Protokoll der Sitzung vom 28.05.2008

Meine Damen und Herren! Ich darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen. Die Sitzung ist eröffnet. Ich beginne zunächst mit Geburtstagsglückwünschen, und zwar richten sich diese zunächst an den Kollegen Dr. Joachim Bischoff und an Herrn Robert Heinemann.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich, und was gibt es Schöneres, als diesen Tag in diesem Hause zu verbringen.

Meine Damen und Herren! Nun habe ich einige Personalien zu verkünden. Mit Schreiben vom 9. Mai 2008 haben mir die ehemaligen Abgeordneten Bernd Reinert, Christian Maaß, Dr. Manfred Jäger und Dr. Angelika Kempfert mitgeteilt, dass sie ihre Bürgerschaftsmandate niederlegen. Seit diesem Tag gehören alle vier als Staatsräte dem neuen Senat an.

Herr Bernd Reinert war seit Oktober 1993 Mitglied der Bürgerschaft und wirkte während dieser Zeit in zahlreichen Ausschüssen mit. Beispielhaft seien hier der Bau-, Verkehrs- und Stadtentwicklungsund der Verfassungsausschuss genannt. Seit Oktober 1997 war er Beisitzer im Fraktionsvorstand seiner Fraktion. Von November 2002 bis März 2004 fungierte er zunächst als stellvertretender Fraktionsvorsitzender, ehe er dann von März 2004 bis März dieses Jahres den Vorsitz der CDU-Fraktion innehatte. Die Bürgerschaft dankt Herrn Reinert für die langjährig geleistete Arbeit.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Herr Christian Maaß war seit Oktober 2001 Mitglied der Bürgerschaft und wirkte während dieser Zeit in zahlreichen Ausschüssen mit, insbesondere im Umwelt-, Innen- und Rechtsausschuss. In der 17. Wahlperiode bekleidete er im Kontrollgremium nach Artikel 13 das Amt des Vorsitzenden, in der 18. Wahlperiode war er Vorsitzender des Umweltausschusses. Seit Oktober 2001 gehörte er dem Fraktionsvorstand der GAL als stellvertretender Vorsitzender an. Die Bürgerschaft dankt auch Herrn Maaß für die geleistete Arbeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der GAL)

Herr Dr. Manfred Jäger gehörte der Bürgerschaft seit März 2004 an. Er war unter anderem Mitglied im Sozial- und Innenausschuss sowie in den Kontrollgremien nach Artikel 10 und Artikel 13 Grundgesetz. Im Verfassungsausschuss sowie im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss "Feuerbergstraße" bekleidete er das Amt des Vorsitzenden. Als Beisitzender gehörte er zudem dem Fraktionsvorstand der CDU-Fraktion an. Auch Herrn Dr. Jäger dankt die Bürgerschaft für seine geleistete Arbeit.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Frau Dr. Angelika Kempfert gehörte erst seit November 2007 diesem Hause an. In dieser Zeit engagierte sie sich insbesondere im Wissenschafts-, im Europa- und im Rechtsausschuss. Auch Frau Dr. Kempfert herzlichen Dank für die geleistete Arbeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der GAL)

Nach Mitteilung des Landeswahlleiters sind auf den Listen der CDU Herr Thomas Felskowsky, Herr Egbert von Frankenberg und Herr Stephan Müller nachgerückt. Meine Herren, ich begrüße Sie wieder in unserer Mitte. Herzlich willkommen und viel Erfolg.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Nach Mitteilung des Landeswahlleiters ist auf den Listen der GAL Herr Michael Gwosdz nachgerückt. Herzlich willkommen, ich freue mich, dass Sie hier sind.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Bevor wir jetzt in die Tagesordnung einsteigen folgender Hinweis: Wie schon während unserer letzten Sitzung werden auch während der heutigen Sitzung Filmaufnahmen für den neuen Bürgerschaftsfilm gemacht. Das damit beauftragte Team wird sich entgegen der normalen Regelung für Journalisten und Fotografen im gesamten Plenarsaal bewegen. Ich bitte daher um Ihr Verständnis.

Meine Damen und Herren! Abweichend von der Empfehlung des Ältestenrates haben die Fraktionen vereinbart, die Tagesordnung um die Drucksache 19/436 zu ergänzen, einen gemeinsamen Antrag von GAL- und CDU-Fraktion. Die Drucksache haben Sie inzwischen erhalten. Sie wurde als Punkt 29 in die Tagesordnung aufgenommen. Darüber hinaus wird die Tagesordnung noch um einen Geschäftsordnungsantrag der CDU-Fraktion zur Abänderung von Überweisungen an den Verfassungsausschuss ergänzt. Über diesen Antrag, Tagesordnungspunkt 30, werden wir morgen im Rahmen der Sammelübersicht abzustimmen haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Präsident des Senats hat mich gebeten, ihm gemäß Paragraf 12 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung die Gelegenheit zu geben, vor Eintritt in die Tagesordnung eine Regierungserklärung abzugeben.

