Protocol of the Session on January 25, 2012

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(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

All diese Studien machen deutlich, warum wir uns mit dem Thema beschäftigen müssen, warum die Zahlen einfach dafür sprechen, dass etwas getan werden muss, um diese schwächeren Verkehrsteilnehmer zu schützen.

(Beifall bei der CDU)

Um Kritik vorwegzunehmen, selbstverständlich verhindert der Fahrradhelm per se keinen Unfall, genauso wenig wie ein angelegter Sicherheitsgurt im Auto oder ein Airbag. Er ist aber in der Lage, den Kopf und insbesondere das Gehirn vor schweren Verletzungen zu schützen. Insofern halte ich es für einen ersten Erfolg dieses Antrags, dass wir das Thema hier diskutieren. Wir sind damit unserem Ziel ein Stück näher gekommen, das Bewusstsein für den Schutz durch einen Fahrradhelm in der Bevölkerung zu steigern, denn das "Hamburger Abendblatt", die "Bild"-Zeitung und viele andere haben das Thema aufgegriffen.

Lieber Herr Steffen, ich habe Sie schon häufig auf dem Fahrrad gesehen, aber immer mit einem Fahrradhelm, weil Sie wissen, was Sie an Ihrem Kopf haben und wie wertvoll so ein Fahrradhelm auch sein kann. Das Gleiche gilt im Übrigen für die Kollegen vom ADFC, die auch gegen eine Radhelmpflicht sind. Frau Timmermann, wir waren in Berlin und in Kiel mit den Kollegen vom ADFC. Die haben alle einen Helm aufgehabt, die Berufsradfahrer sozusagen, aber sie sprechen sich gegen einen Fahrradhelm aus, weil sie meinen, dass ihre Klientel – und das gilt für Sie auch, lieber Herr Dr. Steffen – sich vielleicht in irgendeiner Form davon bedrängt fühlte. Das halte ich für wenig nachvollziehbar.

(Beifall bei der CDU)

Wir stellen nach vier Jahren auch fest, liebe Frau Timmermann, dass all die Kampagnen, die es gegeben hat und die es immer noch gibt und die im

(Vizepräsidentin Barbara Duden)

mer wieder gefordert werden, leider nicht gewirkt haben. Anders als auf den Skipisten, wo Helme mittlerweile modern sind, wo sie akzeptiert werden, wo es fast schon unmodern ist, sich ohne Helm den Berg hinunter zu begeben, stellen wir fest, dass die Tragequote für den Fahrradhelm sich leider nicht verbessert hat.

Wir halten auch fest, dass der ADAC gerade vor wenigen Tagen in der Handelskammer einen Radverkehrsanteil für Hamburg im Modal Split von circa 20 Prozent im Jahr 2030 prognostiziert hat. 20 Prozent Radfahrer auf Hamburgs Straßen, lieber Kollege Steffen, sind nicht zu vernachlässigen und sind für uns Anlass, darüber nachzudenken, wie diese Verkehrsteilnehmer wirksam geschützt werden können. Wirksames Schützen bedeutet für die CDU-Fraktion nicht, dass wir die Autofahrer verbieten oder dass wir den Radfahrern dauerhaft grünes Licht geben, sondern wirksames Schützen ist auch aktiver Schutz durch einen Fahrradhelm. Deswegen diskutieren wir hier heute über die Einführung einer Fahrradhelmpflicht.

(Beifall bei der CDU)

Ich erwähne aber auch, dass man das eine tun muss ohne das andere zu lassen. Selbstverständlich wird die Radverkehrsstrategie umgesetzt werden müssen, denn nur so werden wir die 20 Prozent Radfahrer im Modal Split erhalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema wird kontrovers diskutiert, das haben wir nicht nur bei den Medien feststellen können, das sehen wir auch bei diversen Untersuchungen wie die der Expertenkommission im Thüringer Landtag. Es gibt rechtliche Bedenken gegen die Umsetzung, gerade bei Kindern und Minderjährigen, auch das ist klar. Aber wir haben als Abgeordnete in diesem Parlament gemeinsame Ziele: weniger Verkehrsunfälle auf unseren Straßen und der Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer. Es ist allerdings nicht unser Ziel, den Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer auf Kosten des Wirtschaftsund Logistikstandorts und des motorisierten Individualverkehrs durchzuführen. Ich glaube auch zu wissen, dass wir mit diesem Antrag sicherlich keinen Sympathiepreis gewinnen werden, denn kein Mensch – vielleicht höre ich das gleich von den Liberalen, Herr Schinnenburg – möchte sich etwas vorschreiben lassen, jeder möchte selbst entscheiden, wie er sich schützt. Das gehört vielleicht zur Liberalität und wir hätten das natürlich bei der Gurtpflicht oder bei der Motorradhelmpflicht auch schon diskutieren können. Aber ich denke, es ist Aufgabe von Politik, den Menschen, nachdem man ihnen häufig gesagt hat, was gut für sie ist und sich nichts tut, aufzuzeigen, wie es sonst noch geht. Das wollen wir mit dem Antrag. Ich bedanke mich bei der SPD-Fraktion, dass sie zugestimmt hat, über dieses Thema im Verkehrsausschuss weiter zu beraten; das ist dringend notwendig. Un

