Protokoll der Sitzung vom 18.06.2008

(Dr. Mathias Petersen SPD: Aber nur ein bisschen!)

Ich bemühe mich.

Die chinesische Wirtschaft boomt. Fast 20 Prozent des Außenhandels der Volksrepublik werden mit den EU-Ländern getätigt und Deutschland ist auf Platz fünf im Außenhandelsranking. Auch Hamburg hat wichtige Handelsbeziehungen nach China und weitere gute Beziehungen in den Bereichen kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit und auch beim Jugendaustausch. Wir sind für diese Handelsbeziehungen, für einen Austausch, aber auch für einen rechtsstaatlichen Dialog. Eine ernsthafte Menschenrechtspolitik gegenüber China beruht auf Dialog und Kooperation, aber auch auf der Klarheit in der Beschreibung der Realitäten.

Die vielfältigen Menschenrechtsverletzungen der VR China finden insbesondere ihren Ausdruck in der Unterhaltung von sogenannten Laogai-Lagern. Laogai bedeutet Reform durch Arbeit. Hinter diesem Begriff verbirgt sich ein System von Fabrikgefängnissen und Arbeitslagern, welches in den Fünfzigerjahren unter Mao Tse-tung eingerichtet wurde, heute aber einen der Grundpfeiler der chinesischen Wirtschaft bildet. Die Laogai Research Foundation des chinesischen Dissidenten Harry Wu schätzt, dass circa sieben Millionen Menschen in diesem Arbeitslagersystem festgehalten werden

(Christiane Schneider)

und darin seit 1949 etwa 20 Millionen Menschen umgekommen sind. In diesen Laogai-Gefängnissen und -lagern befinden sich Dissidenten, wegen oftmals kleiner Delikte Verurteilte, aber auch viele Angehörige ethnischer Minderheiten wie Tibeter, Mongolen und Uiguren sowie religiöse Minderheiten wie zum Beispiel Katholiken und Falun GongAnhänger.

Der Deutsche Bundestag hatte in einer Drucksache im Jahre 2007 sehr eindrücklich die Zustände in den Laogai-Lagern beschrieben, ich will das zitieren:

"Neben politischer Gehirnwäsche werden die Gefangenen zu harter unentgeltlicher Arbeit gezwungen, bis zu 16 Stunden täglich, 7 Tage die Woche, bei nur 3 bis 4 Feiertagen im Jahr. Die Arbeit wird von den Häftlingen, zu denen auch Minderjährige zählen, in Fabriken, Landwirtschaftsbetrieben und Minen verrichtet. Neben dem Verstoß gegen das Verbot der Zwangsarbeit kommt es dabei auch systematisch zum Verstoß gegen das Verbot der Kinderarbeit. Die Haft- und Arbeitsbedingungen sind dramatisch. Häftlinge werden zum Umgang mit toxischen Chemikalien ohne Schutzbekleidung oder zur Arbeit in mit Asbest verseuchten Minen gezwungen, in denen die Sicherheitsvorkehrungen unzureichend sind. In den Lagern existiert keinerlei Arbeitsschutz.

Die Häftlinge werden auf unterschiedlichste Art gefoltert. Ihr Tod infolge von Unterernährung, Überarbeitung, Erschöpfung und Folter wird billigend in Kauf genommen. Zudem herrscht eine hohe Selbstmordrate unter den Häftlingen."

Ich persönlich bin mir nicht sicher, ob es als Erklärungsmuster für diese extremen Zustände tatsächlich ausreicht, auf den internationalen Konkurrenzdruck zu verweisen.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Was macht jetzt der Senat?)

Gerade die vielfältigen wirtschaftlichen und kulturellen Kontakte mit China bieten die Chance, auf Verantwortliche einzuwirken und die Menschenrechtsverletzungen in Laogai-Lagern offen anzusprechen. Auch die intensiven Verbindungen vieler großer und mittelständischer Firmen mit Sitz in Hamburg nach China können in diesem Sinne genutzt werden. Es gibt gute Gelegenheiten, die Menschenrechtssituation in China zu thematisieren und auf ein Ende des Laogai-Systems zu dringen.

Hierfür zeigt die Entschließung der Bürgerschaft, über die vorhin auch schon mehrfach gesprochen wurde, zahlreiche Möglichkeiten auf. Insbesondere müssen die Hamburger Wirtschaftsverbände und Unternehmen neben Senat und Bürgerschaft in die Verurteilung des Systems der Zwangsarbeiterlager

eingebunden werden. Ganz wichtig ist es, dass sich Hamburger Unternehmen, soweit es ihnen irgend möglich ist, bei Wirtschaftskontakten mit China vergewissern, dass die Produkte, die sie einkaufen, nicht aus diesen Lagern kommen. Da liegt eine erhebliche Verantwortung von Hamburger Unternehmen.

