Protokoll der Sitzung vom 29.09.2010

Tagesordnungspunkt 43, Drucksache 19/7285, Antrag der GAL-Fraktion: Europäische Charta für Gleichstellung unterzeichnen.

[Antrag der Fraktion der GAL: Europäische Charta für Gleichstellung unterzeichnen – Drs 19/7285 –]

Wird das Wort gewünscht? – Frau Heitmann, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass das Thema Gleichstellung heute wieder einmal auf der Tagesordnung steht und mit einer Debatte bedacht wird. Ich möchte zu Beginn meiner Rede noch einmal kurz verdeutlichen, warum und wie das Thema Gleichstellung in dieser Stadt wirklich einen zentralen Platz einnimmt.

Wir haben mit der Einrichtung der Arbeitsstelle Vielfalt im Koalitionsvertrag diesem Thema einen wichtigen Platz eingeräumt und wir haben jetzt einen grünen Gleichstellungssenator, der zum Beispiel seit einiger Zeit mit Hochdruck an dem Ziel arbeitet, Gesetzesentwürfe zu erarbeiten, um mehr Frauen in Gremien und Aufsichtsräte zu bekommen. Als weitere Punkte im Koalitionsvertrag haben wir zum Beispiel die Absicherung von FLAKS oder die Gründung eines interkulturellen Frauenwirtschaftszentrums, um unser Anliegen, Gleichstellung voranzutreiben, indem wir die Frauen gezielter fördern, wirklich zu untermauern.

(Glocke)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk (unterbrechend) : Ich bitte um etwas mehr Ruhe. – Fahren Sie bitte fort, Frau Heitmann.

Aber Frauenpolitik ist noch viel mehr. Frauen- und Gleichstellungspolitik ist ein Thema, bei dem man ressortübergreifend ansetzen muss. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist und bleibt ein wichtiges frauenpolitisches Anliegen und deshalb gehen wir auch hier zum Beispiel mit dem Ausbau der Ganztagesangebote an Schulen und mit mehr verlässlichen Betreuungsplätzen in den Kitas voran.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Auch wenn es immer noch sehr große Defizite gibt, auf die ich gleich zu sprechen komme, sind wir dennoch in den letzten Jahrzehnten bei der Gleichstellung in unserer Gesellschaft schon in einigen wichtigen Schritten ein Stück vorangekommen. Der Erwerbsanteil von Frauen ist in den letzten 30 Jahren in Deutschland von 50 auf 65 Prozent gestiegen. Das ist ein Wert, der sicherlich immer noch deutlich steigerungsfähig ist, aber es ist eine Stei

gerung. Bundesweit haben wir mittlerweile sogar einen leicht höheren Anteil von Frauen unter den Abiturientinnen und Abiturienten und zumindest in Hamburg haben wir auch einen leicht erhöhten Frauenanteil unter den Hochschulabsolventen.

(Glocke)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk (unterbrechend) : Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, sich insbesondere hier auf der rechten Seite des Plenarsaals doch etwas leiser zu verhalten oder außerhalb der Räume weiterzureden. Ich bedanke mich bei Ihnen.

– Vielen Dank, Herr Präsident.

