Protokoll der Sitzung vom 28.05.2008

Ich komme noch darauf, Herr Kerstan. Sie können uns dann auch eines anderen belehren.

Sie beharren in den Kernbereichen der Politik auf den – ich würde einmal sagen – Trampelpfaden, die wir aus dieser Stadt kennen. Das bedeutet, dass die Menschen in Hamburg, um die es Ihnen im Diskussionsbeitrag geht, glaube ich, keine Chancen auf eine bessere Zukunft haben. Sie wollen einen Sozialstaat – Sie haben zumindest der Erklärung zugestimmt, die Herr Beust vorgetragen hat –, in dem die Bürgerinnen und Bürger zu eigenständigem Engagement ermutigt werden sollen. Diese Zielsetzung, die Ermutigung zum eigenen Engagement und zur Eigenständigkeit, erreichen Sie nach unserer tiefen Überzeugung mit der Fortsetzung der bisherigen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik nicht.

(Beifall bei der LINKEN und bei Wolfgang Rose SPD)

Sie sagen, die Verwirklichung – jedenfalls Herr Beust sagt das – einer gerechten Gesellschaft müsse sich von unten entwickeln. Dieses Argument von den prinzipiellen Schranken des Staates oder der öffentlichen Hand ist meines Erachtens wirklich eine kümmerliche Begründung für die Tatsache, dass Sie das Büchergeld nicht abschaffen, dass Sie sich weigern, dass Schülerfahrgeld wieder einzuführen und dass Sie – Sie haben es eben

(Antje Möller)

noch einmal gesagt – eine Ausstattung des Sozialtickets vornehmen, bei der Sie selber gesagt haben, dass es den Namen eigentlich nicht verdiene.

(Antje Möller GAL: Das habe ich nicht ge- sagt!)

Und Sie führen die Ein-Euro-Jobs und damit die Begünstigung des Niedriglohnbereichs fort. Ich meine, das war immer Ihre Position. Aber das noch verkaufen zu wollen mit dem Argument, die Bürgerinnen und Bürger zum eigenen Engagement zu bringen, ist ein ziemlicher Zynismus.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Ganz kraus – so jedenfalls unsere Position – wird diese Begründung, wenn wir an den Gegensatz von Reichtum und Armut gerade in Hamburg denken und – das machen Sie jetzt mit – an die Unterstützung einer völlig verfehlten Steuerpolitik gerade für die höheren Einkommen und Vermögen. Dann kommt der große Trampelpfad, auf den Sie sich einlassen. Das ist nämlich die Formel von der Haushaltsdisziplin. Das ist auch der entscheidende Satz in dieser Regierungserklärung. Sie sagen gemeinsam, wir bräuchten eine große Haushaltsdisziplin, denn Ihre Koalitionsprojekte sollten ohne neue Schulden finanziert werden. Ich finde diese Aussage richtig ärgerlich – das muss ich Ihnen sagen –, weil Sie sagen, dass in den Haushaltsberatungen entschieden wird, wie das im Einzelnen aussehen soll.

(Antje Möller GAL: Genau!)

Sie machen hier seit Wochen eine Verschleierungspolitik.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD – Viviane Spethmann CDU: So ist Politik nun einmal!)

Sie hätten hier klar sagen können, dass Sie das und das wollten. Sie haben im Plenum schon ein paar Mal die Kritik gehört und ignorieren sie. Man sieht es jetzt auch an unserem Supersenator für Finanzen und Haushalt, der sich im Grunde jeder Debatte entzieht und noch nicht einmal zuhört. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Selbst in ihrer Regierungserklärung lässt die Koalition völlig im Unklaren, wie sie ihr Koalitionsprogramm finanzieren will. Ich könnte jetzt auch sagen, dass das eine Missachtung des Engagements dieser Abgeordneten ist. Aber das interessiert Sie, glaube ich, auch nicht.

(Jens Kerstan GAL und Antje Möller GAL: Das machen wir doch im Haushaltsaus- schuss!)

Jetzt hören Sie einmal zu.