(Beifall bei der GAL, der CDU und bei Dr. Mathias Petersen SPD)

Konkret, die Frage kam ja, hat der Senat zu dem Ersuchen der Bürgerschaft folgende Schritte eingeleitet: Der Senat hat die Menschenrechte gegenüber Vertretern Shanghais und Chinas wiederholt angesprochen, hat dabei allerdings – das ist auch schon mit Bedauern festgestellt worden – detaillierte Auskünfte über Strafvollzugseinrichtungen von der Partnerstadt Shanghai nicht erteilt bekommen. Aber auf Veranlassung des Senats ist der Bericht des Europaausschusses über die Laogai-Lager auf der Website der Handelskammer zur Information von Unternehmen und Wirtschaft erschienen; das ist sicherlich ein erster Schritt. Herr Heintze hat zu Recht deutlich gemacht, dass da noch mehr geschehen kann.

Um auch die Wirtschaft anzusprechen, erarbeitete der Senat mit "INVENT" bereits im Dezember 2006 einen Workshop für die Hamburger Wirtschaft zu sozial verantwortlicher Unternehmensführung aus. Bei Beschaffungen kritischer Produkte des Senats aus kritischen Ländern – das ist in der Drucksache definiert worden – ist der Umfang mit 1,9 Millionen verhältnismäßig gering im Verhältnis zur Gesamtbeschaffung, die der Senat insgesamt vornimmt. Hierbei hat es bislang keine Hinweise auf Verstöße gegen die ILO-Kernarbeitsnormen gegeben und es ist natürlich wichtig, dass wir weiter aufmerksam bleiben und auch eventuellen Hinweisen nachgehen. Bei künftigen Beschaffungen soll noch intensiver auf die Einhaltung dieser ILO-Kernarbeitsnormen geachtet werden.

Anhand der Rückläufe lässt sich erkennen, dass die Produzenten und Lieferanten durch die politische Diskussion und die Nachfragen ihrer Kunden bereits ein Bewusstsein im Hinblick auf ihre soziale Verantwortung entwickelt haben. Ich verweise auf das, was ich vorhin gesagt habe: Bewusstsein ist der erste Schritt, aber es muss natürlich darüber hinaus gehen. Der Senat hält eine Harmonisierung der zahlreichen sozialen Zertifizierungsverfahren und Soziallabels für wünschenswert; daran müssen wir unbedingt weiterarbeiten. Dieses Gutachten des HWWI, das auch schon zitiert worden ist, hat zahlreiche bereits existierende soziale Zertifizierungsverfahren und Soziallabels analysiert, deren Verbreitungsstandard und Glaubwürdigkeit aber immer noch sehr uneinheitlich sind.

Diese vom Senat bereits in Gang gesetzten Schritte zeigen ganz deutlich, dass sich Hamburg als Knotenpunkt des globalen Warenhandels der Not

(Senator Dr. Till Steffen)

wendigkeit und auch der Chancen eines verantwortungsbewussten Handelns bewusst ist, in dem die Begünstigung der Wertschöpfung aus LaogaiProdukten keinen Platz hat. Auf diesem Weg müssen Senat, Behörden, Unternehmen und Bürgerschaft konsequent, respektvoll, aber mit größter Beharrlichkeit weitergehen im direkten Dialog mit den Partnern in China.

(Beifall bei der GAL, der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Gibt es weitere Wortmeldungen? Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich fest, dass die Bürgerschaft von der Drucksache 19/425 Kenntnis genommen hat.

Aufruf Punkt 17, Drucksache 19/258, Große Anfrage der SPD-Fraktion: Niedriglohnsektor in Hamburg, Entwicklung der Zahl der Geringverdienerinnen und Geringverdiener in Hamburg.

[Große Anfrage der Fraktion der SPD: Niedriglohnsektor in Hamburg: Entwicklung der Zahl der Geringverdienerinnen und Geringverdiener in Hamburg – Drs 19/258 –]

Die Drucksache möchte die SPD-Fraktion an den Wirtschaftsausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? Frau Badde, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Arbeit ist Würde und Arbeitslosigkeit nimmt den Menschen die Würde. Aber schlecht bezahlte Arbeit, so schlecht, dass ein Mensch davon nicht leben kann, entwertet die geleistete Arbeit und entehrt den Menschen, der diese Arbeit leistet.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)

Wie kann es sein, dass in einer Gesellschaft, die mit Artikel 1 des Grundgesetzes die Menschenwürde an die oberste Stelle des Grundgesetzes rückt, Menschen in die Würdelosigkeit gezwungen werden? Wie kann es sein, dass wir als Volksvertreter dagegen noch nicht in der Mehrzahl aufstehen und diese Zustände unterbinden?

Die vorliegende Antwort des Senats auf die Große Anfrage Geringverdiener ist ein Zeichen organisierter Interesselosigkeit.

(Beifall bei der SPD)

Bei fünf der sieben gestellten Fragen antwortet der Senat, er habe sich in der Sache noch nicht damit befasst oder er habe die gefragten Daten statistisch nicht erfasst. Kann sich ein Senat davor drücken, sich mit der Situation von Menschen in

unwürdigen Arbeitssituationen in unserer Stadt zu befassen? Dabei besteht dringenderer Handlungsbedarf denn je; einige Daten zur Verdeutlichung.

