Protokoll der Sitzung vom 03.03.2010

(Dirk Kienscherf SPD: Vermieter, die das machen!)

Auch das ist kein verantwortungsvolles Verhalten von Menschen, die Wohlstand haben und zur Elite gehören.

Diese Gesellschaft strebt an ihren Rändern auseinander und die große Aufgabe der Politik wird sein, dieses zu verhindern und die Integration der Gesellschaft von ganz unten – in Anführungsstrichen – bis ganz oben durch den Zwang zur Verantwortung, zur Hoffnung, zum gemeinsamen Handeln hinzukriegen. Diese Integration muss bei den jungen Menschen beginnen, bei den Kindern, weil es sonst nachher zu spät sein wird. Darum ist längeres gemeinsames Lernen vernünftig.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Lassen Sie mich einen weiteren gesellschaftspolitischen Grund nennen; es ist ein ganz persönlicher, vielleicht auch ein Grund, warum dieses Thema gerade in unserer Partei so umstritten ist, warum es aber viele in unserer Partei gibt, die mit Verve für diese Reform kämpfen, genau wie es einige gibt, die dagegen sind. Die politisch-philosophische, ideologische Diskussion hatte, als ich in den Siebzigerjahren begonnen habe, mich für Politik zu interessieren – bei manchen Themen geht sie bis heute weiter –, zwei wesentliche Inhalte: Ein wesentlicher Inhalt war – das gehört nicht zum Thema, ich sage es nur der Vollständigkeit halber –, ob die marxistische Philosophie, die von Gesetzmäßigkeiten der Geschichte ausgeht, mit Freiheit vereinbar ist. Da war meine Meinung, nein, darum bin ich zu den Christdemokraten gegangen.

(Zurufe von der SPD)

Meine Kollegen von der SPD, lesen Sie einmal die Flugblätter der Jusos und des sozialdemokratischen Schülerverbands aus der Zeit. Das waren reinrassige Marxisten, da brauchen Sie gar nicht mit dem Kopf zu schütteln, das war damals so.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kienscherf, ich darf es zwar nicht, aber es ist Ihnen vergeben, glauben Sie mir.

(Michael Neumann SPD: Das ist auch eine Kirchenrede heute!)

Das müsste Herr Mohaupt vielleicht machen als Pastor.

Meine Damen und Herren! Das ist die eine Seite. Die zweite Seite ist, dass es damals wie heute eine, wenn Sie so wollen, gesellschaftspolitische, ideologische Auseinandersetzung gab und gibt über die Wertigkeit der beiden Begriffe Freiheit und Gleichheit im Verhältnis zueinander. Das sind Begriffe, die irgendwo im Wettbewerb stehen. Wenn Sie zum Beispiel Meinungsumfragen machen, sagt der überwiegende Teil der Bevölkerung bis heute, ihnen sei die Gleichheit wichtiger als die Freiheit. Das ist so, das ist in Meinungsumfragen in der Bevölkerung belegt. Es ist meine ganz persönliche Meinung und felsenfeste Überzeugung – darum bin ich auch unter anderem Mitglied dieser Fraktion und dieser Partei –, dass die Freiheit im Abwägungsverhältnis zur Gleichheit wichtiger ist. Freiheit hat Priorität.

(Beifall bei der CDU, der GAL und der LIN- KEN)

Aber ich weiß auch, dass die Freiheit, wenn sie intensiv wahrgenommen wird, dazu führen kann, dass diejenigen, die sie besonders talentiert wahrnehmen, großen Erfolg haben und andere nicht und der Verdacht eintritt, dass eine Freiheit, die im Spannungsverhältnis zur Gleichheit Priorität hat, dazu führen kann, dass sie im Ergebnis zu Ungerechtigkeiten führt. Das ist das Problem dieser Diskussion. Freiheit, die so wahrgenommen wird, wie jeder es will, kann zu Ungerechtigkeiten führen. Das bringt mich zu dem Schluss, dass ich, wenn ich diese Ungerechtigkeiten trotzdem akzeptiere, weil es vermutlich Freiheit ohne Ungleichheit der Ergebnisse nicht geben wird, sagen muss, jeder solle aber die Chance haben, die Freiheit so ausleben zu können, dass er selber am Wohlstand, am Reichtum und am Erfolg teilhaben kann. Das heißt, Freiheit ohne Chancengerechtigkeit geht nicht und darum trete ich so entschieden für Chancengerechtigkeit ein.

