Protokoll der Sitzung vom 28.09.2011

schwingt –, dass der Rechtsanspruch auf Hilfen zur Erziehung nicht abgeschafft wird.

(Beifall bei der SPD)

Wenn der eine oder andere meint, es sei ein Erfolg, dass wir das so machen und Sie hätten uns da hintragen müssen, dann nehmen Sie das als Erfolg. Tatsache ist, dass es im Papier meiner Behörde aufgeschrieben ist und gilt; etwas anderes streben wir nicht an. Wir streben auch keine Trägerbeschimpfungen an. Ich zumindest habe das nirgendwo getan und werde das auch künftig nicht tun. Jede einzelne Maßnahme im Bereich Hilfen zur Erziehung ist durch eine staatliche Stelle genehmigt, und insofern trägt der Staat selbst die Verantwortung für das, was dort geschieht. Man muss den ASD in den Bezirken aber auch in den Stand setzen, seine Steuerungsfunktion ausüben zu können. Der ASD hat in den vergangenen Jahren unter einer erheblichen Fluktuation gelitten, die daraus resultiert, dass dort strukturell weniger bezahlt wird als bei Anbietern mit anderen Tarifverträgen und im Umland. Das ändern wir jetzt. Wir gruppieren die Kolleginnen und Kollegen im ASD hoch, damit diese unheilvolle Fluktuation zum Stehen kommt.

(Beifall bei der SPD – Mehmet Yildiz DIE LINKE: Wann?)

Ich hoffe, dass wir das zum 1. Januar nächsten Jahres erledigt haben.

(Beifall bei der SPD)

Nun zum zweiten Punkt. Ich trage keine Attitüde zur Schau, sondern bin wöchentlich unterwegs und rede mit den Kolleginnen und Kollegen in den Bezirksämtern und mit den Jugendamtsleitern in den Bezirken. Denn nur, wenn man mit denen redet, kann man eine Fantasie entwickeln, wie Hilfen zur Erziehung umgesteuert werden. Das sind nämlich die Experten, die sitzen nicht in den Schreibstuben der Behörden, die sitzen vor Ort. Die sagen uns, dass ihre Personalausstattung schwierig ist. Darum kann man 25 Prozent der Mittel, die für sozialräumliche Angebote zur Verfügung stehen, auch in Personal stecken. Das wird im Doppelschritt dazu führen, dass etwas mehr Personal da ist und eine verbesserte Eingruppierung, sodass die ärgsten Nöte in den Allgemeinen Sozialen Diensten beseitigt werden und der ASD seine Steuerungsfunktion gegenüber den anderen Trägern der Jugendhilfe, die dann die Arbeit tatsächlich machen, vernünftig wahrnehmen kann. Der Staat ist gar nicht aktiv und hat nur den LEB (Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung), das ist aber etwas ganz anderes.

Unsere Vorstellung ist, dass die Regelangebote weitestgehend ausreichen sollten, um die Probleme zu lösen. Da habe ich inzwischen einiges gesehen und ich rate allen, sich auf die Straßen zu begeben und sich Beispiele anzuschauen, die gibt es nämlich schon. Heute Morgen waren wir im "Feu

ervogel" im Phoenix-Viertel. Das sind eine Grundschule, eine Volkshochschule, eine Elternschule und ein Jugendzentrum in einem. Wenn Kinder dort den Unterricht stören – Abschulung ist das Hauptproblem für außerhamburgische Unterbringung, die wir gar nicht mehr bezahlen können –, dann arbeiten die Professionen, die man braucht, um Jugendliche zu erziehen, nämlich Lehrer, Erzieher und Sozialpädagogen – das ist nicht nur eine Aufgabe für Lehrer – einvernehmlich im Rahmen der Schulkonferenz zusammen. Und es gibt zwei Räume, einer heißt Arizona, da ist es ein bisschen schöner, und einer ist ein bisschen strukturierter. Dahin werden die kleinen Heinis gesteckt, die allgemein als verhaltensoriginell bezeichnet werden.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Sie sollen aufschreiben und reflektieren, warum sie den Unterricht verlassen mussten. Das machen sie unter der Anleitung eines Erziehers, und dann gehen sie in den Unterricht zurück. Das heißt, in diesen Schulen gibt es keinen Schulverweis mehr, sondern das Problem wird intern im Zusammenwirken unterschiedlicher Professionen gelöst. Die Kinder nehmen am Unterricht teil und versäumen den Unterrichtsstoff nicht, denn wenn sie den auch noch versäumen, stören sie erst recht. Ich weise darauf hin, weil ich sagen will, dass man sieht, wie man es machen muss, wenn man mit offenen Augen durch die Stadt geht. Bei gutem Willen aller, die zusammenwirken müssen, erreicht man gute Ergebnisse.