In vielen Bereichen des Alltags sind wir aber immer noch von Gleichstellung sehr weit entfernt. Insbesondere haben wir immer noch eine starke Ungleichheit bei Löhnen und Gehältern. Ich habe das kürzlich in einer Kleinen Anfrage, wie einige von Ihnen vielleicht mitbekommen haben, abgefragt. Es ist so, dass in Hamburg Frauen im Monat durchschnittlich 866 Euro weniger verdienen als Männer. Das ist ein Wert, der über dem Bundesdurchschnitt liegt, der immerhin auch noch bei 773 Euro liegt, was ebenfalls traurig ist. Selbst bei Prämien- und Bonuszahlungen nimmt Hamburg mit Hessen zusammen einen traurigen Spitzenplatz ein. Dort ist nämlich die Differenz zwischen Frauen und Männern mit über 170 Euro mit am größten. Die logische Folge dieser Lohnungleichheiten ist leider, wie ich es auch in den letzten Tagen abgefragt habe, ein deutlich niedrigeres Rentenniveau von Frauen. Frauen in Hamburg hatten 2009 im Schnitt 473 Euro weniger Rente zur Verfügung. Hier sind wir zwar leicht über dem Bundesdurchschnitt, ob das angesichts dieser Zahlen jedoch wirklich ein Grund zur Freude ist, das wage ich zu bezweifeln. Möglicherweise, das möchte ich nicht verhehlen, können wir in den nächsten Jahren vielleicht eine kleine Verbesserung der Zahlen erwarten, da in der jetzigen Rentnergeneration die Frauen aufgrund sehr traditioneller Rollenbilder wirklich weniger gearbeitet haben, und das spiegelt sich natürlich in diesen Zahlen wider. Aber es zeigt trotzdem, dass Frauen in dieser Stadt leider immer noch ein deutlich höheres Risiko der Altersarmut haben. Zugespitzt kann man leider sagen, dass, wer in unserer Gesellschaft Kinder bekommt und betreut, sein Leben lang von Armut bedroht ist. Das kann so nicht bleiben.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Über die Ungerechtigkeiten in Führungspositionen haben wir hier bereits häufiger diskutiert. Ich möchte die Zahlen nicht noch einmal im Einzelnen aufgreifen, das war auch im Ausschuss schon häufiger Thema, aber ich habe bereits betont, dass wir an diesem Thema dran sind und derzeit auch kon

(Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk)

krete Gesetzesentwürfe erarbeitet werden, um in Zukunft eine 40-Prozent-Mindestquote beider Geschlechter in Gremien und Aufsichtsräten zu erreichen. Leider ist auch hier in der Bürgerschaft sowie in zahlreichen Parteigremien immer noch ein deutlicher Männerüberschuss feststellbar.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Schauen Sie ein- mal auf die rechte Seite!)

Ich kann nur immer wieder darauf hinweisen, dass wir bei den Grünen mit unserer Quote sehr positive Erfahrungen gemacht haben, und ich möchte Sie alle noch einmal ermuntern, es in Ihren Parteien uns gleichzutun.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Nun aber konkret zu meinem Antrag. Ich habe einige Missstände in der Gleichstellungspolitik aufgezeigt. Es gibt sicherlich nicht den einen Königsweg, um sie alle zu beseitigen, aber wir brauchen viele kleine Einzelmaßnahmen in unterschiedlichen Politikbereichen, die wirklich wirksam ineinandergreifen müssen, und genau hier setzt die Charta der Gleichstellung, zu deren Unterzeichnung ich heute auffordere, auch an. Wenn man die Charta der Gleichstellung als Stadt unterzeichnet, dann unterstreicht man zum einen noch einmal die Bedeutung der Gleichstellung für Hamburg. Die Stadt bekennt sich damit öffentlich zu der Tatsache, dass sie der Gleichstellung von Männern und Frauen einen hohen Stellenwert einräumt. Bis Ende 2009 haben das leider erst 19 deutsche Städte und Gemeinden gemacht, was ich sehr schade finde. Konkret fordert die Charta aber vor allem die Erarbeitung eines Gleichstellungsaktionsplans, wofür sich nach meiner Kenntnis sogar europäische Fördergelder beantragen lassen. In der Charta sind verschiedene Ebenen berührt, auf denen die Gleichstellung von Frauen und Männern verwirklicht werden soll, beispielsweise Demokratie und Politik. Dann haben wir Zivilgesellschaft, Kampf gegen Stereotype, Gleichstellung in der Wirtschaft, in der Verwaltung, in der Bildung und Weiterbildung, im öffentlichen Vergabewesen, in der Gesundheit, in der Gewaltprävention und in vielen weiteren Punkten. Nur wenn wir so themenübergreifend und kontinuierlich daran arbeiten, können wir wirklich Gleichstellung erreichen und langfristig damit erfolgreich sein. Deshalb fordere ich Sie auf, heute gemeinsam dafür zu stimmen, diese Charta zu unterzeichnen und den Landesaktionsplan als einen wichtigen Baustein zur Gleichstellung in Hamburg zu machen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Frau Koop.

