Protokoll der Sitzung vom 18.11.2009

(Ekkehart Wersich CDU: Das war ein Lip- penbekenntnis!)

Ihre gesamte Einleitungsprosa erläutert, wie toll die Stadtbahn sei, aber stattdessen mäkeln Sie nur an den Kosten herum. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

(Vizepräsident Wolfgang Joithe-von Krosigk)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Herr Lafrenz.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Haben Sie Dank, Frau Kollegin Gregersen, für die schöne Vorlage. Ich werde versuchen, Ihren Ball weiterzuspielen.

(Beifall bei der SPD – Ingo Egloff SPD: Dann muss er nur noch ins Tor kommen!)

Wir alle wissen, dass nur eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur die Mobilitätsbedürfnisse befriedigt. Wenn die Mobilitätsbedürfnisse nicht mehr befriedigt werden können, wird aus einer wachsenden Stadt eine stagnierende Stadt.

(Beifall bei der CDU)

Die will niemand, wir wollen die wachsende Stadt. Ziel unserer nachhaltigen Verkehrsinfrastrukturpolitik ist es, mehr Verkehr von der Straße auf spurgeführte Systeme zu bringen und mehr Verkehr vom Individualverkehr hin zum öffentlichen Personennahverkehr. So entwickeln wir unsere Verkehrsinfrastruktur und Hamburg bleibt zugleich eine lebenswerte Stadt. Hamburg wächst mit Weitsicht.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Ein wichtiger Baustein zum Erreichen unseres verkehrspolitischen und auch unseres umweltpolitischen Konzepts ist die Stadtbahn. Mit der Stadtbahn wird Hamburg wieder vier Systeme betreiben, um den öffentlichen Personennahverkehr zu bedienen. Schon einmal – bis 1978 – hatte der hamburgische Nahverkehr vier Systeme. Damals hat dieses Haus die Aufgabe der in die Jahre gekommenen Straßenbahn beschlossen, nur noch drei Systeme sollten zukünftig den öffentlichen Personennahverkehr bedienen: die hochleistungsfähige, hochkomfortable S-Bahn, die U-Bahn sowie der hochflexible Bus. Wozu dieses Hin und Her? Tempora mutantur, nos et mutamur in illis. Der Zeitgeist wandelt sich und wir wandeln uns mit ihm. In der Tat haben sich die Zeiten gewandelt.

(Andy Grote SPD: Inwiefern denn?)

In Zeiten knappster öffentlicher Mittel werden wir uns den hohen Standard von U-Bahn und S-Bahn nicht mehr für alle Linien des öffentlichen Personennahverkehrs leisten können, wo der Bus es nicht mehr schafft. Das gilt auch, wenn die erwarteten hohen Zuschüsse des Bundes uns einen Teil der Investitionslast abnehmen werden. Die Systemerweiterung hat ihren Preis. Wir werden 50 Kilometer Stadtbahnnetz bauen und betreiben, um die Kostenvorteile gegenüber U- und S-Bahn zu erschließen. Daran mögen Sie ermessen, welche herausragende Bedeutung dieses Projekt im kommenden Jahrzehnt für Hamburg haben wird.

Auch die technische Entwicklung ist seit 1978 nicht stehen geblieben. Die alte Straßenbahn hat sich

zur modernen Niederflurstadtbahn entwickelt, die weitgehend auf eigenen, vom Individualverkehr getrennten Spuren geführt werden soll. Die Haltestellen werden mit sicherem Zugang direkt an die Gleise gelegt, sie werden ein bequemes Ein- und Aussteigen erlauben und den Wartenden Wetterschutz bieten.

(Carola Veit SPD: Darum geht es doch gar nicht!)

Nun möchten Sie, verehrte Kollegen und Kolleginnen von der SPD, gerne wissen, was das alles kostet.

(Zurufe von der SPD)

Das möchte ich auch. Da müssen wir uns selbst helfen und das geht ganz einfach. 50 Kilometer multipliziert mit einem Richtwert von 15 bis 20 Millionen Euro je Kilometer plus Kosten für Planung, den Betriebshof, den Fuhrpark, die Neugestaltung der öffentlichen Räume, die Finanzierung und schließlich die Kostensteigerung während der Bauzeit, da kommt man auf einen mindestens zehnstelligen Betrag.

(Juliane Timmermann SPD: Da freut sich die Senatorin auch!)