sere Fraktion ist in diesem Verkehrsausschuss ergebnisoffen, auch das sage ich ganz deutlich. Ziel ist, die Tragequote in Hamburg zu erhöhen – ob durch eine Pflicht oder andere Maßnahmen, das müssen wir schauen –, aber es ist gut, dass wir uns weiter mit dem Thema auseinandersetzen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Matthias Al- brecht und Karin Timmermann, beide SPD)

Frau Martin hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Herr Hesse, auch wir als SPD-Fraktion begrüßen durchaus, dass Sie die Diskussion wieder aufgegriffen haben, die wir 2007 im Parlament hatten. Damals hat allerdings der CDU-Senat das Thema sehr kritisch gesehen und eine Einführung der Helmpflicht zunächst abgelehnt.

(Vizepräsidentin Dr. Eva Gümbel übernimmt den Vorsitz)

Dennoch ist der Ansatz, auf der Grundlage frischer Erkenntnisse erneut über einen besseren Schutz von minderjährigen Radfahrern – weiblich wie männlich natürlich, Frau Sudmann, ich erwähne es aber nur einmal – nachzudenken, richtig und sicher sinnvoll. Für uns steht die Sicherheit der Kinder ganz klar im Fokus, denn sie sind die schwächsten Teilnehmer im Radverkehr und müssen besonders geschützt werden, gerade im Straßenverkehr einer Großstadt wie Hamburg.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Eine im Verkehrsschutz tätige Polizeikommissarin hat einmal gesagt, Fahrradhelme seien so etwas wie Fallschirme. Wenn man einmal einen braucht und keinen hat, benötigt man nie wieder einen. Das ist zwar recht drastisch ausgedrückt, aber Fahrradhelme sind immer noch die billigste und die beste Unfall- und Lebensversicherung. Es ist wirklich jenseits aller Unfallstatistiken unbestreitbar, dass Radfahrer, ob jung oder alt, mit Helm besser geschützt sind als ohne. Dies wird auch durch eine aktuelle wissenschaftliche Studie belegt, sie wurde vor Kurzem veröffentlicht, dass das Risiko einer Kopfverletzung um 69 Prozent sinkt, wenn Radfahrer einen Helm tragen.

Die Diskussion über das Tragen von Fahrradhelmen, ob nun freiwillig oder als Pflicht, wird wirklich seit Langem geführt. Der Deutsche Verkehrsgerichtstag hatte 2009 Radfahrern aller Altersgruppen das Tragen eines Helms empfohlen, aber die Wirkung dieser reinen Empfehlung ist wirklich sehr ernüchternd. Herr Hesse hat es in seinem Antragstext beschrieben. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen sind die Zahlen sehr stark zurückgegangen. Während 2009 noch 56 Prozent der Kin

(Klaus-Peter Hesse)

der zwischen 6 und 10 Jahren mit Helm fuhren, waren es 2010 nur noch 38 Prozent, und auch bei allen anderen Altersgruppen gibt es rückläufige Quoten bis hin zu den Erwachsenen, die mit nur 9 Prozent das Schlusslicht bilden. Damit sind die Helmtragequoten erstmals seit vielen Jahren wieder gesunken. In Anbetracht dieser Zahlen scheint es wirklich so, dass reine Empfehlungen, Informations- oder Werbekampagnen wie "Ich trage Helm" oder "Fahrradhelm macht Schule" nicht ausreichend gegriffen haben.

