Protokoll der Sitzung vom 09.07.2009

Regelschulen. Das war das, was Sie vier Jahre lang krampfhaft versucht haben zu verhindern und zu unterlaufen, aber jetzt wird alles gemacht, das steht im neuen Schulgesetz. Jahrgangsübergreifendes Lernen, die Fächertrennung schaffen wir ab, das Pausensignal schaffen wir gleich mit ab

(Klaus-Peter Hesse CDU: Das finden Sie doch alles gut!)

und zum guten Schluss gibt es ein Lehrerarbeitszeitmodell, das dritte oder vierte, denn die GEW muss ja auch ruhiggestellt werden. Ja, Herr Hesse, das finden wir fast alles gut.

Doch jetzt kommt's: Wir sind nur – und darin unterscheiden wir uns, Frau Heyenn – die Einzigen, die fragen, wie das geht. Diese simple Frage stellen wir.

(Beifall bei der SPD)

Zudem kommen wir auf die Schnapsidee, dass wir ab und zu Papiere lesen, Studien und diese ganzen Entwürfe, und dass wir einfach einmal nachhaken und fragen, ob das alles eigentlich so ginge.

Folgende Seltsamkeiten kommen dabei heraus. Nehmen wir einmal als Beispiel die Verdoppelung der Zahl der Hortplätze. Großes Getöse in den Medien, Schlagzeile im "Hamburger Abendblatt": Wir sind begeistert. In Zukunft sollen doppelt so viele Kinder nachmittags betreut werden und das auf dem Schulgelände und alles kostenlos. Das finden wir klasse und schon fragen wir im Schulausschuss – Frau Heyenn war dabei –: wenn das alles geleistet werden soll, wie viel mehr Erzieher, wie viel mehr Räume und wie viel mehr Geld brauchen Sie dann dafür? Und wissen Sie, wie die Antwort lautet? Wir brauchen keinen Erzieher zusätzlich, wir brauchen keinen einzigen Raum und es kostet alles auch nichts. Und da soll man als Opposition nicht sagen, dass da doch irgendetwas nicht stimmt. Wir verlangen schlicht eine solide Planung, das ist der Unterschied.

(Beifall bei der SPD)

Noch ein Beispiel will ich nennen, das jahrgangsübergreifende Lernen. Ich habe das unter Kratzwunden in unser Parteiprogramm geschrieben. Wir finden das gut und völlig richtig. Nur Folgendes macht uns stutzig. Ich habe in Bergedorf zwei Schulen besucht, die das machen, Heidhorst und Ochsenwerder und die haben mir gesagt, dass sie vier Jahre dafür gebraucht haben. Alle Lehrer mussten zur Schulung, es gab Schulkonferenzen ohne Ende und der komplette Unterricht wurde umgebaut, damit es gelingt, Schüler im Alter von sechs, sieben und acht Jahren in einer Klasse zu beschulen. Das hat die ganze Schule richtig gefördert, aber auch gefordert. Die hatten richtig zu tun.

Was uns stutzig macht, ist, dass das eine von geschätzten 35 bis 38 Reformen ist, die alle in diesem Schulgesetz stehen. Man fragt sich, wie die

Schulen das nebenbei noch auf die Reihe kriegen sollen.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Also ma- chen Sie lieber gar nichts!)

Ich nenne noch ein anderes Beispiel, die Kompetenzzeugnisse. Wir haben jetzt ein Verfahren, das Kompetenzmessung heißt. Die CDU wollte schon immer die Notenzeugnisse abschaffen, deswegen macht sie es jetzt zusammen mit der GAL.

(Beifall bei der SPD)

Das Problem ist nur, dass wir gar keinen richtigen Ersatz haben. Deswegen haben 50 Hamburger Schulen einen Versuch genehmigt bekommen, Sie erinnern sich an die Debatten im Parlament. Diese Schulen sollen in fünf Jahren neue Kriterien für solche Leistungsbemessungen entwickeln. Auch diese habe ich besucht und sie sagen, dass das sehr schwer sei. Sie bekommen dafür 2500 Lehrerstunden extra über diese fünf Jahre, 14 000 Euro und haben richtig zu tun. Im Schulgesetz steht, dass das in Kürze für alle Schulen gelten soll – ohne 2500 Lehrerstunden und ohne weiteres Geld – und nicht in fünf Jahren, sondern schon in zwei.

Frau Heyenn, genau das ist der Unterschied. Wir haken nach und fragen. Wenn man den Bettzipfel lüpft, dann merkt man, dass unter diesen ganzen grandiosen Versprechungen nur Rauch ist, Wolke, und dann wird die Schulsenatorin immer ein bisschen hektisch und der Staatsrat erzählt uns im Schulausschuss gefühlte 68 Minuten ein riesenlanges Referat. Genau deshalb sind wir bei dieser Schulreform so kritisch.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Was ist Ihre Alter- native? Was wollen Sie denn?)

