Protokoll der Sitzung vom 21.01.2015

Das Wort bekommt Frau Schneider von der Fraktion DIE LINKE.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Ich möchte es kurz machen. Klar ist, dass die relativ große Einigkeit, die wir in der ersten Debatte hatten, hier nicht existiert. Deshalb werde ich mich in der Bewertung auch nicht zurückhalten.

Der Senat behauptet – und Sie, Herr Schäfer, haben es eben noch einmal ausgeführt –, er prüfe je

(Kai Voet van Vormizeele)

den Fall und berücksichtige die Umstände. In der letzten Woche wurde die Familie Seferovic mit zwei Kindern, ein fünfjähriges Mädchen und ein acht Monate alter Säugling, abgeschoben – mitten im Winter und obwohl bekannt war, dass sie keine Unterkunft hat. Wir haben Kontakt mit der Familie aufgenommen; in der ersten Nacht konnte sie bei ehemaligen Nachbarn unterkommen, aber ihre Zukunft ist ungewiss, die Obdachlosigkeit sicher. Ein Einzelfall? Das wäre schlimm genug. Dieser Fall ist aber nur einer unter mehreren, die mir persönlich bekannt werden, weil mich verzweifelte Menschen und ihre Unterstützer in den vergangenen Wochen relativ häufig aufgesucht haben Der Senat prüft nicht einmal jeden einzelnen Fall. Er berücksichtigt die Umstände nicht. Sie sind ihm, ehrlich gesagt, egal.

(Sören Schumacher SPD: Das stimmt doch gar nicht!)

Schon gar nicht konnte sich der Senat entschließen, einen generellen Winterabschiebestopp zu beschließen, wie es Schleswig-Holstein und Thüringen taten. Ich will gar nicht mit Thüringen argumentieren, ich argumentiere mit Schleswig-Holstein. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Albig, SPD, sagte zur Begründung des Winterabschiebestopps – ich zitiere –:

"Das entspricht unserem humanen Wertegerüst, dass wir dorthin nicht abschieben, wo Kälte und Situationen, in denen die Kälte unmenschlich werden kann, warten."

Dieses humane Wertegerüst fehlt dem Senat in Hamburg.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Der schleswig-holsteinische Innenminister Studt, auch SPD, stoppt bis zum 31. März Abschiebungen in Länder – ich zitiere ihn –:

"[…] in denen wegen winterlicher Verhältnisse eine Rückkehr in Sicherheit und Würde nicht gewährleistet ist."

Für den Senat spielen Sicherheit und Würde keine Rolle.

Die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Frau Jochims, forderte im Dezember von Innensenator Neumann einen Winterabschiebestopp – ich zitiere sie –:

"Beim Winterabschiebestopp geht es […] um humanitäre Hilfe für Menschen angesichts der Kälte."

Auch das Gebot der humanitären Hilfe spielt beim Senat keine Rolle.

Der Leiter des Diakonischen Werks Hamburg, Landespastor Dirk Ahrens, erklärte – ich zitiere –:

"Wir dürfen nicht riskieren, dass Flüchtlinge abgeschoben werden und dann erfrieren."

Er fährt fort, dass das, was für Schleswig-Holstein möglich sei, in Hamburg genauso selbstverständlich sein sollte. Das ist es leider nicht. Der Hamburger Senat nimmt das Risiko des Erfrierens in Kauf. Wollen Sie das wirklich auf sich sitzen lassen?

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen mehr. Dann können wir zur Abstimmung kommen.

Wer dem Antrag der GRÜNEN Fraktion aus der Drucksache 20/14169 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag mit Mehrheit abgelehnt.

Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen, möchte ich Ihnen das Ergebnis der Wahl einer Deputierten der Behörde für Wissenschaft und Forschung bekannt geben. Insgesamt sind 103 Stimmzettel abgegeben worden. Kein Stimmzettel war ungültig, somit sind 103 Stimmen gültig.

Frau Christa Johanna Brockmann erhielt 97 JaStimmen, eine Nein-Stimme und fünf Enthaltungen. Damit ist Frau Brockmann gewählt.

Gratulation vom Präsidium.

Wir kommen zum Punkt 29 der Tagesordnung, Drucksache 20/14026, Unterrichtung durch die Präsidentin: Volksinitiative "Stopp des Busbeschleunigungsprogramms".

[Unterrichtung durch die Präsidentin der Bürgerschaft: Volksinitiative "Stopp des Busbeschleunigungsprogramms" – Drs 20/14026 –]

Wer wünscht das Wort? – Herr Dr. Schinnenburg von der FDP-Fraktion, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lassen Sie uns zunächst einmal einen Blick auf die Rechtslage werfen. Nach unserer Verfassung und dem Volksabstimmungsgesetz muss eine Volksinitiative innerhalb von sechs Monaten 10 000 Unterschriften sammeln. Die Volksinitiative gegen die Busbeschleunigung hat in zwei Monaten 20 000 Unter

(Christiane Schneider)

schriften gesammelt, sie war also sechsmal so schnell, wie es die Verfassung vorsieht. Herzlichen Glückwunsch an die Volksinitiative, Sie haben eine tolle Arbeit geleistet.