Die grundsätzliche Frage ist, wie können die bislang unzureichenden Helmquoten gerade bei Minderjährigen und damit der Schutz vor schweren bis tödlichen Unfallfolgen erhöht werden. Brauchen wir vielleicht ganz neue, niedrigschwellige Instrumente und Präventionskonzepte, oder kann hier wirklich nur eine gesetzliche Pflicht weiterhelfen? Reicht es aus, allein auf das Verantwortungsbewusstsein der Eltern zu setzen und wenn ja, wie können dann auch die Eltern besser erreicht werden und wie kann an deren Vorbildfunktion appelliert werden? Wie kann letztlich dazu beigetragen werden, die Vision Zero, also Null Tote im Straßenverkehr, zu erreichen? Und gibt es denn, lieber Herr Steffen, einen tatsächlich nachgewiesenen Rückgang an Radfahrern, auch einen negativen Rückgang des Modal Split, wenn wir eine Helmpflicht einführen? Gibt es aktuelle Studien oder sind es nur reine Vermutungen, so wie Sie es in Ihrer Pressemitteilung erwähnt haben, die schon versendet wurde.

Welche Maßnahmen zur Erhöhung der Helmquote beitragen und ob eine Helmpflicht für alle Minderjährige eingeführt werden müsste beziehungsweise bis zu welcher Altersgruppe genau, das möchten wir zunächst weiter im Verkehrsausschuss beraten, und zwar ergebnisoffen. Zu dieser Beratung gehört für uns insbesondere, dass offene Fragen rund um die umfangreichen juristischen Voraussetzungen einer Helmpflicht und die haftungsrechtlichen Fragen geprüft werden. Das, Herr Hesse, hat im Übrigen schon die Verkehrsministerkonferenz im April 2011 der Bundesregierung als Aufgabe mitgegeben.

Meine Damen und Herren! Überlegungen der Politik über eine mögliche Einführung der Helmpflicht rufen stets sofort die Kritiker auf den Plan. Die Kritik ist nicht immer sachlich, sondern meist recht emotional. Wenn man sich Fahrradforen im Internet anschaut, ist es sehr erstaunlich, mit welchen Vorwürfen wir konfrontiert werden.

Ich möchte kurz auf zwei Argumente der Kritiker eingehen, zum einen auf das Argument, dass eine Helmpflicht kaum zu kontrollieren und für Kinder unter 14 Jahren auch nicht zu sanktionieren sei. Aber das ist beispielweise auch beim Fahren im Dunkeln ohne Licht nicht möglich, und keiner käme auf die Idee, die Lichtpflicht bei Rädern wieder abzuschaffen, weil man Kinder bei entsprechendem

Fehlverhalten nicht ausreichend kontrollieren oder sanktionieren kann.

Ebenso ist der Vorwurf der politischen Regelungswut, der manchmal von der FDP kommt, nicht angebracht. Natürlich ist es nicht immer erstrebenswert, neue und weitere Vorschriften zu erlassen, aber gerade beim Schutz von Minderjährigen hat der Staat eine besondere Verantwortung, und die steht für uns bei dieser Diskussion immer im Vordergrund.

(Beifall bei der SPD und bei Klaus-Peter Hesse CDU)

Richtig ist allerdings auch – Herr Hesse, ich muss Ihnen wieder recht geben, das passiert nicht so oft –,

(Klaus-Peter Hesse CDU: Das stimmt!)

dass allein das Tragen eines Helms zum Unfallschutz nicht ausreicht, sondern dass weitere Maßnahmen durch den Ausbau der Radwegeinfrastruktur getroffen werden müssen. Hier ist der Senat gemeinsam mit den Bezirken auf einem guten Weg, für die Sicherheit der Radfahrer die Hamburger Radwege instand zu setzen und zu optimieren.

Meine Damen und Herren! Wir sollten gemeinsam als Parlament daran arbeiten, die Helmtragequote zu erhöhen und damit das Risiko der schweren Kopfverletzungen zu minimieren oder gar zu verhindern. Erlauben Sie mir daher zum Abschluss einen kurzen Appell. Lassen Sie uns bei der beantragten Beratung im Verkehrsausschuss bitte nicht in parteipolitische Reflexe zur Radverkehrspolitik verfallen, wie es manchmal der Fall ist, sondern in einer sachlichen Diskussion die besten Maßnahmen für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Fahrradunfällen und deren Folgen erörtern. Die SPD-Fraktion wird daran konstruktiv mitarbeiten, und ich würde mich freuen, wenn neben der CDU auch die anderen Fraktionen unserem Überweisungsantrag zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Dr. Steffen, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann das, was Herr Hesse vermutet hat, ganz konkret bestätigen. Aus eigener Erfahrung kann ich jedem Radfahrer und jeder Radfahrerin raten, einen Helm zu tragen. Ich selbst hatte bereits einen Unfall, nach dem mein Helm erheblich deformiert und meine Sonnenbrille kaputt war. Ohne Helm wäre sicherlich mit erheblichen Kopfverletzungen und Verletzungen im Bereich der Nase zu rechnen gewesen. Das bringt mich unabhängig von entsprechenden Untersuchungen dazu, allen zum Tragen eines Fahrradhelms zu raten. Nach etwas Gewöh