Sie müssen – mindestens Herr von Beust muss – präzise Vorstellungen haben. Denn sonst hätte er in seine Regierungserklärung nicht hineinschreiben können:

"Der zu erarbeitende Haushaltsplan wird, zur Finanzierung neuer Prioritäten, Umschichtungen beinhalten. 'Umschichtungen' – das bedeutet selbstverständlich auch … Änderung von Planungen und … Verzicht von Liebgewonnenem."

Das heißt, Sie haben eine Vorstellung davon, wem Sie wehtun wollen. Warum sagen Sie es dann nicht endlich? Das wäre doch der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Es ist – ich zitiere es ungern – schon von Herrn Neumann angesprochen worden. Selbst der dieser Koalition – Sie müssen sich noch daran gewöhnen – und der CDU nahestehende Bund der Steuerzahler Hamburgs sagt anlässlich der jüngsten Steuerschätzung zu Herrn Freytag, der gesagt hat, es wäre eine Punktlandung, das wäre mangelnde Seriosität. Von Punktlandung kann gar keine Rede sein, denn Sie sagen weder etwas dazu, wie Sie Ihre Projekte finanzieren wollen, noch sagen Sie irgendetwas zu den Risiken der Konjunktur noch irgendetwas – was wir jetzt mehrfach angemahnt haben – zu den Löchern und Schleiern, die Sie über diesem Haushalt ausgebreitet haben.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich will Ihnen noch ein Argument nennen – und das ist das, was wir jetzt vorgebracht haben. Wir werden, da bin ich ziemlich sicher, irgendwann erleben, dass Sie sich entweder von Ihren Projekten verabschieden oder sie zeitlich in die Länge strecken werden. Ich frage mich allen Ernstes, ob Sie deswegen sagen, dass es mit den Koalitionsprojekten eigentlich erst 2009 spannend würde. Was wollen Sie denn in diesem Jahr noch machen? Noch ist dieses Jahr nicht zu Ende. Insofern würde ich Ihnen das gerne noch einmal so mitgeben. Es wäre eigentlich klug, wenn Sie die Sachen auf den Tisch packen und auch einmal über einen Nachtragshaushalt nachdenken würden. Aber so etwas ist Ihnen wahrscheinlich gar nicht bekannt.

(Beifall bei der LINKEN)

Insofern ist das der entscheidende Punkt für diese Koalition, dass Sie gute Vorsätze haben. Und Sie verkaufen diese guten Vorsätze noch damit, nicht nur dass Sie aus den Gräben herauswollen, sondern dass Sie auch der Politik- und Parteiverdrossenheit entgegenarbeiten wollen. Ich meine, von der CDU hätte ich nicht anderes erwartet, aber bei der GAL habe ich doch noch immer die Hoffnung, dass Sie sich nicht weiter auf solchen Trampelpfa

den bewegen und dann wenigstens Klartext reden. Sie haben in den nächsten Monaten noch Zeit dazu.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Rabe.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es mehrfach gehört, wir wollen es nicht bestreiten: Ja, wir brauchen in Hamburg Schulreformen, und zwar nicht wir hier im Parlament, sondern die Stadt braucht Schulreformen. Das ist nämlich ein Projekt, mit dem über Hamburgs Zukunft und gleichzeitig über das Glück und die Zukunftschancen von vielen Menschen entschieden wird. Da wir uns im Kern offensichtlich einig sind, ist die Frage, in welche Richtung sich solche Schulreformen entwickeln müssen. Ja, Kinder können und müssen besser gefördert werden. Dieser Überzeugung sind wir alle. Und bessere Förderung heißt – und diese Überzeugung hat sich offensichtlich in der letzten Legislaturperiode herauskristallisiert – eben nicht, die vielfältigen Fähigkeiten und Kenntnisse der Schülerinnen und Schüler in drei Schubladen einzusortieren. Vielmehr kann man besser fördern, wenn man einen passgenauen und individuell auf jedes Kind zugeschnittenen Unterricht entwickelt.

(Beifall bei Karin Timmermann SPD)

Wenn das klappt, dann können Schüler gemeinsam viel besser lernen. Deswegen sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ganz klar für gemeinsames Lernen in dieser Stadt.