(Beifall bei der FDP, vereinzelt bei der CDU, den GRÜNEN und bei Dr. Walter Scheuerl fraktionslos)

Man fragt sich natürlich: Wie kommt das? Warum war das im, verglichen mit der Vorgabe, sechsfachen Tempo möglich? Das liegt zum einen an den kompetenten und engagierten Aktiven; ich erwähne nur einmal Herrn Kroll, der dort oben auf Einladung der FDP-Fraktion sitzt. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kroll. Sie haben eine tolle Arbeit geleistet. Das ist sicher ein ganz wichtiger Punkt.

Zweiter Punkt: Ich will die Arbeit von Herrn Kroll und seinen Mitstreitern nicht schmälern, aber dieser Senat hat auch eine perfekte Vorlage geliefert. Selten hat es ein Senat geschafft, die Bürger derart zu verärgern. Fast flächendeckend in der Stadt werden unsinnige Projekte umgesetzt. Es werden Millionen an Steuergeldern ausgegeben. Die Bürger ärgern sich, aber darauf wird keine Rücksicht genommen – eine tolle Vorlage für eine erfolgreiche Volksinitiative. Das Busbeschleunigungsprogramm ist ein Musterbeispiel dafür, wie man es nicht macht. Busbeschleunigung ist nichts anderes als Protestbeschleunigung. So geht es nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Das Busbeschleunigungsprogramm bedeutet eine ganz gezielte Verkehrsbehinderung. Denken Sie zum Beispiel an die Busbuchten. Für 120 000 Euro pro Stück werden Busbuchten beseitigt. Das Ergebnis: Die Busse stehen auf der Straße, blockieren den Verkehr, und wenn sie losfahren, führen sie den Stau an. So geht es nicht.

Ein zweites Beispiel sind die Mittelborde. Der Senat baut im Rahmen des Busbeschleunigungsprogramms Mittelborde oder Mittelstreifen, wie immer Sie es nennen wollen, zum Beispiel an der Langen Reihe. Damit ersticken Sie den letzten Rest an Flexibilität. Wenn der Bus hält, kann man nicht einmal dann an ihm vorbeifahren, wenn auf der Straße nichts los ist. Nicht einmal Radfahrer können das. Das kritisiert selbst der ADFC. So geht es nicht.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Walter Scheuerl fraktionslos)

Ein drittes Beispiel für gezielte Verkehrsbehinderung: Sie bauen überall Radfahr- und Schutzstreifen, auch an schmalen Straßen. Damit blockieren Sie den Verkehr, gerade auch für Busse. Busbeschleunigung ist nichts anderes als Verkehrsentschleunigung. Das ist falsch.

(Beifall bei der FDP)

Dritter Punkt: Mit Ihrem Busbeschleunigungsprogramm schädigen Sie die Gewerbetreibenden in dieser Stadt, die für unser aller Wohl arbeiten, Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen. Denken Sie daran, was am Siemersplatz los war. Denken Sie an die Fuhlsbüttler Straße, wo die Geschäftsleute über Monate hinweg schwere Einbußen erleiden mussten, weil die Parkplätze vor ihrer Tür wegfielen. Denken Sie an die Lange Reihe, wo es immer noch so ist und auch im nächsten Jahr so sein wird. Busbeschleunigung ist Geschäftsentschleunigung. Sie schädigen den Ast, auf dem Sie selber sitzen.

(Beifall bei der FDP)

Vierter Punkt: Geldverschwendung. Mit dem Busbeschleunigungsprogramm verbuddeln Sie im wahrsten Sinne des Wortes Millionen in Hamburgs Erde ohne großen Sinn und Effekt. Dabei haben Sie sich noch einmal selbst übertroffen. Schauen Sie auf die Grindelallee. Für, je nach Rechnung, 27 bis 40 Millionen Euro haben Sie die Grindelallee ausgebaut,

(Dirk Kienscherf SPD: Instand gesetzt!)

und nun lesen wir im Programm des Senats zur U5, der Streckenverlauf im Westen und im Osten sei noch nicht ganz klar, aber ein Abschnitt ist völlig klar: An der Grindelallee wird es auf jeden Fall langgehen. Das heißt mit anderen Worten, dass Sie für Ihre geliebte U5 die Grindelallee, die Sie gerade saniert haben, wieder aufreißen müssen – ein Musterbeispiel für Geldverschwendung.

(Beifall bei der FDP – Dr. Martin Schäfer SPD: Sie wird nicht aufgerissen!)

Busbeschleunigung ist nichts anderes als Verschuldungsbeschleunigung. Davon sollten wir Abstand nehmen.