Ich begrüße Sie recht herzlich zu dieser besonderen Sitzung. Wir haben heute vereinbarungsgemäß nur zwei Tagesordnungspunkte, die gemeinsam debattiert werden sollen. Die hierzu vereinbarte Redezeit beträgt 45 Minuten je Fraktion und für den Senat.
Bevor wir in die Debatte einsteigen, habe ich noch einen Hinweis: Aus gegebenem Anlass macht ein Filmteam heute während der Sitzung Aufnahmen für die erneuerte Fassung des Films über die Bürgerschaft, für die Publikationen und so weiter. Das Filmteam wird sich ausnahmsweise in einer Weise hier im Raum bewegen dürfen, wie es sonst nicht üblich ist, auch hinter der Präsidiumsbank. Wir werden versuchen, hier vorne die Nerven zu behalten, und ich bitte darum, dass Sie das mit Toleranz und Zustimmung akzeptieren.
Nun kommen wir zum Senatsantrag, Drucksache 19/5500: Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Schulgesetzes und zum Interfraktionellen Antrag: Einsetzung eines Sonderausschusses gemäß Paragraf 52 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft, Umsetzung der Hamburger Schulreform.
[Interfraktioneller Antrag: Einsetzung eines Sonderausschusses gemäß § 52 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft: "Umsetzung der Hamburger Schulreform" – Drs 19/5519 –]
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute werden der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und die Hamburgische Bürgerschaft einen Beschluss fassen beziehungsweise ihm zustimmen, der den Menschen in dieser Stadt ein Angebot machen wird, ein Angebot für bessere Schulen, ein Angebot für mehr Chancengerechtigkeit, ein Angebot für eine für uns neue, aber in Europa erprobte Form von Schule und Unterricht. Ich freue mich, dass wir hier im Hause und auf der Regierungsseite einen Konsens gefunden haben, der es ermöglicht, nach Jahrzehnten harter, teilweise ideologischer schulpolitischer Diskussionen – auch und gerade um Struktur – dieses Angebot gemeinsam machen zu können und damit diese
Jahre vielleicht nicht zu überwinden, aber aus der Erfahrung dieser Jahre vielleicht nach vorne zu blicken und gemeinsam den Menschen dieser Stadt die Hand auszustrecken für eine bessere Schule. Das ist ein guter Tag für dieses Haus.
Es ist nicht nur die Politik, die dieses Angebot heute formuliert, sondern weit über das Parlament hinaus gibt es ein nicht allumfassendes, aber großes gesellschaftliches Bündnis von Sympathie für diese Art der besseren Schule, wie wir sie wollen. Von der Handwerkskammer über die großen Gewerkschaften, die wichtigen Vertreter des Unternehmensverbandes Nord und die Patriotische Gesellschaft bis hin zu führenden Bildungswissenschaftlern, vielen Verbänden, Kammern und Einzelpersönlichkeiten – sie alle unterstützen diesen Weg. Aber natürlich weiß ich, dass es auch viel Skepsis gibt.
Ich werde als Bürgermeister alles dafür tun, dass die Hamburgerinnen und Hamburger dieses gemeinsame Angebot annehmen werden. Das werden arbeitsreiche Tage werden.
Vorweg möchte ich sagen, dass ich großen Respekt habe vor den Gegnern dieses Angebots einer besseren Schule, wie wir sie wollen. Ich bin überzeugt, dass es den meisten von ihnen um die Zukunft ihrer Kinder geht. Sie lieben ihre Kinder und wollen für sie Glück, Erfolg und das Beste, sie kommen dabei nur zu anderen Überlegungen.
Auf der anderen Seite erlauben Sie mir auch die Bemerkung: Natürlich ist diese Frage neben allen sachlichen Argumenten auch sehr emotional und emotionale Debatten und Auseinandersetzungen führen manchmal zu Verletzungen und Stillosigkeiten. Meine ganz herzliche Bitte – ich garantiere es für mich und die Seite, die ich repräsentieren kann – an die Gegner der Schulreform ist, Stil, Anstand und Form des demokratischen Verfahrens zu wahren, und ich will Ihnen auch sagen, warum. Ich hatte heute ein Gespräch mit dem Inhaber der Drogeriekette Budnikowsky, der mir berichtete, dass er in den letzten Tagen eine Reihe von Mails und Briefen bekommen habe, in denen Kunden ihm sagen, wenn er seine Unterstützung für die Schulreform nicht aufgäbe, würden sie seine Läden boykottieren. So geht man in dieser Stadt nicht mit verschiedenen Meinungen um, meine Damen und Herren, das ist nicht hamburgisch.