Für weniger werden Hamburg und der Bund die Stadtbahn nicht bekommen. Der Senat hat Konzepte für ein neues Stadtbahnnetz entworfen und wird in Kürze das in einen intensiven öffentlichen Dialog eingebettete Planfeststellungsverfahren für einen ersten Streckenabschnitt und den Betriebshof einleiten. Antragsteller ist die Hamburger Hochbahn. Sie soll auch Betreiber der neuen Stadtbahn werden. Das wird im Wege der beabsichtigten öffentlichen freihändigen Vergabe nur möglich sein, wenn wir heute den beantragten Beschluss fassen, bevor nämlich eine neue EU-Richtlinie in Kraft tritt, die eine europaweite öffentliche Ausschreibung verlangen wird. Dafür braucht der Senat unsere Entscheidung. Die Zeit drängt, der Senat braucht unsere Entscheidung heute. Geben Sie unserer Stadt die Chance, dass wir dieses für den ÖPNV so wichtige System Stadtbahn zusammen mit der Hamburger Hochbahn planen, bauen und betreiben können. – Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Herr Grote.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sprechen über die Stadtbahn und damit über ein modernes Verkehrsmittel, das für Hamburg die Chance bietet, die Verkehrslasten einer Metropole in Zukunft besser zu bewältigen und viele Menschen in großen und heute schlecht erschlossenen, aber wichtigen Wohngebieten mit mehr Mobilität und Lebensqualität auszustatten.

Die Stadtbahn ist deshalb ein wichtiges, fortschrittliches und richtiges Verkehrsmittel, ein wichtiges Zukunftsprojekt für Hamburg und die SPD steht zu diesem Projekt.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das ist und bleibt unsere Haltung, und zwar eine Haltung, die wir auch schon hatten, als Teile dieses Hauses und insbesondere die CDU-Fraktion das noch ganz anders gesehen haben. Die CDU-Fraktion hat nach der Regierungsübernahme 2001, als alle Argumente, die heute aufgeführt wurden, natürlich schon genauso galten, mit großem Jubel das damals startbereite Stadtbahnprojekt beerdigt, übrigens mit größerem Jubel als heute bei Ihrer Rede, Kollege Lafrenz. Sie haben das Geld stattdessen in zwei Stationen der U-Bahn HafenCity gesteckt. Das war eine Ihrer krassesten Fehlentscheidungen.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Insofern Glückwunsch an die GAL-Fraktion, der allein es zu verdanken ist, dass dieses Projekt heute wieder auf der Tagesordnung steht.

(Ekkehart Wersich CDU: Beton-Eugen hätte sie nie gebaut!)

Allerdings ist kein Projekt so gut, als dass es dieser Senat nicht auch wieder gegen die Wand fahren könnte. Damit sind wir bei der heute vorliegenden Drucksache. Man hätte sich natürlich schon gewünscht, dass in einer solchen Drucksache auch etwas steht. Es ist ein bisschen traurig, dass ein solches Projekt, von dessen Bedeutung wir alle überzeugt sind, in derartig dürftiger und unzulänglicher Form heute hier präsentiert wird. Die Drucksache enthält keine nachvollziehbare Begründung für die Trassenauswahl und wir wissen alle, dass sich die Menschen in Bramfeld und Steilshoop natürlich eine andere Art von Anbindung an die Innenstadt vorgestellt haben. Gleichzeitig musste die Senatorin auf Drängen der CDU-Fraktion in der Ausschussberatung ausdrücklich zu Protokoll geben, dass sich an dieser Trassenführung natürlich auch noch alles Mögliche ändern kann.

Zum Zeitplan, Baubeginn 2012/2013, der in der Drucksache ohnehin nur angedeutet ist, hat Ihr Bürgermeister schon gesagt, dass man, wenn es so weit ist, sehen müsse, ob er gehalten werden könne. Und das Entscheidende: Die Drucksache enthält nicht eine einzige Aussage zu den Kosten. Bei aller Unterstützung für die Einführung einer Stadtbahn, aber in einer Situation der größten Haushaltskrise Hamburgs in der Nachkriegsgeschichte, in der Sie ernsthaft überlegen, Hilfebedürftigen den Zugang zu gesetzlichen Leistungen zu verbauen,

(Martina Gregersen GAL: Das ist doch Quatsch!)

in der Sie überlegen, Bezirke, die schon jetzt stark in ihrer Leistungsfähigkeit geschwächt sind, weiter auszubluten, in einer solchen Situation neue Milliardenprojekte, egal wie nützlich und wichtig sie sind, an den Start zu bringen, ohne einen Finanzierungskontext herzustellen, das ist unverantwortlich.

(Beifall bei der SPD – Uwe Grund SPD: Das ist doch schon Tradition!)

