Protokoll der Sitzung vom 26.08.2010

(Vizepräsidentin Dr. Eva Gümbel übernimmt den Vorsitz.)

Die Laufzeitverlängerung soll nicht vom Energiekonzept abgekoppelt entschieden werden; die Ankündigung der Bundesregierung entspricht genau dieser Forderung. Die unterschiedliche Auffassung zum Thema Kernenergie zwischen GAL und CDU ist bekannt und im Hamburger Koalitionsvertrag festgehalten. Trotzdem herrscht in der Koalition Einigung in der Zielsetzung. Beide Koalitionspartner unterstützen die beschriebenen Prämissen in unserem Zusatzantrag ausdrücklich.

Erste Prämisse: Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien.

Zweitens: Der Netzausbau ist schnellstmöglich auf die Aufnahme der erneuerbaren Energien zu realisieren.

Drittens: Die Speichertechnologien müssen erforscht und zur Marktreife gebracht werden. Für das Ablösen der Brückentechnologie Kernkraft hin zu den erneuerbaren Energien gilt es, an erster Stelle das Argument der Sicherheit aufzunehmen. Wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien es quantitativ und strukturell zulässt, sprechen wir uns dafür aus, dass die ältesten Siedewasserreaktoren, wie in unserem Antrag beschrieben, nämlich die der Baureihe 69, zuerst abgeschaltet werden. Von den derzeit in Deutschland in Betrieb befindlichen 17 Kernkraftwerken sind sechs Siedewasserreaktoren, die anderen elf gehören dem Typus der Druckwasserreaktoren an. Zu den Reaktoren der Baureihe 69 gehören neben Krümmel und Brunsbüttel auch Philippsburg 1 und Isar 1. Die Bundesregierung hat nebenbei auch Verschärfungen der Auflagen an die Sicherheit von Kernkraftwerken angekündigt. Sollten also die alten Siedewasserreaktoren diese Auflagen nicht erfüllen, werden sie vom Netz genommen beziehungsweise erhalten keine Genehmigung zum Wiederanfahren, wie es für Brunsbüttel und Krümmel der Fall wäre.

Bei der Frage, wie wir unsere Energieversorgung zukunftsfähig machen, kann der Fokus nicht nur auf der Metropolregion Hamburg liegen. Hier denken wir in der Koalition strukturell. Eine verantwortungsvolle Zusammenarbeit zwischen allen Bundesländern ist erforderlich. Es reicht nicht, Schreckgespenster von einer massiven Erhöhung der Bedrohungslage zu malen, sondern es ist wichtig, realistische Lösungswege aufzuzeigen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Die Abgeordnete Frau Dr. Schaal hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Stöver, Sie haben auf die Frage der Sicherheit hingewiesen – ein wichtiges Thema im Zusammenhang mit den Atomkraftwerken –, aber nicht darauf, dass die Betreiber kein Interesse daran haben, mehr Geld aufzuwenden, um diese Sicherheit tatsächlich zu gewährleisten. Stattdessen wird gedroht, die Meiler sofort abzuschalten, was, wie man weiß, die Republik in Heiterkeit versetzte.

Herr Kerstan hat gestern auf diese Debatte eingestimmt, indem er sagte, es gebe bestimmte Themen, die, wären sie in Hamburg zu entscheiden, dafür sorgen würden, dass es die bestehende Koalition nicht gäbe. Das geht ein wenig in die Richtung, die Ole von Beust gern vertreten hat: Wir haben keine Kernkraftwerke in Hamburg, also haben wir auch kein Problem in der Koalition. So einfach ist das aber nicht.

Wer erneuerbare Energien ausbauen will – und dafür setzen wir uns als SPD ein, dafür setzt sich auch die GAL ein, das eint uns –, der darf nicht zulassen, dass die Netze mit Atomstrom vollgestopft werden. Es kommt immer häufiger vor – das wissen Sie auch, Herr Kerstan –, dass Windkraftanlagen abgeschaltet werden müssen, weil die Netze nicht mehr aufnahmefähig sind. Zwar werden die Windmüller dann entschädigt, aber nicht für 100 Prozent ihres Ausfalls. Die Stromkonzerne belasten diese Ausfallkosten ihren Kunden und die zahlen dann doppelt, nämlich erstens über den Strompreis für den Aufbau einer Stromversorgung aus erneuerbaren Energien und zweitens dafür, dass diese erneuerbaren Energien nicht in die Netze gelangen. Das ist doch völlig absurd.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wenn die Atomkraftwerke länger als bisher vereinbart weiterproduzieren, wird es keine Energiewende geben, weil der Wettbewerb auf dem Strommarkt zum Erliegen kommen wird. Das haben die Monopolkommission und das Kartellamt erst vor Kurzem bestätigt. Die Marktmacht der Energiekonzerne wird durch die Verlängerung der Laufzeiten weiter zementiert und die daraus resultierenden Zusatzgewinne machen sie noch mächtiger. Investoren, die in erneuerbare Energien investieren wollen, werden sich unter Umständen weiter zurückhalten. Schon jetzt kann man feststellen, dass die anhaltende Diskussion um die Laufzeitverlängerung zu großen Unsicherheiten in der Branche der erneuerbaren Energien führt mit allen wirtschaftlichen Folgen. Gleichzeitig, darauf muss man immer wieder hinweisen, wachsen die Berge von Atommüll,

