Protokoll der Sitzung vom 28.09.2011

Nun ist das Problem nicht ganz neu. Aus diesem Grund hat auch der Vorgängersenat bereits mit der Umsteuerung bei den Hilfen zur Erziehung begonnen. Ich nenne unter anderem das Programm "Sozialräumliche Hilfen und Angebote", das der Senat mit dem Haushaltsplan-Entwurf 2011/2012 auf den Weg gebracht hatte. Dort wurden 16 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und die Mittel damit nochmals um 12 Millionen Euro aufgestockt gegenüber den alten Haushalten. Geplant war ebenfalls – und das ist derselbe Ansatz –, mit diesen neuen, niedrigschwelligen sozialräumlichen Angeboten Hilfen bereitzustellen, die die Familien in ihrem direkten Lebensumfeld unterstützen und eben nicht verursachen, dass man irgendwelche Institutionen aufsuchen muss oder die Institutionen einen selbst zu Hause aufsuchen.

Sehr erfreulich ist, dass die SPD dies nun nach ihrem Rollentausch von der Oppositionspartei in die Regierung auch erkannt hat und im Grundsatz an das vom Vorgängersenat initiierte Programm anknüpft. Insofern unterstützt die CDU-Fraktion an dieser Stelle die Zielrichtung des Senats. Weil allerdings die Diskrepanz so frappierend ist zwi

schen Vergangenheit und Tagesaktualität, kann ich Ihnen den Blick in die Vergangenheit doch nicht ganz ersparen.

Es ist nicht ganz neu, dass es Steuerungsversuche gibt, Ausgabenanstiege im Bereich der gesetzlichen Sozialleistungen zu steuern und zu bremsen. Das hat der alte Senat auch getan. In diesem Zusammenhang hatte Sozialsenator Wersich Ende 2009 die sogenannten zehn goldenen Regeln formuliert.

(Dirk Kienscherf SPD: Das war schlimm!)

Herr Kienscherf, zu Ihnen komme ich gleich.

Ich will Ihnen nur zwei Punkte nennen, die damals formuliert wurden, unter anderem in Punkt 4 die Umsteuerung in günstigere Hilfen beziehungsweise Leistungsarten. In Punkt 10 hieß das Ziel die Verringerung von Leistungsinhalten und Leistungsansprüchen. Das sind Ziele, die Ihnen auch vertraut sein dürften, weil sie in ähnlicher Form, aber noch viel schärfer, im neuen Strategiepapier von Senator Scheele vorkommen.

Wie hat sich die SPD-Fraktion damals positioniert? Ich gebe Ihnen an dieser Stelle einmal drei Zitate. Frau Veit sagte im "Hamburger Abendblatt" am 7. November 2009 dazu:

"Wenn einem Sozialsenator zum Thema Kostensteuerung nur noch das einfällt, ist das ein politischer Offenbarungseid."

Herr Kienscherf sagte, zusammen mit Frau Veit, in einer Pressemitteilung nur wenige Tage später:

"Vorschläge Wersichs sind der gröbste Verstoß gegen die Amtspflicht, die ein Sozialsenator begehen kann. (…) Sie nennen das Ganze 'Zehn goldene Regeln'. Und Sie wollen mit diesen Regeln Kürzungen bei Menschen durchsetzen, die unsere Hilfe brauchen."

Lassen Sie mich noch ein letztes Zitat von Ihnen bringen, Herr Kienscherf. Sie sagten über Herrn Senator Wersich:

"Er hat mit seinem Papier ein politisches Armutszeugnis abgeliefert."

(Dirk Kienscherf SPD: Da waren wir uns aber einig!)

Meine Damen und Herren! Wenn man diese Äußerungen neben das aktuelle Strategiepapier von Sozialsenator Scheele legt, möchte man meinen, die SPD-Fraktion leide an einer politischen Totalamnesie.

(Beifall bei der CDU – Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist jetzt zulässiger parlamentari- scher Sprachgebrauch?)