Die Fraktionen haben einvernehmlich vereinbart, dass hierzu eine Beratung stattfinden soll. Dabei soll jeder Fraktion und dem Senat eine Redezeit von 60 Minuten zur Verfügung stehen. Werter Herr Bürgermeister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich

stehe heute vor Ihnen, um gegenüber den Abgeordneten der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg die Regierungserklärung des Senats für die 19. Legislaturperiode abzugeben.

Hinter uns allen liegen, politisch betrachtet, mühevolle Monate. Wir denken zurück an die Vorbereitung des Wahlkampfes, den Wahlkampf selbst, die Gespräche nach den Wahlen und die Konstituierung der neu gewählten Fraktionen, an die Regierungsbildung.

Dies waren intensive, emotionale Monate. Monate voller Hoffnung, Erwartung, auch Enttäuschung oder Verwirklichung lang gehegter Wünsche. Jetzt gilt es, nach vorn zu blicken. Sollte der Wahlkampf Wunden und Verletzungen geschlagen haben, hoffe ich, dass es gelingt, sie zu vergessen. Wir wollen uns nun gemeinsam an die Arbeit machen, sicherlich mit unterschiedlichen Sichtweisen und Rollenverteilungen, aber mit einem gemeinsamen Ziel, alles zu tun, damit die Menschen in der Freien und Hansestadt Hamburg eine gute Zukunft haben, damit die Menschen das Vertrauen in die Politik, das Vertrauen in uns, die Politikerinnen und Politiker, nicht verlieren, damit die Menschen eine persönliche Chance bekommen, jeder Einzelne von ihnen, die eigenen Träume, Ideale und Ziele verwirklichen zu können, auch zum Wohl aller.

Viele von uns arbeiten seit Jahren, mancher seit Jahrzehnten, für diese Ziele in diesem Parlament oder in der Politik unserer Stadt, jeder mit seiner eigenen Sichtweise. Aber, meine Damen und Herren, verkennen wir nicht, dass sich die gesellschaftliche Wirklichkeit verändert hat. Eindeutige Zuordnungen, wie wir sie vielleicht aus den Siebziger-, Achtzigerjahren bis in die Neunzigerjahre kennen, Zuordnungen wie Begriffspaare "rechts gegen links", "konservativ oder gar reaktionär gegen fortschrittlich und modern", "liberale Haltung gegen Polizeistaatsmentalität", all das entspricht nicht mehr der gesellschaftlichen Wirklichkeit.

Natürlich gibt es Unterschiede in Interessen, Meinungen und Weltbildern. Diese sind aber vielschichtiger und durchlässiger geworden. Dies gilt genauso für die persönliche Einordnung wie – in ihren Folgen – für die politische Zuordnung. Die "Süddeutsche Zeitung" hat das im April dieses Jahres so ausgedrückt – ich zitiere –:

"Der Einzelne entspricht in seiner Lebensweise immer weniger erwartbaren Durchschnittswerten, er weicht ab, worin aber keine Provokation mehr besteht. Das Anderssein ist selbst normal geworden. So wählt der konfessionslose Stahlarbeiter im Ruhrgebiet die CDU, geht der Professor für Mittellatein ins Fußballstadion und trägt der Beamte im gehobenen Dienst ein Piercing."

Man will damit sagen: Genauso wie wir uns im Privaten von gängigen Verhaltensmodellen abwen

den, genauso wie wir gesellschaftliche Pluralisierung als Ausdruck von Freiheit verstehen, müssen wir in der Politik lernen, jenseits überholter Muster, Denkschemata, jenseits von Durchschnittsdenken und Erfahrungswerten zu handeln. Dem will ich mich ganz persönlich und dem will sich diese Koalition in Hamburg stellen.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Lassen Sie mich das an drei hergebrachten, gegenüberstehenden Begriffspaaren erläutern:

Erstes Begriffspaar: Leistungsförderung gegen Integration.

Blicken wir zurück. Jahrzehntelang gab es hier, zumindest in der politischen Etikettierung, Gegensätze. Während meine Partei und vermutlich auch die Mehrheit der Gesellschaft in den Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahren postulierte, Deutschland sei kein Einwanderungsland, sprachen andere von der multikulturellen Gesellschaft. Beide Seiten hatten die Hoffnung, die mit der Zuwanderung verbundenen Chancen und Probleme würden sich durch diese quasi politische Etikettierung automatisch regeln. Heute wissen wir, dass das so nicht stimmt.

Hamburg ist von jeher eine weltoffene und attraktive Stadt. Bei uns leben rund 470 000 Menschen mit Migrationshintergrund. Fast 50 Prozent der Kinder, die heute eingeschult werden, haben einen solchen Hintergrund. 260 000 Hamburgerinnen und Hamburger sind ausländische Staatsbürger. Diese Vielfalt ist Chance und Herausforderung für unsere Stadt. Die gesellschaftliche, kulturelle und soziale Integration und Teilhabe dieser Menschen mit Migrationshintergrund ist unser Ziel, meine Damen und Herren.