Natürlich ist es nicht so, dass Ihre hohe Seriosität und Solidität Ihnen verbieten würde, hier Zahlen zu nennen; in Wahrheit gibt es natürlich Zahlen. Sie sind in einem Planungsstadium, in dem Sie die Baumaßnahmen schon relativ detailliert beschreiben können und Sie schon relativ weit im Verfahren sind. Natürlich können Sie nicht bis auf den letzten Euro verlässliche Angaben machen, aber Sie können die Kosten in relativ klaren Korridoren beschreiben. Sie haben diese Zahlen, Sie machen sie nur nicht transparent. Insofern ist es nicht die böse Opposition, die hier irgendwelche Zahlen fordert und die Frechheit besitzt, von Ihnen zu erwarten, dass Sie diese vorlegen, sondern es ist eine Frechheit von Ihnen, dass Sie das in einer solchen Drucksache nicht tun.

(Beifall bei der SPD)

Wenn dann heute die GAL, Frau Gregersen, in ihrer Pressemitteilung erklärt, das würde man ablehnen, das seien verfrühte und unseriöse Kostenfestlegungen, so hatten Sie in Ihrem Pressegespräch vom Februar 2008 aber keine Probleme, Kosten zu benennen. Damals haben Sie der Presse erklärt, die Streckenkosten für die Stadtbahn, die übrigens bis 2011 schon fahren sollte, würden 135 Millionen Euro betragen zuzüglich 180 Millionen Euro für den Betriebshof und Fuhrpark. Das teile sich auf in 55 Millionen Euro für den Betriebshof und 2,7 Millionen Euro für 46 Stadtbahnwagen und, und, und.

(Ekkehart Wersich CDU: Nun warte doch einmal ab! – Martina Gregersen GAL: Ich habe nie dazu eine Pressekonferenz gege- ben!)

Sie haben das damals alles ganz genau angegeben und der Betriebshof war 2001 an derselben Stelle geplant wie jetzt. Die Kosten kann man angleichen an den heutigen Stand, aber Sie hatten bereits klare Grundlagen. Inzwischen scheint jedoch alles im Nebel der Senatspolitik verschwunden zu sein, plötzlich gibt es keine Zahlen mehr. Das ist unredlich, natürlich gibt es die Zahlen.

(Beifall bei der SPD)

Auf derart schwankender und dünner Grundlage soll die Bürgerschaft nun über die Einführung der Stadtbahn beschließen. Sie wissen in Wahrheit genau, dass eine solche Drucksache nicht entscheidungsreif ist. Wir werden ihr trotzdem heute zu

stimmen, denn das Projekt ist grundsätzlich richtig und kann nichts dafür, dass Sie es so schlecht vorbereiten.

Aber ich möchte betonen, dass diese Zustimmung heute kein Blankoscheck ist, auch wenn Sie das gerne hätten. Erst wenn die wesentlichen Eckdaten für das Projekt wirklich vorliegen, insbesondere wenn der Senat hier eine verlässliche und nachvollziehbare Kosten- und Finanzierungsplanung vorlegt, kann es wirkliche tragfähige Entscheidungen geben.

In Wahrheit wissen Sie auch, dass diese Entscheidung das heute noch gar nicht bewirken kann. Der Zweck dieser Drucksache ist auch ein anderer. Sie haben das in Ihrer Pressemitteilung beschrieben als Bekenntnis, das heute gefordert ist. Der Zweck ist ein politisch-symbolischer und gerade der GAL geht es dabei darum, eine politische Bindungswirkung zu erzeugen, und zwar bei Ihrem Koalitionspartner. Das ist auch allzu verständlich. Dieses Dokument ist ein Dokument des Misstrauens gegenüber Ihrem Koalitionspartner CDU und Sie haben dafür auch einen Anlass. Frau Gregersen, Sie wissen genau, dass die Zustimmung der CDU heute natürlich nicht abweichend zu dem, was vorher vertreten wurde, der Ausfluss einer höheren, neu gewonnenen Erkenntnis aufgrund großartiger Argumentation innerhalb der Koalition ist, sondern dass es natürlich wie in vielen anderen Politikfeldern auch schlicht der Preis des Machterhalts ist.

(Hans-Detlef Roock CDU: Was Sie alles wis- sen!)

Der größte Teil der CDU will das Projekt lieber heute als morgen kippen und das wissen wir alle hier.

(Beifall bei der SPD)

Wir kennen die kritische Position, die außerhalb der CDU-Bürgerschaftsfraktion auch öffentlich, zum Beispiel in der CDU-Fraktion in Wandsbek, geäußert wird. Wir kennen die Position des Bürgermeisters, der das vom Zeitplan alles noch sehr offen hält und insofern werden wir Sie hier auch nicht aus der Verantwortung lassen, das innerhalb der Koalition zu klären, Verlässlichkeit herzustellen sowie Eckdaten und belastbare Finanzierungsbedingungen vorzulegen. Das ist Ihre Aufgabe, die Arbeit daran hat heute gerade erst angefangen und dann werden wir einmal sehen, ob Sie die Stadtbahn tatsächlich aufs Erfolgsgleis oder wieder aufs Abstellgleis bringen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)