Ich will Ihnen auch gern die Ziffern des aktuellen Papiers nennen, das Herr Senator Scheele zu den

(Dr. Melanie Leonhard)

Zielen der Umsteuerung vorgelegt hat. Dort heißt es in Ziffer 2.1 wörtlich:

"Vermeidung förmlicher Hilfen zur Erziehung durch Vorhalten von und Umsteuerung aller geeigneten Fälle in sozialräumliche Angebote."

Wie das Ganze umgesetzt werden soll, steht dann in Ziffer 3.1:

"Besteht Hilfebedarf (…), ist dieser grundsätzlich und vorrangig durch Verweisung in sozialräumliche (…) Angebote (…) zu erbringen."

Das ist ein politischer Komplettrichtungswechsel, den Sie in nur wenigen Monaten, seitdem Sie regieren,

(Dirk Kienscherf SPD: Das ist doch totaler Blödsinn, den Sie da erzählen!)

in Hamburg vollzogen haben.

(Beifall bei der CDU)

Aber es ist auch nicht schlecht, Herr Kienscherf, denn Sie haben Ihre renitente Realitätsverweigerung inzwischen aufgegeben. Das ist zum Wohle Hamburgs, aber es wirft mit Sicherheit kein gutes Licht auf Ihre Oppositionshaltung in der Vergangenheit.

(Beifall bei der CDU – Dr. Andreas Dressel SPD: Wir können jetzt auch noch mal den Ältestenrat einberufen, das ist ungefähr das gleiche Niveau!)

Wenn man die aktuelle Senatsmeinung jetzt den Äußerungen der Vergangenheit gegenüberstellt, wird eines mehr als deutlich: Das Verhalten der SPD-Fraktion gegenüber Senator Wersich war in der Sache falsch und im politischen Stil persönlich unangemessen und unfair. Ich kann Ihnen nur ans Herz legen, sich bei Senator Wersich für diese Wortwahl damals zu entschuldigen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie das nicht tun, wäre es nur konsequent, die Pläne Ihres Senators Scheele, die noch deutlich über das hinausgehen, abzulehnen. Das ist im Grunde die einzige Alternative, die es dazu gibt.

(Dirk Kienscherf SPD: Das ist doch nicht wahr! – Gegenruf von Dietrich Wersich CDU: Der Zusammenhang war anders!)

Kommen wir aber nun zur Aktualität und der Art und Weise, wie bislang die Umsteuerung eingeleitet wurde. Leider war sie wenig von Transparenz geprägt. Das Strategiepapier, das ich bereits erwähnte, das konzeptionelle Vorschläge zur Weiterentwicklung und Steuerung bei den Hilfen zur Erziehung enthält, wurde der Bürgerschaft erst gestern offiziell zugeleitet, mehr als einen Monat, nachdem es die Presse erhalten hatte.

Mit der Zuleitung von Entscheidungsgrundlagen nimmt es die BASFI ohnehin nicht so genau. Zum Vorgängerpapier verweigerte Herr Senator Scheele jegliche Äußerung gegenüber den Fragen von Abgeordneten im Familienausschuss, und das, obwohl dieses Papier den Sozialstaatsräten der SPD-geführten Länder durch die Sozialbehörde Hamburg offiziell zugeleitet worden war.

Nun komme ich zum versöhnlichen Teil. Dank des Drucks, den die übrigen Fraktionen ausgeübt haben – Frau Leonhard erwähnte es schon –, hat die SPD inzwischen dieser Selbstbefassung zugestimmt. Das finde ich sehr erfreulich. Genauso erfreulich ist auch, dass wir jetzt diese Expertenanhörung durchführen werden, denn es ist an dieser Stelle mit diesem grundlegenden Systemwechsel wirklich wichtig, dass auch die Fachleute intensiv einbezogen werden und sich zu Wort melden können.

Notwendig wird es aber außerdem sein – das hat Herr Ritter angesprochen –, auch die Akteure vor Ort einzubeziehen, nämlich die bezirklichen Jugendhilfeausschüsse, dass sie informiert und angehört werden.

Ich sagte eingangs bereits, dass die CDU den Plänen zur Umsteuerung bei den Hilfen zur Erziehung wohlwollend und positiv gegenübersteht, aber angesichts der bisherigen Gestaltung des Verfahrens muss man doch noch einmal auf einige Grundvoraussetzungen verweisen, die dabei erfüllt sein müssen.