(Beifall bei der CDU, der GAL und der LIN- KEN und bei Thomas Böwer und Dr. Mathi- as Petersen, beide SPD)

Das sage ich auch denjenigen aus meiner eigenen Partei, die mir in Diskussionen sagen: Bist du jetzt ein Linker oder ein Sozi geworden, was ist mit dir los? Keine Sorge, ich stelle keinen Asylantrag.

(Michael Neumann SPD: Für Asyl ist Herr Ahlhaus zuständig! Wo ist er?)

(Erster Bürgermeister Ole von Beust)

Ich bin fest davon überzeugt: Wer in dieser grundsätzlichen Diskussion sagt, er sei in der Abwägung der Wertigkeiten der Begriffe Freiheit und Gleichheit ohne Einschränkung für eine freie Gesellschaft, der muss genauso ohne Einschränkung für eine ganz große Chancengerechtigkeit sein, weil die Freiheit sonst dem Verdacht der Ungerechtigkeit ausgesetzt wird. Das will ich nicht und darum gebe ich alles für mehr Chancengerechtigkeit.

(Beifall bei der CDU, der GAL und der LIN- KEN und bei Thomas Böwer und Dr. Mathi- as Petersen, beide SPD)

Meine Damen und Herren! Das sind die Gründe, warum wir uns für diese bessere Schule entschieden haben, weil wir überzeugt sind, dass diese Form der Schule – längeres gemeinsames Lernen, anderes Lernen, andere Schule – zu einer größeren Chancengerechtigkeit führt und weil es darüber hinaus, wie ich versucht habe darzulegen, nebenbei oder hauptsächlich, wie man will, auch eine ökonomische Notwendigkeit für Deutschland, aber auch für den Standort Hamburg ist. Darum werbe ich mit aller Energie für diese Reform und darum freue ich mich, dass in der Politik hier im Hause, aber auch über die Politik hinaus in der Gesellschaft ein großes Engagement für diese Reform besteht. Ich weiß, es werden wichtige Wochen und Monate. Ich werde alles dafür tun, dass diese bessere Schule ein Erfolg wird. – Danke schön.

(Lang anhaltender Beifall bei allen Fraktio- nen)

Das Wort hat der Abgeordnete Frank Schira.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bürgermeister, das war eine große und bewegende Rede. Vielen Dank dafür.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Der heutige Tag ist ein wichtiger Tag für unsere Hamburger Schulen. CDU, SPD und GAL haben heute eine Vereinbarung über einen parteiübergreifenden Konsens in der Schulpolitik unterzeichnet. Hierin verpflichten wir uns, eine Schulstruktur aus Primarschule, Stadtteilschule und Gymnasium über einen Zeitraum von zehn Jahren zu garantieren. Wir haben uns mit diesem Schritt gegen eine Fortführung des seit Jahrzehnten tobenden Streits um die richtige Schulstruktur und für einen langfristigen Schulfrieden in Hamburg entschieden.

(Beifall bei der CDU, der GAL und bei Dr. Mathias Petersen SPD)

Wir, die CDU und die GAL, haben vor zwei Jahren eine Bildungsoffensive für diese Stadt vereinbart, die zum Ziel hat, möglichst gute und gerechte Bildungschancen für alle Schülerinnen und Schüler

zu schaffen. Dies gilt insbesondere den Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen Elternhäusern. Dabei lernen alle das Füreinanderdasein. Diese Bildungsoffensive verbindet inhaltliche und strukturelle Veränderungen. Über die inhaltlichen Veränderungen brauchen wir nicht zu streiten. Viele der seit Oktober im Schulgesetz verankerten Maßnahmen wurden bereits von der Enquete-Kommission in der letzen Legislaturperiode parteiübergreifend für richtig befunden und sind für einen modernen Unterricht sinnvoll.

