Hochschule hat eine ganze Menge dazu beigetragen. Die HAW ist hier ein deutlicher Vorreiter; sie ist es gewesen und wird es auch weiterhin sein, weil dort ein aufgeschlossener Geist dafür herrscht. Es zeigt sich, dass man es wollen muss und auch die Energie und Einsatzbereitschaft dazu haben muss, denn dann ändert sich auch etwas.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Die erfreuliche Hinwendung zur Familiengerechtigkeit und damit auch zur Geschlechtergerechtigkeit hat natürlich auch andere Gründe. Wenn ich sehe – das mögen Sie mir als Feministin der ersten Stunde einmal gönnen –, dass eine Frau die Universität führt und jetzt auch eine Frau Wissenschaftssenatorin ist, dann muss das nicht unbedingt der Grund dafür sein, aber es hilft ungemein, wenn man aus der eigenen Lebenserfahrung ein wenig Entscheidungsfreudigkeit mitbringt.

(Beifall bei der CDU und bei Horst Becker GAL)

Ich glaube nicht, dass bei Frau Professor AuweterKurtz und bei Frau Dr. Gundelach irgendwelche spätfeministische Erweckungen stattgefunden haben, sondern es ist einfach die Notwendigkeit und auch der Wille, etwas zugunsten der Geschlechtergerechtigkeit zu verändern. Es ist natürlich auch der pragmatische Blick auf die Zukunftsfähigkeit unserer Hochschulen. Im Wettbewerb um die klügsten Köpfe brauchen wir wirklich jede Frau und jeden Mann, die uns was zu bieten haben. Wir müssen die Fähigen hier halten, wir müssen die neuen Talente zu uns herziehen und wir müssen vor allen Dingen auch für eine Verstetigung der Exzellenz sorgen, denn diesen Braindrain in andere Länder müssen wir stoppen, nicht nur den in andere Bundesländer, sondern auch in andere europäische und außereuropäische Länder. Natürlich muss auch die Hochschule etwas bieten zum Wohlbefinden der Studierenden und der Lehrenden und die Bedürfnisse haben sich in den letzten Jahrzehnten entscheidend geändert.

Wir müssen internationalen Standards genügen, denn wenn man einmal über den großen Teich guckt, was man dort an familienfreundlichen Einrichtungen vorfindet, dann können den Studierenden und Lehrenden bei uns nur die Augen übergehen. Das persönliche Umfeld, die angenehmen Umstände sind wichtig geworden. Universitäre Dienstleistungen werden verschärft nachgefragt und wenn sie nicht geleistet werden, dann geht man eben woanders hin beziehungsweise kommt erst gar nicht hierher.

Dem wird Rechnung getragen, aber es ist leider so, dass Frauen und Männer unterschiedliche Bedürfnisse haben.

(Arno Münster SPD: Stimmt!)

Diese unterschiedlichen Bedürfnisse beziehen sich auch auf das Leben auf dem Campus. Ich bin erstaunt, dass das jetzt bemerkt worden ist, denn schließlich ist die Hälfte der Studierenden weiblich. Außerdem studieren sie schneller und zielgerichteter und auch bei den Promotionen sind sie noch zu 40 Prozent vertreten. Besorgniserregend ist allerdings die berühmte leaking pipeline, dass das plötzlich bei den Habilitationen und auch weiteren wissenschaftlichen Qualifikationen gewaltig ausdünnt. Man muss sich ernsthaft die Frage stellen, wo die Frauen bleiben, wo sie sind, die wir im bundesdeutschen und internationalen Wettbewerb brauchen. Das kann man nicht einfach so abtun und sagen, wenn sie nicht kommen, dann nehmen wir eben jemand anderen. Die Frage ist, wen nehmen wir dann. Es gibt eine Untersuchung, dass wir 2015 eine halbe Million Führungspositionen neu besetzen müssen; das lässt sich aus dem rein männlichen Bestand überhaupt nicht besetzen. Also woher sollen wir sie nehmen, wenn wir nicht auf unsere Frauen, auf unsere natürliche und gute Ressource vor Ort zurückgreifen? Wir können natürlich auch ganz Ostasien einladen, aber dann werden unsere Enkelkinder eines Tages vielleicht nicht mehr Deutsche sein, sondern Chinesen. Damit habe ich keine Probleme, das ist ja auch nicht so schlimm.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Ist doch auch egal!)

Aber es ist doch einfacher, auf unsere natürliche Ressource zurückzugreifen und die Frauen müssen heute ausgebildet werden, damit sie dann auch zur Verfügung stehen.

Das große Problem ist natürlich, dass bei Studiumende meist die Familienphase beginnt oder der Wunsch nach einer Familie besteht. Es ist den Menschen offensichtlich nicht auszutreiben, sich fortzupflanzen. Man hat manchmal das Gefühl, dass sich große Mühe gegeben wird, gerade den Akademikerinnen das möglichst schwerzumachen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Studium findet auf dem Campus auch statt beziehungs

weise findet nicht statt, wenn keine Möglichkeiten da sind. Eine gute und verlässliche Kinderbetreuung ist die beste Voraussetzung für eine verlässliche Karriereplanung, und dass sowohl Frauen als auch Männer ihre Karriere planen müssen, hat sich hoffentlich auch bald bei allen herumgesprochen.