Integration beginnt nicht erst in der Kindertagesbetreuung. Doch die Kita ist ein zentraler Bestandteil moderner Familien-, Bildungs- und Sozialpolitik. Sie erreicht alle Familien, fördert die Entwicklung der Lebenschancen durch frühe Bildung und Pädagogik und ermöglicht die gezielte Förderung benachteiligter Kinder sowie sprachliche und kulturelle Integration. Die Kita ist ein zentraler Anknüpfungspunkt im Stadtteil für die Integration von Zuwanderern, Elternförderung, Kinderschutz, gesundes Aufwachsen und gesunde Ernährung bis hin zu Frühintervention bei Verhaltens- und Gewaltauffälligkeit. Daher haben wir zum Beispiel den Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung auf das zweite Lebensjahr herabgesetzt

(Carola Veit SPD: Das stimmt doch gar nicht!)

und werden wir das kostenlose vorschulische Jahr in Kita und Vorschule einführen.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

(Erster Bürgermeister Ole von Beust)

Das Ziel ist, die Kinder früher zu fördern. Erreicht werden sollen dadurch vor allem auch Kinder mit Migrationshintergrund. Und es muss das Ziel von Bildungspolitik sein, Kindern und Jugendlichen unabhängig von ihrer sozialen und ethnischen Herkunft gleiche und gerechte Chancen für den Besuch von Bildungseinrichtungen und den Erwerb von Kompetenzen zu ermöglichen für ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben in einer demokratischen Gesellschaft, aber auch für den Wirtschaftsstandort Hamburg, der ohne bestmöglich qualifizierte Menschen nicht im globalen Wettbewerb bestehen kann. Deswegen wollen wir für Hamburg ein Schulwesen, das sich in Primarschule, Gymnasium und Stadtteilschule gliedert. Alle Kinder sollen so nach ihrem individuellen Lernund Leistungsvermögen gefördert und gefordert werden.

Ich weiß, dass diese Pläne umstritten sind, auf beiden Seiten. Die einen fordern eine Schule für alle, mit gemeinsamem Lernen bis zur Klasse 9. Die anderen wollen an der bisherigen Trennung der Kinder nach Klasse 4 festhalten. Ich sage Ihnen: Die Pläne, auf die wir uns geeinigt haben, sollen und werden in Hamburg endlich Schulfrieden schaffen,

(Beifall bei der CDU, der GAL und Zurufe von der SPD)

denn wir wollen, dass es – zumindest mittelfristig – keine Schulstrukturdiskussion mehr geben wird. In Zukunft soll die Qualität des Schulwesens im Zentrum stehen und nicht mehr die Struktur. Dies setzt einen Überzeugungsprozess und die Mitwirkung aller Betroffenen voraus.

Wir machen das Angebot, gemeinsam eine Schulstruktur zu schaffen, die die Kinder in den Mittelpunkt stellt, deren Hoffnungen, Chancen, Leistungsmöglichkeiten, auch im internationalen Wettbewerb. Dabei gilt unsere Aufmerksamkeit vor allem den Kindern, die in schwierigen Verhältnissen aufwachsen. Deswegen werden wir auch in den Primarschulen die Klassenfrequenzen auf 25 Schülerinnen und Schüler senken. Deswegen werden weitere 50 Schulen zu gebundenen Ganztagsschulen ausgebaut mit Schwerpunkt auf den Grundschulen in KESS-1- bis -3-Gebieten. Das ist unsere Schulpolitik und ich bin sicher, dass wir in kürzester Zeit in Hamburg nicht mehr über Schulstrukturen reden werden, sondern endlich die Chance haben werden, Qualität zu schaffen und über Qualität zu diskutieren. Das steht für uns im Mittelpunkt.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Was für die Schulen gilt, gilt im Übrigen auch für die Universitäten. Es wurde lange, zum Teil Jahrzehnte, über die Strukturen an den Hamburger Hochschulen diskutiert. Im Mittelpunkt muss zukünftig auch hier die Qualität stehen. Hier haben wir in Hamburg Nachholbedarf. Einige Hoch

schulen zeigen gute Ergebnisse. In manchen Bereichen wird jedoch noch sehr viel zu tun sein.

Qualitätssicherung der Hochschulen ist sicher Aufgabe des Staates, aber nicht ausschließlich staatliche Aufgabe. Wir wollen eine Stiftung gründen – Staat, Wirtschaft und Gesellschaft –, mit deren Erträgen die Hamburger Hochschulen an Qualität und Profil gewinnen werden. Wir appellieren an alle, dieses als wichtigen Beitrag zur Standortsicherung – auch in wirtschaftlicher Hinsicht – zu begreifen.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Zweites Begriffspaar, meine Damen und Herren, ist: Solidarisches Handeln kontra Eigenverantwortung.

Der schwarz-grüne Senat verfolgt eine Sozialpolitik, die die soziale Grundsicherung garantiert und konkrete Probleme lösen hilft. Aber unser eigentliches Ziel ist es, dass Menschen wieder Verantwortung für sich selbst und andere übernehmen können, dass sie sich wieder aus dem Transferleistungsbezug lösen können.