Strittig war und ist die richtige Schulstruktur. Wir als CDU haben uns für das Zwei-Wege-Modell, Stadtteilschule und Gymnasium, eingesetzt. Richtig ist, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarten strukturellen Veränderungen über die von uns ursprünglich geplanten Veränderungen hinausgehen. Richtig ist aber auch, dass das Gymnasium als beliebte und anerkannte Schulform erhalten bleibt.

(Beifall bei der CDU und bei Dr. Eva Gümbel GAL)

Es ist der Hamburger CDU zu verdanken, dass die Einführung der Stadtteilschule in der letzten Legislaturperiode parteiübergreifend beschlossen wurde. Schon damals hat sich Hamburg an die Spitze der Reformbewegung gesetzt. Neben der Schulstruktur wurden zahlreiche weitere Verbesserungen eingeführt. Um nur einige Maßnahmen zu nennen: die verpflichtende Vorschule samt ergänzendem Sprachförderbedarf für besonders förderbedürftige Kinder, außerdem der Ausbau zahlreicher Schulen zur Ganztagsschule, die Schaffung einer Schulinspektion und ein umfassendes Konzept zur Begabtenförderung. Weniger Schulabbrecher und mehr Abiturienten sind das Ergebnis einer von der CDU auf den Weg gebrachten Schulpolitik.

(Beifall bei der CDU und bei Horst Becker und Dr. Eva Gümbel, beide GAL)

Warum belassen wir es nicht bei der Einführung des Zwei-Wege-Modells und der Umsetzung der von der Enquete-Kommission empfohlenen Maßnahmen? Warum beschließen wir jetzt die Einführung einer Schulstruktur aus Primarschule, Stadtteilschule und Gymnasium? Wir müssen dafür sorgen, dass alle jungen Menschen ihre Talente entfalten können und eine gute Qualifikation erhalten. Alle gehören zu uns und niemand darf zurückgelassen werden.

(Beifall bei der CDU, der GAL und bei Dr. Mathias Petersen SPD)

Meine Damen und Herren! Sie wissen, dass auch Anhänger unserer Partei, der CDU, sich schwertun und ich weiß, dass es in Teilen unserer Partei weiter kritisch gesehen wird. Kein anderes Thema haben wir in den letzten 30 Jahren in der Hamburger CDU so intensiv diskutiert wie die Schulreform. Es gibt aber auch die mit großer Mehrheit gefassten

(Erster Bürgermeister Ole von Beust)

Beschlüsse der Landespartei und der Fraktion zur Schulreform. Die CDU hat sich in den letzten beiden Jahren intensiv mit dieser Reform auseinandergesetzt. Heute kann ich sagen, dass viele in der CDU-Fraktion die Chancen dieser Reform sehen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Denn die Studien haben gezeigt, dass die Grundschule wesentlicher erfolgreicher arbeitet als die Sekundarstufe I. Der Übergang in die weiterführenden Schulen wird auch künftig durch Fachunterricht und den Einsatz von Lehrkräften mit der Befähigung für das höhere Lehramt in der Unterstufe der Primarschule besser vorbereitet.

Die Schulen werden in den Bildungskonferenzen gemeinsam an einem Bildungsangebot in der Region arbeiten. Dadurch werden auch die Angebote von Primarschulen und weiterführenden Schulen besser als bisher aufeinander abgestimmt sein. Auch die Schulen müssen hier, so wie wir, das Konkurrenzdenken im Interesse der Schülerinnen und Schüler abbauen.

Schließlich bringt diese Reform die Chance für einen Schulfrieden. Ich weiß, dass es viele Menschen in der Stadt gibt, die trotz dieser Chance gegen die geplante Schulreform unterschrieben haben. 184 000 Stimmen sind eine klare Meinungsäußerung, die wir nicht ignorieren. Schulpolitik ist ein sehr sensibles, hoch emotionales Thema. Es gibt in der Elternschaft offenbar Vorbehalte gegen Details unserer Reform. Fragen wie die Umsetzung an den einzelnen Standorten, die Schulorganisation, das Elternwahlrecht und die Verbesserung der Ausstattung bestehender Schulen werden diskutiert. Diese Einwände haben uns nicht kalt gelassen.