Wir haben gute Beispiele, wir haben den KinderCampus und es ist interessant zu sehen, dass das vom letzten Senator in dem Moment gepuscht wurde, wo er selber Vater wurde, wo er nämlich mit dem Problem konfrontiert wurde, dass seine Frau – auch wissenschaftlich tätig – sich nicht nur zu Hause um die Kinder kümmern wollte, und das ist auch nicht unbedingt nötig. An der Universität hat sich eine ganze Menge getan. Großes Vorbild bleiben die Kitas an der HAW. Ich würde mir wünschen, dass das auch an den anderen Hochschulen noch viel mehr genutzt und verbreitet wird.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Aber es bleibt die Rushhour des Lebens, die für Frauen besonders gefährlich wird, weil sie sich dann in der Entscheidung zwischen Karriere und Kind leider häufiger mit dem Kinderwunsch zu lange zurückhalten. Es herrscht die Mentalität "erstmal" vor: erstmal das Studium, erstmal die Promotion, erstmal ein Auslandsaufenthalt, sich erstmal im Beruf bewähren und dann auch erstmal einen Partner finden – das ist auch nicht so ganz einfach.

Eines müssen wir auch einmal sagen: Bei den 40 Prozent Akademikerinnen, die angeblich keine Kinder mehr bekommen, muss man den Betrachtungswinkel einmal ein bisschen ausweiten; bis Mitte vierzig sind es dann nur 30 Prozent. Dem stehen aber 60 Prozent Herren gegenüber, die überhaupt keine Kinder haben wollen und die es, wenn überhaupt, dann erst mit 50 oder dergleichen tun wollen. Darüber spricht leider niemand und das ist ein viel größeres Problem. Die Frauen können natürlich ihren Kinderwunsch befriedigen, aber dann sitzen sie alleine da mit der Belastung von Studium und Alleinerziehung. Ich bin alleinerziehende Mutter gewesen und hatte einen gefestigten Beruf und das war hart genug. Da muss man also auch einmal die richtigen Schuldigen sehen und nicht immer auf die Akademikerinnen zeigen.

(Wolfgang Beuß CDU: Einen Schuldigen wollen wir jetzt aber nicht finden!)

Nein, das muss auch nicht sein.

Es gibt natürlich gute Gründe,

(Klaus-Peter Hesse CDU: Welche denn?)

keine Kinder haben zu wollen. Darüber könnten wir trefflich philosophieren, aber dann würden wir morgen Abend noch hier sitzen.

Die Möglichkeit zur Unterstützung, die wir heute schon auf dem Campus vorfinden, ist ermutigend,

ob es die Arbeitszeit, die Arbeitsorte oder die Arbeitsorganisation betrifft. Das ist alles schon sehr erfreulich, aber natürlich noch zu verbessern. Und wenn man einmal einen Blick auf andere Universitäten wirft, dann hat sich dort schon ein bisschen mehr getan. Mir erzählte eine Professorin aus Heidelberg, dass sie ein halbes Jahr lang ihr Kind ganz selbstverständlich mit in die Vorlesung gebracht habe.

(Zuruf von Arno Münster SPD)

Das hat niemanden gestört. Wahrscheinlich war es ein pflegeleichtes Kind, das weiß ich nicht, aber ich erinnere mich selber, dass mein Vater mich, als ich zehn Jahre alt war, auch eine längere Zeit mit zu seinen Lehrveranstaltungen genommen hat.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Deswegen bist du Lehrerin geworden!)

Nein, nicht Lehrerin –. Und aus der Zeit stammen meine Vorlieben für Physik und Mathematik, denn das hat er unterrichtet, und das fand ich damals schon sehr spannend.

Eine Aufgabe ist auch, die Kinder in unsere Lebensmitte zurückzubringen, sie nicht an die Seite zu schieben und da kann man noch eine Menge an Pionierarbeit leisten. Es muss nicht sein, dass der Hörsaal voller Kinder ist, aber im Ausnahmefall schon: Kinder an die Macht.

(Wolfgang Beuß CDU: Kinderuni Hamburg!)

Die Nüsslein-Volhard-Stiftung entlastet zum Beispiel Doktorandinnen, Studenten und auch Professoren von den häuslichen Arbeiten. Das heißt, die Stiftung gibt kein Geld für den wissenschaftlichen Alltag, sondern für den häuslichen Alltag. Vielleicht können wir bei der Wissenschaftsstiftung mal ins Auge fassen, dass auch dafür Gelder da sind.

Andere Bundesländer sind da schon ein bisschen weiter, aber Hamburg hat aufgeholt und auch die Uni hat eine hervorragende Beurteilung im Bundesvergleich bekommen. Die Ausrichtung auf eine familiengerechte Hochschule ist nicht nur eine Wohltat für die einzelnen Bedürftigen, sondern sie wird heute Gott sei Dank als Standortfaktor verstanden und in den Ziel- und Leistungsvereinbarungen finden wir das auch. Es wäre natürlich wunderbar, wenn das noch ausgebaut würde.

Eine ganz besondere Idee, an der mein Herz hängt und die ich auch mit einem Runden Tisch in der letzten Legislatur schon angestoßen habe, ist eine Entzerrung der Zeit für die Familienplanung, also eine Entzerrung der Rushhour des Lebens, wie es so schön heißt. Lasst doch die Leute die Kinder schon während des Studiums bekommen.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das fällt bei den Studiengebühren schwer!)

Die Studiengebühren fallen nach der neuen Regelung erst nach dem Studium an.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Wer im Studium seine Kinder bekommen hat, hat nachher, wenn er in den Beruf kommt, die Hände frei; dann ist die größte Belastung schon vorbei. Aber das ist natürlich Zukunftsmusik, zu der wir vielleicht noch kommen. Wenn sich dann auch noch der eine oder andere Herr aus der Rolle des Reproduktionsassistenten löst und wirklich Vater wird, ist es vielleicht noch ein bisschen einfacher.