Worin liegen die Ursachen für die Skepsis? Neben einzelnen pädagogischen oder fachlichen Gründen gibt es, psychologisch betrachtet, von der Motivation her zwei Hauptursachen. Es gibt eine Ursache, die ich in vielen Gesprächen – auch in unseren Gesprächen mit der Initiative – bemerkt habe. Es
gibt bei vielen Menschen, das müssen wir einfach konstatieren, ein tiefes Misstrauen gegenüber der Politik, und zwar nicht nur gegenüber der Regierung, nicht nur gegenüber den Regierungsparteien, sondern gegenüber der Politik im Allgemeinen. Es gibt den Generalverdacht, die erzählen viel und halten sich nicht daran. Die Akzeptanz dessen, was Politiker, egal welcher Couleur, sagen, ist in den letzten Jahren – aus welchen Ursachen auch immer, jeder wird seine eigenen Erklärungen haben – rapide zurückgegangen. Wir dürfen uns nicht täuschen, dass wir glauben, durch diesen großen Konsens der Fraktionen, der Regierung und auch vieler Verbände bestehe darüber hinaus ein so großer gesellschaftlicher Konsens, der automatisch die Mehrheit für die bessere Schule garantieren würde.
Meine Damen und Herren! Auch der umgekehrte Effekt kann eintreten, dass eine Welle entsteht wir da unten gegen die da oben in der Politik, weil es dieses Misstrauen gibt. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten alles daran setzen müssen, dieses verbreitete Misstrauen zumindest in diesem Punkt zu widerlegen. Das ist die Aufgabe von uns allen, die wir in diesem Parlament sitzen und für diese bessere Schule werben. Ich will das tun.
Ich garantiere den Menschen, die uns misstrauen, dass diese Reform selbstverständlich laufend überprüft wird, unabhängig, transparent und nachvollziehbar. Wenn Ihr Misstrauen gegen uns habt, dann glaubt den Experten und glaubt uns, dass wir bereit sind, auch selbstkritisch zu prüfen, ob das, was wir in jedem einzelnen Schritt machen, gut ist. Wir stellen uns dieser Prüfung, wir stellen uns dieser Transparenz, weil wir von dieser Art der besseren Schule überzeugt sind. Darum haben wir dabei keine Scheu.
Der zweite Grund, der aus meiner Sicht eine große Rolle spielt, ist eine gewisse Urangst des Menschen vor dem Neuen. Diese Urangst ist umso größer – das kann ich nachvollziehen, obwohl ich selbst keine Kinder habe – für Menschen, die um die Zukunft ihrer Kinder bangen. Sie möchten gerne jedes Risiko für Glück, Erfolg und Zukunft ihrer Kinder ausschließen und haben darum neben dieser eigentlichen Angst noch eine größere, weil es eben ihre ganze Liebe, ihre Kinder, trifft. Diese Angst vor dem Neuen kann ich psychologisch nachvollziehen, nur ist sie aus meiner Sicht dann besonders begründet, wenn das Bisherige gut ist. Aber ist denn das Bisherige gut?
Deutschland, auch in Hamburg, haben, hält europäischen Standards nicht mehr stand. Darum ist es nicht gut so, wie es ist und darum sollte man auch keine Angst vor dem Neuen haben. Auch das ist ein Beweggrund für diese Schulpolitik.