Laut bekannter Studien von Arbeitsmarktsexperten arbeiten bereits knapp 21 Prozent aller abhängig Beschäftigten in Deutschland für Mindestlöhne. Dies ergibt rund 6 Millionen Niedriglohnbeschäftigte für die BRD. Im europäischen Vergleich ist die Quote in den letzten Jahren ständig angestiegen, während sie in anderen Ländern sinkt. Genauso schlimm wie die absolute Zahl der Niedriglohnbeschäftigten ist die Tatsache, dass es immer weniger Durchlässigkeit in besser bezahlte Arbeit gibt. Deutschland nimmt europaweit den letzten Platz ein. Sowohl in Ländern mit höherem Niedriglohnanteil als auch in Ländern mit geringerem Niedriglohnanteil ist die Aufstiegswahrscheinlichkeit deutlich höher. Eine weitere schlimme Tatsache ist: Es sind nicht nur die üblichen Verdächtigen wie Hotelund Reinigungsgewerbe betroffen. Längst werden in anderen Branchen verbreitet Mindestlöhne gezahlt. Noch eines mehr: Es sind keineswegs nur die schlecht Qualifizierten, die auch schlecht bezahlt werden. In hohem Maße sind auch Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung betroffen. Unserer Auffassung nach ist das ein unerträglicher Zustand.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Die Versprechungen der Wirtschaft, von einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten würden alle Seiten profitieren, ist ad absurdum geführt. Denn die katastrophale Bezahlung von Arbeitnehmern ist besonders dort verbreitet, wo der Arbeitsmarkt flexibilisiert wurde, nämlich bei Teilzeitbeschäftigten und Minijobs. Diese Personen sind in besonderem Maße von schlechter Bezahlung betroffen und vom Aufstieg abgeschnitten. Und wie äußert sich die Wirtschaftsbehörde? Sie habe sich mit den Fragen des Niedriglohns nicht befasst.

(Michael Neumann SPD: Ja, Herr Gedasch- ko, das ist doch unglaublich!)

Und im Übrigen erfasse sie die Daten auch nicht statistisch.

Im Skandaljahr 2007, als bekannt wurde, welch katastrophal niedrige Stundenlöhne in einigen Branchen, insbesondere in der Hotelbranche, gezahlt wurden, und als es damals um Wahlkampfaktivitäten ging, wurde der Senat aktiv. Es wurde eine Runde einberufen, in der mit der Gebäudereinigerinnung und mit dem Hotelgewerbe über das Thema diskutiert wurde. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband hat mittlerweile ein Gütesiegel entwickelt, das zu einer Tariflohnzahlung verpflichtet. Von weiteren Gesprächen des Senats ist nichts bekannt. Aber auf die Frage unserer Fraktion, ob der Senat weitere Initiativen erfasst habe, um überhaupt mit weiteren Branchen ins Gespräch

(Senator Dr. Till Steffen)

zu kommen, antwortet der Senat, er habe sich hiermit nicht befasst.

(Wolfgang Rose SPD: Hört, hört!)

Damit sollte sich der Senat aber befassen, und nicht nur zu Wahlkampfzeiten. Die Zahlen beweisen doch, dass die Eigenregulierung des Marktes zur Erhaltung menschenwürdiger Entlohnung nicht reicht. Hier muss ein gemeinwohlorientierter Senat Initiative ergreifen. Für die Vertreter der CDU in der Bürgerschaft, die stets die Initiativen zur Einführung gesetzlicher Mindestlöhne abgelehnt und darauf verwiesen haben, man müsse innerhalb des Hamburger Kompetenzbereichs nach Lösungen suchen, müsste es doch oberstes Anliegen sein, mit der Wirtschaft hierüber ins Gespräch zu kommen. Aber nichts passiert.

(Beifall bei der SPD – Hans-Detlef Roock CDU: Woher wisst Ihr das?)

Wir fordern den Senat zur Initiative auf. Unabhängig von der politisch gerechtfertigten Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn müssen vor Ort alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um Niedriglöhne zu unterbinden. Wir als Sozialdemokraten werden dies auch weiterhin vom Senat einfordern. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Frau Dr. Hochheim.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Ich halte es für richtig, dass die SPD heute das Thema Niedriglohnsektor zur Debatte angemeldet hat. Geringverdiener sind häufiger von Armut betroffen und von Arbeitslosigkeit bedroht. Wir sind uns hier im Hause sicherlich alle einig: Dumpinglöhne sind moralisch verwerflich.

(Vereinzelter Beifall bei allen Fraktionen)

Aber auch wenn es grundsätzlich vernünftig ist, das Thema zu debattieren, so ist der Lösungsansatz, den Frau Badde dargestellt hat, allenfalls populistisch gewinnbringend, jedoch auf jeden Fall vollkommen ungeeignet, den Menschen tatsächlich zu helfen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)