Erstens: Es muss Transparenz gegenüber dem Parlament geben. Das Verfahren von Herrn Scheele war bisher das Gegenteil, es war intransparent sowohl gegenüber dem Parlament als auch den Beteiligten gegenüber.

Zweitens: Wenn man eine so umfassende Umsteuerung vornehmen will, dann ist es oberstes Gebot, dass man mit den Beteiligten vernünftig umgeht. Und die Trägerschelte, die hier und auch medial betrieben wurde, war dazu wenig geeignet. Wir brauchen ein konstruktives Miteinander, bei dem auch das Wissen und die Erfahrung der Träger Eingang findet.

(Beifall bei der CDU)

Man hat sich damit einen Bärendienst erwiesen, die Verantwortung für steigende Fallzahlen und für steigende Kosten und Ausgaben den Trägern zuzuschieben. Das sind mit Sicherheit Versäumnisse, die die Verwaltung oder die Politik sich zuzuschreiben haben und die wir jetzt auch glücklicherweise angehen. Aber diese Trägerschelte sollte nicht weiter betrieben werden.

Drittens: Im Mittelpunkt darf nicht allein die Bremsung der Ausgaben stehen. Sie ist natürlich wichtig, aber es geht vor allen Dingen auch um die erzieherische Wirksamkeit der staatlichen Hilfen.

Herr Ritter hat auch angesprochen, dass teure Maßnahmen nicht per se die besseren sind. Umgekehrt ist es aber so, dass dort, wo Einzelfallhilfen notwendig sind, diese auch gewährt werden müssen und nicht verwehrt werden dürfen. Das muss grundsätzlich bedacht werden.

Ich komme zum letzten Punkt: Alle Umsteuerungsmaßnahmen müssen rechtlich einwandfrei abgesichert sein. Es ist schon etwas verwunderlich, dass in dem ersten Papier der Sozialstaatsräte der Rechtsanspruch eingeschränkt werden sollte auf Einzelfallhilfen und es nun in dem aktuellen konzeptionellen Papier heißt, dass man einen kompletten Systemwechsel mit Umsteuerung in niedrigschwellige Angebote und Hilfen allein mit den gängigen Vorgaben und Gesetzen machen könne und das Ganze vom SGB VIII abgedeckt sei. Wir haben da gewisse Zweifel. Dies ist aber in jedem Fall ein Punkt, der in der Expertenanhörung zu klären ist. Am Ende des Prozesses darf es hier keine rechtlichen Unsicherheiten geben.

Ich bin froh, dass das Thema jetzt im Parlament ist. Da gehört es hin und hätte es auch schon seit vier Wochen hingehört, aber ich bin mir sicher, dass wir das mit den Kollegen im Ausschuss konstruktiv und positiv bewältigen können. Ich glaube zudem, dass es keine gute Idee ist, das Verfahren noch in die Länge zu ziehen, indem man jetzt noch eine Enquete-Kommission einrichtet. Wenn es so funktioniert, wie wir uns das jetzt vorstellen, dann kann man das durchaus ohne Enquete-Kommission schaffen. – Danke.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön. – Frau Blömeke hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst einmal, Frau Leonhard, würde ich Sie bitten, endlich mit diesem Märchen aufzuhören, dass unter Schwarz-Grün die Ansätze gekürzt worden seien. Die Ansätze wurden genauso finanziert, wie es die SPD-Fraktion jetzt macht, nur aus einem anderen Haushaltstitel. Es ist kompletter Unsinn, wenn Sie immer weiter behaupten,

(Arno Münster SPD: Das stimmt doch nicht!)

wie letztes Mal auch schon, dass da irgendwelche Ansätze gekürzt worden seien.

Was ist die Sachlage? Sachlage ist doch, dass über Hilfen zur Erziehung in der breiten Öffentlichkeit relativ wenig geredet wird, meistens nur im Zusammenhang mit tragischen Einzelfällen wie Lara Mia oder Jessica oder auch im Zusammenhang mit der Kostenentwicklung und den hohen Ausgaben für die Hilfen zur Erziehung, die bei der Konsolidierung der Haushalte dann immer wieder Thema werden.