Das ist, nebenbei gesagt, nicht meine These, sondern das belegen auch PISA und andere Untersuchungen. Zu viele Schülerinnen und Schüler erreichen keinen Abschluss oder haben einen schlechten Abschluss. Auch die leistungsstarken Schülerinnen und Schüler können sich nicht so entfalten, wie sie es eigentlich für sich und für die Gesellschaft tun müssten. Nun ist es nicht so, dass diese Schwierigkeiten im Schulsystem unerkannt sind, sondern es wird seit Jahren versucht – bei manchen Punkten schon seit Jahrzehnten –, sie in der bisherigen Schulstruktur zu beseitigen. Es haben sich doch viele bemüht, auch sozialdemokratische Senatoren früher, genau wie wir uns bemüht haben, das zu tun. Wir müssen nun konstatieren, dass die Erfolge leider nicht in dem Umfang eingetreten sind, wie wir es für unsere Kinder brauchen. Wir brauchen die beste Schule, auch im europäischen Vergleich und im Weltvergleich, damit unsere Kinder in Hamburg für unsere Stadt, für sich und auch für ihre Eltern alle Chancen ergreifen können. Wir dürfen deshalb nicht nachlassen, diese Reform anzugehen, weil es nicht gut ist, so wie es ist. Darum versuche ich, den Menschen zu sagen, überwindet das Misstrauen, überwindet die Urangst. Erfahrungen in Europa und der Welt belegen, dass eine bessere Schule, wie wir sie gemeinsam wollen, möglich ist.
Lassen Sie mich aus meiner Sicht sagen, warum diese Schule, wie wir sie anstreben, wichtig und besser ist. Warum längeres gemeinsames Lernen, warum besserer, individualisierter Unterricht, warum niedrigere Klassenfrequenzen? Sie wissen, was alles zur Diskussion steht und wofür wir in den nächsten Wochen und Monaten werben wollen. Was sind die Hauptursachen, auch für mich ganz persönlich, dafür so einzutreten?
Das eine ist, ganz profan betrachtet, ein ökonomischer Beweggrund. Wir brauchen in Hamburg für Wirtschaft, Wachstum, Arbeit und Wohlstand die bestqualifizierten jungen Leute in Deutschland.
Alle Untersuchungen zeigen, dass wir in den nächsten zehn bis 15 Jahren auch in dieser Region einen erheblichen Akademikermangel haben werden. Wir haben nicht zu viele Studierte, nicht zu viele Akademiker, weder in Deutschland noch in dieser Region, wir haben zu wenige. Darum brauchen wir gut ausgebildete Schülerinnen und Schüler, deren ganzes Potenzial in der Schule gehoben
wird, damit sie mit Hochschulzugangsberechtigung hinterher als Akademiker uns, der Region, sich selbst für diesen Standort zur Verfügung zu stehen. Das ist neben allen moralischen und gesellschaftspolitischen Fragen auch und gerade eine ökonomische Frage. Wer Hamburg in der Wirtschaft vorne sehen möchte, der braucht bestausgebildete Leute und muss jetzt etwas tun, damit wir nicht in 15 Jahren einen Akademikermangel in dieser Stadt haben.
Das ist die eine Seite. Das Zweite ist doch aber, dass auch Handwerk, Gewerbe, Industrie und allgemeine Dienstleistungen hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen. Es ist doch nicht mehr so wie vor vielleicht 10, 15, 20 Jahren, als man sagen konnte, auch der- und diejenige, der in der Schule nicht mitkommt und vielleicht keinen Abschluss hat, wird schon irgendeinen Arbeitsplatz finden, wo man keine hohen Qualifikationen braucht, wo er Geld verdienen und auch ein bisschen Wohlstand erreichen kann. Das mag früher in der Industrie und in manchen Dienstleistungen so gewesen sein, dass man auch ohne hohe Qualifikation arbeiten konnte oder im Handwerksbetrieb zuarbeiten konnte.
Meine Damen und Herren! Diese Arbeitsplätze gibt es nicht mehr, es werden immer weniger. In den Bereichen Handwerk, Industrie und Dienstleistungen kommt es nicht auf akademische Ausbildung an – die kann auch nicht jeder schaffen –, es kommt nicht darauf an, dass die Leute so hochqualifiziert sind, aber auch diese Berufe werden immer spezieller und die Firmen brauchen gute Leute aus der Region. Darum müssen wir alles dafür tun, dass die Jugendlichen in der Schule darauf vorbereitet werden, dem Arbeitsmarkt auch in diesen Bereichen zur Verfügung zu stehen und dass sie für sich selber ein selbsterfülltes Leben anstreben können. Es ist wichtig, hier jungen Leuten eine Chance zu geben, weil wir es auch ökonomisch brauchen.
