Der Ausbildungsreport macht deutlich, dass der Ausbildungsmarkt gekippt ist. Hatten wir 2009 rund 2300 Stellen im Überhang, das heißt, mehr Ausbildungsstellen als Bewerber, so waren es 2010 bereits über 3000.
Gleich im Vorwort setzt der Senator Abitur und einen qualifizierten Berufsabschluss gleich. Aber was nützt einem Abiturienten seine formale Hochschulzugangsberechtigung, wenn er weder ein Studium beginnt, noch eine Ausbildung startet und erfolgreich beendet? Dann ist da nur ein ungelernter Jugendlicher mit allen Nachteilen für das weitere Leben.
Auch auf eine Inkonsequenz des Senators möchte ich eingehen. Wenn er schon Abitur und qualifizierenden Berufsabschluss, also den erfolgreichen Abschluss einer dualen Berufsausbildung, gleichsetzt, warum stimmt er dann in der Kultusministerkonferenz vor wenigen Tagen, Ende Oktober, für eine Herabstufung des Ausbildungsabschlusses gegenüber dem Abitur? Hintergrund für diese Inkonsequenz ist der Deutsche Qualifikationsrahmen, ein achtstufiges System, das bei Stufe 1 anfängt – das sind Schüler ohne Abschluss – und mit Stufe 8 endet, der Promotion. Was hat nun die KMK im Oktober beschlossen?
Erstens: Sie hat das Abitur auf Stufe 5 gesetzt und den erfolgreichen Berufsabschluss auf Stufe 4. Welche Folgen ergeben sich daraus? Abiturienten, die anschließend eine Ausbildung machen, zum Beispiel den unter den Abiturienten beliebten Beruf Bankkaufmann, verschlechtern sich mit Abschluss dieser Berufsausbildung um eine Stufe. Sie gehen aus dem Abitur mit Stufe 5 heraus, und nach Abschluss der Ausbildung haben sie nur noch das Qualifikationsniveau 4; das kann doch wohl nicht sein.
Zweitens: Durch diese Maßnahme verliert die duale Ausbildung an Attraktivität. Welcher Abiturient soll denn dann noch in die duale Ausbildung gehen, wenn er sich anschließend verschlechtert?
Drittens: Wir verschärfen den Fachkräftemangel, der sehr breit diskutiert wird in diesem Bericht. Wir brauchen nicht nur Häuptlinge, wir brauchen auch Indianer.
den Seiten 76 bis 78. Das wurde sehr breit im entsprechenden Ausschuss diskutiert, und auch alle Sozialpartner sind sich einig in der Bewertung. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer sagt, das sei eine Deklassierung des Erfolgsmodells dualer Ausbildung. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks nennt es einen Generalangriff auf die duale Berufsausbildung und der Deutsche Gewerkschaftsbund spricht von einer Abwertung der Leistung von 1,6 Millionen junger Menschen, die eine duale Berufsausbildung machen.
Herr Senator, nutzen Sie den selbstgesteckten Zeitrahmen der KMK, Ihren im Vorwort formulierten Anspruch der Gleichwertigkeit von Abitur und beruflicher Bildung umzusetzen. Sprechen Sie jetzt mit den Hamburger Kammern, Verbänden und Gewerkschaften. Setzen Sie sich dann im Dezember bei der nächsten KMK für eine Änderung des falschen Oktober-Beschlusses ein. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass alle Jugendlichen, die die Schule verlassen, auch tatsächlich einen Ausbildungsplatz bekommen sollen. Da haben wir einen großen Konsens und den hatten wir auch in den beiden letzten Legislaturperioden.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass diese berühmte Drucksache, die schon mehrfach angesprochen wurde, in der letzten Legislaturperiode tatsächlich in Kraft getreten ist und dass wir jetzt die Früchte ernten können, die in der letzten Legislaturperiode gesät wurden. Ich möchte deutlich machen, dass das auch ein Verdienst der letzten Legislaturperiode ist, wo doch sonst immer auf uns rumgehackt wird.
(Dirk Kienscherf SPD: Oh, oh! – Andy Grote SPD: Wir wollen nicht mehr in die Vergan- genheit gucken!)
(Beifall bei Antje Möller GAL und Dietrich Wersich CDU – Dirk Kienscherf SPD: Aner- kennung wollen Sie!)
Das ist ein sehr wichtiger Punkt, es ist nämlich der Übergang von der Schule in den Beruf, der mehrfach angesprochen wurde. Der Übergang soll möglichst passgenau sein und allen Kindern und Jugendlichen einen Anschluss bieten, wo auch ein
Abschluss vorhanden ist – übrigens auch da, wo kein Abschluss ist. Der Ausbildungsreport ist tatsächlich ein erster, guter Schritt, um zu sehen, wo diese Kinder und Jugendlichen bleiben, aber er ist eben nur ein erster Schritt.
DIE LINKE hat gefordert, eine integrierte Schulstatistik zu machen. Ich möchte das Frau Heyenn nicht vorwegnehmen, weil sie das sicherlich nachher erwähnen wird, aber dieser Schritt wurde noch nicht gemacht. Es gibt immer noch diese Statistiken der Handelskammer, der ARGE und des DGB und der BSB. Und wir wissen immer noch nicht – das hat der Bildungsbericht 2011 auch deutlich gemacht –, weil es immer noch keine Längsschnittstudien gibt, wo genau die Bildungsverläufe sind. Wir wissen immer noch nicht genau, was eigentlich in der Schule wirkt, auch in der Frühförderung beziehungsweise in der vorschulischen Bildung und dann später in der Berufsausbildung, was funktioniert und was nicht, um daraus entsprechende Schlüsse zu ziehen.