(Dora Heyenn DIE LINKE: Richtig!)

dessen Entsorgung weiter offen ist, die wir den kommenden Generationen überlassen.

(Birgit Stöver)

Dazu kommt noch etwas Lokalpolitisches. Hamburg ist stolz darauf, dass sich viele Konzernzentralen, insbesondere aus dem Bereich der Windenergie, bei uns angesiedelt haben. Das wird aber bald der Vergangenheit angehören, wenn die Atomlaufzeiten gravierend verlängert werden. Vielleicht ist das ein Grund dafür, warum die Clusterpolitik für erneuerbare Energien vom Senat bisher nur propagiert und nicht praktiziert wird.

Die CDU drängt auf Bundesebene und in der Hansestadt, wider jede ökonomische und ökologische Vernunft, wie besessen auf Laufzeitverlängerungen. Welche Bedeutung dieses Thema in der CDU hat, zeigt der anhaltende Streit über die Frage, wie lange und zu welchem Preis die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert werden sollen. Es scheint schon fast so, als ob die CDU nach Jahren der Profillosigkeit ihre Identität in der Atomenergie gefunden hat. Das könnte uns als SPD eigentlich kalt lassen. Der GAL kann die Befürwortung der Atompolitik durch den Koalitionspartner aber ziemlich gefährlich werden und das wiederum lässt uns nicht kalt, Herr Kerstan, denn die Mehrheit der Bevölkerung ist gegen Atomkraft und wer sich gegen diese Mehrheit stellt, der gehört zu den Verlierern und wir wünschen nicht, dass das für die GAL zutrifft.

Für die Hamburger Grünen sind die erneuerbaren Energien, der Atomausstieg und die Energiewende sinnstiftend – das glaubte ich jedenfalls bisher. Doch nun sehe ich, dass CDU und GAL einträchtig einen Zusatzantrag mit der Überschrift "Laufzeitverlängerungen von Kernkraftwerken (2)" formulieren, weil – Frau Stöver wies darauf hin – die Koalition inhaltlich nicht übereinstimmt und die CDU keinem Antrag zustimmen will, der fordert, die Atomkraft abzuschaffen und Laufzeitverlängerungen zu verhindern. Ich finde das sehr befremdlich.

Frau Stöver, Sie haben davon gesprochen, dass Sie hier eine Diskussionskultur hätten. Man sollte in diesem Zusammenhang auch einmal auf die Kultur hinweisen, die in der bundesweiten Diskussion vorherrscht. Aus einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" haben wir heute erfahren, dass das Energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln, das den Zwischenbericht über die Auswertung der in Auftrag gegebenen Gutachten für die Bundesregierung erstellen soll, seit einer gewissen Zeit von E.ON und RWE Fördermittel in Millionenhöhe bekommen hat,

(Dora Heyenn DIE LINKE: Peinlich!)

und dass auch im Verwaltungsrat dieses Instituts Vertreter von E.ON und RWE sitzen. Wenn hier ein Institut, in das die Energiewirtschaft Millionen hineinpumpt, als neutral dargestellt wird und für die Bundesregierung wichtige Fragen der Energiepolitik aufarbeiten und vorbereiten soll, dann ist das eine Unkultur, der man nicht folgen kann. Das müs

sen Sie berücksichtigen, wenn Sie sich mit der CDU auf einen gemeinsamen Antrag einigen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Die GAL unterschreibt einen Antrag zur Laufzeitverlängerung und da fragt man sich schon, ob Sie jetzt, wie die CDU, dabei ist, sich neu zu erfinden und ihren Markenkern aufzugeben.