Wir haben daher viele Stunden mit der Volksinitiative "Wir wollen lernen!" verhandelt und uns sehr um Einigung bemüht. Dr. Michael Otto war dabei als Vermittler eine große, hervorragende Unterstützung. Wir haben allen Grund, ihm für sein Engagement zu danken.

(Beifall bei der CDU, der GAL und der SPD)

Er hat verschiedene Vorschläge für eine Einigung unterbreitet. Insbesondere sein letzter Vorschlag hätte zu einem Erfolg führen können und meines Erachtens auch führen müssen. Nach diesem Vorschlag wäre die Reform um ein Jahr verschoben worden, wenn die vereinbarten Qualitätskriterien im Jahr 2012 nicht erfüllt gewesen wären. Ein erneutes Expertenveto im Jahr 2013 hätte die Reform sogar stoppen können. Die schwarz-grüne Koalition war bereit, auf diesen Vorschlag einzugehen, aber die Volksinitiative hat ihn abgelehnt. Wir haben daher gemeinsam mit allen Fraktionen der Bürgerschaft über Verbesserungen nachgedacht und wollen diese hier und heute beschließen.

Kritisiert wurde unter anderem das Reformtempo; wir haben es reduziert. Das heißt konkret, dass die Primarschule in drei Schritten eingeführt wird. Zum neuen Schuljahr richten erst einmal die Starterschulen fünfte Klassen ein, 2011 folgen alle Schulen, deren Gremien die Einführung befürworten, und 2012 dann alle übrigen Schulen.

Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt war die schlechte Ausstattung der Schulen. Auch dies haben wir aufgegriffen. Künftig werden sich mehr Lehrer in kleineren Klassen um die Kinder kümmern. In bestimmten Gebieten wird die Klassenobergrenze auf 19 Schülerinnen und Schüler festgesetzt. Außerdem werden die Fortbildung der Lehrkräfte sowie die Versorgung der Primarschulen mit ausreichenden und adäquat ausgestatteten Klassen- und Fachräumen sichergestellt.

Moniert wurde weiterhin, dass wissenschaftliche Belege für die Umsetzung der Reform fehlten; wir haben reagiert. In allen dritten und sechsten Klassen der Primarschulen werden künftig und dauerhaft extern begleitete Lernstandserhebungen durchgeführt. Um ein verlässliches Qualitätsmanagement zu gewährleisten, wollen wir heute auch einen Sonderausschuss der Bürgerschaft einrichten, der die Umsetzung der Schulreform begleiten wird. Es freut mich besonders, dass wir die Stadtteilschule, ein Produkt unserer Schulpolitik der vergangenen Jahre, in den Verhandlungen stärken konnten.

Schließlich hat es hinsichtlich der geplanten Abschaffung des Elternwahlrechts heftige Kritik gehagelt. Wir nehmen diese Sorgen der Hamburger Eltern sehr ernst, wir haben verstanden und nachgebessert. Das Elternwahlrecht, das bisher nach der vierten Klasse gilt, wird für die Primarschule nun in gleicher Form nach der sechsten Klasse eingeführt. Das heißt im Klartext: Alle Eltern entscheiden am Ende der sechsten Klasse selber, auf welche Schule ihr Kind gehen soll. Nach Klasse 7 entscheidet dann die Zeugniskonferenz über den weiteren Verbleib der Kinder auf dem Gymnasium. Ich freue mich für alle Hamburger Schulen über diese, wie ich finde, guten Ergebnisse.

Zum Abschluss ein Appell an die Vertreter der Volksinitiative "Wir wollen lernen!". Jeder weitere Tag der Verunsicherung schadet der qualitativen Weiterentwicklung unserer Schulen. Ich bitte Sie, im Interesse der Schülerinnen und Schüler, der Eltern, Lehrerinnen und Lehrer in dieser Stadt zu handeln. Die Schulen brauchen endlich Planungssicherheit. Ich weiß, dass wir alle in Hamburg ein Ziel haben: ein besseres und gerechteres Bildungs- und Schulsystem für unsere Kinder. Auf der Grundlage der heutigen Bürgerschaftsbeschlüsse betonen wir, dass unsere Hand für einen dauerhaften Schulfrieden weiterhin ausgestreckt bleibt. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der GAL)