Wir setzen weiter darauf – damit komme ich dann auch zum Schluss, den Rest können wir im Ausschuss beraten und in der Expertenanhörung –, dass frühe Hilfen, das Bundeskinderschutzgesetz mit einer jetzt sechsmonatigen Betreuung durch eine Hebamme, der Krippenplatz ab dem ersten Lebensjahr, die Elementarerziehung in der Kindertagesstätte, die ganztägige Betreuung an Schulen insgesamt zusammen mit der Freistellung von Kosten der fünfstündigen Betreuung dafür sorgen, dass Kinder aus besonders problembeladenen Familien diese Angebote wahrnehmen und ein System entsteht, in dem immer dann, wenn Eltern ihren Erziehungsauftrag nicht erfüllen können, die öffentliche Erziehung dieses Defizit ausgleicht, damit Chancengerechtigkeit für alle Kinder entsteht, ganz gleich welcher Herkunft sie sind. Hilfen zur Erziehung sollen nicht abgeschafft werden, sondern um dieses System herumgruppiert und durch dieses System initiiert werden.

So steht es in unserem Papier und ich würde mich sehr freuen, wenn wir in den nächsten Wochen und Monaten über diesen Ansatz der sozialräumlichen Orientierung, der sich eben nicht auf irgendwelche Projekte, sondern auf die Regelsysteme Kita und Schule bezieht, Einvernehmen erzielen könnten.

(Senator Detlef Scheele)

Lassen Sie mich einen letzten Punkt benennen. Wir machen kein Sparprogramm, sondern wir versuchen, die Wachstumsraten abzuschmelzen. Wir möchten nicht mehr 8 Prozent Wachstum pro Jahr bei Hilfen zur Erziehung haben. Wenn wir 3 oder 4 Prozent hätten, wäre das ein großer Erfolg und es würde Spielräume erhalten, um freiwillige Leistungen, die in meiner Behörde auch angesiedelt sind, nicht einschränken zu müssen. Das ist ein großer Kraftakt. Ich bitte um Ihre Unterstützung. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr Eisold.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bedauere jetzt ein bisschen, dass ich nicht die Gelegenheit hatte, nach Frau Blömeke zu reden; aber ich habe möglicherweise noch die Chance, wenn es allzu einseitig wird, was von Ihnen kommt. Frau Blömeke, eines ist ganz sicher: Eine Expertenanhörung in unserem Familien, Kinder- und Jugendausschuss ist keine Eintagsfliege, sondern wir haben der Anhörung in der sicheren Erwartung zugestimmt, Erkenntnisse aus ihr zu ziehen. Die Experten, die wir einladen, sollen dem Anspruch genügen, auskunftsfähig zu sein, uns als Parlamentsmitglieder weiterzuhelfen und in diesem Ausschuss mit Überzeugung mitzuarbeiten. Deshalb möchte ich Sie bitten, erst einmal ein bisschen zurückzustecken. Wir haben eine Selbstbefassung zusammen mit der Diskussion über diese Anträge im November. Wir werden uns im Januar im Rahmen einer Expertenanhörung sehr kundig machen. Lassen Sie uns doch dann darüber sprechen, wie es weitergeht.

Ich würde mir von Ihnen, Herr Yildiz, wünschen, dass Sie bei aller moralischen Empörung nicht zu einseitig werden. Herr Dr. Bischoff hat vorhin gerügt, dass hier Offenheit postuliert wird, die dann in der Praxis nicht da ist. Umgekehrt bitte ich Sie, doch endlich zu realisieren, dass aus der SPD heraus nie die Abschaffung eines Rechtsanspruches gefordert oder in die Welt gesetzt worden ist. Das ist einfach nicht wahr, das hat die SPD-Fraktion nicht getan und ich habe es von keinem Senatsvertreter gehört.

(Beifall bei der SPD – Jens Kerstan GAL: Gehört nicht, bloß aufgeschrieben!)

Das macht mich allmählich etwas wütend, immer wieder genau diesen Sachverhalt strapazieren zu müssen.