Ich bin in so einem Moment immer versucht zu sagen: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, um den Präsidenten mit einem gewissen Upgrade zu versehen. Das wäre auch einmal etwas Nettes.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Frau Heitmann, Sie haben bereits intensiv auf die Situation in Hamburg Bezug genommen und die Grundlagen dieser Charta dargestellt. Es ist sehr wichtig, noch einmal deutlich zu betonen, dass Gleichstellung der Geschlechter ein europäisches Grundrecht ist. Und Verstöße gegen dieses Grundrecht sind Grundrechtsverstöße und genauso zu ahnden wie alle anderen Delikte auch.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Da kann man ruhig einmal klatschen.

Es ist in der Vergangenheit viel von Frauenförderplänen, von Gender-Mainstreaming-Programmen und auch von Paradigmenwechsel geredet worden, aber ein tatsächlicher, echter Paradigmenwechsel hat nie stattgefunden. Es ist immer ein wenig herumlaviert worden, man hat alles ein bisschen angeglichen. Aber wenn man diese Charta ernst nimmt, kann man auf diesem Gebiet noch sehr viel intensiver arbeiten. Gleichstellung ist auch ein gemeinsamer europäischer Wert, denn er ist die Voraussetzung dafür, dass man besondere EU-Ziele wie Wachstum, Beschäftigungspolitik oder auch sozialen Zusammenhalt umsetzen kann. Es sind große Fortschritte sowohl im nationalen als auch im europäischen Bereich gemacht worden. Aber es bestehen nach wie vor gravierende Ungleichheiten und das trotz aller europäischer Rechtsvorschriften, Richtlinien und Vertragsbestimmungen. Auskunft darüber gibt der jährliche Bericht, der auf europäischer Ebene zur Gleichstellung erstellt wird. Wie Frau Heitmann schon sagte, sieht man dort, dass die Beschäftigungsquote von Frauen zwar zunimmt, jedoch immer noch deutlich unter der der Männer liegt, obwohl wir mehr Hochschulabsolventinnen und mehr besser ausgebildete Frauen haben.

Frauen verdienen weniger als Männer. Man darf natürlich nicht immer mit dem Totschlag-Prozentsatz von 25 Prozent daherkommen, man muss dies ein bisschen bereinigen. Aber es bleibt ein unerklärlicher Rest von etwa 12 Prozent und das ist eine Aufgabe, die wir für die Zukunft haben, nämlich diesen Rest zu nivellieren.

(Beifall bei Claudia Folkers und Hans Laf- renz, beide CDU)

Frauen sind immer noch in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsgremien zu wenig vertreten. Sie haben viel mehr familiäre Pflichten, sind häufiger dem Armutsrisiko ausgesetzt und – Sie haben das erwähnt, Frau Heitmann – überwiegend Opfer geschlechtsbezogener Gewalt. Die Bewusstseinslage, das Wissen um diese Ungerechtigkeit

(Linda Heitmann)

hat ohne Zweifel zugenommen, auch in den Entscheidungsgremien. Aber wir beobachten immer noch diese berühmte Verhaltensstarre nach dem Motto: Wenn ich mich nicht bewege, muss ich mich auch nicht mit dem Thema beschäftigen. Und das muss anders werden.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Besonders in Ih- rer eigenen Partei!)

Manchmal ist es auch nur Unkenntnis, dass die Finanzierungsmöglichkeiten für Programme im europäischen Raum häufig nicht abgerufen werden, weil viele diese Förderprogramme überhaupt nicht kennen.

In der vorliegenden Charta sollen den Verantwortlichen Informationen zukommen, aber sie sollen auch stärker in die Pflicht genommen werden.

(Glocke)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk (unterbrechend) : Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Frau Koop. Ich bitte nochmals um Ruhe im Plenum. Wenn Sie wirklich miteinander reden wollen, haben Sie draußen die Möglichkeit dazu. Ich spreche alle an.