Es geht nicht um die Ziele, sondern es geht darum, dass diese Ziele offensichtlich kein richtiges Konzept haben und gar nicht so funktionieren können, wie sie dargestellt werden. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir 35 Reformen in dieses Schulgesetz schreiben, alle von einem Kaliber, dass schon eine davon in vier Jahren ein Erfolg wäre, dann fragt man sich, wie das eigentlich werden soll. Einige sagen uns, dass wir uns mal auf den Weg machen müssen. Diese blöden Sozialdemokraten, die immer die Knöpfe zählen, das ist so ein bisschen wie "Der kleine Prinz" –

(Klaus-Peter Hesse CDU: Sie wissen nicht, wo Sie hinwollen!)

lehre sie die Sehnsucht nach dem großen Meer, dann kann man auch die Schiffe bauen. Die doofen Sozis fragen, wo der Hammer und der Nagel sind – aber der Hammer und der Nagel gehören dazu.

(Beifall bei der SPD)

Es macht uns stutzig, dass Sie selbst, Sie, und ich glaube sogar Frau Goetsch, in die letzte Enquete-Kommission folgendes Vorhaben hineingeschrieben haben. Sie haben gesagt, die Stadtteilschule zu schaffen, sei so schwierig, so umfangreich, eine solche Mega-Reform, dass man fast alles andere, was wir uns auch wünschen, lieber nach hinten schieben solle. Zum Beispiel die Integration von förderbedürftigen Kindern. Das kann man nicht zusammen schaffen, sagte die Enquete-Kommission. Sie haben es unterschrieben, Herr Heinemann, ich winke kurz.

Was steht jetzt im Schulgesetz? Dies steht drin, das andere steht drin und noch 30 zusätzliche Reformen. Das macht nachdenklich und die Antwort ist klar. All das Schöne, was Sie uns dort versprechen, ist die Wolke, das Placebo, damit wir die Primarschule fressen. Glauben Sie doch nicht im Ernst, dass diese ganzen schönen Geschichten bei diesem Umfang, den wir vorhaben, funktionieren werden. Sie sind selbst Lehrerin, Sie kennen auch ein paar Lehrer, es ist doch die Frage, ob die 17 000 das alle so machen werden. Das ist zwar alles nett und wir unterstützen das, aber die fachliche Darstellung, die wir bisher erlebt haben, zeigt, dass das überhaupt nicht kommen wird. Das ist unsere Befürchtung.

(Beifall bei der SPD)

Nur eins wird kommen und da sind wir ganz sicher.

(Viviane Spethmann CDU: Was wollen Sie eigentlich? Was wollen Sie?)

Die eine Reform, die wir brauchen, um Schwarz-Grün an der Macht zu halten. Die Primarschulreform als Kitt der Koalition. Wir können uns gern damit beschäftigen und sagen, wenn die Primarschulreform diese Opfer wert ist, die gesamten Reformen zu blockieren, dann schauen wir uns das an. Wobei es schon ein paar Opfer gibt, das wollen wir einmal festhalten.

Bei diesen Gymnasialzahlen kann ich nur lachen. Wenn 20 Prozent der Schüler ohne Gymnasialempfehlung am Gymnasium sind und das in Zukunft nicht mehr dürfen, dann sollen alle Gymnasien erhalten bleiben? Ganz im Ernst, ein bisschen den Taschenrechner zu benutzen kann nicht schaden, wenn man sich hinstellt und kühne Behauptungen macht. Das ist eine ganz wackelige Geschichte.

Die zweite Geschichte, die mit den Stadtteilschulen, ist die Totgeburt dieser Reform. Entweder eine Stadtteilschule ist attraktiv, weil sie von unten hoch wächst, dann kann sie von Klasse 1 bis 10 laufen. Das haben Sie aber verhindert, indem Sie unten die Beine abgeschlagen haben, in Winterhude oder in der Max-Brauer-Schule. Oder Sie haben oben eine Oberstufe, aber leider ist für so

viele Oberstufen gar kein Platz. Das wundert mich übrigens auch, aber Zahlen lesen hilft immer. In allen Gesamtschulen in Hamburg sind zurzeit 65 Parallelklassen in der Oberstufe. In der jetzigen Empfehlung der Schulbehörde nach den regionalen Schulentwicklungskonferenzen wird gesagt, dass es viele schöne Oberstufen gibt. Wie viele Parallelzüge sind da? 65, könnte man glauben. Vielleicht kommen noch die Aufbaugymnasien dazu, lassen wir das 20 sein. 85, so viele Schüler sind da. Ich habe eben noch einmal kurz zusammengezählt, das kann nicht schaden. 134 Oberstufenzüge werden plötzlich erfunden, damit alle zufrieden sind und ruhig nach Hause gehen. Der Witz ist nämlich, das fällt uns erst in drei Jahren auf die Füße, dann ist die Primarschulreform am Laufen.