Neben diesen ökonomischen Erfordernissen gibt es aus meiner Sicht zwei gesellschaftspolitische Gründe, die von großer Bedeutung sind. Das eine ist die Frage, wo unsere Gesellschaft eigentlich in Bezug auf den Zusammenhalt hinsteuern will? In welche Richtung bewegt sie sich? Wollen wir eine Gesellschaft mit dem Wunsch nach den Vorteilen der Integration, des gemeinsamen Akzeptierens von Werten, des Bejahens dieser Gesellschaft, wo jeder sagt, ich tue etwas für mich, aber auch für die Allgemeinheit und nachhaltig für die nächste Generation? Oder wollen wir eine Gesellschaft, in der es immer mehr zur entweder lustlosen oder lustvollen Vertretung von Partikularinteressen kommt? Ich persönlich habe den Eindruck – da mögen wir
in der Analyse übereinstimmen oder nicht –, dass diese Gesellschaft sich immer weiter von der Integration wegbewegt, dass sich auf beiden Seiten der gesellschaftlichen Wirklichkeit – bei Leuten, denen es schlecht geht, aber auch bei Teilen der Elite – unglaubliche Zentrifugalkräfte entwickeln, die immer mehr an der Mitte dieser Gesellschaft reißen und auf Dauer die Substanz der Gesellschaft und des Gemeinwesens gefährden.
Ich will Ihnen sagen, was ich meine, wenn ich von der unteren Seite der Gesellschaft spreche. Es war doch früher im Regelfall so – das ist auch eine Wurzel der Sozialdemokratie, die hohen Respekt verdient –, dass Leute, die aus Arbeiterverhältnissen kamen, mit Stolz auf ihre Arbeiterschaft geschaut haben, aber auch gesagt haben: Ich will, dass meine Kinder es einmal besser haben, ich will Bildung für meine Kinder, damit die es einmal besser haben und mehr Chancen an Teilhabe und Wohlstand haben. Das gibt es heute auch noch, aber es gibt auch viele andere, die inzwischen mutlos geworden sind, hoffnungslos geworden sind und resigniert haben – die Hartz-IV-Karrieren, wie es so schön heißt, in der zweiten, dritten Generation –, die selbst, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr den Ehrgeiz haben zu sagen, meine Kinder sollen es einmal besser haben, sondern sich frustriert zurückgelehnt haben. Ich will hier keine pauschalen Vorwürfe erheben – manchen muss man einen Vorwurf machen, bei manchen ist es unverschuldet –, nur die Wirkung für die Kinder ist die, dass sie von zu Hause nicht mehr die Hilfe, den Antrieb, den Ehrgeiz und die Ziele vermittelt bekommen, um selber für sich alle Chancen im Leben ergreifen zu können. Ich will, dass auch diese Kinder alle Chancen haben, selbst wenn die Eltern nicht in der Lage sind, ihnen diese Chancen einzuräumen.
Zum Zweiten ist es meine persönliche Überzeugung, dass nicht die gesamte Elite, aber Teile der Elite nicht mehr ihre Pflicht tun. Wir haben in Teilen der Elite eine Flucht in rein materielles Denken. Die Boni sprechen in diesem Zusammenhang eine deutliche Sprache.
Ich nehme keinem übel, dass er viel Geld haben will, aber hohe Boni sprechen für sich. Darüber hinaus spricht natürlich auch eine deutliche Sprache, dass sich inzwischen vermutlich Tausende von Menschen in Deutschland selbst angezeigt haben, weil sie ihr Einkommen hier nicht versteuert haben. Nebenbei zu Ihrer Information: Der Stand gestern war, dass es – nur in Hamburg – 195 Selbstanzeigen gab mit einem gesamten nachzuversteuernden Volumen, also was an Steuern mehr kommt, von fast 100 Millionen Euro. Die werden nicht alle in Hamburg bleiben; das wird
aufgeteilt zwischen Bund und Land, Hamburg bleiben rund 20 Millionen Euro. Aber allein in dieser Stadt gibt es bislang 195 Leute, die schon einmal geständig sind. Das trifft um Gottes Willen nicht alle,
Früher war es in Hamburg, wenn man zur Elite dazugehören wollte, zu denen, die die Stadt gesellschaftlich prägen, ein ungeschriebenes Gesetz, dass man mit seinem Wohlstand nicht angegeben hat, sondern man hatte viel, versuchte aber, diskret und taktvoll damit umzugehen. Das gibt es noch, aber es gibt auch viele, die mit ihrem Wohlstand hemmungslos und protzig angeben.