(Beifall bei der SPD)

Nur, da wir uns bei diesem Ziel offensichtlich alle einander annähern, ist eher die Frage, wie wir dieses Ziel eigentlich erreichen. Das scheint mir eine viel entscheidendere Frage. Ich habe den Eindruck, dass dabei immer ein Fehler gemacht wird. Dieser Fehler geht so: Wir diskutieren eine virtuelle Idee und sagen, dass das doch irgendwo in der Schweiz vielleicht oder in Finnland oder sonstwo funktioniert. Und deswegen klappt das automatisch auch in Hamburg. Dieser Fehler fällt uns ständig auf die Füße, denn tatsächlich ist es eben so, dass vieles andere auch in Finnland und der Schweiz klappt, zum Beispiel die Almwirtschaft oder das Eisfischen. Dennoch ist das kein Konzept für den Hamburger Hafen. Wir müssten eher überlegen, ob solche Reformvorschläge eigentlich in Hamburg eine Realität haben und in Hamburg klappen können.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir also über Schulreformen reden, dann fragen wir zunächst einmal, wie wir dieses Ziel erreichen. Und wir sagen: Gute Ideen knüpfen an der Wirklichkeit an.

Man muss Hamburg nicht komplett umkrempeln, sondern man muss versuchen, bei dem anzusetzen, was vorhanden ist, und schrittweise vorwärts kommen; genau das wollen wir tun.

(Beifall bei der SPD)

Ihre Antwort scheint aber zu sein: Auf in den Schulkampf, und zwar mit der Brechstange. Ihre Pläne für eine sechsjährige Grundschule werden Hamburg mehr schaden als nutzen. In dieser Auffassung sind sich zufälligerweise 90 Prozent des gesamten Hauses einig, nicht die kleinere Hälfte, sondern 90 Prozent.

Ich will dazu aus einem Papier zitieren, das die CDU intern sehr beschäftigt. Da heißt es:

"Es ist nachvollziehbar, dass viele Schüler, Eltern und Lehrer derzeit ob der neuen Planungen zur Primarschule in Sorge sind. Dies gilt umso mehr, als die Enquete-Kommission in Kenntnis der damit verbundenen erheblichen Veränderungen an jedem einzelnen Schulstandort die Einführung einer sechsjährigen Grundschule noch einstimmig abgelehnt hat."

Soweit zur Position der CDU. Man muss doch wirklich einmal ernsthaft fragen, was Sie bewogen hat, diese richtige Einschätzung dieses Projekts plötzlich über Bord zu werfen und sich mit Haut und Haaren auf ein Abenteuer einzulassen, das Hamburg nichts nützen wird.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir Reformen machen wollen, dann müssen wir uns zumindest an vier Bedingungen abarbeiten.

Erstens: Reformen brauchen Akzeptanz. Sie haben mehrfach das Wort vom Schulfrieden verwendet, ich habe es sogar in großen Überschriften gelesen. Aber, Herr Bürgermeister, Sie haben vorhin selber gesagt, dass ein Etikett keine Wirklichkeit schafft. Tatsächlich herrscht in Hamburg gerade kein Schulfrieden mehr, sondern es ist ein Schulkampf ausgebrochen,

(Christiane Blömeke GAL: Das ist doch überhaupt nicht wahr!) Christiane Blömeke GAL: wie wir ihn seit langer Zeit nicht mehr erlebt haben. Nach meiner Auffassung klappen Reformen dann, wenn es gelingt, sie auf Dialog und Akzeptanz aufzubauen. (Christiane Blömeke GAL: Das wird doch getan!)Christiane Blömeke GAL:

(Dr. Joachim Bischoff)

Dazu brauchen wir einen solchen Schulkampf nicht. Sie setzen den Schulkampf hier schon fort, das bestätigt meine These.

(Beifall bei der SPD)

Schule ist nur dann erfolgreich, wenn es gelingt, Akzeptanz zu schaffen. Wie schafft man Akzeptanz? Ich war bisher noch nicht in der Bürgerschaft, deswegen musste ich mich auf Anweisung meiner parlamentarischen Geschäftsführerin durch 300 Seiten Protokolle quälen. Das war dann doch interessant, dabei kommt zum Beispiel Folgendes heraus.