Fahren Sie bitte fort, Frau Koop.

(Beifall bei Mehmet Yildiz DIE LINKE)

Der in der Charta geforderte Aktionsplan ist Auftrag und Kontrollmöglichkeit zugleich, aber er darf sich nicht bloß in reinem Aktivismus erschöpfen. Den klassischen frauenpolitischen Dreikampf kennen wir alle seit Jahrzehnten: Aufzeigen von Missständen, Einforderung von Veränderungen und der wichtigste dritte Punkt, das Warten auf die Umsetzung. Dieser Prozess muss mit neuen Elementen belebt werden. Dabei geht es nicht um irgendwelche ideologischen Grabenkämpfe aus grauer Vorzeit, sondern es geht um ganz konkrete Alltagsbewältigung beider Geschlechter im veränderten Gesellschaftsumfeld. Die Frauen sind unzufrieden über das Tempo, in dem diese Veränderungen vor sich gehen, und sie sind auch unzufrieden über die inhaltliche Ausrichtung. Dabei erwarten sie nicht weiterhin irgendwelche weltanschauliche Erbauungen, sondern sie erwarten praktische Lösungswege, denn sie stehen auf der einen Seite immer noch im Korsett der sozialen Verantwortung für Kinderpflege und Familie, auf der anderen Seite brauchen wir sie aber dringend, da sie unser Reservoir an gut ausgebildeten Fachkräften sind. Es muss deutlich werden, dass wir auf beide Bereiche den Blick haben.

Es muss auch deutlich werden, dass mit der Umsetzung dieser Charta keineswegs irgendwelche spätfeministisch angehauchten Förderpläne umgesetzt werden,

(Dr. Andreas Dressel SPD: In der CDU wür- de ja ein bisschen Frühfeminismus auch was bringen!)

die dann womöglich wieder ins Marginale abgeschoben werden, sondern dass es sich hierbei um Programme handelt, die allen dienen, den Männern ebenso wie den Frauen. Dies wird durch den Inhalt und die Sprache der Charta deutlich. Im Zusammenwirken von Männern und Frauen soll gemeinsam die Lebenswelt gestaltet werden.

Ich hatte aber auch vom Aktivismus gesprochen. Wenn man sich die bereits vorhandenen, konzipierten Aktionspläne anderer Städte ansieht, besteht die Gefahr darin, dass es häufig ausführlichste Veranstaltungskalendarien sind, bei denen man sich fragt, ob dadurch wirklich die Leute erreicht werden, die man erreichen muss, oder ob man wieder im eigenen Saft kocht, sich selbst gut findet, sich an die Hände fasst und es als eine gute Veranstaltung empfindet, die aber in Wirklichkeit wieder nur für eine ganz bestimmte Klientel ist. Es bedarf nicht nur eines weiteren neuen Plans. Es ist wichtig, dass dieser Plan ergänzt wird durch eine wirkliche Entwicklung umfassender, erfolgbringender Strategien. Diese Erkenntnis hat auch schon die EU erreicht, denn letzte Woche kam eine Ergänzung dazu heraus, ein neues Papier mit dem Titel "Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2010-2015". Dieses Programm ist sehr viel konkreter, es gibt zu jedem Thema Leitfäden wie beispielsweise zu den Bereichen gleiches Entgelt, gleiche wirtschaftliche Unabhängigkeit, Schutz der Würde und so weiter. Mit diesem Programm in der Ergänzung sollten wir auch bei uns in Hamburg eine Menge zuwege bringen. Die Charta ist eine gute Unterstützung für die Arbeitsstelle Vielfalt und ich empfehle die Annahme.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Frau Dobusch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich freue mich wirklich sehr für die Kollegin von der CDU, dass sie heute Abend einmal auf so große Zustimmung aus den eigenen Reihen getroffen ist, denn das ist bei dieser Thematik ein seltenes Ereignis.

(Frank Schira CDU: Das ist Ihr gepflegtes Vorurteil!)