Wenn so ein Geraune durch die Reihen geht, wenn über die Zusammenarbeit von Schule und Familienhilfe gesprochen wird, dann sage ich, dass das in der Tat in den letzten zehn Jahren wichtiger geworden ist. Die Diskussion über die Umsteue

rung im Bereich Hilfen zur Erziehung hat nicht heute begonnen, auch nicht unter Schwarz-Grün, sondern ist schon ein bisschen älter. Das kann jeder nachlesen, und jeder, der hier ein bisschen länger dabei ist, weiß das auch.

Zum nächsten Punkt. Wenn man durchsieht, was 1999 und 2000 für Maßnahmen auf dem Tisch lagen, dann ist das gar nicht so weit entfernt von den Strukturelementen, die wir heute vom Senat richtigerweise vorgelegt bekommen. Wir haben zwischendurch aber eine andere politische Situation in Hamburg gehabt. Das haben auch Sie, Herr Wersich, zu verantworten, dass das, was an guten Steuerungsinstrumenten damals schon angelegt war, nicht umgesetzt worden ist. Sie haben stattdessen versucht, eine Steuerung ohne Zusammenarbeit mit den Bezirken hinzubekommen; Sie haben sogar den Bezirken, die erfolgreich waren, die Mittel gekürzt und damit der Weiterentwicklung der Jugendhilfe in Hamburg den Boden unter den Füßen weggezogen. Das war falsch.

(Dietrich Wersich CDU: Wann war das? Wo- von sprechen Sie denn?)

Sie hatten unter Schwarz-Grün auch nicht den Mut, wieder umzusteuern. Heute kritisieren Sie uns dafür, dass wir die Kartoffeln aus dem Feuer holen, die Sie dort haben liegen lassen. Herr Wersich, schauen Sie sich die Unterlagen einmal an; schauen Sie sich an, was Ihre Vorgängerin als Sozialsenatorin in den Jahren 2001, 2002 und 2003 getan hat.

(Dietrich Wersich CDU: Ach, Sie meinen gar nicht mich!)

Zu Ihnen komme ich gleich noch, Herr Wersich.

Sie werden feststellen, dass das, was an Maßnahmen und Konzepten zur Umsteuerung da war, nicht umgesetzt worden ist. In den folgenden Jahren haben wir eine Situation gehabt, in der die Fallzahlen aus dem Ruder gelaufen sind. Es fällt in Ihre Verantwortung, dass keine Steuerungsmaßnahmen gegriffen haben und umgesetzt worden sind, sondern dass wir heute in der Situation sind, genau das abarbeiten zu müssen. Ich begrüße es, dass der Senat das tatkräftig angeht und endlich versucht, eine Richtung in der Jugendhilfe zu finden, die uns alle weiterbringt.

(Beifall bei der SPD)

Neu ist in diesem Zusammenhang der Aspekt, dass wir mehr Ganztagsschulen bekommen, übrigens auch ein Projekt, das Sie zwar zusammen mit Frau Goetsch begonnen haben, aber wo Ihnen der Mut zur Umsetzung fehlte. Wir werden das in den nächsten Jahren tun und haben damit neue Möglichkeiten für Instrumente in der Jugendhilfe. Darauf freuen wir uns. Es ist eine Chance zur Weiterentwicklung, der wir uns stellen wollen und der sich hoffentlich auch, da bin ich ganz sicher, die Träger

(Senator Detlef Scheele)

stellen und uns mit Ihren Ideen und Vorschlägen dabei unterstützen werden. Es geht darum – das hat auch Frau Blömeke benannt und dem will ich natürlich zustimmen –, dass die Kinder und Jugendlichen und ihre Familien, die Hilfe brauchen, diese auch weiterhin in guter Form bekommen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Frau Blömeke.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich freue mich, wenn die Begeisterung keine Grenzen kennt, wenn ich nach vorn komme.

(Dirk Kienscherf SPD: Das haben Sie falsch gedeutet!)