Da ist auch wieder so eine Unsorgfältigkeit in der Planung, wo wir sagen, dass viele Dinge schlicht verschleiert worden sind und wir aufpassen müssen. Das ist unsere Aufgabe im Parlament, sonst geht es uns wie bei der HSH Nordbank, dass wir immer gläubig mitstimmen und am Ende sagen, oh Gott, das haben wir nicht geahnt. Wir wollen aber vorher wissen, was Sache ist.

(Beifall bei der SPD – Dora Heyenn DIE LIN- KE: Sie haben zugestimmt!)

Zum guten Schluss kann man ja sagen, dass die Primarschule diese Opfer wert sei. Deswegen habe ich – manchmal gibt es so etwas Verrücktes – versucht, dazu ganz viele Bücher zu lesen. Es gibt Professoren noch und nöcher: Bos und Baumert und Schleicher und Tillmann und Lehmann. Haben Sie einmal die Lehmann-Studie im Original gesehen? So ein dickes Teil ist das. Man quält sich durch und liest und liest und liest und es verraucht und verwölkt und wird immer komischer.

(Zuruf von Jens Kerstan GAL)

Zum Schluss denkt man dann, wo denn nun eigentlich der Beleg dafür sein soll, dass diese Primarschule wirklich etwas nützt. Googeln Sie mal das Wort Professor Baumert bei "Spiegel Online". Sie werden dort folgendes grandioses Zitat finden:

"Herr Baumert, gibt es eigentlich eine Studie, die wenigstens ein Indiz liefert oder sogar einen Beweis, dass die Primarschule Vorteile bietet?"

Was sagt er?

"Natürlich nicht."

Es gibt keine Studie, es gibt gar nichts dazu. Wir hatten im Schulausschuss eine Expertenanhörung und jede Partei benannte einen. Die GAL durfte einen benennen, Herrn Tillmann, den PR-Beauftragten des Senats. Dann haben wir benannt und die CDU. Wir fragten diese drei Experten, liebe Experten, sagen Sie uns, ob es einen Beweis oder ein Indiz oder einen Hinweis gibt, dass die Primarschule Segen bringt, vielleicht die soziale Gerech

tigkeit anhebt, wir wären mit allem zufrieden. Da sagen alle drei, nein, das gibt es gar nicht. Und das schönste Zitat kommt von Professor Bos, immerhin einem der großen Päpste der Schulreform.

(Martina Gregersen GAL: Kommen Sie mal zum Thema zurück!)

Ich rede über das Schulgesetz, das müssen Sie mir schon zugestehen. Die Primarschulreform ist Teil des Schulgesetzes, ich erkläre Ihnen das noch einmal, vielleicht ist Ihnen das bisher entgangen.

(Beifall bei der SPD)

Zur Primarschule sagt Professor Bos, dass man es machen oder lassen kann. Dass es nichts bringt, nichts nützt und auch nichts schadet. Im Interview in der "Welt" ergänzt er den schönen Satz:

"Ich halte das Reformvorhaben für ein riesiges Feldexperiment, das ohne Modellversuch stattfindet. Es ist ausgesprochen verwegen, so einen großen Umbau vorzunehmen, ohne dies vorher im Modell auszuprobieren."

Hallo, einmal zuhören. Ein Feldexperiment. Dafür pflügen wir die ganze Schullandschaft um. Dafür geben wir vermutlich eine halbe Milliarde Euro aus, allein für Bau- und sonstige Kosten. Dafür zerdeppern wir die Stadtteilschule und so weiter. Für ein Feldexperiment. Die Schulsenatorin sagt seit einem Jahr, dass wir ein sozial ungerechtes Bildungssystem haben und sie hat Recht. Es heißt, deswegen bräuchten wir die Primarschule und dieses deswegen, das stimmt schlicht nicht. Dafür gibt es keinen Hinweis, das ist das Entscheidende.

Wenn wir über Experimente reden, will ich nun schließen. Als Dreijähriger, vielleicht war ich auch vier Jahre alt, habe ich ein Xylophon geschenkt bekommen. Ich habe immer darauf herum geklopft und gemerkt, dass das ganz toll klingt, wenn man auf zwei Töne gleichzeitig klopft. Das klang irgendwie so schräg. Ich habe überlegt, dass es eigentlich ganz toll sein müsste, wenn man diesen Ton verstärken könnte. Da bin ich auf meine Wickelkommode gekrabbelt

(Zwischenruf: Mit drei Jahren!)

und bin auf das Xylophon gesprungen. So ähnlich kommt mir die Schulpolitik vor, wir springen mit Wucht auf 400 Schulen, ohne zu wissen, was dabei herauskommt. Lassen Sie sich mein Xylophon eine Lehre sein. – Vielen Dank.