Wer in dem Zusatzantrag der Koalition die Neuausrichtung der bundesweiten Energiewirtschaft auf erneuerbare Energien begrüßt, begrüßt in Wahrheit die Renaissance der Atomwirtschaft, denn um nichts anderes geht es bei diesem Energiekonzept. Es wird ständig darüber diskutiert, wie lange die Atomkraftwerke laufen sollen. Ich habe noch nichts anderes gehört.

(Jörn Frommann CDU: Sie sind ja total aus dem Ruder, Mannomann!)

Wo bleiben denn die Konzepte zum Ausbau erneuerbarer Energien, zur Förderung von Technologien zur Effizienzsteigerung und zur Energiespeicherung oder zum Umbau der Netze? Von all dem, was wichtig ist, ist im Zusammenhang mit dem Energiekonzept der Bundesregierung keine Rede. Vielleicht sind das Röttgens private Eckpünktchen, aber das ist nicht Mainstream in der CDU/FDP-Koalition in Berlin. Da geht es einzig und allein um die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke.

Noch einmal: Wer längere Laufzeiten der Atomkraftwerke will, bremst die Entwicklung in Richtung Energiewende aus. Man muss sich schon entscheiden, entweder Energiewende und geordneter Rückzug aus der Atomenergie, wie im Atomgesetz vereinbart, oder Anwachsen des Anteils der Atomenergie am Strommix, so wie es die Bundesregierung offensichtlich will. Beides zusammen geht nicht.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das liegt in der Logik der Sache und ist im Grundsatz auch bei der Erarbeitung des Energiekonzepts der Bundesregierung so angelegt. Die Energieszenarien, die die Bundesregierung durchrechnen lässt, werden zu entsprechenden Vorgaben über die Laufzeiten der Atomkraftwerke entwickelt. Der Anteil der Alternativenergien und die Steigerung der Energieeffizienz ergeben sich in den Szenarien jeweils als Restgrößen, die übrig bleiben, wenn bestimmte Laufzeiten zugrunde gelegt werden, das heißt, je mehr Atomstrom, desto weniger erneuerbare Energien. Dass das nicht von ungefähr kommt, wissen wir, seitdem bekannt ist, dass die großen Energieversorger mit ihrem Interesse an einer Laufzeitverlängerung ihre Finger im Institut haben.

(Jörn Frommann CDU: Wir können ja den Stecker rausziehen, dann sparen wir Atom- energie!)

Die Koalition hat offensichtlich selbst Zweifel an dem Erfolg ihres Antrags.

(Wolfgang Beuß CDU: Da täuschen Sie sich mal nicht!)

Darum wird abschließend, Herr Beuß, noch ein Hintertürchen offengehalten. Sollte es nämlich nicht klappen mit der Neuausrichtung der Energiepolitik auf erneuerbare Energien und stattdessen doch die Laufzeitverlängerung kommen, dann sollen der Senat und Frau Hajduk dafür sorgen, dass wenigstens die ältesten Siedewasserreaktoren der Baureihe 69 – Frau Stöver hat es ausgeführt – von dieser Regelung ausgespart werden. Es wundert wohl niemanden, dass das die Reaktoren Brunsbüttel und Krümmel betrifft, die aufgrund diverser Pannen seit über drei Jahren vom Netz sind. Das ist astreine Sankt-Florians-Politik

(Jörn Frommann CDU: Da sind Sie ja Spe- zi!)

nach dem Motto: Schalt meine AKWs nicht an, lass andere an den Netzen dran.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Atomkraft ist keine Brücke ins Zeitalter der erneuerbaren Energien, sondern eher ein Bremsklotz. Bis jetzt legen die erneuerbaren Energien zu. So beträgt der Anteil von Wind, Wasser, Sonne und Biomasse an der Deckung des Stromverbrauchs mittlerweile fast 17 Prozent und am Endenergieverbrauch 10 Prozent. Diese Entwicklung muss weitergehen und darf durch weitere Verlängerungen der Laufzeiten von Atomkraftwerken nicht behindert werden, denn die Energiewende sichert Arbeitsplätze, schafft Wohlstand und wirtschaftlichen Erfolg. Mit ihrem Antrag wollen CDU und GAL uns und der Öffentlichkeit um des kurzfristigen Machterhalts willen Sand in die Augen streuen und das machen wir nicht mit. Darum lehnen wir Ihren Antrag ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zuru- fe von der CDU: Oh!)