Mich juckt es nach der Rede von Senator Scheele in den Fingern. Herr Senator, Ihre Fallbeispiele sind genau die, die mich daran zweifeln lassen, dass diese Umsteuerung gelingen wird. Wir reden doch nicht über Kinder, die den Unterricht stören. Es ist doch völlig unstrittig, dass es mit einem Personalmix und in einer Schulkonferenz, wenn alle Professionen und Gremien der Schule zusammenarbeiten, gelingt, diese Kinder wieder einzufangen und in den Unterricht zu integrieren. Wir sprechen doch über ganz andere Fälle und wir wissen genau, wie diese aussehen; Lara Mia hat es uns vorgemacht. Das sind Fälle von Familien, in denen Kindesvernachlässigung herrscht, wo die Eltern, oft alleinerziehende Mütter, heftige Symptome von Borderline haben, wo psychische Erkrankungen vorliegen und so weiter. Wer aus dem Fach kommt, weiß, über welche Familien wir sprechen. Wenn man dann erklärt, dass die individuelle Familienhilfe zur Ausnahme wird und dass man erwartet, dass diese Familien in den Sozialraum gehen, in Eltern-Kind-Zentren zum Beispiel, dann ist das ein hehres Ziel. Das war auch jetzt schon immer Bestandteil unserer Hilfeplanung. Wer aber erwartet, dass alle Familien dieser Art so erreicht werden können, der irrt. Mit dieser Meinung stehe ich nicht alleine da, sondern zusammen mit anderen Fachexperten und nicht zuletzt mit den Jugendamtsleitern. Genau diese Beispiele, Herr Senator Scheele, machen es mir so schwer zu glauben, dass Sie auf dem richtigen Weg sind.

Natürlich, Herr Eisold, nehme ich Ihnen ab, dass Sie selber nie den Rechtsanspruch abschaffen wollten. Es gibt noch einen alten Streit in der SPDFraktion, Thomas Böwer hat sich überall öffentlich dagegen ausgesprochen. Aber wir haben dieses Papier vorliegen und mussten im Jugendausschuss lernen, dass ein Papier, das von Staatsrat Pörksen geschrieben ist und aus der Behörde her

ausgeht, nicht unbedingt ein Papier ist, das der Senator gesehen hat. Deswegen sagt der Senator auch, er sei nie dafür gewesen. Ich finde das sehr fremd und fragwürdig. Für mich ist der Senator der Vorstand der Behörde. Ich glaube nicht, dass Herr Pörksen ein Papier herausgibt, ohne dass Sie das gesehen haben und ohne dass der Senat dahintersteht. Diese Initiative ist von Hamburg ausgegangen und in dem Papier steht deutlich drin, dass der Rechtsanspruch abgeschwächt werden soll und dass es ihn so nicht mehr geben soll. Ich bin froh, dass wir den Senat zur Umkehr bringen konnten und wir werden sehen, wie es weitergeht.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort bekommt Herr Yildiz.

Frau Präsidentin, ich habe wenig Zeit, ich will ein paar Bemerkungen machen.

Erstens: Der Senat hatte – das hat Frau Blömeke auch erwähnt – mit dem A-Länder-Papier das Ziel, die Rechtsansprüche zu kürzen oder abzubauen. Herr Eisold, das muss Ihnen nicht passen. Das Schlimme dabei ist, dass man das, was mit diesem Papier nicht erreicht worden ist, jetzt im Rahmen der Kontrakte mit den Bezirken zu vereinbaren versucht. Ich will Ihnen das Zitat vorlesen, das unter den Zielzahlen steht:

"Das Bezirksamt Hamburg-Mitte und die BASFI verpflichten sich, im Doppelhaushalt 2011/12 durch die Umsetzung des Programms 'Neue Hilfen' und weitere Steuerungsbemühungen zum Erreichen der festgelegten Ziele beizutragen."

Wissen Sie, wie viele Fälle das sind? 448. Das bedeutet, da wird durch mehr Umsteuerung im Bereich ASD – und es ist richtig, dass 25 Prozent dort hineingehen, denn der Bereich ist unterbesetzt – erreicht, dass die Fälle jetzt mehr in den allgemeinen Sozialraum gehen, was langfristig nicht falsch ist. Diese Menschen haben so viele individuelle Probleme und sie brauchen diese Unterstützung. Daher ist meine Forderung, dass die Systeme parallel laufen müssen. Es kann nicht sein, dass wir das, was in zehn Jahren versäumt wurde, in einem Jahr geradebiegen müssen.

Zweitens: Wenn Herr Scheele redet, freue ich mich immer, denn er sagt vieles, was ich immer gefordert habe. Das kommt selten bei einem Senator vor.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wir liefern!)

Aber was mich traurig macht, ist, dass er hier Krokodilstränen fließen lässt, aber nichts sagt, wenn es ein Ergebnis gibt. Herr Scheele, Sie haben die Schule im Phoenix-Viertel als Beispiel angeführt.