(Dorothee Martin)

nung kann man gar nicht mehr ohne. Letztens hatte ich meinen Helm vergessen, dann spiegelte ich mich in der Rückseite eines Lieferwagens und dachte, da stimmt etwas nicht, und bin schnell wieder nach Hause gefahren.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Die Frage, wie das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern bei diesem Thema eigentlich ist, wird übersehen. Ich nehme in meinem Umfeld überhaupt keine Kinder wahr, die ohne Helm Fahrrad fahren. Das mag daran liegen, wenn man sich die Statistiken anschaut, dass ich in einem verdichteten Stadtteil wohne, wo der Verkehr als relevant wahrgenommen wird, anderswo ist das vielleicht anders. Aber ich nehme wahr, dass die Eltern hinter oder vor den Kindern munter ohne Helm fahren, und da wundert es natürlich nicht, dass die Moral der Kinder beim Tragen der Helme nachlässt, wenn sie alleine unterwegs sind.

Wer eigene Kinder hat weiß, was das zweite Problem ist, und wer sich das bei anderen Kindern anschaut, fragt sich, ob eine Helmpflicht daran überhaupt etwas ändern kann. Das Anlegen von Kinderhelmen ist für Eltern und Kinder eine ausgesprochene Tortur. Das hat sich langsam ein bisschen verbessert, aber diese Helme sind überhaupt nicht darauf ausgelegt, bei Kindern angelegt zu werden,

(Martina Koeppen SPD: Was?)

und es ist kein Wunder, dass die meisten Kinder die Helme weitgehend auf dem Hinterkopf tragen und dass so eine eher symbolische Handlung vollzogen wird. Deswegen bringt eine solche rein rechtliche Regelung wenig. Wir müssen auf dem Weg bleiben, an der Überzeugung der Eltern zu arbeiten, dass das Anlegen von Helmen ausgesprochen sinnvoll ist. Das geht meiner Meinung nach nur über das Vorbild der Eltern, das heißt, Sie müssen an die Eltern appellieren, hier ein gutes Vorbild zu sein.

(Beifall bei der GAL und bei Ole Thorben Buschhüter SPD und Finn-Ole Ritter FDP)

Die Frage ist, wie eine solche Helmpflicht durchgesetzt und sanktioniert werden soll. Wir brauchen keine rechtliche Regelung, wenn es keine Möglichkeit zur Handhabe gibt.

Bei der Frage, ob Fahrräder funktionstüchtig sind, ist es eine Möglichkeit, Eltern anzusprechen, wenn sie mit ihren Kindern zusammen unterwegs sind. Wir haben aber aus den Statistiken gelernt, dass gerade bei der Gruppe der Kinder, die typischerweise ohne ihre Eltern unterwegs sind, also die 10bis 14-jährigen, die Helmquote erschreckend niedrig ist. Wie soll da etwa über eine Sanktionierung der Eltern gearbeitet werden? Das ist tatsächlich nicht handhabbar, und wir sollten keine rechtlichen Regelungen schaffen, die ins Leere gehen. Von

solchen Regelungen haben wir genug, und man muss über das Bewusstsein der Eltern arbeiten.

Es stellt sich noch eine andere Frage, Frau Martin hat das mit einem Stichwort schon angesprochen, nämlich die der Haftung. Bei einer Sicherheitsvorkehrung, die gesetzlich vorgeschrieben ist, so ist es zum Beispiel beim Anschnallgurt im Auto, trägt derjenige, der selbst gar nicht Unfallverursacher ist, aber den Anschnallgurt nicht angelegt hatte, eine Teilschuld. Er muss für den Schaden, der entstanden ist, mit aufkommen. Das wäre eine Konsequenz, die ich erschreckend fände, wenn ein Autofahrer einem Kind die Vorfahrt nimmt und dann nur teilweise für den Schaden aufkommen muss, weil dieses Kind keinen Helm aufhatte.