Die Abgeordnete Weggen hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist noch gar nicht so lange her, dass wir das letzte Mal über das Thema Laufzeitverlängerungen gesprochen haben. Das Thema ist auch immer noch sehr aktuell und es kommen immer wieder neue Erkenntnisse dazu. Auf Bundesebene wird gerade über ein neues Energiekonzept diskutiert, das haben wir schon gehört. Weil wir auch heute wieder darüber diskutieren, möchte ich die Gelegenheit nutzen, noch einmal unsere grüne Position zu erläutern.

Ich finde es einfach unglaublich, wie sich die Atomlobby derzeit erdreistet, öffentliche Klientelpolitik zu betreiben. Die Atomkonzerne wollen Milliardengewinne abschöpfen und sind noch nicht einmal bereit, dafür eine Steuer zu bezahlen und drohen dann auch noch damit, den Strom komplett abzuschalten. Die Atomkonzerne zeigen deutlich ihr wahres Gesicht. Das Schlimmste ist, dass sie einfach nur Profit machen wollen durch Laufzeitverlängerungen, ohne das Gemeinwohl und die Sicherheit der Bevölkerung zu berücksichtigen oder an den Klimaschutz zu denken und damit auch noch Erfolg haben.

Dass die möglichen Abgaben aus der Brennelementesteuer nur den Haushalt sanieren sollen, ist auch ein Skandal, sie müssten auf jeden Fall der Förderung erneuerbarer Energien zukommen. Es ist zumindest schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung, dass jetzt auf Bundesebene darüber nachgedacht wird, dieser Förderung eine weitere Abgabe zufließen zu lassen. Eigentlich ist es doch aber so, dass eine Brennelementesteuer kommen muss, um erneuerbare Energien zu fördern, und das ohne Laufzeitverlängerung. Ein Ausstieg aus dem Atomausstieg ist schlecht für das Klima, erhöht das Risiko, lässt den Berg an Atommüll ins Unermessliche wachsen und ist einfach nur komplett falsch.

Wir diskutieren heute wieder einmal und es ist das gleiche Spiel wie schon in den letzten Debatten. Die SPD oder die LINKE legen einen Antrag zur Atomkraft vor und wir erklären, dass wir als GAL Atomkraft selbstverständlich immer noch ablehnen, verlängerte Laufzeiten sowieso, und dass die CDU ihre Meinung leider immer noch nicht geändert hat. Wahrscheinlich muss man Ihnen von der Opposition das immer wieder erklären.

Was sich im Übrigen auch nicht geändert hat, ist, dass wir in Hamburg keine Entscheidungsbefugnis haben. Es ist auch unwahrscheinlich, dass sich das schnell ändert. Wenn wir in Hamburg eine reale Entscheidungsbefugnis hätten, dann würde die Situation doch komplett anders aussehen, denn dann würde es diese Koalition gar nicht geben. Das haben Sie, Frau Dr. Schaal, schon richtig festgestellt. Wir sind in Hamburg weder Aufsichtsbehörde für ein Atomkraftwerk, noch sind wir der Bundestag. Die einzige Stelle, wo wir mitentscheiden könnten, ist der Bundesrat, und ob die Bundesregierung nicht noch irgendeinen Weg findet, die Befassung des Bundesrates zu umgehen, wissen wir noch nicht. Der Gesetzentwurf liegt noch nicht vor, deshalb können wir noch nicht handeln und deshalb können wir unseren Beschluss auch noch gar nicht umsetzen, Frau Heyenn. Wenn aber der Bundesrat befasst wird, wird Hamburg nicht als Mehrheitsbeschaffer für Laufzeitverlängerungen zur Verfügung stehen.

(Dr. Monika Schaal)

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Hamburg wird sich definitiv enthalten, das hat Frau Stöver schon gesagt. Laufzeitverlängerungen für AKWs – ohne uns.

Wenn GAL und CDU natürlich auch grundsätzlich konträre Positionen zu Atomkraft und Laufzeitverlängerungen haben, so haben wir uns doch auf einen gemeinsamen Zusatzantrag einigen können, um Hamburg eine gemeinsame Stimme zu geben. Ich möchte das noch einmal kurz erläutern. Wir skizzieren eine gemeinsame Vision für die zukünftige Energieversorgung Hamburgs und der gesamten Bundesrepublik. Wir wollen kohle- und atomfreien Strom und regenerative Energieversorgung voranbringen. Dazu gehören auch der Ausbau der Netze und die Fortentwicklung von Speichertechnologien.

(Ein Bonbon wird durch den Plenarsaal ge- worfen. – Glocke)