Ich möchte auf einen Punkt von Herrn Stemmann eingehen, er sprach den Deutschen Qualifikationsrahmen an, den DQR, und zog gewisse Schlüsse aus der Unterscheidung von Stufe 4 und 5. Ich würde jetzt nicht von Häuptlingen und Indianern sprechen; ich finde es hierarchisch und abwertend, wenn man bei den dualen Auszubildenden von Indianern spricht und bei den Abiturienten von Häuptlingen. Ich ziehe einen ganz anderen Schluss daraus.
Das habe ich nicht verstanden? Wir machen das nachher bilateral, Herr Wersich, wir gehen noch einen Kaffee trinken. Ich setze erst einmal meine Debatte fort und lade Sie auch ein.
(Zurufe von der CDU: Oh! und Heiterkeit und vereinzelter Beifall – Dirk Kienscherf SPD: Ich denke, Sie trinken nur Latte Macchiato! – Gegenruf von Dietrich Wersich CDU: Ich nehme Kinderpunsch!)
Der Umkehrschluss ist nämlich, dass es durch die unterschiedlichen Stufen 4 und 5 so ist, dass die Jugendlichen mit der Qualifikationsstufe 4, der abgeschlossenen Berufsausbildung, kein Studium aufnehmen können. Aber das ist genau das, was wir immer gefordert haben und was auch sehr wichtig ist. Deswegen ist diese Gleichstellung unbedingt erforderlich.
Ein letzter Punkt, der durch diesen Ausbildungsreport deutlich geworden ist und noch nicht erfüllt: Viele Schulabgänger wissen immer noch nicht – das hat kürzlich eine Befragung ergeben, die übrigens von der LINKEN angeregt wurde –, wie sie
ihr Leben gestalten wollen. Das heißt, wir müssen auch hier noch deutlicher arbeiten, um allen Jugendlichen eine Ausbildung zu ermöglichen und eine deutliche Perspektive zu bieten in den Bereichen Schule, Studienund Berufsorientierung. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Hinter dem sperrigen Begriff Ausbildungsberichterstattung stecken junge Schicksale von Jahr für Jahr rund 25 000 Jugendlichen in Hamburg. Deshalb ist es eine sehr wichtige Debatte, viel zu wichtig vor allem, um sie für parteipolitische Mätzchen zu missbrauchen. Ich fürchte, wir werden diese im Stil der etwas angestrengten Pressemitteilung der LINKEN bald hören müssen, denn Sie haben noch Anfang November unter Berufung der Zahlen der Schülerbefragung vom Juli behauptet, nur die wenigsten Hamburger Haupt- und Realschüler erhielten eine Lehrstelle. Das finde ich eine absichtlich verzerrende Darstellung,
denn jeder, der sich mit der Materie befasst, weiß, dass die Lehrstellen im Juli noch lange nicht verteilt sind. Der Prozess dauert viel länger an.
Es gibt fast 14 400 neue Ausbildungsverhältnisse. Zum Statistiktag 30. September war das ein Plus von 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr, die Zahlen belegen dies. Statt willkürlich gewählter Momentaufnahmen hilft ohnehin ein Blick auf die langfristige Entwicklung der Schülerzahlen an unseren berufsbildenden Schulen. Hatten wir in Hamburg vor neun Jahren noch unter 12 000 Jugendliche in dualer Ausbildung, so waren es letztes Jahr über 14 000. Haben 2002 noch rund 4400 Jugendliche Berufsvorbereitungsschulen besucht, waren es letztes Jahr 3400. In den teilqualifizierenden Berufsfachschulen, darauf kommt es an, ging die Schülerzahl sogar von über 3800 auf 2500 zurück. Das zeigt, dass die vielbeklagten Warteschleifen langsam aber sicher an Bedeutung verlieren, und das ist gut so.
Unser System der dualen Ausbildung funktioniert im Grundsatz. Wirtschaft und Staat machen also ihre Hausaufgaben.
Meine Damen und Herren! Weil hinter diesen Zahlen und Fakten jugendliche Schicksale stecken, dürfen wir uns nicht mit einem Status quo zufriedengeben. Wir müssen noch mehr tun, um das gute Prinzip "kein Abschluss ohne Anschluss" auch Wirklichkeit werden zu lassen.
Das fängt meiner Ansicht nach in der Stadtteilschule an, das ist ein sehr wichtiger Punkt. Die geplante engere Vernetzung beim Übergang von der Schule in den Beruf und eine frühzeitige Berufsorientierung, wie Senator Rabe gestern wieder betont hat, müssen mit konkreten Maßnahmen unterfüttert werden. Hier hören wir unserer Auffassung nach noch etwas wenig aus der Behörde, Herr Senator.
Auch mit dem Aufbau der Jugendberufsagentur lassen Sie sich bis nächsten Sommer ein bisschen viel Zeit. Gerade frühzeitige Beratung und Orientierungshilfe sind es aber, die einen erheblichen Anteil an der Problemlösung herbeiführen können. Deshalb dürfen wir nicht länger warten, sondern wir müssen endlich handeln.
Meine Damen und Herren! Was uns in diesem ansonsten durchaus verdienstvollen Ausbildungsreport an weiteren Konkretisierungen und klaren Punkten fehlt, sind die Punkte zum Fachkräftemangel. Die Behauptung,
"Recherchen der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration deuten darauf hin, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Hamburg kein gravierender flächendeckender Fachkräftemangel gegeben ist."
Zitatende – ist, vorsichtig formuliert, oberflächlich betrachtet. Praktiker aus der Arbeitswelt sehen das völlig anders.